% % lie-algebren.tex -- Lie-Algebren % % (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil % \section{Lie-Algebren \label{buch:section:lie-algebren}} \rhead{Lie-Algebren} Im vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, dass alle beschriebenen Matrizengruppen als Untermannigfaltigkeiten im $n^2$-dimensionalen Vektorraum $M_n(\mathbb{R}9$ betrachtet werden können. Die Gruppen haben damit nicht nur die algebraische Struktur einer Matrixgruppe, sie haben auch die geometrische Struktur einer Mannigfaltigkeit. Insbesondere ist es sinnvoll, von Ableitungen zu sprechen. Eindimensionale Untergruppen einer Gruppe können auch als Kurven innerhalb der Gruppe angesehen werden. In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, wie man zu jeder eindimensionalen Untergruppe einen Vektor in $M_n(\mathbb{R})$ finden kann derart, dass der Vektor als Tangentialvektor an diese Kurve gelten kann. Aus einer Abbildung zwischen der Gruppe und diesen Tagentialvektoren erhält man dann auch eine algebraische Struktur auf diesen Tangentialvektoren, die sogenannte Lie-Algebra. Sie ist charakteristisch für die Gruppe. Insbesondere werden wir sehen, wie die Gruppen $\operatorname{SO}(3)$ und $\operatorname{SU}(2)$ die gleich Lie-Algebra haben und dass die Lie-Algebra von $\operatorname{SO}(3)$ mit dem Vektorprodukt in $\mathbb{R}^3$ übereinstimmt. % % Tangentialvektoren und SO(2) % \subsection{Tangentialvektoren und $\operatorname{SO}(2)$} Die Drehungen in der Ebene können reell als Matrizen der Form \[ D_{\alpha} = \begin{pmatrix} \cos\alpha&-\sin\alpha\\ \sin\alpha& \cos\alpha \end{pmatrix} \] als eidimensionale Kurve innerhalb von $M_2(\mathbb{R})$ beschrieben werden. Alternativ können Drehungen um den Winkel $\alpha$ als mit Hilfe von der Abbildung $ \alpha\mapsto e^{i\alpha} $ als komplexe Zahlen vom Betrag $1$ beschrieben werden. Dies sind zwei verschiedene Parametrisierungen der gleichen geometrischen Transformation. Die Ableitung nach $\alpha$ ist $ie^{i\alpha}$, der Tangentialvektor im Punkt $e^{i\alpha}$ ist also $ie^{i\alpha}$. Die Multiplikation mit $i$ ist die Drehung um $90^\circ$, der Tangentialvektor ist also der um $90^\circ$ gedrehte Ortsvektor zum Punkt auf der Kurve. In der Darstelllung als $2\times 2$-Matrix ist die Ableitung \[ \frac{d}{d\alpha}D_\alpha = \frac{d}{d\alpha} \begin{pmatrix} \cos\alpha& -\sin\alpha\\ \sin\alpha& \cos\alpha \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} -\sin\alpha & -\cos\alpha \\ \cos\alpha & -\sin\alpha \end{pmatrix}. \] Die rechte Seite kann wieder mit der Drehmatrix $D_\alpha$ geschrieben werden, es ist nämlich \[ \frac{d}{d\alpha}D_\alpha = \begin{pmatrix} -\sin\alpha & -\cos\alpha \\ \cos\alpha & -\sin\alpha \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} \cos\alpha & -\sin\alpha\\ \sin\alpha & \cos\alpha \end{pmatrix} \begin{pmatrix} 0&-1\\ 1& 0 \end{pmatrix} = D_\alpha J. \] Der Tangentialvektor an die Kurve $\alpha\mapsto D_\alpha$ innerhalb $M_2(\mathbb{R})$ im Punkt $D_\alpha$ ist also die Matrix $JD_\alpha$. Die Matrix $J$ ist die Drehung um $90^\circ$, denn $J=D_{\frac{\pi}2}$. Der Zusammenhang zwischen dem Punkt $D_\alpha$ und dem Tangentialvektor ist also analog zur Beschreibug mit komplexen Zahlen. Im Komplexen vermittelt die Exponentialfunktion den Zusammenhang zwischen dem Winkel $\alpha$ und dre Drehung $e^{i\alpha}$. Der Grund dafür ist natürlich die Differentialgleichung \[ \frac{d}{d\alpha} z(\alpha) = iz(\alpha). \] Die analoge Differentialgleichung \[ \frac{d}{d\alpha} D_\alpha = J D_\alpha \] führt auf die Matrix-Exponentialreihe \begin{align*} D_\alpha = \exp (J\alpha) &= \sum_{k=0}^\infty \frac{(J\alpha)^k}{k!} = \biggl( 1-\frac{\alpha^2}{2!} + \frac{\alpha^4}{4!} -\frac{\alpha^6}{6!}+\dots \biggr) + J\biggl( \alpha - \frac{\alpha^3}{3!} + \frac{\alpha^5}{5!} - \frac{\alpha^7}{7!}+\dots \biggr) \\ &= I\cos\alpha + J\sin\alpha, \end{align*} welche der Eulerschen Formel $e^{i\alpha} = \cos\alpha + i \sin\alpha$ analog ist. In diesem Beispiel gibt es nur eine Tangentialrichtung und alle in Frage kommenden Matrizen vertauschen miteinander. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass sich eine interessante Algebrastruktur für die Ableitungen konstruieren lässt. % % Die Lie-Algebra einer Matrizengruppe % \subsection{Lie-Algebra einer Matrizengruppe} Das eindimensionale Beispiel $\operatorname{SO}(2)$ hat gezeigt, dass die Tangentialvektoren in einem beliebigen Punkt $D_\alpha$ aus dem Tangentialvektor im Punkt $I$ durch Anwendung der Drehung hervorgehen, die $I$ in $D_\alpha$ abbildet. Die Drehungen einer eindimensionalen Untergruppe transportieren daher den Tangentialvektor in $I$ entlang der Kurve auf jeden beliebigen anderen Punkt. Zu jedem Tangentialvektor im Punkt $I$ dürfte es daher genau eine eindimensionale Untergruppe geben. Sei die Abbildung $\varrho\colon\mathbb{R}\to G$ eine Einparameter-Untergruppe von $G\subset M_n(\mathbb{R})$. Durch Ableitung der Gleichung $\varrho(t+x) = \varrho(t)\varrho(x)$ nach $x$ folgt die Differentialgleichung \[ \varrho'(t) = \frac{d}{dx}\varrho(t+x)\bigg|_{x=0} = \varrho(t) \frac{d}{dx}\varrho(0)\bigg|_{x=0} = \varrho(t) \varrho'(0). \] Der Tangentialvektor in $\varrho'(t)$ in $\varrho(t)$ ist daher der Tangentialvektor $\varrho'(0)$ in $I$ transportiert in den Punkt $\varrho(t)$ mit Hilfe der Matrix $\varrho(t)$. Aus der Differentialgleichung folgt auch, dass \[ \varrho(t) = \exp (t\varrho'(0)). \] Zu einem Tangentialvektor in $I$ kann man also immer die Einparameter-Untergruppe mit Hilfe der Differentialgleichung oder der expliziten Exponentialreihe rekonstruieren. Die eindimensionale Gruppe $\operatorname{SO}(2)$ ist abelsch und hat einen eindimensionalen Tangentialraum, man kann also nicht mit einer interessanten Algebrastruktur rechnen. Für eine höherdimensionale, nichtabelsche Gruppe sollte sich aus der Tatsache, dass es verschiedene eindimensionale Untergruppen gibt, deren Elemente nicht mit den Elemente einer anderen solchen Gruppe vertauschen, eine interessante Algebra konstruieren lassen, deren Struktur die Nichtvertauschbarkeit wiederspiegelt. Seien also $A$ und $B$ Tangentialvektoren einer Matrizengruppe $G$, die zu den Einparameter-Untergruppen $\varphi(t)=\exp At$ und $\varrho(t)=\exp Bt$ gehören. Insbesondere gilt $\varphi'(0)=A$ und $\varrho'(0)=B$. Das Produkt $\pi(t)=\varphi(t)\varrho(t)$ ist allerdings nicht notwendigerweise eine Einparametergruppe, denn dazu müsste gelten \begin{align*} \pi(t+s) &= \varphi(t+s)\varrho(t+s) = \varphi(t)\varphi(s)\varrho(t)\varrho(s) \\ = \pi(t)\pi(s) &= \varphi(t)\varrho(t)\varphi(s)\varrho(s) \end{align*} Durch Multiplikation von links mit $\varphi(t)^{-1}$ und mit $\varrho(s)^{-1}$ von rechts folgt, dass dies genau dann gilt, wenn \[ \varphi(s)\varrho(t)=\varrho(t)\varphi(s). \] Die beiden Seiten dieser Gleichung sind erneut verschiedene Punkte in $G$. Durch Multiplikation mit $\varrho(t)^{-1}$ von links und mit $\varphi(s)^{-1}$ von rechts erhält man die äquivaliente Bedingung \begin{equation} \varrho(-t)\varphi(s)\varrho(t)\varphi(-s)=I. \label{buch:lie:konjugation} \end{equation} Ist die Gruppe $G$ nicht kommutativ, kann man nicht annehmen, dass diese Bedingung erfüllt ist. Aus \eqref{buch:lie:konjugation} erhält man jetzt eine Kurve \[ t \mapsto \gamma(t,s) = \varrho(-t)\varphi(s)\varrho(t)\varphi(-s) \in G \] in der Gruppe, die für $t=0$ durch $I$ geht. Ihren Tangentialvektor kann man durch Ableitung bekommen: \begin{align*} \frac{d}{dt}\gamma(t,s) &= -\varrho'(-t)\varphi(s)\varrho(t)\varphi(-s) +\varrho(-t)\varphi(s)\varrho'(t)\varphi(-t) \\ \frac{d}{dt}\gamma(t)\bigg|_{t=0} &= -B\varphi(s) + \varphi(-s)B \end{align*} Durch erneute Ableitung nach $s$ erhält man dann \begin{align*} \frac{d}{ds} \frac{d}{dt}\gamma(t,s)\bigg|_{t=0} &= -B\varphi'(s) - \varphi(-s)B \end{align*} % % Die Lie-Algebra von SO(3) % \subsection{Die Lie-Algebra von $\operatorname{SO}(3)$} % % Die Lie-Algebra von SU(2) % \subsection{Die Lie-Algebra von $\operatorname{SU}(2)$}