% % spektralradius.tex % % (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswi % \section{Analytische Funktionen einer Matrix \label{buch:section:analytische-funktionen-einer-matrix}} \rhead{Analytische Funktionen einer Matrix} Eine zentrale Motivation in der Entwicklung der Eigenwerttheorie war das Bestreben, Potenzen $A^k$ auch für grosse $k$ effizient zu berechnen. Mit der Jordan-Normalform ist dies auch gelungen, wenigstens über einem Körper, in dem das charakteristische Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Die Berechnung von Potenzen war aber nur der erste Schritt, das Ziel in diesem Abschnitt ist, $f(A)$ für eine genügend grosse Klasse von Funktionen $f$ berechnen zu können. % % Polynom-Funktionen von Matrizen % \subsection{Polynom-Funktionen \label{buch:subsection:polynom-funktionen}} Die einfachsten Funktionen $f(x)$, für die der Wert $f(A)$ auf offensichtliche Weise berechnet werden kann, sind Polynome. Die Jordan-Normalform kann dabei helfen, die Potenzen von $A$ zu berechnen. In diesem Abschnitt ist $B\in M_n(\Bbbk)$ und $\Bbbk'\supset\Bbbk$ ein Körper, über dem das charakteristische Polynome $\chi_A(X)$ in Linearfaktoren \[ \chi_A(X) = (\lambda_1-X)^{m_1}(\lambda_2-X)^{m_2}\cdots(\lambda_p-X)^{m_p} \] zerfällt. Für jedes beliebige Polynom $p(X)\in\Bbbk[X]$ der Form \[ p(X) = a_nX^n + a_{n-1}X^{n-1} + \dots + a_1x + a_0 \] kann man auch \[ p(A) = a_nA^n + a_{n-1}A^{n-1} + \dots + a_1A + a_0I \] berechnen. In der Jordan-Normalform können die Potenzen $A^k$ leicht zusammengestellt werden, sobald man die Potenzen von Jordan-Blöcken berechnet hat. \begin{satz} Die $k$-te Potenz von $J_n(\lambda)$ ist die Matrix mit \begin{equation} J_n(\lambda)^k = \renewcommand{\arraystretch}{1.4} \begin{pmatrix} \lambda^k & \binom{k}{1}\lambda^{k-1} & \binom{k}{2} \lambda^{k-2} & \binom{k}{3} \lambda^{k-3} & \dots &\binom{k}{n-1}\lambda^{k-n+1} \\ 0 & \lambda^k & \binom{k}{1}\lambda^{k-1} & \binom{k}{2} \lambda^{k-2} & \dots &\binom{k}{n-2}\lambda^{k-n+2} \\ 0 & 0 & \lambda^k & \binom{k}{1}\lambda^{k-1} & \dots &\binom{k}{n-3}\lambda^{k-n+3} \\ 0 & 0 & 0 & \lambda^k & \dots &\binom{k}{n-4}\lambda^{k-n+4} \\ \vdots &\vdots &\vdots &\vdots &\ddots & \vdots \\ 0 & 0 & 0 & 0 & \dots & \lambda^k \end{pmatrix} \label{buch:eigenwerte:eqn:Jnkpotenz} \end{equation} mit den Matrixelementen \[ (J_n(\lambda)^k)_{i\!j} = \binom{k}{j-i}\lambda^{k-j+i}. \] Die Binomialkoeffizienten verschwinden für $ji+k$. \end{satz} \begin{proof}[Beweis] Die Herkunft der Binomialkoeffizienten wird klar, wenn man \[ J_n(\lambda) = \lambda I + N_n \] schreibt, wobei $N_n$ die Matrix \eqref{buch:eigenwerte:eqn:nnilpotent} von Definition~\ref{buch:eigenwerte:def:Nn} von Seite~\pageref{buch:eigenwerte:def:Nn} ist. Die Potenzen von $N_n$ haben die Matrix-Elemente \[ (N_n^l)_{i\!j} = \delta_{i,j-l} = \begin{cases} 1&\qquad j-i=l\\ 0&\qquad\text{sonst,} \end{cases} \] sie haben also Einsen genau dort, wo in der Matrix \eqref{buch:eigenwerte:eqn:Jnkpotenz} die Potenz $\lambda^{k-l}$ steht. Die $k$-te Potenz von $J_n(\lambda)$ kann daraus mit dem binomischen Satz berechnet werden: \[ J_n(\lambda)^k = (N_n+\lambda I)^k = \sum_{l=0}^k \binom{k}{l} N_n^{l} \lambda^{k-l}, \] dies ist genau die Form \eqref{buch:eigenwerte:eqn:Jnkpotenz}. \end{proof} Wir haben bereits gesehen, dass $\chi_A(A)=0$. Ersetzt man also das Polynom $p(X)$ durch $p(X)+\chi_A(X)$, dann ändert sich am Wert \[ (p+\chi_A)(A) = p(A) + \chi_A(A) = p(A) \] nichts. Man kann also nicht erwarten, dass verschiedene Polynome $p(X)$ zu verschiedenen Matrizen $p(A)$ führen. Doch genau welche Unterschiede zwischen Polynomen wirken sich auf den Wert $p(A)$ aus? \begin{satz} Für zwei Polynome $p(X)$ und $q(X)$ ist genau dann $p(A)=q(A)$, wenn das Minimalpolynom von $A$ die Differenz $p-q$ teilt. \end{satz} \begin{proof}[Beweis] Wenn $p(A)=q(A)$, dann ist $h(X)=p(X)-q(X)$ ein Polynom mit $h(A)=0$, daher muss $h(X)$ vom Minimalpolynom geteilt werden. Ist andererseits $p(X)-q(X)=m(X)t(X)$, dann ist $p(A)-q(A)=m(A)t(A)=0\cdot t(A) = 0$, also $p(A)=q(A)$. \end{proof} Über einem Körper $\Bbbk'\supset\Bbbk$, in dem das charakteristische Polynom in Linearfaktoren zerfällt, kann man das Minimalpolynom aus der Jordanschen Normalform ableiten. Es ist \[ m(X) = (\lambda_1-X)^{q_1} (\lambda_2-X)^{q_2} \cdots (\lambda_p-X)^{q_p}, \] wobei $q_i$ die Dimension des grössten Jordan-Blocks ist, der in der Jordan-Normalform vorkommt. Zwei Polynome $p_1(X)$ und $p_2(X)$ ergeben genau dann den gleichen Wert auf $A$, wenn die Differenz $p_1(X)-p_2(X)$ genau die Nullstellen $\lambda_1,\dots,\lambda_p$ mit Vielfachheiten $q_1,\dots,q_p$ hat. \begin{beispiel} Wir betrachten die Matrix \[ A = \begin{pmatrix} 1& 9& -4\\ -1& 3& 0\\ -2& 0& 3 \end{pmatrix} \] mit dem charakteristischen Polynom \[ \chi_A(X) = -X^3+7X^2-16 X+12 = -(X-3)(X-2)^2. \] Daraus kann man bereits ablesen, dass das Minimalpolynom $m(X)$ von $A$ entweder $(X-2)(X-3)$ oder $(X-2)^2(X-3)$ ist. Es genügt also nachzuprüfen, ob $p(A)=0$ für das Polynom $p(X)=(X-2)(X-3) = X^2-5X+6$ ist. Tatsächlich sind die Potenzen von $A$: \begin{equation} A^2= \begin{pmatrix} 0& 36& -16 \\ -4& 0& 4 \\ -8& -18& 17 \end{pmatrix} ,\qquad A^3= \begin{pmatrix} -4& 108& -48\\ -12& -36& 28\\ -24&-126& 83 \end{pmatrix} \label{buch:eigenwerte:eqn:A2A3} \end{equation} und daraus kann man jetzt $p(A)$ berechnen: \begin{equation} p(A) = \begin{pmatrix} 0& 36& -16 \\ -4& 0& 4 \\ -8& -18& 17 \end{pmatrix} -5 \begin{pmatrix} 1& 9& -4\\ -1& 3& 0\\ -2& 0& 3 \end{pmatrix} + 6 \begin{pmatrix} 1&0&0\\ 0&1&0\\ 0&0&1 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 1& -9& 4\\ 1& -9& 4\\ 2&-18& 8 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix}1\\1\\2\end{pmatrix} \begin{pmatrix}1&-9&4\end{pmatrix} \ne 0 \label{buch:eigenwerte:eqn:nichtminimalpolynom} \end{equation} Daher kann $p(X)$ nicht das Minimalpolynom $A$ sein, daher muss $(X-2)^2(X-3)$ das Minimalpolynom sein. Das Quadrat des Polynoms $p(X)$ ist $p(X)^2 = (X-2)^2(X-3)^2$, es hat das Minimalpolynom als Teiler, also muss $p(A)^2=0$ sein. Die Gleichung \eqref{buch:eigenwerte:eqn:nichtminimalpolynom} ermöglicht, das Quaddrat $p(A)^2$ leichter zu berechnen: \[ p(A)^2 = \begin{pmatrix}1\\1\\2\end{pmatrix} \underbrace{ \begin{pmatrix}1&-9&4\end{pmatrix} \begin{pmatrix}1\\1\\2\end{pmatrix} }_{\displaystyle = 0} \begin{pmatrix}1&-9&4\end{pmatrix} = 0 , \] wie zu erwarten war. Wenn sich zwei Polynome nur um das charakteristische Polynom unterscheiden, dann haben sie den gleichen Wert auf $A$. Das Polynom $p_1(X)=X^3$ unterscheidet sich vom Polynom $p_2(X)=7X^2-16X+12=\chi_A(X)+X^3=p_1(X)+\chi_A(X)$ um das charakteristische Polynom, welches wir bereits als das Minimalpolynom von $A$ erkannt haben. Die dritte Potenz $A^3=p_1(A)$ von $A$ muss sich daher auch als $p_2(A)$ berechnen lassen: \[ 7 \begin{pmatrix} 0& 36& -16 \\ -4& 0& 4 \\ -8& -18& 17 \end{pmatrix} -16 \begin{pmatrix} 1& 9& -4\\ -1& 3& 0\\ -2& 0& 3 \end{pmatrix} +12 \begin{pmatrix} 1&0&0\\ 0&1&0\\ 0&0&1 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} -4& 108& -48\\ -12& -36& 28\\ -24&-126& 83 \end{pmatrix} = A^3, \] wie in \eqref{buch:eigenwerte:eqn:A2A3} vorsorglich berechnet worden ist. \end{beispiel} \begin{satz} Wenn $A$ diagonalisierbar ist über einem geeignet erweiterten Körper $\Bbbk'$, dann haben zwei Polynome $p(X)$ und $q(X)$ in $\Bbbk[X]$ genau dann den gleichen Wert auf $A$, also $p(A)=q(A)$, wenn $p(\lambda) = q(\lambda)$ für alle Eigenwerte $\lambda$ von $A$. \end{satz} Über dem Körper der komplexen Zahlen ist die Bedingung, dass die Differenz $d(X)=p_1(X)-p_2(X)$ vom Minimalpolynom geteilt werden muss, gleichbedeutend damit, dass $p_1(X)-p_2(X)$ mindestens alle Nullstellen des Minimalpolynoms mit mindestens so grossen Vielfachheiten haben muss. Eine andere Art, dies auszudrücken, ist, dass $p_1(x)$ und $p_2(X)$ die gleichen Werte und Ableitungen bis zur Ordnung $q_i-1$ haben, wenn $q_i$ der Exponente von $\lambda_I-X$ im Minimalpolynom von $A$ ist. Das Beispiel illustriert auch noch ein weiteres wichtiges Prinzip. Schreiben wir das Minimalpolynom von $A$ in der Form \[ m(X) = X^k + a_{k-1}X^{k-1} + \dots + a_1X + a_0, \] dann kann man wegen $m(A)=0$ die Potenzen $A^i$ mit $i\ge k$ mit der Rekursionsformel \[ A^i = A^{i-k}A^k = A^{i-k}(-a_{k-1}A^{k-1}+ \dots + a_1 A + a_0I) \] auf einer Linearkombination kleinerer Potenzen reduzieren. Jedes Polynom vom Grad $\ge k$ kann also reduziert werden in ein Polynom vom Grad $1$ ist, dann geht $q^n\to\infty$, wenn $|q|<1$ ist, dann geht $q^n\to 0$. Für Matrizen ist die Frage etwas schwieriger. Man kann sich vorstellen, dass eine Streckung in einer Richtung von einer Stauchung in eine andere Richtung kompensiert wird, wenn dazwischen eine Drehung stattfindet. Es ist also durchaus möglich, dass $\|M\|>1$ ist, die Iterierten $M^k$ aber trotzdem gegen $0$ gehen, wie das folgende Beispiel zeigt. \begin{beispiel} Die nilpotente Matrix $2N_2$ kann man sich vorstellen als eine Drehmatrix um $-90^\circ$ gefolgt von einer Projektion und Streckung um den Faktor $2$ auf die erste Achse: \[ \begin{pmatrix}2&0\\0&0\end{pmatrix} R_{-90^\circ} = \begin{pmatrix}2&0\\0&0\end{pmatrix} \begin{pmatrix} 0&1\\-1&0 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 0&2\\0&0 \end{pmatrix} =2N_2. \] Wegen $(2N_2)^2=0$ folgt $\pi(2N_2)=0$, obwohl $\|2N_2\|=2$ ist. \end{beispiel} Ist $\pi(M) > 1$, dann gibt es Anfangsvektoren $v$ für die Iteration, für die $M^kv$ über alle Grenzen wächst. Ist $\pi(M) < 1$, dann wird jeder Anfangsvektor $v$ zu einer Iterationsfolge $M^kv$ führen, die gegen $0$ konvergiert. Die Kennzahl $\pi(M)$ erlaubt also zu entscheiden, ob die Iteration konvergent ist. \index{Konvergenzbedingung}% \begin{definition} \label{buch:eigenwerte:def:gelfand-radius} Der Grenzwert \[ \pi(M) = \limsup_{n\to\infty} \|M^n\|^{\frac1n} \] heisst {\em Gelfand-Radius} der Matrix $M$. \index{Gelfand-Radius}% \end{definition} % % Gelfand-Radius und Eigenwerte % \subsection{Gelfand-Radius und Eigenwerte \label{buch:subsection:potenzreihen}} Die Berechnung des Gelfand-Radius als Grenzwert ist sehr unhandlich. Viel einfacher ist der Begriff des Spektralradius. \index{Spektralradius}% \begin{definition} \label{buch:definition:spektralradius} Der {\em Spektralradius} $\varrho(M)$ der Matrix $M$ ist der Betrag des betragsgrössten \index{Spektralradius}% Eigenwertes. \index{rho(M)@$\varrho(M)$}% \end{definition} Wir wollen in diesem Abschnitt das als Satz von Gelfand bekannte Resultat beweisen, dass der Gelfand-Radius mit dem Spektralradius übereinstimmt. Dies liefert uns ein vergleichsweise einfach auszuwertendes Konvergenzkriterium. \index{Konvergenzkriterium}% \subsubsection{Spezialfall: Diagonalisierbare Matrizen} Ist eine Matrix $A$ diagonalisierbar, dann kann Sie durch eine Wahl einer geeigneten Basis in die Diagonalform \index{diagonalisierbar}% \index{Diagonalform}% \[ A' = \begin{pmatrix} \lambda_1& 0&\dots &0\\ 0 &\lambda_2&\dots &0\\ \vdots & &\ddots&\vdots\\ 0 & 0&\dots &\lambda_n \end{pmatrix} \] gebracht werden, wobei die Eigenwerte $\lambda_i$ möglicherweise auch komplex sein können. \index{komplex}% Die Bezeichnungen sollen so gewählt sein, dass $\lambda_1$ der betragsgrösste Eigenwert ist, dass also \[ |\lambda_1| \ge |\lambda_2| \ge \dots \ge |\lambda_n|. \] Wir nehmen für die folgende, einführende Diskussion ausserdem an, dass sogar $|\lambda_1|>|\lambda_2|$ gilt. Unter den genannten Voraussetzungen kann man jetzt den Gelfand-Radius von $A$ berechnen. Dazu muss man $|A^nv|$ für einen beliebigen Vektor $v$ und für beliebiges $n$ berechnen. Der Vektor $v$ lässt sich in der Eigenbasis von $A$ zerlegen, also als Summe \index{Eigenbasis}% \[ v = v_1+v_2+\dots+v_n \] schreiben, wobei $v_i$ Eigenvektoren zum Eigenwert $\lambda_i$ sind oder Nullvektoren. Die Anwendung von $A^k$ ergibt dann \[ A^k v = A^k v_1 + A^k v_2 + \dots + A^k v_n = \lambda_1^k v_1 + \lambda_2^k v_2 + \dots + \lambda_n^k v_n. \] Für den Grenzwert braucht man die Norm von $A^kv$, also \begin{align} |A^kv| &= |\lambda_1^k v_1 + \lambda_2^k v_2 + \dots + \lambda_n^k v_n| \notag \\ \Rightarrow\qquad \frac{|A^kv|}{|\lambda_1^k|} &= \biggl| v_1 + \biggl(\frac{\lambda_2}{\lambda_1}\biggr)^k v_2 + \dots + \biggl(\frac{\lambda_n}{\lambda_1}\biggr)^k v_n \biggr|. \label{buch:spektralradius:eqn:eigenwerte} \end{align} Da alle Quotienten $|\lambda_i/\lambda_1|<1$ sind für $i\ge 2$, konvergieren alle Terme auf der rechten Seite von \eqref{buch:spektralradius:eqn:eigenwerte} ausser dem ersten gegen $0$. Folglich ist \[ \lim_{k\to\infty} \frac{|A^kv|}{|\lambda_1|^k} = |v_1| \qquad\Rightarrow\qquad \lim_{k\to\infty} \frac{|A^kv|^\frac1k}{|\lambda_1|} = \lim_{k\to\infty}|v_1|^{\frac1k} = 1. \] Dies gilt für alle Vektoren $v$, für die $v_1\ne 0$ ist. Der maximale Wert dafür wird erreicht, wenn man für $v$ einen Eigenvektor der Länge $1$ zum Eigenwert $\lambda_1$ einsetzt, dann ist $v=v_1$. Es folgt dann \[ \pi(A) = \lim_{k\to\infty} \| A^k\|^\frac1k = \lim_{k\to\infty} |A^kv|^\frac1k = |\lambda_1| = \varrho(A). \] Damit ist gezeigt, dass im Spezialfall einer diagonalisierbaren Matrix der Gelfand-Radius tatsächlich der Betrag des betragsgrössten Eigenwertes ist. \index{Gelfand-Radius}% \subsubsection{Blockmatrizen} Wir betrachten jetzt eine $(n+m)\times(n+m)$-Blockmatrix der Form \begin{equation} A = \begin{pmatrix} B & 0 \\ 0 & C\end{pmatrix} \label{buch:spektralradius:eqn:blockmatrix} \end{equation} mit einer $n\times n$-Matrix $B$ und einer $m\times m$-Matrix $C$. Ihre Potenzen haben ebenfalls Blockform: \[ A^k = \begin{pmatrix} B^k & 0 \\ 0 & C^k\end{pmatrix}. \] Ein Vektor $v$ kann in die zwei Summanden $v_1$ bestehend aus den ersten $n$ Komponenten und $v_2$ bestehend aus den letzten $m$ Komponenten zerlegen. Dann ist \[ A^kv = B^kv_1 + C^kv_2. \qquad\Rightarrow\qquad |A^kv| \le |B^kv_1| + |C^kv_2| \le \pi(B)^k |v_1| + \pi(C)^k |v_2|. \] Insbesondere haben wir das folgende Lemma gezeigt: \begin{lemma} \label{buch:spektralradius:lemma:diagonalbloecke} Eine diagonale Blockmatrix $A$ \eqref{buch:spektralradius:eqn:blockmatrix} Blöcken $B$ und $C$ hat Gelfand-Radius \[ \pi(A) = \max ( \pi(B), \pi(C) ) \] \end{lemma} Selbstverständlich lässt sich das Lemma auf Blockmatrizen mit beliebig vielen diagonalen Blöcken verallgemeinern. \index{Blockmatrix}% Für Blockmatrizen der Art \ref{buch:spektralradius:eqn:blockmatrix} sind aber auch die Eigenwerte leicht zu bestimmen. \index{Diagonalmatrix}% Hat $B$ die Eigenwerte $\lambda_i^{(B)}$ mit $1\le i\le n$ und $C$ die Eigenwerte $\lambda_j^{(C)}$ mit $1\le j\le m$, dann ist das charakteristische Polynom der Blockmatrix $A$ natürlich \index{charakteristisches Polynom}% \index{Polynom!charakteristisch}% \[ \chi_A(\lambda) = \chi_B(\lambda)\chi_C(\lambda). \] Es folgt, dass die Eigenwerte von $A$ die Vereinigung der Eigenwerte von $B$ und $C$ sind. Daher gilt auch für den Spektralradius die Formel \[ \varrho(A) = \max(\varrho(B) , \varrho(C)). \] \subsubsection{Jordan-Blöcke} \index{Jordan-Block}% Nicht jede Matrix ist diagonalisierbar, die bekanntesten Beispiele sind die Jordan-Blöcke \begin{equation} J_n(\lambda) = \begin{pmatrix} \lambda & 1& & & & \\ &\lambda& 1& & & \\[-5pt] & &\lambda&\ddots & & \\[-5pt] & & &\ddots & 1& \\ & & & &\lambda& 1\\ & & & & &\lambda \end{pmatrix}, \label{buch:spektralradius:eqn:jordan} \end{equation} wobei $\lambda\in\mathbb C$ eine beliebige komplexe Zahl ist. Es ist klar, dass $J_n(\lambda)$ nur den $n$-fachen Eigenwert $\lambda$ hat und dass der erste Standardbasisvektor ein Eigenvektor zu diesem Eigenwert ist. In Abschnitt~\ref{buch:subsection:jordan-normalform} haben wir gesehen, dass jede Matrix durch die Wahl \index{lineare!Algebra}% einer geeigneten Basis als Blockmatrix der Form \[ A = \begin{pmatrix} J_{n_1}(\lambda_1) & 0 & \dots & 0 \\ 0 & J_{n_2}(\lambda_2) & \dots & 0 \\[-4pt] \vdots &\vdots &\ddots &\vdots \\ 0 & 0 & \dots &J_{n_l}(\lambda_l) \end{pmatrix} \] geschrieben werden kann. Die früheren Beobachtungen über den Spektralradius und den Gelfand-Radius von Blockmatrizen führen uns dazu, dass nur die Gleichheit des Gelfand-Radius und des Spektral-Radius von Jordan-Blöcken gezeigt werden muss. \subsubsection{Potenzen von Jordan-Blöcken} \begin{satz} \label{buch:spektralradius:satz:grenzwert} Sei $A$ eine $n\times n$-Matrix mit Spektralradius $\varrho(A)$. Dann ist $\varrho(A)<1$ genau dann, wenn \[ \lim_{k\to\infty} A^k = 0. \] Ist andererseits $\varrho(A) > 1$, dann ist \[ \lim_{k\to\infty} \|A^k\|=\infty. \] \end{satz} \begin{proof}[Beweis] Wie bereits angedeutet reicht es, diese Aussagen für einen einzelnen Jordan-Block mit Eigenwert $\lambda$ zu beweisen. Die $k$-te Potenz von $J_n(\lambda)$ ist \[ J_n(\lambda)^k = \renewcommand\arraystretch{1.35} \begin{pmatrix} \lambda^k & \binom{k}{1} \lambda^{k-1} & \binom{k}{2}\lambda^{k-2}&\dots& \binom{k}{n-1}\lambda^{k-n+1}\\ 0 &\lambda^k & \binom{k}{1} \lambda^{k-1} & \dots &\binom{k}{n-2}\lambda^{k-n+2}\\ 0 & 0 & \lambda^k & \dots &\binom{k}{n-k+3}\lambda^{k-n+3}\\ \vdots & \vdots & &\ddots & \vdots\\ 0 & 0 & 0 &\dots &\lambda^k \end{pmatrix}. \] Falls $|\lambda| < 1$ ist, gehen alle Potenzen von $\lambda$ exponentiell schnell gegen $0$, während die Binomialkoeffizienten nur polynomiell schnell anwachsen. \index{Binomialkoeffizient}% In diesem Fall folgt also $J_n(\lambda)\to 0$. Falls $|\lambda| >1$ divergieren bereits die Elemente auf der Diagonalen, also ist $\|J_n(\lambda)^k\|\to\infty$ mit welcher Norm auch immer man man die Matrix misst. \end{proof} Aus dem Beweis kann man noch mehr ablesen. Für $\varrho(A)< 1$ ist die Norm $ \|A^k\| \le M \varrho(A)^k$ für eine geeignete Konstante $M$, für $\varrho(A) > 1$ gibt es eine Konstante $m$ mit $\|A^k\| \ge m\varrho(A)^k$. \subsubsection{Der Satz von Gelfand} Der Satz von Gelfand ergibt sich jetzt als direkte Folge aus dem Satz~\ref{buch:spektralradius:satz:grenzwert}. \begin{satz}[Gelfand] \index{Satz von Gelfand}% \index{Gelfand!Satz von}% \label{buch:satz:gelfand} Für eine komplexe $n\times n$-Matrix $A$ gilt \[ \pi(A) = \lim_{k\to\infty}\|A^k\|^\frac1k = \varrho(A). \] \end{satz} \begin{proof}[Beweis] Der Satz~\ref{buch:spektralradius:satz:grenzwert} zeigt, dass der Spektralradius ein scharfes Kriterium dafür ist, ob $\|A^k\|$ gegen 0 oder $\infty$ konvergiert. Andererseits ändert ein Faktor $t$ in der Matrix $A$ den Spektralradius ebenfalls um den gleichen Faktor, also $\varrho(tA)=t\varrho(A)$. Natürlich gilt dies wegen \[ \pi(tA) = \lim_{k\to\infty} \|t^kA^k\|^\frac1k = \lim_{k\to\infty} t\|A^k\|^\frac1k = t\lim_{k\to\infty} \|A^k\|^\frac1k = t\pi(A) \] auch für den Gelfand-Radius. Wir betrachten jetzt die Matrix \[ A(\varepsilon) = \frac{A}{\varrho(A) + \varepsilon}. \] Der Spektralradius von $A(\varepsilon)$ ist \[ \varrho(A(\varepsilon)) = \frac{\varrho(A)}{\varrho(A)+\varepsilon}, \] er ist also $>1$ für negatives $\varepsilon$ und $<1$ für positives $\varepsilon$. Aus dem Satz~\ref{buch:spektralradius:satz:grenzwert} liest man daher ab, dass $\|A(\varepsilon)^k\|$ genau dann gegen $0$ konvergiert, wenn $\varepsilon > 0$ ist und divergiert genau dann, wenn $\varepsilon< 0$ ist. Aus der Bemerkung nach dem Beweis von Satz~\ref{buch:spektralradius:satz:grenzwert} schliesst man daher, dass es im Fall $\varepsilon > 0$ eine Konstante $M$ gibt mit \begin{align*} \|A(\varepsilon) ^k\|\le M\varrho(A(\varepsilon))^k \quad&\Rightarrow\quad \|A(\varepsilon) ^k\|^\frac1k\le M^\frac1k\varrho(A(\varepsilon)) \\ &\Rightarrow\quad \pi(A(\varepsilon)) \le \varrho(A(\varepsilon)) \underbrace{\lim_{k\to\infty} M^\frac1k}_{\displaystyle=1} = \varrho(A(\varepsilon)) = \varrho(A)+\varepsilon. \end{align*} Dies gilt für beliebige $\varepsilon >0$, es folgt daher $\pi(A) \le \varrho(A)$. Andererseits gibt es für $\varepsilon <0$ eine Konstante $m$ mit \begin{align*} \|A(\varepsilon) ^k\|\ge m\varrho(A(\varepsilon))^k \quad&\Rightarrow\quad \|A(\varepsilon) ^k\|^\frac1k\ge m^\frac1k\varrho(A(\varepsilon)) \\ &\Rightarrow\quad \pi(A(\varepsilon)) \ge \varrho(A(\varepsilon)) \underbrace{\lim_{k\to\infty} m^\frac1k}_{\displaystyle=1} = \varrho(A(\varepsilon)) = \varrho(A)+\varepsilon. \end{align*} Dies gilt für beliebige $\varepsilon> 0$, es folgt daher $\pi(A) \ge \varrho(A)$. Zusammen mit $\pi(A) \le \varrho(A)$ folgt $\pi(A)=\varrho(A)$. \end{proof}