% % waerme.tex % % (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil % \section{Wärmeleitung auf einem Graphen \label{buch:section:waermeleitung-auf-einem-graphen}} Die Vektoren, auf denen die Laplace-Matrix operiert, können betrachtet werden als Funktionen, die jedem Knoten einen Wert zuordnen. Eine mögliche physikalische Interpretation davon ist die Temperaturverteilung auf dem Graphen. Die Kanten zwischen den Knoten erlauben der Wärmeenergie, von einem Knoten zu einem anderen zu fliessen. Je grösser die Temperaturdifferenz zwischen zwei Knoten ist, desto grösser ist der Wärmefluss und desto schneller ändert sich die Temperatur der beteiligten Knoten. Die zeitliche Änderung der Temperatur $T_i$ im Knoten $i$ ist proportional \[ \frac{dT_i}{dt} = \sum_{\text{$j$ Nachbar von $i$}} \kappa (T_j-T_i) = - \kappa \biggl( d_iT_i - \sum_{\text{$j$ Nachbar von $i$}} T_j \biggr) \] Der Term auf der rechten Seite ist genau die Wirkung der Laplace-Matrix auf dem Vektor $T$ der Temperaturen: \begin{equation} \frac{dT}{dt} = -\kappa L T. \label{buch:graphen:eqn:waermeleitung} \end{equation} Der Wärmefluss, der durch die Wärmeleitungsgleichung~\eqref{buch:graphen:eqn:waermeleitung} beschrieben wird, codiert ebenfalls wesentliche Informationen über den Graphen. Je mehr Kanten es zwischen verschiedenen Teilen eines Graphen gibt, desto schneller findet der Wärmeaustausch zwischen diesen Teilen statt. Die Lösungen der Wärmeleitungsgleichung liefern also Informationen über den Graphen. \subsection{Eigenwerte und Eigenvektoren \label{buch:subsection:ein-zyklischer-graph}} Die Wärmeleitungsgleichung~\eqref{buch:graphen:eqn:waermeleitung} ist eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten, die mit der Matrixexponentialfunktion gelöst werden. Die Lösung ist \[ f(t) = e^{-\kappa Lt}f(0). \] Die Berechnung der Lösung mit der Matrixexponentialreihe ist ziemlich ineffizient, da grosse Matrizenprodukte berechnet werden müssen. Da die Matrix $L$ symmetrisch ist, gibt es eine Basis aus orthonormierten Eigenvektoren und die Eigenwerte sind reell. Wir bezeichnen die Eigenvektoren mit $f_1,\dots,f_n$ und die zugehörigen Eigenwerte mit $\lambda_i$. Die Funktion $f_i(t)= e^{-\kappa\lambda_it}f_i$ ist dann eine Lösung der Wärmeleitungsgleichung, denn die beiden Seiten \begin{align*} \frac{d}{dt}f_i(t) &= -\kappa\lambda_ie^{-\kappa\lambda_it}f_i = -\kappa\lambda_i f_i(t) \\ -\kappa Lf_i(t) &= -\kappa e^{-\kappa\lambda_it} Lf_i = -\kappa e^{-\kappa\lambda_it} \lambda_i f_i = -\kappa \lambda_i f_i(t) \end{align*} von \eqref{buch:graphen:eqn:waermeleitung} stimmen überein. Eine Lösung der Wärmeleitungsgleichung zu einer beliebigen Anfangstemperaturverteilung $f$ kann durch Linearkombination aus den Lösungen $f_i(t)$ zusammengesetzt werden. Dazu ist nötig, $f$ aus den Vektoren $f_i$ linear zu kombinieren. Da aber die $f_i$ orthonormiert sind, ist dies besonders einfach, die Koeffizienten sind die Skalarprodukte mit den Eigenvektoren: \[ f=\sum_{i=1}^n \langle f_i,f\rangle f_i. \] Daraus kann man die allgmeine Lösungsformel \begin{equation} f(t) = \sum_{i=1}^n \langle f_i,f\rangle f_i(t) = \sum_{i=1}^n \langle f_i,f\rangle e^{-\kappa\lambda_i t}f_i \label{buch:graphen:eqn:eigloesung} \end{equation} ableiten. \subsection{Beispiel: Ein zyklischer Graph} \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/70-graphen/images/kreis.pdf} \caption{Beispiel Graph zur Illustration der verschiedenen Basen auf einem Graphen. \label{buch:graphen:fig:kreis}} \end{figure} Wir illustrieren die im folgenden entwickelte Theorie an dem Beispielgraphen von Abbildung~\ref{buch:graphen:fig:kreis}. Besonders interessant sind die folgenden Funktionen: \[ \left. \begin{aligned} s_m(k) &= \sin\frac{2\pi mk}{n} \\ c_m(k) &= \cos\frac{2\pi mk}{n} \end{aligned} \; \right\} \quad \Rightarrow \quad e_m(k) = e^{2\pi imk/n} = c_m(k) + is_m(k). \] Das Skalarprodukt dieser Funktionen ist \[ \langle e_m, e_{m'}\rangle = \frac1n \sum_{k=1}^n \overline{e^{2\pi i km/n}} e^{2\pi ikm'/n} = \frac1n \sum_{k=1}^n e^{\frac{2\pi i}{n}(m'-m)k} = \delta_{mm'} \] Die Funktionen bilden daher eine Orthonormalbasis des Raums der Funktionen auf $G$. Wegen $\overline{e_m} = e_{-m}$ folgt, dass für gerade $n$ die Funktionen \[ c_0, c_1,s_1,c_2,s_2,\dots c_{\frac{n}2-1},c_{\frac{n}2-1},c_{\frac{n}2} \] eine orthonormierte Basis. Die Laplace-Matrix kann mit der folgenden Definition zu einer linearen Abbildung auf Funktionen auf dem Graphen gemacht werden. Sei $f\colon V\to \mathbb{R}$ und $L$ die Laplace-Matrix mit Matrixelementen $l_{vv'}$ wobei $v,v'\in V$ ist. Dann definieren wir die Funktion $Lf$ durch \[ (Lf)(v) = \sum_{v'\in V} l_{vv'}f(v'). \] \subsection{Standardbasis und Eigenbasis \label{buch:subsection:standardbasis-und-eigenbasis}} Die einfachste Basis, aus der siche Funktionen auf dem Graphen linear kombinieren lassen, ist die Standardbasis. Sie hat für jeden Knoten $v$ des Graphen eine Basisfunktion mit den Werten \[ e_v\colon V\to\mathbb R:v'\mapsto \begin{cases} 1\qquad&v=v'\\ 0\qquad&\text{sonst.} \end{cases} \]