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author | JODBaer <55744603+JODBaer@users.noreply.github.com> | 2022-06-13 09:18:25 +0200 |
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committer | GitHub <noreply@github.com> | 2022-06-13 09:18:25 +0200 |
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diff --git a/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex b/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex new file mode 100644 index 0000000..787cfc9 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex @@ -0,0 +1,480 @@ +% +% sqrat.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Integranden der Form $R(x,\sqrt{ax^2+bx+c})$ +\label{buch:integral:subsection:rxy}} +Für rationale Funktionen lässt sich immer eine Stammfunktion in einem +Erweiterungskörper angeben, der durch hinzufügen einzelner logarithmischer +Funktionen entsteht. +Die dabei verwendeten Techniken lassen sich verallgemeinern. +Zur Illustration und Motivation des später beschriebenen Risch-Algorithmus +stellen wir uns in diesem Abschnitt der Aufgabe, Integrale +mit einem Integranden zu berechnen, der eine rationale Funktion von $x$ +und $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist. + +% +% Aufgabenstellung +% +\subsubsection{Aufgabenstellung} +Eine rationale Funktion von $x$ und $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist ein +Element des Differentialkörpers, den man aus $\mathbb{Q}(x)$ durch +hinzufügen des Elementes +\[ +y=\sqrt{ax^2+bx+c} +\] +erhält. +Eine Funktion $f\in\mathbb{Q}(x,y)$ kann geschrieben werden als Bruch +\begin{equation} +f += +\frac{ +\tilde{p}_0 + \tilde{p}_1y + \dots + \tilde{p}_n y^n +}{ +\tilde{q}_0 + \tilde{q}_1y + \dots + \tilde{q}_m y^m +} +\label{buch:integral:sqrat:eqn:ftilde} +\end{equation} +mit rationalen Koeffizienten $\tilde{p}_i,\tilde{q}_i\in\mathbb{Q}(x)$. +Gesucht ist eine Stammfunktion von $f$. + +% +% Algebraische Vereinfachungen +% +\subsubsection{Algebraische Vereinfachungen} +Da $x^2=ax^2+bx+c$ ein Polynom ist, sind auch alle geraden Potenzen +von $y$ Polynome in $\mathbb{Q}(x)$, +und die ungeraden Potenzen von $y$ lassen sich als Produkt aus einem +Polynom und dem Faktor $y$ schreiben. +Der Integrand~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:ftilde} +lässt sich daher vereinfachen zu einem Bruch der Form +\begin{equation} +f(x) += +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y}, +\label{buch:integral:sqrat:eqn:moebius} +\end{equation} +wobei $p_i$ und $q_i$ rationale Funktionen in $\mathbb{Q}(x)$ sind. + +% +% Rationalisieren +% +\subsubsection{Rationalisieren} +Unschön an der Form~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:moebius} ist die +Tatsache, dass $y$ sowohl im Nenner wie auch im Zähler auftreten kann. +Da aber $y$ die quadratische Identität $y^2=ax^2+bx+c$ erfüllt, +kann das $y$ im Nenner durch Erweitern mit $q_0-q_1y$ zum verschwinden +gebracht werden. +Die Rechnung ergibt +\begin{align*} +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y} +&= +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y} +\cdot +\frac{q_0-q_1y}{q_0-q_1y} += +\frac{(p_0+p_1y)(q_0-q_1y)}{q_0^2-q_1^2y^2} +\\ +&= +\frac{p_0q_0-p_1q_1(ax^2+bx+c)}{q_0^2-q_1^2(ax^2+bx+c)} ++ +\frac{q_0p_1-q_1p_0}{q_0^2-q_1^2(ax^2+bx+c)} y. +\end{align*} +Die Quotienten enthalten $y$ nicht mehr, sind also in $\mathbb{Q}(x)$. +In der späteren Rechnung stellt sich heraus, dass es praktischer ist, +das $y$ im Nenner zu haben, was man durch erweitern mit $y$ wieder +unter Ausnützung von $y^2=ax^2+bx+c$ erreichen kann. +Die zu integrierende Funktion kann also in der Form +\begin{equation} +f(x) += +W_1 + W_2\frac{1}{y} +\label{buch:integral:sqint:eqn:w1w2y} +\end{equation} +geschrieben werden mit rationalen Funktionen +$W_1,W_2\in\mathbb{Q}(x)$. +Eine Stammfunktion von $W_1$ kann mit der Methode von +Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:rationalefunktionen} +gefunden werden. +Im Folgenden kümmern wir uns daher nur noch um $W_1$. + +% +% Polynomdivision +% +\subsubsection{Polynomdivision} +Die Funktion $W_2$ in \eqref{buch:integral:sqint:eqn:w1w2y} ist eine +rationale Funktion $W_2\in \mathbb{K}(x)$, also ein Bruch mit Polynomen +in $x$ als Zähler und Nenner. +Durch Polynomdivision mit Rest können wir $W_2$ schreiben als +\[ +W_1 = \varphi + W_3, +\] +wobei $\varphi$ ein Polynom in $x$ ist und $W_3$ eine rationale +Funktion, deren Zählergrad kleiner ist als der Nennergrad. +Zur Bestimmung der Stammfunktion bleibt jetzt nur noch +\begin{equation} +\int W_2\frac{1}{y} += +\int \frac{\varphi}{y} ++ +\int W_3\frac1{y} +\label{buch:integral:sqint:eqn:Wy} +\end{equation} +zu berechnen. + +% +% Integranden der Form $\varphi(x)/y$ +% +\subsubsection{Integranden der Form $\varphi(x)/y$} +Der erste Term in~\eqref{buch:integral:sqint:eqn:Wy} ist ein Integral eines +Quotienten eines Polynoms geteilt durch $y$. +Solche Integrale können, wie im Folgenden gezeigt werden soll, reduziert +werden auf das Integral von $1/y$. +Genauer gilt der folgende Satz. + +\begin{satz} +\label{buch:integral:sqint:satz:polyy} +Sei $\varphi\in\mathcal{K}(x)$ ein Polynom in $x$, dann gibt +es ein Polynom $\psi\in\mathcal{K}(x)$ vom Grad $\deg\psi < \deg\varphi$, +und $A\in\mathcal{K}$ derart, dass +\begin{equation} +\int \frac{\varphi}{y} += +\psi y + A\int\frac{1}{y}. +\label{buch:integral:sqint:eqn:phipsi} +\end{equation} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Wir schreiben die Polynome in der Form +\begin{align*} +\varphi +&= +\varphi_mx^m + \varphi_{m-1}x^{m-1} + \dots + \varphi_2x^2 + \varphi_1x + \varphi_0 +\\ +\psi +&= +\phantom{\varphi_mx^m+\mathstrut} +\psi_{m-1}x^{m-1} + \dots + \psi_2x^2 + \psi_1x + \psi_0 +\intertext{mit der Ableitung} +\psi' +&= +\phantom{\varphi_mx^m+\mathstrut} +\psi_{m-1}(m-1)x^{m-2} + \dots + 2\psi_2x + \psi_1. +\end{align*} +Wir leiten die Gleichung~\eqref{buch:integral:sqint:eqn:phipsi} +nach $x$ ab und erhalten +\begin{align*} +\frac{\varphi}{y} +&= +\psi'y + \psi y' + \frac{A}{y} += +\psi'y + \psi \frac{ax+b/2}{y} + \frac{A}{y}. +\intertext{Durch Multiplikation mit $y$ wird die Gleichung wesentlich +vereinfacht zu} +\varphi +&= +\psi' y^2 + \psi y' y + A += +\psi' \cdot(ax^2+bx+c) + \psi\cdot (ax+b/2) + A. +\end{align*} +Auf beiden Seiten stehen Polynome, man kann daher versuchen, die +Koeffizienten von $\psi$ mit Hilfe eines Koeffizientenvergleichs zu +bestimmen. +Dazu müssen die Produkte auf der rechten Seite ausmultipliziert werden. +So ergeben sich die Gleichungen +\begin{equation} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{lcrcrcrcrcrcrcr} +\varphi_m +&=& +(m-1)\psi_{m-1} a &+& & & +&+& +\psi_{m-1} a & & & & +\\ +\varphi_{m-1} +&=& +(m-2)\psi_{m-2}a +&+& +(m-1)\psi_{m-1}b +& & +&+& +\psi_{m-2}a +&+& +\psi_{m-1}\frac{b}2 +& & +\\ +\varphi_{m-2} +&=& +(m-3)\psi_{m-3}a +&+& +(m-2)\psi_{m-2}b +&+& +(m-1)\psi_{m-1}c +&+& +\psi_{m-3}a +&+& +\psi_{m-2}\frac{b}2 +& & +\\ +&\vdots&&&&&&&&&&& +\\ +\varphi_2 +&=& +\psi_{1\phantom{-m}}a +&+& +2\psi_{2\phantom{-m}}b +&+& +3\psi_{3\phantom{-m}}c +&+& +\psi_{1\phantom{-m}}a +&+& +\psi_{2\phantom{-m}}\frac{b}2 +& & +\\ +\varphi_1 +&=& +& & +\psi_{1\phantom{-m}}b +& & +2\psi_{2\phantom{-m}}c +&+& +\psi_{0\phantom{-m}}a +&+& +\psi_{1\phantom{-m}}\frac{b}2 +\\ +\varphi_0 +&=& +& & +& & +\psi_{1\phantom{-m}}c +& & +&+& +\psi_{0\phantom{-m}}\frac{b}2 +&+&A +\end{array} +\end{equation} +In jeder Gleichung kommen hächstens drei der Koeffizienten von $\psi$ vor. +Fasst man sie zusammen und stellt die Terme etwas um, +erhält man die einfacheren Gleichungen +\begin{equation} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\renewcommand{\arraystretch}{1.3} +\begin{array}{lcrcrcrcrcrcrcr} +\varphi_m +&=& +(m-0){\color{red}\psi_{m-1}}a & & & & +& & +\\ +\varphi_{m-1} +&=& +(m-1+\frac12)\psi_{m-1}b +&+& +(m-1){\color{red}\psi_{m-2}}a +& & +& & +\\ +\varphi_{m-2} +&=& +(m-1)\psi_{m-1}c +&+& +(m-2+\frac12)\psi_{m-2}b +&+& +(m-2){\color{red}\psi_{m-3}}a +& & +\\ +&\vdots&&&&&&&&&&& +\\ +\varphi_2 +&=& +3\psi_{3\phantom{-m}}c +&+& +(2+\frac12)\psi_{2\phantom{-m}}b +&+& +2{\color{red}\psi_{1\phantom{-m}}}a +& & +\\ +\varphi_1 +&=& +2\psi_{2\phantom{-m}}c +&+& +(1+\frac12)\psi_{1\phantom{-m}}b +&+& +{\color{red}\psi_{0\phantom{-m}}}a +& & +\\ +\varphi_0 +&=& +\psi_{1\phantom{-m}}c +& & +&+& +(0+\frac12) \psi_{0\phantom{-m}}b +&+&{\color{red}A} +\end{array} +\end{equation} +Die erste Gleichung kann wegen $a\ne 0$ nach $\psi_{m-1}$ aufgelöst werden, +dadurch ist $\psi_{m-1}$ bestimmt. +In allen folgenden Gleichungen taucht jeweils ein neuer Koeffizient +von $\psi$ auf, der rot hervorgehoben ist. +Wieder wegen $a\ne 0$ kann die Gleichung immer nach dieser Variablen +aufgelöst werden. +Die Gleichungen zeigen daher, dass die Koeffizienten des Polynoms $\psi$ +in absteigender Folge und die Konstanten $A$ eindeutig bestimmt werden. +\end{proof} + +Mit diesem Satz ist das Integral über den Teil $\varphi/y$ auf den +Fall des Integrals von $1/y$ reduziert. +Letzteres wird im nächsten Abschnitt berechnet. + +% +% Das Integral von $1/y$ +% +\subsubsection{Das Integral von $1/y$} +Eine Stammfunktion von $1/y$ kann mit etwas Geschick mit den +Interationstechniken gefunden werden, die man in einem Analysis-Kurs +lernt. +Durch Ableitung der Funktion +\[ +F += +\frac{1}{\sqrt{a}}\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr) +\] +kann man nachprüfen, dass $F$ eine Stammfunktion von $1/y$ ist, +also +\begin{equation} +\int +\frac{1}{y} += +\frac{1}{\sqrt{a}}\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr). +\end{equation} + +% +% Partialbruchzerlegung +% +\subsubsection{Partialbruchzerlegung} +In der rationalen Funktion $W_3$ in \eqref{buch:integral:sqint:eqn:Wy} +hat der Zähler kleineren Grad als der Nenner, sie kann daher wieder +in Partialbrüche +\[ +W_3 += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +\frac{A_{ik}}{(x-\alpha_i)^k} +\] +mit den Nullstellen $\alpha_i$ des Nenners von $W_3$ mit Vielfachheiten +$k_i$ zerlegt werden. +Die Stammfunktion von $W_3/y$ wird damit zu +\begin{equation} +\int W_3\frac{1}{y} += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +A_{ik} +\int +\frac{1}{(x-\alpha_i)^ky} += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +A_{ik} +\int +\frac{1}{(x-\alpha_i)^k \sqrt{ax^2+bx+c}}. +\end{equation} +Die Stammfunktion ist damit reduziert auf Integrale der Form +\begin{equation} +\int +\frac{1}{(x-\alpha)^k \sqrt{ax^2+bx+c}} +\label{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +\end{equation} +mit $k>0$. + +% +% Integrale der Form \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +% +\subsubsection{Integrale der Form \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart}} +Die Integrale~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +können mit Hilfe der Substution +\[ +t=\frac{1}{x-\alpha} +\qquad\text{oder}\qquad +x=\frac1t+\alpha +\] +In ein Integral verwandelt werden, für welches bereits eine +Berechnungsmethode entwickelt wurde. +Dazu berechnet man +\begin{align*} +y^2 +&= a\biggl(\frac1t+\alpha\biggr)^2 + b\biggl(\frac1t+\alpha\biggr) + c +\\ +&= +a\biggl(\frac{1}{t^2}+2\frac{\alpha}{t}+\alpha^2\biggr) ++\frac{b}{t}+b\alpha+c += +\frac{1}{t^2}\bigl( +\underbrace{a+(2a\alpha+b)t+(a\alpha^2+c)t^2}_{\displaystyle=Y^2} +\bigr) +\intertext{und damit} +y&=\frac{Y}{t}. +\end{align*} +Führt man die Substition +$dx = -dt/t^2$ im Integral aus, erhält man +\begin{align*} +\int\frac{dx}{(x-\alpha)^ky} +&= +- +\int +t^k\cdot\frac{t}{Y}\frac{dt}{t^2} += +-\int\frac{t^{k-1}}{Y}\,dt. +\end{align*} +Das letzte Integral ist wieder von der Form, die in +Satz~\ref{buch:integral:sqint:satz:polyy} behandelt wurde. +Insbesondere gibt es ein Polynom $\psi$ vom Grad $k-2$ und +eine Konstante $A$ derart, dass +\[ +\int\frac{1}{(x-\alpha)^ky} += +\psi Y + A\int\frac{1}{Y} +\] +ist. +Damit ist das Integral von $R(x,y)$ vollständig bestimmt. + +\subsubsection{Beobachtungen} +Die eben dargestellte Berechnung des Integrals von $R(x,y)$ zeigt einige +Gemeinsamkeiten mit der entsprechenden Rechnung für rationale +Integranden, aber auch einige wesentliche Unterschiede. +Wieder zeigt sich, dass Polynomdivision und Partialbruchzerlegung +die zentralen Werkzeuge sind, mit denen der Integrand zerlegt und +leichter integrierbare Funktionen umgeformt werden kann. +Andererseits ist der in +Satz~\ref{buch:integral:sqint:satz:polyy} +zusammengefasste Schritt eine wesentliche zusätzliche Vereinfachung, +die keine Entsprechung bei rationalen Integranden hat. + +Die gefunden Form der Stammfunktion hat jedoch die allgemeine +Form +\[ +\int R(x,y) += +v_0 + +C +\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr) ++ +\sum_{i=1}^n c_i +\log v_i, +\] +die ganz der bei rationalen Integranden gefunden Form entspricht. +Darin ist $v_0$ die Summe der angefallenen rationalen Teilintegrale, +also $v_0\in\mathcal{K}(x,y)$. +Die $v_i\in\mathcal{K}(x,y)$ sind die entsprechenden Logarithmusfunktionen, +die bei der Berechnung der Integrale \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +auftreten. +Insbesondere liefert die Rechnung eine Körpererweiterung von +$\mathcal{K}(x,y)$ um die logarithmische Funktionen +$\log(x+b/2a+y/\!\sqrt{y})$ und $\log v_i$, in der $R(x,y)$ eine +Stammfunktion hat. + + + + |