From 7e4a7b847c63064a40fd7a4d3829eddb4191aa9e Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: =?UTF-8?q?Andreas=20M=C3=BCller?= Date: Mon, 24 May 2021 20:36:06 +0200 Subject: Wavelets auf einem Graphen --- buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex | 228 ++++++++++++++++++++++++++++++++-- 1 file changed, 218 insertions(+), 10 deletions(-) (limited to 'buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex') diff --git a/buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex b/buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex index 9c88c08..ae065bc 100644 --- a/buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex +++ b/buch/chapters/70-graphen/wavelets.tex @@ -103,22 +103,230 @@ aus der sich alle Vektoren linear kombinieren lassen, in der aber auch auf die für die Anwendung interessante Längenskala angepasste Funktionen gefunden werden können. -\subsection{Wavelets und Frequenzspektrum} -Eine Wavelet-Basis der Funktionen auf $\mathbb{R}$ zerlegt +\subsection{Wavelets auf einem Graphen} +Die Fourier-Theorie analysiert Funktionen nach Frequenzen, wobei die +zeitliche Position von interessanten Stellen der Funktion in der Phase +der einzelnen Komponenten verschwindet. +Die Lokalisierung geht also für viele praktische Zwecke verloren. +Umgekehrt haben einzelne Ereignisse wie eine $\delta$-Funktion keine +charakteristische Frequenz, sie sind daher im Frequenzraum überhaupt +nicht lokalisierbar. +Die Darstellung im Frequenzraum und in der Zeit sind also extreme +Darstellungen, entweder Frequenzlokalisierung oder zeitliche Lokalisierung +ermöglichen, sich aber gegenseitig ausschliessen. +\subsubsection{Dilatation} +Eine Wavelet-Basis für die $L^2$-Funktionen auf $\mathbb{R}$ erlaubt +eine Funktion auf $\mathbb{R}$ auf eine Art zu analysieren, die eine +ungenaue zeitliche Lokalisierung bei entsprechend ungenauer +Frequenzbestimmung ermöglicht. +Ausserdem entstehen die Wavelet-Funktionen aus einer einzigen Funktion +$\psi(t)$ durch Translation um $b$ und Dilatation mit dem Faktor $a$: +\[ +\psi_{a,b}(t) += +\frac{1}{\sqrt{|a|}} \psi\biggl(\frac{t-b}a\biggr) += +T_bD_a\psi(t) +\] +in der Notation von \cite{buch:mathsem-wavelets}. +Auf einem Graphen ist so eine Konstruktion grundsätzlich nicht möglich, +da es darauf weder eine Translations- noch eine Streckungsoperation gibt. + +In der Theorie der diskreten Wavelet-Transformation ist es üblich, sich +auf Zweierpotenzen als Streckungsfaktoren zu beschränken. +Ein Gitter wird dadurch auf sich selbst abgebildet, aber auf einem +Graphen gibt es keine Rechtfertigung für diese spezielle Wahl von +Streckungsfaktoren mehr. +Es stellt sich daher die Frage, ob man für eine beliebige Menge +\( +T= \{ t_1,t_2,\dots\} \} +\) +von Streckungsfaktoren eine Familie von Funktionen $\chi_j$ zu finden +derart, dass man sich die $\chi_j$ in einem gewissen Sinn als aus +$\chi_0$ durch Dilatation entstanden vorstellen kann. -\subsection{Frequenzspektrum -\label{buch:subsection:frequenzspektrum}} -Die Fundamentallösung der Wärmeleitunsgleichung haben ein Spektrum, welches -wie $e^{-k^2}$ gegen $0$ geht. +Die Dilatation kann natürlich nicht von einer echten +Dilatation im Ortsraum herstammen, aber man kann wenigstens versuchen, die +Dilatation im Frequenzraum nachzubilden. +Für Funktionen in $L^2(\mathbb{R})$ entspricht die Dilatation mit dem +Faktor $a$ im Ortsraum der Dilatation mit dem Faktor $1/a$ im Frequenzraum: +\[ +\widehat{D_af}(\omega) = D_{1/a}\hat{f}(\omega). +\] +\cite[Satz~3.14]{buch:mathsem-wavelets}. +Es bleibt aber das Problem, dass sich auch die Skalierung im Frequenzraum +nicht durchführen lässt, da auch das Frequenzspektrum des Graphen nur eine +Menge von reellen Zahlen ohne innere algebraische Struktur ist. + +\subsubsection{Mutterwavelets} +\begin{figure} +\centering +\includegraphics{chapters/70-graphen/images/gh.pdf} +\caption{Lokalisierungsfunktion $g(\lambda)$ für die Dilatation (links). +Die Dilatierten Funktionen $g_i=\tilde{D}_{1/a_i}g$ lokalisieren +die Frequenzen jeweils um die Frequenzen $a_i$ im Frequenzraum. +Der Konstante Vektor ist vollständig delokalisiert, die Funktion $h$ +in der rechten Abbildung entfernt die hohen Frequenzen und liefert Funktionen, +die in der Umgebung eines Knotens wie die Konstante Funktion aussehen. +\label{buch:graphs:fig:lokalisierung}} +\end{figure} +Das Mutter-Wavelet einer Wavelet-Analyse zeichnet definiert, in welchem Mass +sich Funktionen im Orts- und im Frequenzraum lokalisieren lassen. +Die Standardbasis der Funktionen auf einem Graphen repräsentieren die +perfekte örtliche Lokalisierung, Eigenbasis der Laplace-Matrix repräsentiert +die perfekte Lokalisierung im Frequenzraum. +Sei $g(\lambda)\ge 0$ eine Funktion im Frequenzraum, die für $\lambda\to0$ und +$\lambda\to\infty$ rasch abfällt mit einem Maximum irgendwo dazwischen +(Abbildung~\ref{buch:graphs:fig:lokalisierung}). +Sie kann als eine Lokalisierungsfunktion im Frequenzraum betrachtet werden. -Die Fundamentallösung entsteht dadurch, dass die hohen Frequenzen -schneller dämpft als die tiefen Frequenzen. +Die Matrix $g(I)$ bildet entfernt aus einer Funktion die ganz hohen und +die ganz tiefen Frequenz, lokalisiert also die Funktionen im Frequenzraum. +Die Standardbasisvektoren werden dabei zu Funktionen, die nicht mehr nur +auf einem Knoten von $0$ verschieden sind, aber immer noch einigermassen +auf dem Graphen lokalisiert sind. +Natürlich sind vor allem die Werte auf den Eigenwerten +$\lambda_0 < \lambda_1\le \dots\le \lambda_n$ der Laplace-Matrix +von Interesse. +Die Matrix $g(I)$ kann mit Hilfe der Spektraltheorie berechnet werden, +was im vorliegenden Fall naheliegend ist, weil ja die Eigenvektoren von +der Laplace-Matrix bereits bekannt sind. +Die Matrix $\chi^t$ bildet die Standardbasisvektoren in die +Eigenbasis-Vektoren ab, also in eine Zerlegung im Frequenzraum ab, +$\chi$ vermittelt die Umkehrabbildung. +Mit der Spektraltheorie findet man für die Abbildung $g(I)$ die Matrix +\begin{equation} +g(I) += +\chi +\begin{pmatrix} +g(\lambda_0)&0&\dots&0\\ +0&g(\lambda_1)&\dots&0\\ +\vdots&\vdots&\ddots&\vdots\\ +0&0&\dots&g(\lambda_n) +\end{pmatrix} +\chi^t. +\label{buch:graphen:eqn:mutterwavelet} +\end{equation} -\subsection{Wavelet-Basen -\label{buch:subsection:}} +\subsubsection{Dilatation} +Die Dilatation um $a$ im Ortsraum wird zu einer Dilatation um $1/a$ im +Frequenzraum. +Statt also nach einer echten Dilatation der Spaltenvektoren in $g(I)$ +zu suchen, kann man sich darauf verlegen, Funktionen zu finden, deren +Spektrum von einer Funktionen lokalisiert worden ist, die eine Dilatation +von $g$ ist. +Man wählt daher eine ansteigende Folge $A=(a_1,\dots)$ von Streckungsfaktoren +und betrachtet anstelle von $g$ die dilatierten Funktionen +$g_i=\tilde{D}_{1/a_i}g$. +Die zugehörigen Wavelet-Funktionen auf dem Graphen können wieder mit +der Formel~\eqref{buch:graphen:eqn:mutterwavelet} berechnet werden, +man erhält +\begin{equation} +\tilde{D}_{1/a_i}g(I) += +g_i(I) += +\chi +\begin{pmatrix} +g(a_i\lambda_0)&0&\dots&0\\ +0&g(a_i\lambda_1)&\dots&0\\ +\vdots&\vdots&\ddots&\vdots\\ +0&0&\dots&g(a_i\lambda_n) +\end{pmatrix} +\chi^t . +\end{equation} +Die Spalten von $g_i(I)$ bilden wieder eine Menge von Funktionen, die +eine gemäss $g_i$ lokalisiertes Spektrum haben. +\subsubsection{Vater-Wavelet} +Wegen $g(0)=0$ wird die konstante Funktion, die Eigenvektor zum Eigenwert +$\lambda_0=0$ ist, von den Abbildungen $g_i(I)$ auf $0$ abgebildet. +Andererseits ist diese Funktion nicht lokalisiert, man möchte Sie also +für die Analyse nicht unbedingt verwenden. +Man wählt daher eine Funktion $h(\lambda)$ mit $h(0)=1$ so, dass +für $\lambda\to \infty$ der Wert $h(\lambda)$ genügend rasch gegen $0$ +geht. +Die Matrix $h(I)$ bildet daher den konstanten Vektor nicht auf $0$ ab, +sondern lokalisiert ihn im Ortsraum. +Wir erhalten daher in den Spalten von $h(I)$ Vektoren, die um die +einzelnen Knoten lokalisiert sind. + +\subsubsection{Rekonstruktion} +Die Operatoren $h(I)$ und $g_i(I)$ erzeugen analysieren eine Funktion +nach den verschiedenen Frequenzen mit den Skalierungsfaktoren $a_i$, +aber die Rekonstruktion ist noch nicht klar. +Diese wäre einfacher, wenn die Operatoren zusammen die identische +Abbildung ergäben, wenn also +\[ +h(I) + \sum_{i}g_i(I)=I +\] +gelten würde. +Nach der Spektraltheorie gilt das nur, wenn für alle Eigenwerte +$\lambda_k$, $k=1,\dots,n$ +\[ +h(\lambda_k) + \sum_ig(a_i\lambda_k)=1 +\] +gilt. +Für beleibige Funktionen $g$ und $h$ kann man nicht davon ausgehen, +aber man kann erwarten. +Man muss daher zusätzlich verlangen, dass +\[ +h(\lambda_k) + \sum_{i} g(a_i\lambda_k) > 0 +\] +ist für alle Eigenwerte $\lambda_k$. + +\subsubsection{Frame} +Die Menge von Vektoren, die in der vorangegangenen Konstruktion gefunden +wurden, ist zu gross, um eine Basis zu sein. +Vektoren lassen sich darin auf verschiedene Art darstellen. +Wir verlangen aber auch keine eindeutige Darstellung, nur eine +Darstellung, in der wir die ``dominierenden'' Komponenten in jeder +Frequenzskala identifizieren können. + +\begin{definition} +\label{buch:graphen:def:frame} +Ein Frame des Vektorraumes $\mathbb{R}^n$ ist eine Menge +$F=\{e_k\;|\; k=1,\dots,N\}$ von Vektoren mit der Eigenschaft +\begin{equation} +A\|v\|^2 +\le +\sum_{k=1}^N |\langle v,e_k\rangle|^2 +\le +B\|v\|^2 +\label{buch:graphen:eqn:frame} +\end{equation} +Die Zahlen $A$ und $B$ heissen die {\em Frame-Konstanten} des Frames. +\end{definition} + +Die oben gefundenen Vektoren, die Spalten Vektoren von $h(I)$ und $g_i(I)$ +bilden daher ein Frame. +Die Frame-Konstanten kann man unmittelbar ausrechnen. +Der mittlere Term von \eqref{buch:graphen:eqn:frame} ist +\[ +\|h(I) v\|^2 ++ +\sum_{i} \|g_i(I)v\|^2, +\] +die durch die Funktion +\[ +f(\lambda) += +h(\lambda)^2 + \sum_i g_i(\lambda)^2 +\] +abgeschätzt werden kann. +Die Frame-Konstanten sind daher +\begin{align*} +A&=\min_{k} f(\lambda_k) +& +&\text{und}& +B&=\max_{k} f(\lambda_k). +\end{align*} +Die Konstruktion hat also ein Frame für die Funktionen auf dem Graphen +etabliert, die viele Eigenschaften einer Multiskalenanalyse in diese +wesentlich weniger symmetrische Situation rettet. -- cgit v1.2.1