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author | JODBaer <55744603+JODBaer@users.noreply.github.com> | 2022-06-13 09:18:25 +0200 |
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committer | GitHub <noreply@github.com> | 2022-06-13 09:18:25 +0200 |
commit | 3010b2b87e56a8e2fbc2476b9971d9ef886f17a0 (patch) | |
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-rw-r--r-- | buch/chapters/060-integral/rational.tex | 203 |
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diff --git a/buch/chapters/060-integral/rational.tex b/buch/chapters/060-integral/rational.tex new file mode 100644 index 0000000..0ca164d --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/rational.tex @@ -0,0 +1,203 @@ +% +% rational.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Rationale Funktionen und Funktionenkörper +\label{buch:integral:subsection:rational}} +Welche Funktionen sollen als Antwort auf die Frage nach einer Stammfunktion +akzeptiert werden? +Polynome in der unabhängigen Variablen $x$ sollten sicher dazu gehören, +also alles, was man mit Hilfe der Multiplikation, Addition und Subtraktion +aus Koeffizienten zum Beispiel in den rationalen Zahlen $\mathbb{Q}$ und +der unabhängigen Variablen aufbauen kann. +Doch welche weiteren Operationen sollen zugelassen werden und was lässt +sich über die entstehende Funktionenmenge aussagen? + +\subsubsection{Körper} +Die kleinste Zahlenmenge, in der alle arithmetischen Operationen soweit +sinnvoll durchgeführt werden können, ist die Menge $\mathbb{Q}$ der +rationalen Zahlen. +Etwas formaler ist eine solche Menge, in der die Arithmetik uneingeschränkt +ausgeführt werden kann, ein Körper gemäss der folgenden Definition. +\index{Korper@Körper}% + +\begin{definition} +\label{buch:integral:definition:koerper} +Eine {\em Körper} ist eine Menge $K$ mit zwei Verknüpfungen $+$, die Addition, +und $\cdot$, die Multiplikation, +welche die folgenden Eigenschaften haben. +\begin{center} +\renewcommand{\tabcolsep}{0pt} +\begin{tabular}{p{68mm}p{4mm}p{68mm}} +%Eigenschaften der +Addition: +\begin{enumerate}[{\bf A}.1)] +\item assoziativ: $(a+b)+c=a+(b+c)$ +für alle $a,b,c\in K$ +\item kommutativ: $a+b=b+a$ +für alle $a,b\in K$ +\item Neutrales Element der Addition: es gibt ein Element $0\in K$ mit +der Eigenschaft $a+0=a$ für alle $a\in K$ +\item Additiv inverses Element: zu jedem Element $a\in K$ gibt es das Element +$-a$ mit der Eigenschaft $a+(-a)=0$. +\end{enumerate} +&&% +%Eigenschaften der +Multiplikation: +\begin{enumerate}[{\bf M}.1)] +\item assoziativ: $(a\cdot b)\cdot c=a\cdot (b\cdot c)$ +für alle $a,b,c\in K$ +\index{Assoziativgesetz}% +\index{assoziativ}% +\item kommutativ: $a\cdot b=b\cdot a$ +für alle $a,b\in K$ +\index{Kommutativgesetz}% +\index{kommutativ}% +\item Neutrales Element der Multiplikation: es gibt ein Element $1\in K$ mit +der Eigenschaft $a\cdot 1 =a$ für alle $a\in K$ +\index{neutrales Element}% +\item Multiplikativ inverses Element: zu jedem Element +\index{inverses Element}% +$a\in K^*=K\setminus\{0\}$ +gibt es das Element $a^{-1}$ mit der Eigenschaft $a\cdot a^{-1}=1$. +\index{Einheitengruppe}% +\index{Gruppe der invertierbaren Elemente}% +\end{enumerate} +\end{tabular} +\end{center} +\vspace{-22pt} +Ausserdem gilt das Distributivgesetz: für alle $a,b,c\in K$ gilt +$a\cdot(b+c)=a\cdot b + a\cdot c$. +\index{Disitributivgesetz}% +Die Menge $K^*$ heisst auch die {\em Einheitengruppe} oder die +{\em Gruppe der invertierbaren Elemente} des Körpers. +\end{definition} + +Das Assoziativgesetz {\bf A}.1 besagt, dass Summen mit beliebig +vielen Termen ohne Klammern geschrieben werden kann, weil es nicht +darauf ankommt, in welcher Reihenfolge die Additionen ausgeführt werden. +Ebenso für das Assoziativgesetz {\bf M}.1 der Multiplikation. +Die Kommutativgesetze {\bf A}.2 und {\bf M}.2 implizieren, dass man +nicht auf die Reihenfolge der Summanden oder Faktoren achten muss. +Das Distributivgesetz schliesslich besagt, dass man Produkte ausmultiplizieren +oder gemeinsame Faktoren ausklammern kann, wie man es in der Schule +gelernt hat. + +Die rellen Zahlen $\mathbb{R}$ und die komplexen Zahlen $\mathbb{C}$ +bilden ebenfalls einen Körper, die von den rationalen Zahlen geerbten +Eigenschaften der Verknüpfungen setzen sich auf $\mathbb{R}$ und +$\mathbb{C}$ fort. +Es lassen sich allerdings auch Zahlkörper zwischen $\mathbb{Q}$ und +$\mathbb{R}$ konstruieren, wie das folgende Beispiel zeigt. + +\begin{beispiel} +\label{buch:integral:beispiel:Qsqrt2} +Die Menge +\[ +\mathbb{Q}(\!\sqrt{2}) += +\{ +a+b\sqrt{2} +\;|\; +a,b\in \mathbb{Q} +\} +\] +ist eine Teilmenge von $\mathbb{R}$. +Die Rechenoperationen haben alle verlangten Eigenschaften, wenn gezeigt +werden kann, dass Produkte und Quotienten von Zahlen in $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ +wieder in $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ sind. +Dazu rechnet man +\begin{align*} +(a+b\sqrt{2}) +(c+d\sqrt{2}) +&= +ac + 2bd + (ad+bc)\sqrt{2} \in \mathbb{Q}(\!\sqrt{2}) +\intertext{und} +\frac{a+b\sqrt{2}}{c+d\sqrt{2}} +&= +\frac{a+b\sqrt{2}}{c+d\sqrt{2}} +\cdot +\frac{c-d\sqrt{2}}{c-d\sqrt{2}} += +\frac{ac-2bd +(-ad+bc)\sqrt{2}}{c^2-2d^2} +\\ +&= +\underbrace{\frac{ac-2bd}{c^2-2d^2}}_{\displaystyle\in\mathbb{Q}} ++ +\underbrace{\frac{-ad+bc}{c^2-2d^2}}_{\displaystyle\in\mathbb{Q}} +\sqrt{2} +\in \mathbb{Q}(\!\sqrt{2}). +\qedhere +\end{align*} +\end{beispiel} + +% +% Rationale Funktionen +% +\subsubsection{Rationalen Funktionen} +Die als Antworten auf die Frage nach einer Stammfunktion akzeptablen +Funktionen sollten alle rationalen Zahlen sowie die unabhängige +Variable $x$ enthalten. +Ausserdem sollte man beliebige arithmetische Operationen mit +diesen Ausdrücken durchführen können. +Mit Addition, Subtraktion und Multiplikation entstehen aus den +rationalen Zahlen und der unabhängigen Variablen die Polynome $\mathbb{Q}[x]$ +(siehe auch Abschnitt~\ref{buch:potenzen:section:polynome}). + + +\begin{definition} +Die Menge +\[ +\mathbb{Q}(x) += +\biggl\{ +\frac{p(x)}{q(x)} +\;\bigg|\; +p(x),q(x)\in\mathbb{Q}[x] +\wedge +q(x)\ne 0 +\biggr\}, +\] +bestehend aus allen Quotienten von Polynomen, deren Nenner nicht +das Nullpolynom ist, heisst der Körper der {\em rationalen Funktionen} +\index{rationale Funktion}% +mit Koeffizienten in $\mathbb{Q}$. +\end{definition} + +Die Definition erlaubt, dass der Nenner Nullstellen hat, die sich in +Polen der Funktion äussern. +Die Eigenschaften eines Körpers sind sicher erfüllt, wenn wir uns +nur davon überzeugen können, +dass die arithmetischen Operationen nicht aus dieser Funktionenmenge +herausführen. +Dazu muss man nur verstehen, dass die Operation des gleichnamig Machens +zweier Brüche auch für Nenner funktioniert, die Polynome sind, und die +Summe wzeier Brüche von Polynomen wieder in einen Bruch von Polynomen +umwandelt. + +% +% Warum rationale Zahlen? +% +\subsubsection{Warum die Beschränkung auf rationale Zahlen?} +Aus mathematischer Sicht gibt es gute Gründe, Analysis im Körper $\mathbb{R}$ +oder $\mathbb{C}$ zu betreiben. +Da Ableitung und Integral als Grenzwerte definiert sind, stellt diese +Wahl des Körpers sicher, dass die Grenzwerte auch tatsächlich existieren. +Der Fundamentalsatz der Algebra garantiert, dass über $\mathbb{C}$ +jedes Polynome in Linearfaktoren zerlegt werden kann. + +Der Einfachheit der Analyse in $\mathbb{R}$ oder $\mathbb{C}$ steht +die Schwierigkeit gegenüber, beliebige Elemente von $\mathbb{R}$ in +einem Computer exakt darzustellen. +Für Brüche in $\mathbb{Q}$ gibt es eine solche Darstellung durch +Paare von Ganzzahlen, wie sie die GNU Multiprecision Arithmetic Library +\cite{buch:gmp} realisiert. +Irrationale Zahlen dagegen können nur exakt gehandhabt werden, wenn +man im wesentlichen symbolisch mit ihnen rechnet. +Die Grundlage dafür wird in +Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:koerpererweiterungen} +gelegt. + + + |