% % ff.tex -- Kryptographie und endliche Körper % % (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil % \section{Kryptographie und endliche Körper \label{buch:section:kryptographie-und-endliche-koerper}} \rhead{Kryptographie und endliche Körper} In diesem Abschnitt soll illustriert werden, wie die Arithmetik in endlichen Körpern Algorithmen zu konstruieren erlaubt, mit denen sich zum Beispiel sehr effizient kryptographische Schlüssel aushandeln lassen. Der klassische Diffie-Hellmann-Algorithmus in einem Galois-Körper $\mathbb{F}_p$ wird in Abschnitt~\ref{buch:subsection:elliptische-kurven} verallgemeinert auf eine sogenannte elliptische Kurve. Diese Version des Algorithmus ist sehr effizient was die Bitlänge der Schlüssel betrifft. \subsection{Potenzen in $\mathbb{F}_p$ und diskreter Logarithmus \label{buch:subsection:potenzen-diskreter-logarithmus}} Für kryptographische Anwendungen wird eine einfach zu berechnende Funktion benötigt, die ohne zusätzliches Wissen, üblicherweise der Schlüssel genannt, nicht ohne weiteres umkehrbar ist. Die arithmetischen Operationen in einem endlichen Körper sind mit geringem Aufwand durchführbar. Für die ``schwierigste'' Operation, die Division, steht der euklidische Algorithmus zur Verfügung. Die nächstschwierigere Operation ist die Potenzfunktion. Für $g\in \Bbbk$ und $a\in\mathbb{N}$ ist die Potenz $g^a\in\Bbbk$ natürlich durch die wiederholte Multiplikation definiert. In der Praxis werden aber $g$ und $a$ Zahlen mit vielen Binärstellen sein, die die wiederholte Multiplikation ist daher sicher nicht effizient, das Kriterium der einfachen Berechenbarkeit scheint also nicht erfüllt. Der folgende Algorithmus berechnet die Potenz in $O(\log_2 a)$ Multiplikationen. \begin{algorithmus}[Divide-and-conquer] \label{buch:crypto:algo:divide-and-conquer} Sei $a=a_0 + a_12^1 + a_22^2 + \dots + a_k2^k$ die Binärdarstellung der Zahl $a$. \begin{enumerate} \item setze $f=g$, $x=1$, $i=0$ \label{divide-and-conquer-1} \item solange $i\ge k$ ist, führe aus \label{divide-and-conquer-2} \begin{enumerate} \item \label{divide-and-conquer-3} falls $a_i=1$ setze $x \coloneqq x \cdot f$ \item \label{divide-and-conquer-4} $i \coloneqq i+1$ und $f\coloneqq f\cdot f$ \end{enumerate} \end{enumerate} Die Potenz $x=g^a$ kann so in $O(\log_2a)$ Multiplikationen berechnet werden. \end{algorithmus} \begin{proof}[Beweis] Die Initalisierung in Schritt~\ref{divide-and-conquer-1} stellt sicher, dass $x$ den Wert $g^0$ hat. Schritt~\ref{divide-and-conquer-4} stellt sicher, dass die Variable $f$ immer den Wert $g^{2^i}$ hat. Im Schritt~\ref{divide-and-conquer-3} wird zu $x$ die Potenz $g^{a_i2^i}$ hinzumultipliziert. Am Ende des Algorithmus hat daher $x$ den Wert \[ x = g^{a_02^0} \cdot g^{a_12^1} \cdot g^{a_22^2} \cdot\ldots\cdot 2^{a_k2^k} = g^{a_0+a_12+a_22^2+\dots+a_k2^k} = g^a. \] Die Schleife wird $\lfloor1+\log_2ab\rfloor$ mal durchlaufen. In jedem Fall wird auf jeden Fall die Multiplikation in Schritt~\ref{divide-and-conquer-4} durchgeführt und im schlimmsten Fall auch noch die Multiplikation in Schritt~\ref{divide-and-conquer-3}. Es werden also nicht mehr als $2\lfloor 1+\log_2a\rfloor=O(\log_2a)$ Multiplikationen durchgeführt. \end{proof} \begin{beispiel} Man berechne die Potenz $7^{2021}$ in $\mathbb{F}_p$. Die Binärdarstellung von 2021 ist $2021_{10}=\texttt{11111100101}_2$. Wir stellen die nötigen Operationen des Algorithmus~\ref{buch:crypto:algo:divide-and-conquer} in der folgenden Tabelle \begin{center} \begin{tabular}{|>{$}r<{$}|>{$}r<{$}|>{$}r<{$}|>{$}r<{$}|} \hline i& f& a_i& x\\ \hline 0& 7& 1& 7\\ 1& 49& 0& 7\\ 2&1110& 1& 24\\ 3& 486& 0& 24\\ 4&1234& 0& 24\\ 5& 667& 1& 516\\ 6& 785& 1& 977\\ 7& 418& 1& 430\\ 8& 439& 1& 284\\ 9& 362& 1& 819\\ 10& 653& 1& 333\\ \hline \end{tabular} \end{center} Daraus liest man ab, dass $7^{2021}=333\in\mathbb{F}_{1291}$. \end{beispiel} Die Tabelle suggeriert, dass die Potenzen von $g$ ``wild'', also scheinbar ohne System in $\mathbb{F}_p$ herumspringen. Dies deutet an, dass die Umkehrung der Exponentialfunktion in $\mathbb{F}_p$ schwierig ist. Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion, die Umkehrfunktion von $x\mapsto g^x$ in $\mathbb{F}_p$ heisst der {\em diskrete Logarithmus}. \index{diskreter Logarithmus}% Tatsächlich ist der diskrete Logarithmus ähnlich schwierig zu bestimmen wie das Faktorisieren von Zahlen, die das Produkt grosser Primafaktoren ähnlicher Grössenordnung wie $p$ sind. Die Funktion $x\mapsto g^x$ ist die gesuchte, schwierig zu invertierende Funktion. Auf dern ersten Blick scheint der Algorithmus~\ref{buch:crypto:algo:divide-and-conquer} den Nachteil zu haben, dass erst die Binärdarstellung der Zahl $a$ ermittelt werden muss. In einem Computer ist dies aber normalerweise kein Problem, da $a$ im Computer ohnehin binär dargestellt ist. Die Binärziffern werden in der Reihenfolge vom niederwertigsten zum höchstwertigen Bit benötigt. Die folgende Modifikation des Algorithmus ermittelt laufend auch die Binärstellen von $a$. Die dazu notwendigen Operationen sind im Binärsystem besonders effizient implementierbar, die Division durch 2 ist ein Bitshift, der Rest ist einfach das niederwertigste Bit der Zahl. \begin{algorithmus} \label{buch:crypto:algo:divide-and-conquer2} \begin{enumerate} \item Setze $f=g$, $x=1$, $i=0$ \item Solange $a>0$ ist, führe aus \begin{enumerate} \item Verwende den euklidischen Algorithmus um $r$ und $b$ zu bestimmen mit $a=2b+r$ \item Falls $r=1$ setze $x \coloneqq x \cdot f$ \item $i \coloneqq i+1$, $a = b$ und $f\coloneqq f\cdot f$ \end{enumerate} \end{enumerate} Die Potenz $x=g^a$ kann so in $O(\log_2a)$ Multiplikationen berechnet werden. \end{algorithmus} % % Diffie-Hellman Schlüsseltausch % \subsection{Diffie-Hellman-Schlüsseltausch \label{buch:subsection:diffie-hellman}} Eine Grundaufgabe der Verschlüsselung im Internet ist, dass zwei Kommunikationspartner einen gemeinsamen Schlüssel für die Verschlüsselung der Daten aushandeln können müssen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kommunikation abgehört wird. Trotzdem soll es für einen Lauscher nicht möglich sein, den ausgehandelten Schlüssel zu ermitteln. % XXX Historisches zu Diffie und Hellman Die beiden Partner $A$ und $B$ einigen sich zunächst auf eine Zahl $g$, die öffentlich bekannt sein darf. Weiter erzeugen sie eine zufällige Zahl $a$ und $b$, die sie geheim halten. Das Verfahren soll aus diesen beiden Zahlen einen Schlüssel erzeugen, den beide Partner berechnen können, ohne dass sie $a$ oder $b$ übermitteln müssen. Die beiden Zahlen werden daher auch die privaten Schlüssel genannt. Die Idee von Diffie und Hellman ist jetzt, die Werte $x=g^a$ und $y=g^b$ zu übertragen. In $\mathbb{R}$ würden dadurch natürlich dem Lauscher auch $a$ offenbart, er könnte einfach $a=\log_g x$ berechnen. Ebenso kann auch $b$ als $b=\log_g y$ erhalten werden, die beiden privaten Schlüssel wären also nicht mehr privat. Statt der Potenzfunktion in $\mathbb{R}$ muss also eine Funktion verwendet werden, die nicht so leicht umgekehrt werden kann. Die Potenzfunktion in $\mathbb{F}_p$ erfüllt genau diese Eigenschaft. Die Kommunikationspartner einigen sich also auch noch auf die (grosse) Primzahl $p$ und übermitteln $x=g^a\in\mathbb{F}_p$ und $y=g^b\in\mathbb{F}_p$. \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/90-crypto/images/dh.pdf} \caption{Schlüsselaustausch nach Diffie-Hellman. Die Kommunikationspartner $A$ und $B$ einigen sich öffentlich auf $p\in\mathbb{N}$ und $g\in\mathbb{F}_p$. $A$ wählt dann einen privaten Schlüssel $a\in\mathbb{N}$ und $B$ wählt $b\in\mathbb{N}$, sie tauschen dann $x=g^a$ und $y=g^b$ aus. $A$ erhält den gemeinsamen Schlüssel aus $y^a$, $B$ erhält ihn aus $x^b$. \label{buch:crypto:fig:dh}} \end{figure} Aus $x$ und $y$ muss jetzt der gemeinsame Schlüssel abgeleitet werden. $A$ kennt $y=g^b$ und $a$, $B$ kennt $x=g^a$ und $b$. Beide können die Zahl $s=g^{ab}\in\mathbb{F}_p$ berechnen. $A$ macht das, indem er $y^a=(g^b)^a = g^{ab}$ rechnet, $B$ rechnet $x^b = (g^a)^b = g^{ab}$, beide natürlich in $\mathbb{F}_p$. Der Lauscher kann aber $g^{ab}$ nicht ermitteln, dazu müsste er $a$ oder $b$ ermitteln können. Die Zahl $s=g^{ab}$ kann also als gemeinsamer Schlüssel verwendet werden. \subsection{Elliptische Kurven \label{buch:subsection:elliptische-kurven}} Das Diffie-Hellman-Verfahren basiert auf der Schwierigkeit, in einem Körper $\mathbb{F}_p$ die Gleichung $a^x=b$ nach $x$ aufzulösen. Die Addition in $\mathbb{F}_p$ wird dazu nicht benötigt. Es reicht, eine Menge mit einer Multiplikation zu haben, in der das die Gleichung $a^x=b$ schwierig zu lösen ist. Ein Gruppe wäre also durchaus ausreichend. Ein Kandidat für eine solche Gruppe könnte der Einheitskreis $S^1=\{z\in\mathbb{C}\;|\; |z|=1\}$ in der komplexen Ebene sein. Wählt man eine Zahl $g=e^{i\alpha}$, wobei $\alpha$ ein irrationales Vielfaches von $\pi$ ist, dann sind alle Potenzen $g^n$ für natürliche Exponenten voneinander verschieden. Wäre nämlich $g^{n_1}=g^{n_2}$, dann wäre $e^{i\alpha(n_1-n_2)}=1$ und somit müsste $\alpha=2k\pi/(n_1-n_2)$ sein. Damit wäre aber $\alpha$ ein rationales Vielfaches von $\pi$, im Widerspruch zur Voraussetzung. Die Abbildung $n\mapsto g^n\in S^1$ ist auf den ersten Blick etwa ähnlich undurchschaubar wie die Abbildung $n\mapsto g^n\in\mathbb{F}_p$. Es gibt zwar die komplexe Logarithmusfunktion, mit der man $n$ bestimmen kann, dazu muss man aber den Wert von $g^n$ mit beliebiger Genauigkeit kennen, denn die Werte von $g^n$ können beliebig nahe beieinander liegen. Der Einheitskreis ist die Lösungsmenge der Gleichung $x^2+y^2=1$ für reelle Koordinaten $x$ und $y$, doch Rundungsunsicherheiten verunmöglichen den Einsatz in einem Verfahren ähnlich dem Diffie-Hellman-Verfahren. Dieses Problem kann gelöst werden, indem für die Variablen Werte aus einem endlichen Körper verwendet werden. Gesucht ist also eine Gleichung in zwei Variablen, deren Lösungsmenge in einem endlichen Körper eine Gruppenstruktur trägt. Die Lösungsmenge ist eine ``Kurve'' von Punkten mit Koordinaten in einem endlichen Körper. In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass sogenannte elliptische Kurven über endlichen Körpern genau die verlangen Eigenschaften haben. \subsubsection{Elliptische Kurven} Elliptische Kurven sind Lösungen einer Gleichung der Form \begin{equation} Y^2+XY=X^3+aX+b \label{buch:crypto:eqn:ellipticcurve} \end{equation} mit Werten von $X$ und $Y$ in einem geeigneten Körper. Die Koeffizienten $a$ und $b$ müssen so gewählt werden, dass die Gleichung~\eqref{buch:crypto:eqn:ellipticcurve} genügend viele Lösungen hat. Über den komplexen Zahlen hat die Gleichung natürlich für jede Wahl von $X$ drei Lösungen. Für einen endlichen Körper können wir dies im allgemeinen nicht erwarten, aber wenn wir genügend viele Wurzeln zu $\mathbb{F}$ hinzufügen können wir mindestens erreichen, dass die Lösungsmenge so viele Elemente hat, dass ein Versuch, die Gleichung $g^x=b$ mittels Durchprobierens zu lösen, zum Scheitern verurteil ist. \begin{definition} \label{buch:crypto:def:ellipticcurve} Die {\em elliptische Kurve} $E_{a,b}(\Bbbk)$ über dem Körper $\Bbbk$ ist die Menge \[ E_{a,b}(\Bbbk) = \{(X,Y)\in\Bbbk^2\;|\;Y^2+XY=X^3+aX+b\}, \] für $a,b\in\Bbbk$. \end{definition} Um die Anschauung zu vereinfachen, werden wir elliptische Kurven über dem Körper $\mathbb{R}$ visualisieren. Die daraus gewonnenen geometrischen Einsichten werden wir anschliessend algebraisch umsetzen. In den reellen Zahlen kann man die Gleichung~\eqref{buch:crypto:eqn:ellipticcurve} noch etwas vereinfachen. Indem man in \eqref{buch:crypto:eqn:ellipticcurve} quadratisch ergänzt, bekommt man \begin{align} Y^2 + XY + \frac14X^2 &= X^3+\frac14 X^2 +aX+b \notag \\ \Rightarrow\qquad v^2&=X^3+\frac14X^2+aX+b, \label{buch:crypto:eqn:ell2} \end{align} indem man $v=Y+\frac12X$ setzt. Man beachte, dass man diese Substition nur machen kann, wenn $\frac12$ definiert ist. In $\mathbb{R}$ ist dies kein Problem, aber genau über den Körpern mit Charakteristik $2$, die wir für die Computer-Implementation bevorzugen, ist dies nicht möglich. Es geht hier aber nur um die Visualisierung. Auch die Form \eqref{buch:crypto:eqn:ell2} lässt sich noch etwas vereinfachen. Setzt man $X=u-\frac1{12}$, dann verschwindet nach einiger Rechnung, die wir hier nicht durchführen wollen, der quadratische Term auf der rechten Seite. Die interessierenden Punkte sind Lösungen der einfacheren Gleichung \begin{equation} v^2 = u^3+\biggl(a-\frac{1}{48}\biggr)u + b-\frac{a}{12}+\frac{1}{864} = u^3+Au+B. \label{buch:crypto:ellvereinfacht} \end{equation} In dieser Form ist mit $(u,v)$ immer auch $(u,-v)$ eine Lösung, die Kurve ist symmetrisch bezüglich der $u$-Achse. Ebenso kann man ablesen, dass nur diejenigen $u$-Werte möglich sind, für die das kubische Polynom $u^3+Au+B$ auf der rechten Seite von \eqref{buch:crypto:ellvereinfacht} nicht negativ ist. Sind $u_1$, $u_2$ und $u_3$ die Nullstellen des kubischen Polynoms auf der rechten Seite von~\eqref{buch:crypto:ellvereinfacht}, folgt \[ v^2 = (u-u_1)(u-u_2)(u-u_3) = u^3 -(u_1+u_2+u_3)u^2 +(u_1u_2+u_1u_3+u_2u_3)u - u_1u_2u_3. \] Durch Koeffizientenvergleich sieht man, dass $u_1+u_2+u_3=0$ sein muss. \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/90-crypto/images/elliptic.pdf} \caption{Elliptische Kurve in $\mathbb{R}$ in der Form $v^2=u^3+Au+B$ mit Nullstellen $u_1$, $u_2$ und $u_3$ des kubischen Polynoms auf der rechten Seite. Die blauen Punkte und Geraden illustrieren die Definition der Gruppenoperation in der elliptischen Kurve. \label{buch:crypto:fig:elliptischekurve}} \end{figure} Abbildung~\ref{buch:crypto:fig:elliptischekurve} zeigt eine elliptische Kurve in der Ebene. \subsubsection{Geometrische Definition der Gruppenoperation} In der speziellen Form \ref{buch:crypto:ellvereinfacht} ist die elliptische Kurve symmetrisch unter Spiegelung an der $u$-Achse. Die Spiegelung ist eine Involution, zweimalige Ausführung führt auf den ursprünglichen Punkt zurück. Die Inverse in einer Gruppe hat diese Eigenschaft auch, es ist daher naheliegend, den gespiegelten Punkt als die Inverse eines Elementes zu nehmen. Eine Gerade durch zwei Punkte der in Abbildung~\ref{buch:crypto:fig:elliptischekurve} dargestellten Kurve schneidet die Kurve ein drittes Mal. Die Gruppenoperation wird so definiert, dass drei Punkte der Kurve auf einer Geraden das Gruppenprodukt $e$ haben. Da aus $g_1g_2g_3=e$ folgt $g_3=(g_1g_2)^{-1}$ oder $g_1g_2=g_3^{-1}$, erhält man das Gruppenprodukt zweier Elemente auf der elliptischen Kurve indem erst den dritten Schnittpunkt ermittelt und diesen dann an der $u$-Achse spiegelt. Die geometrische Konstruktion schlägt fehl, wenn $g_1=g_2$ ist. In diesem Fall kann man die Tangente im Punkt $g_1$ an die Kurve verwenden. Dieser Fall tritt zum Beispiel auch in den drei Punkten $(u_1,0)$, $(u_2,0)$ und $(u_3,0)$ ein. Um das neutrale Element der Gruppe zu finden, können wir zwei Punkte $g$ und $g^{-1}$ miteinander verknüpfen. Die Gerade durch $g$ und $g^{-1}$ schneidet aber die Kurve kein drittes Mal. Ausserdem sind alle Geraden durch $g$ und $g^{-1}$ für verschiedene $g$ parallel. Das neutrale Element entspricht also einem unendlich weit entfernten Punkt. Das neutrale Element entsteht immer dann als Produkt, wenn zwei Punkte die gleiche $u$-Koordinaten haben. \subsubsection{Gruppenoperation, algebraische Konstruktion} Nach den geometrischen Vorarbeiten zur Definition der Gruppenoperation kann können wir die Konstruktion jetzt algebraisch umsetzen. Zunächst überlegen wir uns wieder eine Involution, welche als Inverse dienen kann. Dazu beachten wir, dass die linke Seite der definierenden Gleichung \begin{equation} Y^2+XY=X^3-aX+b. \label{buch:crypto:eqn:grupopgl} \end{equation} auch als $Y(Y+X)$ geschrieben werden kann. Die Abbildung $Y\mapsto -X-Y$ macht daraus \[ (-X-Y)(-X-Y+X)=(X+Y)Y, \] dies ist also die gesuchte Involution. Seien also $g_1=(x_1,y_1)$ und $g_2=(x_2,y_2)$ zwei verschiedene Lösungen der Gleichung \eqref{buch:crypto:eqn:grupopgl} Als erstes brauchen wir eine Gleichung für die Gerade durch die beiden Punkte. Sei also $l(X,Y)$ eine Linearform derart, dass $l(g_1)=d$ und $l(g_2)=d$ für ein geeignetes $d\in\Bbbk$. Dann gilt auch für die Punkte \[ g(t) = tg_1 + (1-t)g_2 \qquad\Rightarrow\qquad l(g(t)) = tl(g_1) + (1-t)l(g_2) = tc+(1-t)c = (t+1-t)c =c, \] jeder Punkt der Geraden durch $g_1$ und $g_2$ lässt sich in dieser Form schreiben. Setzt man jetzt $g(t)$ in die Gleichung ein, erhält man eine kubische Gleichung in $t$, von der wir bereits zwei Nullstellen kennen, nämlich $0$ und $1$. Die kubische Gleichung muss also durch $t$ und $(t-1)$ teilbar sein. Diese Berechnung kann man einfach in einem Computeralgebrasystem durchführen. Das Polynom ist \[ p(t) = XXX \] Nach Division durch $t(t-1)$ erhält man als den Quotienten \begin{align*} q(t) &= (y_2-y_1)^2 + (y_2-y_1) (x_2-x_1) + t(x_2-x_1)^3 - 2x_2^3+3x_1x_2^2-x_1^3 \end{align*} und den Rest \[ r(t) = t(y_1^2+x_1y_1-x_1^3-ax_1-b) + (1-t)(y_2^2+x_2y_2-x_2^3-ax_2-b). \] Die Klammerausdrücke verschwinden, da die sie gleichbedeutend damit sind, dass die Punkte Lösungen von \eqref{buch:crypto:eqn:grupopgl} sind. Für den dritten Punkt auf der Geraden muss $t$ so gewählt werden, dass $q(t)=0$ ist. Dies ist aber eine lineare Gleichung mit der Lösung \begin{align*} t &= -\frac{ (y_1-y_2)^2 + (y_2-y_1)(x_2-x_1) -2x_2^3+3x_1x_2^2-x_1^3 }{(x_2-x_1)^3} . \end{align*} Setzt man dies $g(t)$ ein, erhält man für die Koordinaten des dritten Punktes $g_3$ die Werte \begin{align} x_3 &= \frac{ (y_2-y_1)^2(x_2-x_1) + (y_2-y_1)(x_2-x_1)^2 -(x_2^4+x_1^4) }{ (x_2-x_1)^3 } \label{buch:crypto:eqn:x3} \\ y_3 &= \frac{ (y_2-y_1)^3 +(x_2-x_1)(y_2-y_1)^2 -(x_{2}-x_{1})^3 ( y_{2} - y_{1}) -(x_{2}-x_{1})^2 ( x_{1} y_{2}- x_{2} y_{1}) }{ (x_2-x_1)^3 } \label{buch:crypto:eqn:y3} \end{align} Die Gleichungen \eqref{buch:crypto:eqn:x3} und \eqref{buch:crypto:eqn:y3} ermöglichen also, das Element $g_1g_2^{-1}$ zu berechnen. Interessant daran ist, dass in den Formeln die Konstanten $a$ und $b$ gar nicht vorkommen. Es bleibt noch der wichtige Fall des Quadrierens in der Gruppe zu behandeln, also den Fall $g_1=g_2$. In diese Fall sind die Formeln \eqref{buch:crypto:eqn:x3} und \eqref{buch:crypto:eqn:y3} ganz offensichtlich nicht anwendbar. Die geometrische Anschauung hat nahegelegt, die Tangent an die Kurve im Punkt $g_1$ zu nehmen. In $\mathbb{R}$ würde man dafür einen Grenzübergang $g_2\to g_1$ machen, aber in einem endlichen Körper ist dies natürlich nicht möglich. Wir schreiben die Gerade als Parameterdarstellung in der Form \( t\mapsto g(t)= (x_1+ut, y_1+vt) \) für beliebige Parameter in $\Bbbk$. Die Werte $u_1$ und $u_2$ müssen so gewählt werden, dass $g(t)$ eine Tangente wird. Setzt man $g(t)$ in die Gleichung~\eqref{buch:crypto:eqn:grupopgl} ein, entsteht ein kubische Gleichung, die genau dann eine doppelte Nullstelle bei $0$ hat, wenn $u,v$ die Tangentenrichtung beschreiben. Einsetzen von $g(t)$ in \eqref{buch:crypto:eqn:grupopgl} ergibt die Gleichung \begin{align} 0 &= -u^3t^3 + (-3u^2x_{1}+v^2+uv)t^2 + (2vy_1+uy_1-3ux_1^2+vx_1-au)t + (y_1^2+x_1y_1-x_1^3-ax_1-b) \label{buch:crypto:eqn:tangente1} \end{align} Damit bei $t=0$ eine doppelte Nullstelle mussen die letzten beiden Koeffizienten verschwinden, dies führt auf die Gleichungen \begin{align} y_1^2+x_1y_1&=x_1^3+ax_1+b \label{buch:crypto:eqn:rest1} \\ (2y_1 +x_1)v +(y_1 -3x_1^2 -a)u &=0 \label{buch:crypto:eqn:rest2} \end{align} Die erste Gleichung \eqref{buch:crypto:eqn:rest1} drückt aus, dass $g_1$ ein Punkt der Kurve ist, sie ist automatisch erfüllt. Die zweite Gleichung \eqref{buch:crypto:eqn:rest2} legt das Verhältnis von $u$ und $v$, also die \label{buch:crypto:eqn:rest2} Tangentenrichtung fest. Eine mögliche Lösung ist \begin{equation} \begin{aligned} u &= x_1+2y_1 \\ v &= -y_1+3x_1^2+a. \end{aligned} \label{buch:crypto:eqn:uv} \end{equation} Der Quotient ist ein lineares Polynom in $t$, die Nullstelle parametrisiert den Punkt, der $(g_1)^{-2}$ entspricht. Der zugehörige Wert von $t$ ist \begin{equation} t=-\frac{3u^2x_1-v^2-uv}{u^3}. \label{buch:crypto:eqn:t} \end{equation} Setzt man \label{buch:crypto:eqn:t} und \eqref{buch:crypto:eqn:uv} in $g(t)$ ein, erhält man sehr komplizierte Ausdrücke für den dritten Punkt. Wir verzichten darauf, diese Ausdrücke hier aufzuschreiben. In der Praxis wird man in einem Körper der Charakteristik 2 arbeiten. In diesem Körper werden alle geraden Koeffizienten zu $0$, alle ungeraden Koeffizienten werden unabhängig vom Vorzeichen zu $1$. Damit bekommt man die folgenden, sehr viel übersichtlicheren Ausdrücke für den dritten Punkt: \begin{equation} \begin{aligned} x &= -\frac{ y_1^2+x_1y_1+x_1^4+x_1^3+ax_1-a^2 }{ x_1^2 } \\ y &= \frac{ y_1^3+(x_1^2+x_1+a)y_1^2+(x_1^4 +a^2)y_1+x_1^6+ax_1^4+ax_1^3+a^2x_1^2+a^2x_1+a^3 }{ x_1^3 } \end{aligned} \label{buch:crypto:eqn:tangentechar2} \end{equation} Damit haben wir einen vollständigen Formelsatz für die Berechnung der Gruppenoperation in der elliptischen Kurve mindestens für den praktisch relevanten Fall einer Kurve über einem Körper der Charakteristik $2$. \begin{satz} Die elliptische Kurve \[ E_{a,b}(\mathbb{F}_{p^l}) = \{ (X,Y)\in\mathbb{F}_{p^l} \;|\; Y^2+XY = X^3-aX-b \} \] trägt eine Gruppenstruktur, die wie folgt definiert ist: \begin{enumerate} \item Der Punkt $(0,0)$ entspricht dem neutralen Element. \item Das inverse Element von $(x,y)$ ist $(-x,-y-x)$. \item Für zwei verschiedene Punkte $g_1$ und $g_2$ kann $g_3=(g_1g_2)^{-1}$ mit Hilfe der Formeln \eqref{buch:crypto:eqn:x3} und \eqref{buch:crypto:eqn:y3} gefunden werden. \item Für einen Punkt $g_1$ kann $g_3=g_1^{-2}$ in Charakteristik $2$ mit Hilfe der Formeln \eqref{buch:crypto:eqn:tangentechar2} gefunden werden. \end{enumerate} Diese Operationen machen $E_{a,b}(\mathbb{F}_{p^l})$ zu einer endlichen abelschen Gruppe. \end{satz} \subsubsection{Diffie-Hellman in einer elliptischen Kurve} Der klassische Diffie-Hellmann-Schlüsselalgorithmus in einem Körper $\mathbb{F}_p$ basiert darauf, dass man beliebige Potenzen eines Elementes berechnen kann, und dass es schwierig ist, diese Operation umzukehren. Die Addition in $\mathbb{F}_p$ wird für diesen Algorithmus überhaupt nicht benötigt. In einer elliptischen Kurve gibt es ebenfalls eine Multiplikation, aus der sich mit dem Algorithmus~\ref{buch:crypto:teile-und-hersche} eine effizienter Potenzieralgorithmus konstruieren lässt. Die im Internet Key Exchange Protokol in RFC 2409 \cite{buch:rfc2409} definierte Oakley-Gruppe 4 zum Beispiel verwendet einen Galois-Körper $\mathbb{F}_{2^{185}}$ mit dem Minimalpolynom $m(x)=x^{185}+x^{69}+1\in \mathbb{F}_2[x]$ und den Koeffizienten \begin{align*} a&=0\\ b&=x^{12}+x^{11} + x^{10} + x^9 + x^7 + x^6 + x^5 + x^3 +1, \end{align*} die die elliptische Kurve definieren. Als Elemente $g$ für den Diffie-Hellmann-Algorithmus wird ein Punkt der elliptischen Kurve verwendet, dessen $X$-Koordinaten durch das Polynom $g_x = x^4+x^3$ gegeben ist. Der Standard spezifiziert die $Y$-Koordinate nicht, diese kann aus den gegebenen Daten abgeleitet werden. Die entstehende Gruppe hat etwa $4.9040\cdot10^{55}$ Elemente, die für einen brute-force-Angriff durchprobiert werden müssten.