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author | Andreas Müller <andreas.mueller@othello.ch> | 2021-12-27 20:34:52 +0100 |
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+\def\skala{1} +\begin{tikzpicture}[>=latex,thick,scale=\skala] + +\def\w{7.5} +\def\h{10} + +\begin{scope} +\clip (-7.4,-10.4) rectangle (7.9,12.1); +\node at (0,0) {\includegraphics{buergi1.pdf}}; +\end{scope} + +\end{tikzpicture} +\end{document} + diff --git a/buch/chapters/020-exponential/log.tex b/buch/chapters/020-exponential/log.tex index 3bfb346..add63c3 100644 --- a/buch/chapters/020-exponential/log.tex +++ b/buch/chapters/020-exponential/log.tex @@ -5,5 +5,315 @@ % \section{Logarithmen \label{buch:exponential:section:logarithmen}} +Heutezutage wird die Logarithmusfunktion als die Umkehrfunktion +der Exponentialfunktion definiert. +Ihren Ursprung hat sie jedoch im Bemühen, eine Methode zur Vereinfachung +der numerischen Rechnung zu finden. +In diesem Abschnitt soll die Geschichte kurz nachgezeichnet werden. + +\subsection{Multiplikation} +Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass Multiplikationen +sehr viel aufwendiger sind als Additionen. +So braucht man für die Addition zweier $n$-stelliger Zahlen +genau $n$ Additionen einstelliger Zahlen mit Übertrag. +Für die Multiplikation sind zunächst $n^2$ einstellige Multiplikationen +gefolgt von $n(n-1)$ Additionen einstelliger Zahlen mit Übertrag notwenig, +um einen Faktor mit jeder Stelle des anderen zu multiplizieren. +Anschliessend müssen dann $(n-1)^2$ einstellige Multiplikationen +gefolgt von einstelligen Additionen mit Übertrag ausgeführt werden, +um die Summe zu bilden. +Der Aufwand für eine Multiplikation wächst also quadratisch mit +der Genauigkeit, während der Aufwand für die addition nur linear +anwächst. + +Eine gebräuchlich Methode war die Verwendung der trigonometrischen +Identität +\begin{align*} +\sin(\alpha)\sin(\beta) +&= +\frac12 +\cos(\alpha-\beta) +- +\frac12 +\cos(\alpha+\beta). +\intertext{Dies kann mit einer Tabelle nur der Sinus-Werte durchgeführt +werden, indem man verwendet, dass $\sin x = \cos(90^\circ-x)$. +Dies führt auf die Identität } +\sin(\alpha)\sin(\beta) +&= +\frac12\bigl(\sin(90^\circ-\alpha+\beta) +- +\sin(90^\circ-\alpha-\beta)\bigr) +\end{align*} +Die Multiplikation der Zahlen $\sin\alpha$ und $\sin\beta$ verlangt +daher nur zwei Konsultationen der Sinus-Tabelle, um die Winkel +$\alpha$ und $\beta$ zu bestimmen, zwei Additionen zur Berechnung +von +$90^\circ-\alpha+\beta$ +und +$90^\circ-\alpha-\beta$, +zwei Konsultationen der Sinus-Tabelle gefolgt von einer Addition +und einer +Halbierungsoperationen, die sich ähnlich effizient wie Additionen +durchführen lässt. +Der Aufwand dieser Art der Durchführung der Multplikation ist also +gleich gross wie $4$ Additionen und $4$ Tabellenkonsultationen. + +\begin{beispiel} +In Abschnitt~\ref{buch:trigo:subsection:tabelle} ist beschrieben, wie +schon im Altertum Tabellen für Sinus-Werte aufgestellt werden konnten. +Mit der Tabelle~\ref{buch:trigo:table:sinus} kann man zum Beispiel die +folgende Multiplikation durchführen. +Gesucht ist das Produkt der Zahlen $x=0.51503807$ und $y=0.80901169$. +Die Berechnung läuft wie folgt ab: +\begin{align*} +x&=0.80901169& +&\Rightarrow&\sin\alpha &=x& +&\Rightarrow&{\color{red}\alpha}&\approx {\color{red}54^\circ} +\\ +y&=0.51503807& +&\Rightarrow&\sin\beta &=y& +&\Rightarrow&{\color{red}\beta}&\approx {\color{red}31^\circ} +\\ + & & +& &{\color{red}\sin\delta_1}&={\color{red}0.92050485}& +&\Leftarrow &{\color{blue}\delta_1}&=90^\circ-\alpha+\beta={\color{blue}67} +\\ + & & +& &{\color{red}\sin\delta_2}&={\color{red}0.08715574}& +&\Leftarrow &{\color{blue}\delta_2}&=90^\circ-\alpha-\beta={\color{blue}5} +\\ + && + & &{\color{blue}\sin\delta_1+\sin\delta_2}&={\color{blue}0.83334911} +\\ +xy&=0.41667455& + &\Leftarrow&\frac12(\sin\delta_1+\sin\delta_2)&={\color{darkgreen}0.41667455} +\end{align*} +Die roten Zahlen sind Resultate von Tabellenkonsultationen, die blauen +ergeben sich durch Additionen, grün ist die Halbierungsoperation. +Alle acht Stellen des Resultates sind korrekt. +\end{beispiel} + +Das Verfahren funktioniert also, hat aber eine ganze Reihe von Nachteilen: +\begin{enumerate} +\item +Die Zahl der Operationen ist ziemlich gross. +Immerhin sind vier Tabellenkonsultationen nötig, drei Additionen und die +Halbierungsoperation. +\item +Es funktioniert nur für Zahlen zwischen $0$ und $1$. +Für Zahlen ausserhalb dieses Intervalls ist es die Aufgabe des +Anwenders, eine Skalierung vorzunehmen und sie später bei der Angabe +des Resultates wieder einfliessen zu lassen. +Das Quadrat von $2$ kann berechnet werden als +\(2^2 = 100 \cdot 0.2\cdot 0.2\), was mit dem Winkel +$\alpha=\beta=11.537^\circ$ möglich ist. +Das Resultat der Multiplikation nach obigem Verfahren ist dann +\[ +\frac12\bigl( +\sin(90^\circ-\alpha+\beta) +- +\sin(90^\circ-\alpha-\beta) +\bigr) += +\frac12\bigl( +1- +\sin 66.926^\circ +\bigr) += +\frac12( 1-0.9200) += +\frac12\cdot 0.08=0.04, +\] +woraus sich dann das Quadrat von $2$ als +$2^2 = 100\cdot 0.2^2 = 100\cdot 0.04 = 4$ +ergibt. +Dieser Nachteil gilt allerdings auch für Rechenverfahren mit Logarithmen +oder mit einem Rechenschieber, bei dem ebenfalls nur die Mantisse +berechnet wird, der Anwender ist selbst für die Bestimmung des Exponenten +verantwortlich. +\item +Es kann vorkommen, dass die Winkel $90^\circ-\alpha+\beta$ +und $90^\circ-\alpha-\beta$ nicht im Intervall zwischen $0$ und $90^\circ$ +liegen. +In diesem Fall ist eine zusätzliche Reduktion des Winkels nötig. +Falls der Winkel negativ ist, muss in den folgenden Schritt zusätzlich +das Vorzeichen berücksichtigt werden. +\end{enumerate} + + +\subsection{Die Erfindung der Logarithmen} +Die Lösung des Problems ist die Verwendung von Exponentialfunktionen +anstelle von trigonometrischen Funktionen. +Um das Produkt von zwei Zahlen $x$ und $y$ zu bestimmen, müssen erst +die Exponenten $\xi$ und $\eta$ bestimmt werden, für die $x=b^\xi$ +$y=b^\eta$ ist. +Das Produkt ist dann $xy = b^{\xi+\eta}$, es muss also die Summe +$\xi+\eta$ berechnet werden und aus einer Tabelle der Funktion +$b^\bullet$ kann dann das Produkt abgelesen werden. +Der Wert der Basis $b$ ist dabei noch frei und wurde auch von +den Erfindern der Logarithmen verschieden angegangen. + +\subsubsection{Die arithmetischen Progresstabulen von Jost Bürgi} +\begin{figure} +\centering +\includegraphics{chapters/020-exponential/images/Log_Calc-Figure7.jpeg} +\caption{Ausschnitt aus der ersten Seite von Jost Bürgis Tabelle der +Potenzen von $1.0001$ +\label{buch:exponential:log:fig:buergi1}} +\end{figure} +\begin{figure} +\centering +\includegraphics[width=0.92\textwidth]{chapters/020-exponential/images/buergiausschnitt.pdf} +\caption{Rekonstruktion der ersten Seite von Bürgis Tabelle aus +\cite{buch:hal} +\label{buch:exponential:log:fig:buergi2}} +\end{figure} +Der 1552 in Lichtensteig geborene schweizer Uhrmacher und Mathematiker +hat in seinem Werk +{\em Arithmetische und geometrische Progress Tabulen sambt gründlichem +unterricht, wie solche nützlich in allerley Rechnungen zugebrauchen +und verstanden werden soll}, welches 1620 in Prag erschien, +eine Tabelle aller Werte +\[ +10^8\cdot\biggl(1+\frac{1}{10000}\biggr)^n += +10^8 \biggl(\biggl(1+\frac{1}{10000}\biggr)^{10000}\biggr)^{n\cdot10^{-4}} +\] +für $n=0$ bis $n=23027$. +Die Abbildung~\ref{buch:exponential:log:fig:buergi1} +zeigt, einen Ausschnitt aus der ersten Seite von Bürgis Tabelle. +Die mit 10 multiplizierten Exponenten $n$ sind durchwegs als +{\color{red}rote} Zahlen dargestellt. +In jeder Spalten stehen 40 aufeinanderfolgende Werte, von Spalte +zu Spalten nimmt der Wert von $n$ um 500 zu. +Abbildung~\ref{buch:exponential:log:fig:buergi2} zeigt eine Rekonstruktion +der ersten Seite. + +Um mit der Bürgischen Tafel eine Multiplikation durchzuführen, +hat man also unter den schwarzen Zahlen Werte gesucht, +der möglichst nahe an den gegebenen Faktoren sind. +Dabei konnte die Genauigkeit noch gesteigert werden, indem zwischen +aufeinanderfolgenden Werten interpoliert wurde. +Die zugehörigen roten Zahlen wurden dann addiert und mit Hilfe der +Tabelle wieder die schwarzen Zahlen ermittelt. + +\begin{beispiel} +Die erste Seite \ref{buch:exponential:log:fig:buergi2} der Bürgischen +Tabelle umfasst natürlich nur einen sehr kleine Teil des ganzen Werkes, +trotzdem kann man daran den Gang der Rechnung illustrieren. +Um die beiden schwarzen Zahlen $x=1.0023$ und $y=1.0017$ miteinander +zu multiplizieren, sucht man die zugehörigen roten Zahlen in +der Tabelle +\[ +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{rclcr} + & &\text{schwarze Zahl}&&\text{{\color{red}rote Zahl}} \\ + x&=&1.0023 &\Rightarrow&{\color{red}2274}\\ + y&=&1.0017 &\Rightarrow&{\color{red}1686}\\ + xy&=&1.004039247 &\Leftarrow &{\color{red}3960} +%\text{exakt}&=&1.0040391 & & +\end{array} +\] +Das exakte Result ist $xy=1.0040391$. +\end{beispiel} + +Die roten Zahlen werden in heutiger Terminologie Logarithmen zur +Basis $b=1.0001$ im Wesentlichen genannt. +In der Tabelle werden die Werte von $b^n$ in Abhängigkeit von $n$ +angegeben, es wurde also direkt die Exponentialfunktion $b^\bullet$ +tabuliert. +In heutiger Sprechweise würde man dies als eine Antilogarithmentafel +bezeichnen. + +\subsubsection{John Napier und die natürlichen Logarithmen} +Der schottische Mathematiker John Napier (1550--1617) hat ein +ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, +natürliche Logarithmen mit hoher Genauigkeit von mindestens sieben +Stellen zu berechnen. +Ausserdem hat er den Logarithmen ihren Namen gegeben. + +Um die Genauigkeit von sieben Stellen zu erreichen, musste er von +einem Wert ausgehen, der nicht weiter als $10^{-7}$ von $1$ entfernt +ist. +Bürgi hat mit dem Wert $1+10^{-4}$ eine Genauigkeit von vier Stellen +erreicht, Napier startete seine Berechnung mit $1-10^{-7}$. +Er hat also eigentlich Logarithmen zur Basis $1/e$ bestimmt. + +Hätte Napier jedoch einfach nur das Verfahren von Bürgi auf die um +den Faktor $10^3$ höhere Genauigkeit angewendet, hätte er auch $10^3$ +mal mehr und somit über 23 Millionen Multiplikationen durchführen +müssen, im Laufe derer sich viel zu grosse Rundungsfehler akkumuliert +hätten. +Napier hat daher das gesamte Intervall in mehrer grössere Intervall +unterteilt, indem er mit statt nur den Faktor $a=1-10^{-7}=0.9999999$ +auch noch geometrische Folgen mit den Faktoren $b=1-10^{-5}=0.99999$ und +$c=1-5\cdot10^{-4}=0.9995$ verwendet hat. +Mit 4604 Gliedern der Folge $c^k$ konnte er tatsächlich das ganze +Intervall zwischen $0.1$ und $1$ geometrisch unterteilen. +Innerhalb jedes Teilintervalls kann dann eine Unterteilung mit +50 Gliedern der Folge $b^k$ aufteilen. +Und schliesslich liefern 100 Gleider der Folge $a^k$ eine geometrische +Unterteilung in jedes dieser Intervalle. +Auf diese Art kann erreicht werden, dass jeder Wert mit höchstens 4755 +Multiplikationen und damit ohne Kompromittierung der Genauigkeit durch +Rundungsfehler berechnet werden kann. + +Das Interpolationsverfahren, welches Napier zur Bestimmung seiner +Logarithmen entwickelt hat, hat auch die Entwicklung von Rechenschiebern +motiviert. + +\subsubsection{Dekadische Logarithmen nach Henry Briggs} +Henry Briggs (1561--1630) hat die Bedeutung der Napierschen +Logarithmen sofort erkannt und vorgeschlagen, statt der Basis $e$ +die Basis $10$ zu verwenden. +Der Vorteil der Basis 10 ist, dass Zahlen mit der gleichen +Mantisse in Gleitkommadarstellung zur Basis 10 Logarithmen haben, +die sich nur im eine Ganzzahl unterschieden, die gleichzeitig der +Unterschied der Exponenten ist. +Dies macht die Verwendung einer Logarithmentabelle sehr viel +intuitiver. + +Briggs hat ausserdem die numersiche Berechnung der Logarithmen +weiterentwickelt und innerhalb von 7 Jahren 30000 Logarithmen mit +einer Genauigkeit von 14 Stellen berechnet. +Die Methoden von Bürgi und Napier gingen davon aus, das Intervall, +in dem die Logarithmen bestimmt werden sollen, durch Konstruktion +einer geometrischen Folge zu unterteilen. +Zum Beispiel hat Bürgi das Intervall von $1$ bis $10$ mit Hilfe von +23027 Multiplikationen von $1.0001$ zu unterteilen. +Briggs fragte sich daher, ob sich eine Unterteilung auch in weniger +Schritten erreichen liesse. + +Welchen Faktor $a$ muss man nehmen, wenn man das Intervall von +$1$ bis $10$ geometrisch in zwei Teilintervalle unterteilen will. +Der Faktor $a$ muss $a^2=10$ erfüllen, also $a=\sqrt{10}$. +Somit haben wir in $\sqrt{10}$ einen Wert mit einem genau +bekannten Zehnerlogarithmus von $0.5$ gefunden. + +Durch Iteration dieser Idee kann man durch $n$-faches +wiederholtes Wurzelziehen die Zahlen mit den bekannten +Logarithmen $2^{-n}$ bestimmen. +Durch Darstellung eines Logarithmus im Binärsystem kann +man dann die zugehörige Zahl durch nur so viele Multiplikationen +bestimmen, wie Einsen in der Binärdarstellung des Logarithmus +vorkommen. +Damit ist der Rechenaufwand für die Berechnung einzelner +Logarithmen sehr viel kleiner also in den Methoden von Bürgi +und Napier. + +Die Briggssche Idee funktioniert besonders gut im Binärsystem, +wenn also Logarithmen für Zahlen zwischen $1$ und $2$ bestimmt +werden müssen. +Im Binärsystem ist Division durch $2$ besonders einfach, sie ist +einfach nur eine Verschiebung des Kommas. +Auch für die Berechnung der Quadratwurzel gibt es effiziente +binäre Algorithmen. + + + + + + diff --git a/buch/chapters/020-exponential/uebungsaufgaben/0.tex b/buch/chapters/020-exponential/uebungsaufgaben/0.tex index d1a5054..1f908bf 100644 --- a/buch/chapters/020-exponential/uebungsaufgaben/0.tex +++ b/buch/chapters/020-exponential/uebungsaufgaben/0.tex @@ -53,7 +53,8 @@ Lösungen, nämlich x = \begin{cases} -\displaystyle -1-\frac{1}{\log 3} W_0\biggl(-\frac{\log 3}{6}\biggr)&=-0.79011\\ +\displaystyle -1-\frac{1}{\log 3} W_0\biggl(-\frac{\log 3}{6}\biggr)&=-0.79011 +\\[8pt] \displaystyle -1-\frac{1}{\log 3} W_{-1}\biggl(-\frac{\log 3}{6}\biggr)&=\phantom{-}1.44456. \end{cases} \] diff --git a/buch/chapters/020-exponential/zins.tex b/buch/chapters/020-exponential/zins.tex index 7dd0431..81c68ef 100644 --- a/buch/chapters/020-exponential/zins.tex +++ b/buch/chapters/020-exponential/zins.tex @@ -3,11 +3,302 @@ % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostscheizer Fachhochschule % -\section{Exponentialfunktion als Grenzwert +\section{Exponentialfunktion \label{buch:exponential:section:grenzwert}} \rhead{Exponentialfunktion als Grenzwert} +Mit Hilfe von Potenzen und Wurzeln lassen sich die Potenzen $a^x$ +für beliebige rationale Zahlen $x=p/q\in\mathbb{Q}$ als +\[ +a^x = a^{\frac{p}{q}} = \root{q}\of{a^p} +\] +definieren. +Da $x\mapsto a^x$ stetig ist, ergibt sich daraus auch eine +stetige Funktion +$a^{\bullet}\colon \mathbb{R}\to\mathbb{R}:x\mapsto a^x$. +Dies ist aber als Basis für eine neue spezielle Funktion nicht +wirklich geeignet, da ausser $x$ auch die Basis variert werden kann. +Die arithmetischen Eigenschaften der Potenzfunktion erlauben aber, +jede der Funktionen $a^x$ auf jede andere $b^x$ zurückzuführen. +Ist $b=a^t$, dann dann ist $b^x = a^{tx}$. +Es stellt sich damit die Frage, ob es eine bevorzugte Basis gibt. -\subsection{Permanente Verzinsung} +\subsection{Zins und Eulerscher Grenzwert} +Wir ein Kapital $K_0$ mit dem Jahreszinssatz $x=100\%$ verzinst, +wächst es jedes Jahr um den Faktor $1+x$ an. +Teilt man die Zinsperiode in kleiner Intervall, zum Beispiel Monate +oder Tage, und passt auch den Zins entsprechend an, dann wächste +das Kapitel in einem Jahr auf +\[ +K = \biggl(1+\frac{x}{12}\biggr)^{12} +\qquad\text{und}\qquad +K = \biggl(1+\frac{x}{365}\biggr)^{365} +\] +an. +Für eine Unterteilung in $n$ Zinsperioden ist der Faktor also +\[ +\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n. +\] +Diese Beobachtung hat Jacob Bernoulli 1683 dazu geführt, den Grenzwert +\[ +\lim_{n\to\infty} \biggl(1+\frac1n\biggr)^n +\] +zu studieren, die später mit $e$ bezeichnet wurde. +Später hat Euler gezeigt, dass +\begin{equation} +\lim_{n\to\infty}\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n += +e^x +\label{buch:exponential:zins:eulerex} +\end{equation} +gilt. + +Tatsächlich gilt für ganzzahlige $x$, dass auch die Teilfolge +mit $n=xm$ konvergiert, dass also +\begin{align*} +\lim_{n\to\infty} +\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n +&= +\lim_{m\to\infty} +\biggl(1+\frac{x}{xm}\biggr)^{xm} += +\lim_{m\to\infty}\biggl(1+\frac{1}{m}\biggr)^{xm} +\intertext{sein muss. +Da die Funktion $a\mapsto a^x$ stetig ist, folgt weiter} +&=\biggl(\lim_{m\to\infty}\biggl(1+\frac1m\biggr)^m\biggr)^x. +\end{align*} +Ähnlich kann man für einen Bruch $x=p/q$ vorgehen. +Dazu berechnet man die $q$-te Potenz, wobei man wieder verwenden kann, +dass, die Funktion $a\mapsto a^q$ stetig ist. +So bekommt man +\begin{align*} +\biggl( +\lim_{n\to\infty} +\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n +\biggr)^q +&= +\lim_{n\to\infty} +\biggl(+\frac{p}{qn}\biggr)^{nq} += +\lim_{m\to\infty} +\biggl(1+\frac{p}{m}) +\biggr)^m += +e^p. +\end{align*} +Zieht man jetzt die $q$-te Wurzel, bekommt man +\[ +\lim_{n\to\infty}\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n = e^{\frac{p}{q}}. +\] +Da auch die Potenzfunktion $x\mapsto a^x$ stetig ist, folgt schliesslich, +dass für beliebige reelle $x\in\mathbb{R}$ die +Formel~\eqref{buch:exponential:zins:eulerex} gilt. + +\subsubsection{Approximation durch Jost Bürgi} +Jost Bürgi, Uhrmacher und Mathematiker aus Lichtensteig, +war einer der Erfinder der Logartihmen, für die er allerdings +noch keinen Namen hatte. +Er berechnete eine Tabelle aller Werte von +\[ +10^8\cdot(1+10^{-4})^n. +\] +Schreibt man +\[ +(1+10^{-4})^n += +\biggl(1+\frac{1}{10000}\biggr)^{1000\cdot n\cdot10^{-4}}, +\] +dann erkennt man, dass Bürgi die Potenzen der Approximation +\[ +\biggl(1+\frac{1}{1000}\biggr)^{1000} += +2.7181459 +\approx +2.7182818 +\] +von $e$ berechnet hat. +Die Wahl dieser Basis hat keine Auswirkungen auf die Genauigkeit +der Anwendung seiner Tabellen, da jede andere Basis genauso. + +\subsubsection{Störungen des Eulerschen Grenzwertes} +Der Grenzwert~\eqref{buch:exponential:zins:eulerex} +bleibt unverändert, wenn man den Term $x$ um einen zusätzlichen +Summanden $x_n$ modifiziert, der schnell genug gegen $0$ geht. + +\begin{lemma} +\label{buch:exponential:zins:perturbedeulerlimit} +Sei $x_n$ eine Folge $x_n\in\mathbb{R}$, die gegen $0$ konvergiert. +Dann gilt +\[ +\lim_{n\to\infty}\biggl(1+\frac{x+x_n}{n}\biggr)^n += +\lim_{n\to\infty}\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n += +e^x. +\] +\end{lemma} + +\begin{proof}[Beweis] +Für $\varepsilon>0$ gibt es ein $N$ derart, dass +\( |x_n| < \varepsilon \) +für alle $n>N$. +Da +\[ +\biggl( +1+\frac{x-\varepsilon}{n} +\biggr)^n +< +\biggl( +1+\frac{x+x_n}{n} +\biggr)^n +< +\biggl( +1+\frac{x+\varepsilon}{n} +\biggr)^n +\] +folgt +\[ +e^{x-\varepsilon} +\ge +\lim_{n\to\infty} +\biggl( +1+\frac{x+x_n}{n} +\biggr)^n +\le +e^{x+\varepsilon}. +\] +Da dies für alle $\varepsilon$ gilt, und die Funktion $x\mapsto e^x$ +stetig ist, folgt +\[ +\lim_{n\to\infty} \biggl(1+\frac{x+x_n}{n}\biggr)^n += +e^x, +\] +die Behauptung des Lemmas. +\end{proof} + +\subsubsection{Funktionalgleichung} +Die Definition der Exponentialfunktion als Potenz $e^x$ +hat automatisch zur Folge, +dass für beliebige reelle Zahlen +die Funktionalgleichung +\[ +e^x\cdot e^y += +e^{x+y} +\] +gilt. +Dies kann jedoch auch direkt aus dem +Grenzwert~\eqref{buch:exponential:zins:eulerex} +abgeleitet werden. +Dazu rechnet man +\begin{align*} +\lim_{n\to\infty}\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr)^n +\cdot +\lim_{m\to\infty}\biggl(1+\frac{x}{m}\biggr)^m +&= +\lim_{n\to\infty} +\biggl( +\biggl(1+\frac{x}{n}\biggr) +\biggl(1+\frac{y}{n}\biggr) +\biggr)^n +\\ +&= +\lim_{n\to\infty} +\biggl( 1+\frac{x+y}{n}+\frac{xy}{n^2} \biggr)^n +\\ +&= +\lim_{n\to\infty} +\biggl( 1+\frac{x+y+xy/n}{n}\biggr)^n. +\intertext{Der Term $x_n=xy/n$ konvergiert gegen $0$, daher ist nach dem +Lemma~\ref{buch:exponential:zins:perturbedeulerlimit} +} +&= +e^{x+y}. +\end{align*} +Damit ist die Funktionalgleichung bewiesen. + +\subsection{Potenzreihe} +Die übliche Definition der Exponentialfunktion verwendet eine Potenzreihe. + +\begin{definition} +\label{buch:exponential:zins:exppotenzreihe} +Die Potenzreihe +\[ +\exp(x) += +\sum_{k=0}^\infty \frac{x^k}{k!} +\] +definiert eine Funktion $\exp\colon \mathbb{C}\to\mathbb{C}$. +\end{definition} + +\subsubsection{Funktionalgleichung} +Auch für die Potenzreihendefinition lässt sich die Funktionalgleichung +direkt zu verifizieren. +Das Produkt von $\exp(x)$ und $\exp(y)$ ist +\begin{align*} +\exp(x)\cdot\exp(y) +&= +\sum_{k=0}^\infty \frac{x^k}{k!} +\cdot +\sum_{l=0}^\infty \frac{y^l}{l!} . +\intertext{Fasst man die Terme vom Grad $n$ zusammen, erhält man} +&= +\sum_{n=0}^\infty +\sum_{k=0}^n +\frac{1}{k!(n-k)!} +x^ky^{n-k}. +\intertext{Durch Erweitern mit $n!$ wird daraus} +&= +\sum_{n=0}^\infty +\frac{1}{n!} +\sum_{k=0}^n +\frac{n!}{k!(n-k)!} +x^ky^{n-k}. +\intertext{Der Quotient von Fakultäten ist der Binomialkoeffizient, so +dass die Summe mit dem Binomialsatz vereinfacht werden kann:} +&= +\sum_{n=0}^\infty +\frac{1}{n!} +\sum_{k=0}^n +\binom{n}{k} +x^ky^{n-k} += +\sum_{n=0}^\infty +\frac{1}{n!} +(x+y)^n += +\exp(x+y), +\end{align*} +damit ist die Funktionalgleichung nachgewiesen und es wird klar, dass +$\exp(x)$ eine Funktion der Form $a^x$ ist. + +\subsubsection{$\exp(x)$ und $e^x$} +Die Tatsache, dass $\exp(x)$ die Funktionalgleichung erfüllt, reicht +nicht aus um zu zeigen, dass $\exp(x)$ und $e^x$ dasselbe sind, +da jede beliebige Funktion $a^x$ diese Eigenschaft hat. +Wir können nur schliessen, dass $\exp(x)=\exp(1)^x$. +Wenn wir zeigen wollen, dass $\exp(x)$ und $e^x$ dasselbe sind, dann +müssen wir zeigen, dass $e=\exp(1)$ gilt. +Dazu formen wir den Eulerschen Grenzwert wie folgt um: +\begin{align*} +e=\biggl(1+\frac1n\biggr)^n +&= +\sum_{k=0}^n \binom{n}{k} \frac{1}{n^{n-k}} += +\sum_{k=0}^n \frac{1}{k!} \frac{n(n-1)\cdots(n-k+1)}{n^{n-k}} +\\ +&= +\sum_{k=0}^n \frac{1}{k!} +\underbrace{\frac{n}{n}}_{\displaystyle \downarrow\atop\displaystyle 1} +\cdot +\underbrace{\frac{n-1}{n}}_{\displaystyle\downarrow\atop\displaystyle 1} +\cdots +\underbrace{\frac{n-k+1}{n}}_{\displaystyle\downarrow\atop\displaystyle 1} +\to +\sum_{k=0}^\infty \frac{1}{k!} += +\exp(1) +\end{align*} +Damit ist gezeigt, dass $e=\exp(1)$ und damit auch $e^x=\exp(x)$ ist. -\subsection{Eulerscher Grenzwert} |