% % beschreibung.tex -- Beschreibung von Graphen mit Matrizen % % (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil % \section{Beschreibung von Graphen mit Matrizen \label{buch:section:beschreibung-von-graphen-mit-matrizen}} \rhead{Beschreibung mit Matrizen} Als universelles kombinatorisches Modell sind Graphen für eine Vielzahl von Problemlösungen interessant. Zum Beispiel zeigt Kapitel~\ref{chapter:munkres}, wie man ein Zuordnungsproblem als Graphenproblem formulieren kann. Die Lösung erfolgt dann allerdings zweckmässigerweise unter Verwendung einer Matrix. Ziel dieses Abschnitts ist, Graphen und ihre zugehörige Matrizen zu definieren und erste Eigenschaften des Graphen mit algebraischen Mitteln abzuleiten. Die Präsentation ist allerdings nur ein erster Einstieg, tiefer gehende Information kann in \cite{skript:brualdi} gefunden werden. \subsection{Definition von Graphen \label{subsection:definition-von-graphen}} In der Einleitung wurde bereits eine informelle Beschreibung des Konzeptes eines Graphen gegeben. Um zu einer Beschreibung mit Hilfe von Matrizen zu kommen, wird eine exakte Definition benötigt. Dabei werden sich einige Feinheiten zeigen, die für Anwendungen wichtig sind und sich in Unterschieden in der Definition der zugehörigen Matrix äussern. \subsubsection{Ungerichtete Graphen} Die Grundlage für alle Arten von Graphen ist eine Menge $V$ von {\em Knoten}, auch {\em Vertizes} genannt. \index{Knoten}% \index{Vertex}% Die Unterschiede zeigen sich in der Art und Weise, wie die Knoten mit sogenannten Kanten \index{Kante}% verbunden werden. Bei einen ungerichteten Graphen sind die beiden Endpunkte einer Kante gleichwertig, es gibt keine bevorzugte Reihenfolge oder Richtung der Kante. Eine Kante ist daher vollständig spezifiziert, wenn wir die Menge der Endpunkte kennen. Dies führt auf die folgende Definition eines ungerichteten Graphen. \begin{definition} \label{buch:def:ungerichteter-graph} \index{Graph!ungerichteter}% \index{ungerichteter Graph}% Ein {\em ungerichteter Graph} ist eine endliche Menge $V$ von {\em Knoten} und eine Menge $E$ von zweielementigen Teilmengen \[ E \subset \{\, \{a,b\}\subset V\,|\, a\ne b\}. \] Die Elemente von $E$ heissen {\em Kanten} (edges). \end{definition} Man beachte, dass es keine Kante gibt, die einen Knoten $a\in V$ mit sich selbst verbindet, da die zugehörige Menge $\{a,a\}=\{a\}$ nicht aus zwei verschiedenen Elementen besteht, wie die Definition~\ref{buch:def:ungerichteter-graph} dies verlangt. Es gibt also keine Schleifen an einem Knoten. \begin{beispiel} Ein elektrisches Netzwerk von ohmschen Widerständen kann mit Hilfe eines ungerichteten Graphen beschrieben werden. Ohmsche Widerstände hängen nicht von der Richtung des Stromflusses durch die Widerstände ab. Will man Spannungen und Ströme in einem solchen Netzwerk berechnen, ist auch das Fehlen von Schleifen, die von $a$ zu $a$ führen, kein Verlust. Die Endpunkte solcher Widerstände wären immer auf dem gleichen Potential. Folglich würde kein Strom fliessen und sie hätten keinen Einfluss auf das Verhalten des Netzwerkes. Sie können einfach weggelassen werden. \end{beispiel} \subsubsection{Gerichtete Graphen} In vielen Anwendungen sind die Endpunkte einer Kante nicht austauschbar. In einem Strassennetz sind Einbahnstrassen nicht in beiden Richtungen befahrbar. Anfangs- und Endpunkt einer Kante müssen in einem solche Graphen unterschieden werden. Eine zweielementige Menge ist daher nicht mehr eine geeignete Abstraktion für die Kante, ein (geordnetes) Paar von Vertizes passt besser. \begin{definition} \label{buch:def:gerichteter-graph} \index{Graph!gerichteter}% \index{gerichteter Graph}% Ein {\em gerichteter Graph} ist eine endliche Menge $V$ von Knoten und eine Menge $E \subset V\times V$ von gerichteten Kanten. Ausserdem gibt es zwei Abbildungen \[ \begin{aligned} a&\colon E\to V: (p,q) \mapsto a((p,q)) = p \\ e&\colon E\to V: (p,q) \mapsto e((p,q)) = q. \end{aligned} \] Der Knoten $a(k)$ heisst der {\em Anfangspunkt} der Kante $k\in E$, $e(k)$ heisst der {\em Endpunkt}. \end{definition} In einem gerichteten Graphen gehört also zu jeder Kante auch eine Richtung. Die Unterscheidung von Anfangs- und Endpunkt einer Kante ist sinnvoll geworden. Ausderdem ist eine Kante $(a,a)$ wohldefiniert, also eine Kante, die vom Knoten $a$ wieder zu $a$ zurück führt. Man kann einen ungerichteten Graphen in einen gerichteten Graphen verwandeln, indem jede Kante $\{a,b\}$ durch zwei Kanten $(a,b)$ und $(b,a)$ ersetzt wird. Aus dem ungerichteten Graphen $(V,E)$ mit Knotenmenge $V$ und Kantenmenge $E$ wird so der gerichtete Graph $(V,E')$ mit der Kantenmenge \begin{equation*} E' = \{ (a,e) \,|\, \{a,e\}\in E \}. \end{equation*} Eine umgekehrte Zuordnung eines gerichteten zu einem ungerichteten Graphen ist nicht möglich, da eine ``Schleife'' $(a,a)$ nicht in eine Kante des ungerichteten Graphen abgebildet werden kann. In einem gerichteten Graphen kann man sinnvoll von gerichteten Pfaden sprechen. \index{Pfad}% Ein {\em Pfad} $\gamma$ in einem gerichteten Graphen $(V,E)$ ist eine Folge $k_1,\dots,k_r\in E$ von Kanten derart, dass $e(k_i) = a(k_{i+1})$ für $i=1,\dots,r-1$. Dies bedeutet, dass der Endpunkt jeder Kante mit dem Anfangspunkt der nachfolgenden Kante übereinstimmt. Die {\em Länge} des Pfades $\gamma=(k_1,\dots,k_r)$ ist $|\gamma|=r$. \subsection{Adjazenzmatrix} \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/70-graphen/images/adjazenzu.pdf} \caption{Adjazenz-, Inzidenz- und Gradmatrix eines ungerichteten Graphen mit fünf Knoten und sieben Kanten. \label{buch:graphen:fig:adjazenzu}} \end{figure} Eine naheliegende Beschreibung eines Graphen mit Hilfe einer Matrix kann man wie folgt erhalten. Zunächst werden die Knoten aus der Menge $V$ durch die Zahlen $1,\dots,n$ mit $n=|V|$ ersetzt. Diese Zahlen werden dann als Zeilen- uns Spaltenindizes interpretiert. Die zum Graphen gehörige sogenannte {\em Adjazenzmatrix} $A(G)$ enthält die Einträge \begin{equation} a_{i\!j} = \begin{cases} 1&\qquad \{j,i\} \in E\\ 0&\qquad \text{sonst.} \end{cases} \label{buch:graphen:eqn:adjazenzmatrix} \end{equation} Die Matrix hat also genau dann einen von Null verschiedenen Eintrag in Zeile $i$ und Spalte $j$, wenn die beiden Knoten $i$ und $j$ im Graphen verbunden sind. Die Adjazenzmatrix eines ungerichteten Graphen ist immer symmetrisch. Ein Beispiel ist in Abbildung~\ref{buch:graphen:fig:adjazenzu} dargestellt. \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/70-graphen/images/adjazenzd.pdf} \caption{Adjazenz-, Inzidenz- und Gradmatrix eines gerichteten Graphen mit fünf Knoten und sieben Kanten. Die roten Einträge in der Adjazenzmatrix $A(G)$ heben die Unterschiede zur Adjazenzmatrix des gerichteten Graphen von Abbildung~\ref{buch:graphen:fig:adjazenzu} hervor. \label{buch:graphen:fig:adjazenzd}} \end{figure} Die Adjazenzmatrix kann auch für einen gerichteten Graphen definiert werden wie dies in in Abbildung~\ref{buch:graphen:fig:adjazenzd} illustriert ist. Ihre Einträge sind in diesem Fall definiert mit Hilfe der gerichteten Kanten als \begin{equation} A(G)_{i\!j} = a_{i\!j} = \begin{cases} 1&\qquad (j,i) \in E\\ 0&\qquad \text{sonst.} \end{cases} \label{buch:graphen:eqn:adjazenzmatrixgerichtet} \end{equation} Die Matrix $A(G)$ hat also genau dann einen nicht verschwindenden Matrixeintrag in Zeile $i$ und Spalte $j$, wenn es eine Verbindung von Knoten $j$ zu Knoten $i$ gibt. \subsubsection{Adjazenzmatrix und die Anzahl der Pfade} Die Beschreibung des Graphen mit der Adjazenzmatrix $A=A(G)$ nach \eqref{buch:graphen:eqn:adjazenzmatrix} ermöglicht bereits, eine interessante Aufgabe zu lösen. \begin{satz} \label{buch:graphen:pfade-der-laenge-n} Der gerichtete Graph $G=([n],E)$ werde beschrieben durch die Adjazenzmatrix $A=A(G)$. Dann gibt das Element $(A^n)_{ji}$ in Zeile $j$ und Spalte $i$ von $A^n$ die Anzahl der Wege der Länge $n$ an, die von Knoten $i$ zu Knoten $j$ führen. Insbesondere kann man die Definition~\eqref{buch:graphen:eqn:adjazenzmatrix} formulieren als: In Zeile $j$ und Spalte $i$ der Matrix steht die Anzahl der Pfade der Länge $1$, die $i$ mit $j$ verbinden. \end{satz} \index{Anzahl der Pfade}% \begin{proof}[Beweis] Zur Unterscheidung der Matrix der Wegzahlen von $A^n$ schreiben wir $A^{(n)}$ für die Matrix, die in Zeile $j$ und Spalte $i$ die Anzahl der Pfade der Länge $n$ von $i$ nach $j$ enhält. Die zugehörigen Matrixelemente schreiben wir $a_{ji}^{n}$ bzw.~$a_{ji}^{(n)}$. Wir haben also zu zeigen, dass $A^n = A^{(n)}$. Wir beweisen, dass $A^n$ Pfade der Länge $n$ zählt, mit Hilfe von vollständiger Induktion. Es ist klar, dass $A^1$ die genannte Eigenschaft hat. Der Fall $A^1$ dient daher als Induktionsverankerung. Wir nehmen daher im Sinne einer Induktionsannahme an, dass bereits bewiesen ist, dass das Element in Zeile $j$ und Spalte $i$ von $A^{n-1}$ die Anzahl der Pfade der Länge $n-1$ zählt, dass also $A^{n-1}=A^{(n-1)}$. Dies ist die Induktionsannahme. Wir bilden jetzt alle Pfade der Länge $n$ von $i$ nach $k$. Ein Pfad der Länge besteht aus einem Pfad der Länge $n-1$, der von $i$ zu einem beliebigen Knoten $j$ führt, gefolgt von einer einzelnen Kante, die von $j$ nach $k$ führt. Ob es eine solche Kante gibt, zeigt das Matrixelement $a_{k\!j}$ an. Das Element in Zeile $j$ und Spalte $i$ der Matrix $A^{(n-1)}$ gibt die Anzahl der Wege von $i$ nach $j$ an. Es gibt also $a_{k\!j}\cdot a_{ji}^{(n-1)}$ Wege der Länge $n$, die von $i$ nach $k$ führen, aber als zweitletzten Knoten über den Knoten $j$ führen. Die Gesamtzahl der Wege der Länge $n$ von $i$ nach $k$ ist daher \[ a_{ki}^{(n)} = \sum_{j=1}^n a_{k\!j} a_{ji}^{(n-1)}. \] In Matrixschreibweise bedeutet dies \[ A^{(n)} = A\cdot A^{(n-1)} = A\cdot A^{n-1} = A^n. \] Beim zweiten Gleichheitszeichen haben wir die Induktionsannahme verwendet. Damit ist der Induktionsschritt vollzogen und der Satz bewiesen. \end{proof} Speziell geben die Diagonalelemente von $A^n$ die Zahl der geschlossenen Pfade an. $(A^n)_{ii}$ ist die Anzahl der geschlossenen Pfade, die $i$ enthalten. Der Satz~\ref{buch:graphen:pfade-der-laenge-n} ermöglicht auch, einen Algorithmus für den sogenannten Durchmesser eines Graphen zu formulieren. \begin{definition} \index{Durchmesser eines Graphen}% \index{Graph!Durchmesser des}% Der {\em Durchmesser} eines Graphen ist die kürzeste Länge $d$ derart, dass es zwischen zwei beliebigen Knoten einen Pfad der Länge $\le d$ gibt. \end{definition} Der Durchmesser $d$ eines Graphen ist der kleinste Exponent derart, dass $A^d$ keine ausserdiagonalen Einträge $0$ hat. Die Diagonalelemente von $A^n$ zählen die Anzahl der geschlossenen Pfade der Länge $n$, die durch einen Knoten führen. Diese können für den Durchmesser ignoriert werden. Man kann also Potenzen $A^n$ berechnen bis keine Einträge $0$ mehr vorhanden sind. \begin{beispiel} \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/70-graphen/images/peterson.pdf} \caption{Peterson-Graph mit zehn Knoten. \label{buch:figure:peterson}} \end{figure} Der Peterson-Graph hat die Adjazenzmatrix \[ G = \begin{pmatrix} %1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 0& 0& 1& 1& 0& 1& 0& 0& 0& 0\\ % 1 0& 0& 0& 1& 1& 0& 1& 0& 0& 0\\ % 2 1& 0& 0& 0& 1& 0& 0& 1& 0& 0\\ % 3 1& 1& 0& 0& 0& 0& 0& 0& 1& 0\\ % 4 0& 1& 1& 0& 0& 0& 0& 0& 0& 1\\ % 5 1& 0& 0& 0& 0& 0& 1& 0& 0& 1\\ % 6 0& 1& 0& 0& 0& 1& 0& 1& 0& 0\\ % 7 0& 0& 1& 0& 0& 0& 1& 0& 1& 0\\ % 8 0& 0& 0& 1& 0& 0& 0& 1& 0& 1\\ % 9 0& 0& 0& 0& 1& 1& 0& 0& 1& 0 % 10 \end{pmatrix}. \] Durch Nachrechnen kann man bestätigen, dass $G^3$ keine Ausserdiagonalelemente $0$ enthält: \[ G^3 = \begin{pmatrix} 0& 2& 5& 5& 2& 5& 2& 2& 2& 2\\ 2& 0& 2& 5& 5& 2& 5& 2& 2& 2\\ 5& 2& 0& 2& 5& 2& 2& 5& 2& 2\\ 5& 5& 2& 0& 2& 2& 2& 2& 5& 2\\ 2& 5& 5& 2& 0& 2& 2& 2& 2& 5\\ 5& 2& 2& 2& 2& 0& 5& 2& 2& 5\\ 2& 5& 2& 2& 2& 5& 0& 5& 2& 2\\ 2& 2& 5& 2& 2& 2& 5& 0& 5& 2\\ 2& 2& 2& 5& 2& 2& 2& 5& 0& 5\\ 2& 2& 2& 2& 5& 5& 2& 2& 5& 0 \end{pmatrix} = 2(U-I) + 3G. \] Daraus kann man jetzt ablesen, dass der Durchmesser des Petersongraphen $d=3$ ist. Man kann aber noch mehr ablesen: \begin{itemize} \item Es gibt keine geschlossenen Pfade der Länge $3$. \item Zwischen benachbarten Knoten gibt es jeweils $5$ Pfade der Länge $3$, zwischen nicht benachbarten Knoten gibt es genau $2$ Pfade der Länge $3$. \qedhere \end{itemize} \end{beispiel} Das Beispiel illustriert, wie sich Zählaufgaben von Pfaden leicht mit dem Matrizenprodukt erledigen lassen. Trotzdem ist der Algorithmus nicht unbedingt effizient, da der Aufwand zur Berechnung des Matrizenproduktes relativ gross sein kann. Für den Peterson-Graphen können die gefundenen Aussagen über die Anzahl von Pfaden durch Ausnützung der Symmetrien des Graphen leichter direkt gefunden werden. \subsection{Inzidenzmatrix \label{buch:graphen:subsection:inzidenzmatrix}} Die Adjazenzmatrix kann zusätzliche Information, die möglicherweise mit den Kanten verbunden ist, nicht mehr darstellen. Dies tritt zum Beispiel in der Informatik bei der Beschreibung endlicher Automaten auf, wo zu jeder gerichteten Kante auch noch Buchstaben gehören, für die der Übergang entlang dieser Kante möglich ist. Oder in der Elektrotechnik, wo jedes Bauteil in einem elektrischen Netzwerk eine Impedanz hat. \subsubsection{Beschriftete Graphen} Ein beschrifteter Graph löst dieses Problem. \begin{definition} Eine {\em Beschriftung} eines gerichteten oder ungerichteten Graphen $G=(V,E)$ mit Elementen der Menge $L$, den Labels, ist eine Abbildung $l\colon E\to L$. \index{Beschriftung}% \end{definition} Einen gerichteten, beschrifteten Graphen können wir gleichwertig statt mit einer Beschriftungsabbildung $l$ auch dadurch erhalten, dass wir Kanten als Tripel betrachten, die ausser den Knoten auch noch den Wert der Beschriftung enthalten. \begin{definition} \label{buch:graphen:def:beschriftetergraphgerichtet} Ein gerichteter Graph mit beschrifteten Kanten ist eine Menge $V$ von Knoten und eine Menge von beschrifteten Kanten der Form \[ E \{ (a,b,l)\in V^2\times L\;|\; \text{Eine Kante mit Beschriftung $l$ führt von $a$ nach $b$}\}. \] Die Menge $L$ enthält die möglichen Beschriftungen der Kanten. \end{definition} Diese Definition gestattet, dass zwischen zwei Knoten $a$ und $e$ mehrere Kanten vorhanden sind, die sich durch die Beschriftung unterscheiden. \subsubsection{Inzidenzmatrix} Die Adjazenzmatrix bildet nur die Nachbarschaftsbeziehung ab, sie sagt nichts aus über die ``Qualität'' der Verbindung, die durch die Beschriftung einer Kante angezeigt wird. Nach Definition~\ref{buch:graphen:def:beschriftetergraphgerichtet} ist es auch möglich, dass mehrere Kanten von $a$ nach $e$ führen, die Adjazenzmatrix kann diese ebenfalls nicht unterscheiden. Die {\em Inzidenzmatrix} löst dieses Problem. \index{Inzidenzmatrix}% Dazu werden zunächst zusätzlich die Kanten $1,\dots,m$ numeriert, wobei Kanten mit verschiedenen Beschriftungen separat gezählt werden. Die Matrixeinträge \[ b_{i\!j} = \begin{cases} 1\qquad&\text{Knoten $i$ ist ein Endpunkt von Kante $j$} \\ 0\qquad&\text{sonst} \end{cases} \] der Inzidenzmatrix $B(G)$ stellen die Beziehung zwischen Kanten und Knoten her. Für einen gerichteten Graphen wird in der Inzidenzmatrix für den Anfangspunkt einer Kante $-1$ eingetragen und für den Endpunkt $+1$. Die Inzidenzmatrizen $B(G)$ für die Graphen der beiden Beispiele in den Abbildungen~\ref{buch:graphen:fig:adjazenzu} und \ref{buch:graphen:fig:adjazenzd} ist ebendort angegeben. \subsubsection{Inzidenzmatrix und Adjazenzmatrix} Sei $B(G)$ die Inzidenzmatrix eines ungerichteten Graphen $G$. Die Spalten von $B(G)$ sind mit den Kanten des Graphen indiziert. Die Matrix $B(G)B(G)^t$ ist eine quadratische Matrix, deren Zeilen und Spalten mit den Knoten des Graphen indiziert sind. In dieser Matrix geht die Information über die individuellen Kanten wieder verloren. Sie hat für $i\ne j$ die Einträge \begin{align*} (B(G)B(G)^t)_{i\!j} &= \sum_{\text{$k$ Kante}} b_{ik}b_{jk} \\ &=\text{Anzahl der Kanten, die $i$ mit $j$ verbinden} \\ &=a_{i\!j}. \end{align*} Die Adjazenzmatrix eines Graphen lässt sich also aus der Inzidenzmatrix berechnen. \subsubsection{Gradmatrix} \index{Gradmatrix}% Die Diagonale von $B(G)B(G)^t$ eines ungerichteten Graphen $G$ enthält die Werte \begin{align} (B(G)B(G)^t)_{ii} &= \sum_{\text{$k$ Kante}} b_{ik}^2 = \text{Anzahl Kanten, die im Knoten $i$ enden} \label{buch:graphen:eqn:gradmatrix} \end{align} Der {\em Grad} eines Knoten eines Graphen ist die Anzahl der \index{Grad eines Knotens}% Kanten, die in diesem Knoten enden. Die Diagonalmatrix, die aus den Graden der Knoten besteht, heisst die Gradmatrix $D(G)$ des Graphen. Es gilt daher $B(G)B(G)^t = A(G) + D(G)$. Für Beispiele siehe die Abbildungen~\ref{buch:graphen:fig:adjazenzu} und \ref{buch:graphen:fig:adjazenzd}. \subsubsection{Gerichtete Graphen} Für einen gerichteten Graphen ändert sich an der Diagonalen der Matrix $B(G)B(G)^t$ nichts. Sei $k$ die Kante, die vom Knoten $j$ zum Knoten $i$ führt. Die Einträge in der Inzidenzmatrix sind daher $b_{ik}=1$ und $b_{jk}=-1$. Da es nur eine solche Kante gibt (der Graph ist nicht beschriftet), ist $b_{ik}b_{jk}$ der einzige Term in der Summe, mit der das Matrixelement \begin{equation} a_{i\!j} = (B(G)B(G)^t)_{i\!j} = \sum_{\kappa} b_{i\kappa}b_{j\kappa} = b_{ik}b_{jk} = -1 \label{buch:graphen:eqn:ausserdiagonal} \end{equation} berechnet wird. Für einen gerichteten Graphen sind daher alle Ausserdiagonalelemente negativ. \subsubsection{Anwendung: Netlist} Eine natürliche Anwendung eines gerichteten und beschrifteten Graphen ist eine eletronische Schaltung. Die Knoten des Graphen sind untereinander verbundene Leiter, sie werden auch {\em nets} genannt. Die beschrifteten Kanten sind die elektronischen Bauteile, die solche Nets miteinander verbinden. Die Inzidenzmatrix beschreibt, welche Anschlüsse eines Bauteils mit welchen Nets verbunden werden müssen. Die Informationen in der Inzidenzmatrix werden also in einer Applikation zum Schaltungsentwurf in ganz natürlicher Weise erhoben. \subsection{Die Laplace-Matrix \label{subsection:laplace-matrix}} Will man ein elektrisches Netzwerk modellieren oder den Transport von Wärme durch eine Gitterstruktur berechnen, dann muss man zwar den Kanten des Netzwerks eine ``Stromrichtung'' geben um ausdrücken zu können, in welche Richtung der Strom oder die Wärmeenergie fliesst. Trotzdem gestattet man natürlich auch den Stromfluss in Gegenrichtung. Wir gehen also aus von einem ungerichteten Graphen $G$, aus dem wir einen gerichteten Graphen $G'$ machen. Zu jeder Kante $\{a,b\}$ von $G$ wählen wir genau eine der möglichen Orientierungen $(a,b)$ oder $(b,a)$ im Graphen $G'$. Aus der Inzidenzmatrix $B(G')$ lässt sich jetzt ein Operator konstruieren, der für die Anwendungen besonders gut geeignet ist. \begin{definition} \label{buch:graphen:def:laplace-matrix} Die {\em Laplace-Matrix} des Graphen $G$ ist \[ L(G) = B(G')B(G')^t, \] wobei $G'$ ein wie oben konstruierter gerichteter Graph ist. \end{definition} Wir müssen uns davon überzeugen, dass diese Definition sinnvoll ist und nicht etwa von der Wahl von $G'$ abhängt. Diese klärt der folgende Satz. \begin{satz} Die Laplace-Matrix eines ungerichteten Graphen $G$ ist \begin{equation} L(G) = D(G) - A(G) \label{buch:graphen:eqn:laplace-definition} \end{equation} und somit insbesondere unabhängig von der Wahl des Graphen $G'$, der für die Definition von $L(G)$ verwendet wurde. \end{satz} \begin{proof}[Beweis] Aufgrund der Konstruktion des Graphen $G'$ sind die Diagonalelemente der Laplace-Matrix $L(G)=B(G')B(G')^t$ nach \eqref{buch:graphen:eqn:gradmatrix} genau die Elemente der Gradmatrix $D(G)$. Die ausserdiagonalen Elemente sind nach \eqref{buch:graphen:eqn:ausserdiagonal} genau dann, wenn es in $G$ eine Verbindung zwischen den beiden Knoten gibt. Dies sind die Elemente von $-A(G)$. Damit ist die Formel \eqref{buch:graphen:eqn:laplace-definition} nachgewiesen. \end{proof} Die Laplace-Matrix tritt zum Beispiel als Diskretisation des Laplace-Operators in partiellen Differentialgleichungen auf. Sie ist die Basis für die Untersuchungen der spektralen Graphentheorie in Abschnitt~\ref{buch:section:spektrale-graphentheorie}.