% % wurzeln.tex -- Wurzeln einem endlichen Körper hinzufügen % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil % \section{Wurzeln \label{buch:section:wurzeln}} \rhead{Wurzeln} Im Körper $\mathbb{Q}$ kann man zum Beispiel die Wurzel aus $2$ nicht ziehen. Das Problem haben wir in Abschnitt~\ref{buch:section:reelle-zahlen} dadurch gelöst, dass wir $\mathbb{Q}$ zu den reellen Zahlen erweitert haben. Es ist aber auch möglich, nur die Zahl $\sqrt{2}$ hinzuzufügen, so entsteht der Körper $\mathbb{Q}(\sqrt{2})$. In diesem Abschnitt zeigen wir, wie man einem Körper beliebige Nullstellen $\alpha$ eines Polynoms $f\in\Bbbk[X]$ hinzufügen und so den Körper $\Bbbk(\alpha)$ konstruieren kann. \subsection{Irreduzible Polynome \label{buch:subsection:irreduziblepolynome}} Die Zahlen, die man dem Körper hinzufügen möchte, müssen Nullstellen eines Polynoms sein. Wir gehen daher davon aus, dass $f\in \Bbbk[X]$ ein Polynom mit Koeffizienten in $\Bbbk$ ist, dessen Nullstelle $\alpha$ hinzugefügt werden sollen. Das Ziel ist natürlich, dass diese Erweiterung vollständig beschrieben werden kann durch das Polynom, ganz ohne Bezug zum Beispiel auf einen numerischen Wert der Nullstelle, der ohnehin nur in $\mathbb(C)$ sinnvoll wäre. Nehmen wir jetzt an, dass sich das Polynom $f$ faktorisieren lässt. Dann gibt es Polynome $g,h\in\Bbbk[X]$ derart, dass $f=g\cdot h$. Die Polynome $g$ und $h$ haben geringeren Grad als $f$. Setzt man die Nullstelle $\alpha$ ein, erhält man $0=f(\alpha)=g(\alpha)h(\alpha)$, daher muss einer der Faktoren verschwinden, also $g(\alpha)=0$ oder $h(\alpha)=0$. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann angenommen werden, dass $g(\alpha)=0$. Die Operation des Hinzufügens der Nullstelle $\alpha$ von $f$ muss also genauso gut mit $g$ ausgeführt werden. Indem wir diese Überlegung auf $g$ anwenden können wir schliessen, dass es ein Polynom $m\in\Bbbk[X]$ kleinstmöglichen Grades geben muss, welches $\alpha$ als Nullstelle hat. Zusätzlich kann verlangt werden, dass das Polynom normiert ist. \begin{definition} Ein Polynom $f\in \Bbbk[X]$ heisst {\em irreduzibel}, wenn es sich nicht in zwei Faktoren $g,h\in \Bbbk[X]$ mit $f=gh$ zerlegen lässt. \index{irreduzibles Polynom}% \end{definition} Für die Konstruktion des Körpers $\Bbbk(\alpha)$ muss daher ein irreduzibles Polynom verwendet werden. \begin{beispiel} Das Polynom $f(X)=X^2-2$ ist in $\mathbb{Q}[X]$, es hat die beiden Nullstellen $\sqrt{2}$ und $-\sqrt{2}$. Beide Nullstellen haben die exakt gleichen algebraischen Eigenschaften, sie sind mit algebraischen Mitteln nicht zu unterscheiden. Nur die Vergleichsrelation ermöglicht, die negative Wurzel von der positiven zu unterscheiden. Das Polynom kann in $\mathbb{Q}$ nicht faktorisiert werden, denn die einzig denkbare Faktorisierung ist $(X-\sqrt{2})(X+\sqrt{2})$, die Faktoren sind aber keine Polynome in $\mathbb{Q}[X]$. Also ist ein irreduzibles Polynom über $X^2-2$. Man kann das Polynom aber auch als Polynom in $\mathbb{F}_{23}[X]$ betrachten. Im Körper $\mathbb{F}_{23}$ kann man durch probieren zwei Nullstellen finden: \begin{align*} 5^2 &= 25\equiv 2\mod 23 \\ \text{und}\quad 18^2 &=324 \equiv 2 \mod 23. \end{align*} Und tatsächlich ist in $\mathbb{F}_{23}[X]$ \[ (X-5)(X-18) = X^2 -23X+90 \equiv X^2 -2 \mod 23, \] über $\mathbb{F}_{23}$ ist das Polynom $X^2-2$ also reduzibel. \end{beispiel} \begin{beispiel} Die Zahl \[ \alpha = \frac{1+i\sqrt{3}}2 \] ist eine Nullstelle des Polynoms $f(X)=X^3-1\in\mathbb{Z}[X]$. $\alpha$ enthält aber nur Quadratwurzeln, man würde also eigentlich erwarten, dass $\alpha$ Nullstelle eines quadratischen Polynoms ist. Tatsächlich ist $f(X)$ nicht irreduzibel, es ist nämlich \[ X^3-1 = (X-1)(X^2+X+1). \] Da $\alpha$ nicht Nullstelle des ersten Faktors ist, muss es Nullstelle des Polynoms $m(X)=X^2+X+1$ sein. Der zweite Faktor ist irreduzibel. Das Polynom $m(X)$ kann man aber auch als Polynom in $\mathbb{F}_7$ ansehen. Dann kann man aber zwei Nullstellen finden, \[ \begin{aligned} X&=2&&\Rightarrow& 2^2+2+1=4+2+1&\equiv 0\mod 7 \\ X&=4&&\Rightarrow& 4^2+4+1=16+4+1=21&\equiv 0\mod 7. \end{aligned} \] Dies führt auf die Faktorisierung \[ (X-2)(X-4) \equiv (X+5)(X+3) = X^2+8X+15 \equiv X^2+X+1\mod 7. \] Das Polynom $X^2+X+1$ ist daher über $\mathbb{F}_7$ reduzibel und das Polynom $X^3-1\in\mathbb{F}_7$ zerfällt daher in Linearfaktoren $X^3-1=(X+6)(X+3)(X+5)$. \end{beispiel} \subsection{Körpererweiterungen} Nach den Vorbereitungen von Abschnitt~\ref{buch:subsection:irreduziblepolynome} können wir jetzt definieren, wie die Körpererweiterung konstruiert werden soll. \subsubsection{Erweiterung mit einem irreduziblen Polynom} Sei $m\in\Bbbk[X]$ ein irreduzibles Polynome über $\Bbbk$ mit dem Grad $\deg m=n$, wir dürfen es als normiert annehmen und schreiben es in der Form \[ m(X) = m_0+m_1X+m_2X^2 + \dots m_{n-1}X^{n-1}+X^n. \] Wir möchten den Körper $\Bbbk$ um eine Nullstelle $\alpha$ von $m$ erweitern. Da es in $\Bbbk$ keine Nullstelle von $m$ gibt, konstruieren wir $\Bbbk(\alpha)$ auf abstrakte Weise, ganz so wie das mit der imaginären Einheit $i$ gemacht wurde. Die Zahl $\alpha$ ist damit einfach ein neues Symbol, mit dem man wie in der Algebra üblich rechnen kann. Die einzige zusätzliche Eigenschaft, die von $\alpha$ verlangt wird, ist dass $m(\alpha)=0$. Unter diesen Bedingungen können beliebige Ausdrücke der Form \begin{equation} a_0 + a_1\alpha + a_2\alpha^2 + \dots a_k\alpha^k \label{buch:endlichekoerper:eqn:ausdruecke} \end{equation} gebildet werden. Aus der Bedingung $m(\alpha)=0$ folgt aber, dass \begin{equation} \alpha^n = -a_{n-1}\alpha^{n-1} -\dots - a_2\alpha^2 - a_1\alpha-a_0. \label{buch:endlichekoerper:eqn:reduktion} \end{equation} Alle Potenzen mit Exponenten $\ge n$ in \eqref{buch:endlichekoerper:eqn:ausdruecke} können daher durch die rechte Seite von \eqref{buch:endlichekoerper:eqn:reduktion} ersetzt werden. Als Menge ist daher \[ \Bbbk(\alpha) = \{ a_0+a_1\alpha+a_2\alpha^2+\dots+a_{n-1}\alpha^{n-1}\;|\; a_i\in\Bbbk\}. \} \] Die Addition von solchen Ausdrücken und die Multiplikation mit Skalaren aus $\Bbbk$ machen $\Bbbk(\alpha)\simeq \Bbbk^n$ zu einem Vektorraum, die Operationen können auf den Koeffizienten komponentenweise ausgeführt werden. \subsubsection{Matrixrealisierung der Multiplikation mit $\alpha$} Die schwierige Operation ist die Multiplikation mit $\alpha$. Dazu stellen wir zusammen, wie die Multiplikation mit $\alpha$ auf den Basisvektoren von $\Bbbk(\alpha)$ wirkt: \[ \alpha\cdot\colon \Bbbk^n\to\Bbbk : \left\{ \begin{aligned} 1 &\mapsto \alpha \\ \alpha &\mapsto \alpha^2 \\ \alpha^2&\mapsto \alpha^3 \\ &\phantom{m}\vdots\\ \alpha^{n-2}&\mapsto \alpha^{n-1}\\ \alpha^{n-1}&\mapsto \alpha^n = -m_0-m_1\alpha-m_2\alpha^2-\dots-m_{n-1}\alpha^{n-1} \end{aligned} \right. \] Diese lineare Abbildung hat die Matrix \[ M_{\alpha} = \begin{pmatrix} 0 & & & & &-m_0 \\ 1 & 0 & & & &-m_1 \\ & 1 & 0 & & &-m_2 \\ & & 1 &\ddots& &-m_3 \\ & & &\ddots& 0 &\vdots \\ & & & & 1 &-m_{n-2}\\ & & & & &-m_{n-1} \end{pmatrix} \] Aufgrund der Konstruktion die Lineare Abbildung $m(M_\alpha)$, die man erhält, wenn man die Matrix $M_\alpha$ in das Polynom $m$ einsetzt, jeden Vektor in $\Bbbk(\alpha)$ zu Null machen. Als Matrix muss daher $m(M_\alpha)=0$ sein. Dies kann man auch mit einem Computeralgebra-System nachprüfen. \begin{beispiel} In einem früheren Beispiel haben wir gesehen, dass $\alpha=\frac12(-1+\sqrt{3})$ eine Nullstelle des irreduziblen Polynomes $m(X)=X^2+X+1$ ist. Die zugehörige Matrix $M_\alpha$ ist \[ M_{\alpha} = \begin{pmatrix} 0&-1\\ 1&-1 \end{pmatrix} \qquad\Rightarrow\qquad M_{\alpha}^2 = \begin{pmatrix} -1& 1\\ -1& 0 \end{pmatrix},\quad M_{\alpha}^3 = \begin{pmatrix} 1& 0\\ 0& 1 \end{pmatrix}. \] Wir können auch verifizieren, dass \[ m(M_\alpha) = M_\alpha^2+M_\alpha+I = \begin{pmatrix} -1& 1\\ -1& 0 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} 0&-1\\ 1&-1 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} 1&0\\ 0&1 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 0&0\\ 0&0 \end{pmatrix}. \] Die Matrix ist also eine mögliche Realisierung für das ``mysteriöse'' Element $\alpha$. Es hat alle algebraischen Eigenschaften von $\alpha$. \end{beispiel} Die Menge $\Bbbk(\alpha)$ kann durch die Abbildung $\alpha\mapsto M_\alpha$ mit der Menge aller Matrizen \[ \Bbbk(M_\alpha) = \left\{ \left. a_0I+a_1M_\alpha+a_2M_\alpha^2+\dots+a_{n-1}M_\alpha^{n-1}\;\right|\; a_i\in\Bbbk \right\} \] in eine Eins-zu-eins-Beziehung gebracht werden. Diese Abbildung ist ein Algebrahomomorphismus. Die Menge $\Bbbk(M_\alpha)$ ist also das Bild des Körpers $\Bbbk(\alpha)$ in der Matrizenalgebra $M_n(\Bbbk)$. \subsubsection{Inverse} Im Moment wissen wir noch nicht, wie wir $\alpha^{-1}$ berechnen sollten. Wir können aber auch die Matrizendarstellung verwenden können. Für Matrizen wissen wir selbstverständlich, wie Matrizen invertiert werden können. Tatsächlich kann man die Matrix $M_\alpha$ direkt invertieren: \[ M_\alpha^{-1} = \frac{1}{m_0} \begin{pmatrix} -m_1 &m_0& & & & \\ -m_2 & 0 &m_0& & & \\ -m_3 & & 0 & m_0& & \\ \vdots & & &\ddots&\ddots& \\ -m_{n-1}& 0 & 0 & & 0 &m_0\\ -1 & 0 & 0 & & 0 & 0 \end{pmatrix}, \] wie man durch Ausmultiplizieren überprüfen kann: \[ \frac{1}{m_0} \begin{pmatrix} -m_1 &m_0& & & & \\ -m_2 & 0 &m_0& & & \\ -m_3 & & 0 & m_0& & \\ \vdots & & &\ddots&\ddots& \\ -m_{n-1}& 0 & 0 & & 0 &m_0\\ -1 & 0 & 0 & & 0 & 0 \end{pmatrix} \begin{pmatrix} 0 & & & & &-m_0 \\ 1 & 0 & & & &-m_1 \\ & 1 & 0 & & &-m_2 \\ & & 1 &\ddots& &-m_3 \\ & & &\ddots& 0 &\vdots \\ & & & & 1 &-m_{n-2}\\ & & & & &-m_{n-1} \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 1&0&0&\dots&0&0\\ 0&1&0&\dots&0&0\\ 0&0&1&\dots&0&0\\ \vdots&\vdots&\vdots&\vdots&\vdots\\ 0&0&0&\dots&1&0\\ 0&0&0&\dots&0&1 \end{pmatrix} \] Die Invertierung in $\Bbbk(M_\alpha)$ ist damit zwar geklärt, aber es wäre viel einfacher, wenn man die Inverse auch in $\Bbbk(\alpha)$ bestimmen könnte. Die Potenzen von $M_\alpha^k$ haben in der ersten Spalte genau in Zeile $k+1$ eine $1$, alle anderen Einträge in der ersten Spalte sind $0$. Die erste Spalte eines Elementes $a(\alpha)=a_0+a_1\alpha+a_2\alpha^2 +a_{n-1}\alpha^{n-1}$ besteht daher genau aus den Elementen $a_i$. Die Inverse des Elements $a$ kann daher wie folgt gefunden werden. Zunächst wird die Matrix $a(M_\alpha)$ gebildet und invertiert. Wir schreiben $B=a(M_\alpha)^{-1}$. Aus den Einträgen der ersten Spalte kann man jetzt die Koeffizienten \[ b_0=(B)_{11}, b_1=(B)_{21}, b_2=(B)_{11},\dots, b_{n-1}=(B)_{n,1} \] ablesen und daraus das Element \[ b(\alpha) = b_0+b_1\alpha+b_2\alpha^2 + \dots + b_{n-1}\alpha^{n-1} \] bilden. Da $b(M_\alpha)=B$ die inverse Matrix von $a(M_\alpha)$ ist, muss $b(\alpha)$ das Inverse von $a(\alpha)$ sein. \begin{beispiel} Wir betrachten das Polynom \[ m(X) = X^3 + 2X^2 + 2X + 3 \in \mathbb{F}_{7}[X], \] es irreduzibel. Sei $\alpha$ eine Nullstelle von $m$, wir suchen das inverse Element zu \[ a(\alpha)=1+2\alpha+2\alpha^2\in\mathbb{F}_{7}(\alpha). \] Die Matrix $a(M_\alpha)$ bekommt die Form \[ A=\begin{pmatrix} 1& 1& 6\\ 2& 4& 5\\ 2& 5& 1 \end{pmatrix}. \] Die Inverse kann man bestimmen, indem man den Gauss-Algorithmus in $\mathbb{F}_{17}$ durchführt. Man bekommt \[ B=\begin{pmatrix} 0& 6& 5\\ 6& 4& 0\\ 5& 3& 5 \end{pmatrix}. \] Daraus können wir jetzt das inverse Element \[ b(\alpha) = 6\alpha+5\alpha^2 \] ablesen. Das Produkt $b(X)\cdot a(X)$ ist \begin{align*} (1+2X+2X^2)(6X+5X^2) &= 10X^4 + 22X^3 + 17X^2 + 6X \\ &= 3X^4+X^3+3X^2+6X \intertext{ Diese Polynom muss jetzt mit dem Minimalpolynom $m(X)$ reduziert werden, wir subtrahieren dazu $3Xm(X)$ und erhalten} &= -5X^3-3X^2-3X \\ &= 2X^3+4X^2+4X \intertext{Die vollständige Reduktion wird erreicht, indem wir nochmals $2m(X)$ subtrahieren:} &= -6 \equiv 1\mod 7, \end{align*} das Element $b(\alpha)=6\alpha+5\alpha^2$ ist also das Inverse Element von $a(\alpha)=1+2\alpha+2\alpha^2$ in $\mathbb{F}_7(\alpha)$. \end{beispiel} \subsubsection{Rechnen in $\Bbbk(\alpha)$} \subsubsection{Algebraische Konstruktion} \subsection{Zerfällungskörper}