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author | Andreas Müller <andreas.mueller@ost.ch> | 2021-11-30 17:25:41 +0100 |
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committer | Andreas Müller <andreas.mueller@ost.ch> | 2021-11-30 17:25:41 +0100 |
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-rw-r--r-- | buch/chapters/090-pde/kreis.tex | 219 |
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diff --git a/buch/chapters/090-pde/kreis.tex b/buch/chapters/090-pde/kreis.tex new file mode 100644 index 0000000..a54ce38 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/090-pde/kreis.tex @@ -0,0 +1,219 @@ +% +% kreis.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Kreisförmige Membran +\label{buch:pde:section:kreis}} +In diesem Abschnitt soll die Differentialgleichung einer kreisförmigen +Membran mit Hilfe der Separationsmethode gelöst werden. +Dabei werden die Bessel-Funktionen als Lösungsfunktionen +auftreten und die Eigenfrequenzen werden durch ihre Nullstellen +berechnet. + +\subsection{Differentialgleichung und Randbedingung} +Die Wellengleichung auf einem Kreisgebiet mit Radius $r_0$ +lässt sich am besten mit Hilfe von Polarkoordinaten $(r,\varphi)$ +ausdrücken. +Gesucht ist also eine Funktion $u(t,r,\varphi)$ gesucht, wobei +$0\le r<r_0$ und $0\le \varphi\le 2\pi$. +Die Funktion muss eine Lösung der Wellengleichung +\[ +\frac{1}{c^2}\frac{\partial^2u}{\partial t^2} = \Delta u +\] +sein. + +Der Laplace-Operator hat in Polarkoordinaten die Form +\begin{equation} +\Delta += +\frac{\partial^2}{\partial r^2} ++ +\frac1r +\frac{\partial}{\partial r} ++ +\frac{1}{r 2} +\frac{\partial^2}{\partial\varphi^2}. +\label{buch:pde:kreis:laplace} +\end{equation} +Die Differentialgleichung ist +\[ +\frac{1}{c^2} \frac{\partial^2 u}{\partial t^2} += +\Delta u. +\] +Die Separation der Zeit führt auf die Eigenwertgleichung +\[ +\Delta U(r,\varphi) = -\lambda^2 U(r,\varphi) +\] +für eine Funktion, die nur von $r$ und $\varphi$ abhängt. + +Die Randbedingungen besagen, dass $u(t,r_0,\varphi)=0$ für $t>0$. +Dies bedeutet für die Funktion $U(r,\varphi)$, dass +$U(r_0,\varphi)=0$ sein muss für alle $\varphi$. + +Die Bedingungen an $U$ reichen aber nicht ganz. +Alle Koordinaten $(0,\varphi)$ bezeichnen ja gleichermassen +den Nullpunkt des Koordinatensystems, es muss also auch sichergestellt +sein, dass $U(0,\varphi)$ für alle $\varphi$ den gleichen Wert gibt. + +\subsection{Separation} +Das Eigenwertproblem $\Delta U=-\lambda^2 U$ soll jetzt in Polarkoordinaten +separiert werden. +Dazu schreiben wir die Lösung als +\[ +U(r,\varphi) += +R(r)\cdot \Phi(\varphi). +\] +Die Randbedingungen an $U$ werden zu $R(r_0)=0$. + +Im Ursprung des Koordinatensystems ist die Randbedingung etwas +komplizierter. +Wenn $R(0)=0$ ist, dann ist sichergestellt, dass +$U(0,\varphi)=R(0)\Phi(\varphi)0$ ist, dass also der Wert unabhängig +ist von $\varphi$. +Wenn aber $R(0)\ne 0$ ist, dann kann die geforderte Unabhängigkeit +von $\varphi$ nur erfüllt werden, wenn $\Phi(\varphi)$ konstant ist. +Da die Funktion aber auch noch differenzierbar sein soll, darf es +an der Stelle $r=0$ keine ``Spitze'' geben, die Ableitung $R'(0)$ +muss also auch $=0$ sein. +% XXX Evtl Bild zur Illustration dieses Problems + +Die Differntialgleichungen wird mit der Form~\eqref{buch:pde:kreis:laplace} +des Laplace-Operators +\[ +\Delta U += +R''(r) \Phi(\varphi) ++ +\frac1r R'(r)\Phi(\varphi) ++ +\frac{1}{r^2} R(r)\Phi''(\varphi) += +-\lambda^2 +R(r)\Phi(\varphi) +\] +Nach Division durch die rechte Seite erhalten wir +\[ +\frac{R''(r)}{R(r)} ++ +\frac1r \frac{R'(r)}{R(r)} ++ +\frac{1}{r^2} \frac{\Phi''(\varphi)}{\Phi(\varphi)} += +-\lambda^2 +\] +Im letzten Term auf der linken Seite kommen die Variablen $r$ und $\varphi$ +gemischt vor, man muss also die Gleichung erst mit $r^2$ multiplizieren, +bevor man sie in +\[ +\frac{r^2R''(r)+rR'(r)+\lambda^2 r^2R(r)}{R(r)} += +-\frac{\Phi''(\varphi)}{\Phi(\varphi)} +\] +separieren kann. +Die beiden Seiten sind also konstant, wir nennen die gemeinsame +Konstanten $\mu^2$, das vereinfacht die Lösung der Gleichung +für $\Phi(\varphi)$. + +Die Gleichung für $\Phi$ hat für $\mu\ne 0$ die Lösungen +\begin{align*} +\Phi(\varphi) &= \cos\mu\varphi +\text{und}\qquad +\Phi(\varphi) &= \sin\mu\varphi. +\end{align*} +Die Lösung muss aber auch stetig sein, d.~h.~es muss $\Phi(0)=\Phi(2\pi)$ +gelten. +Dies ist nur möglich, wenn $\mu$ eine ganze Zahl ist. + +Für $\mu=0$ hat das charakteristische Polynome eine doppelte Nullstelle, +die allgemeine Lösung lautet daher +\[ +\Phi(\varphi)= C \varphi + D. +\] +Die Funktion $\Phi$ muss aber auch stetig sein, d.~h.~$\Phi(0)=\Phi(2\pi)$, +das ist mit $C\ne 0$ nicht möglich, somit kommt für $\mu=0$ nur die +Lösung $\Phi(\varphi)=D$ in Frage. + +Die Gleichung für $R(r)$ wird jetzt +\begin{equation} +r^2R''(r) + rR'(r)+(\lambda^2 r^2-\mu^2)R(r) += +0. +\label{buch:pde:kreis:Rdgl} +\end{equation} +Bis auf den Faktor $\lambda^2$ ist dies eine Besselsche Differentialgleichung. + +\subsection{Umformung in eine Besselsche Differentialgleichung} +Die Funktion $y(x) = J_\mu(sx)$ hat die Ableitungen +\begin{align*} +y'(x) &= sJ'_mu(sx) +\\ +y''(x) &= s^2J''_\mu(sx) +\end{align*} +Setzt man dies in die Besselsche Differentialgleichung für $J_\mu$ an +der Stelle $sx$ ein, erhält man +\[ +s^2x^2 J''_\mu(sx) + sx J'_\mu(sx) + (s^2x^2 -\mu^2) J_\mu(sx) = 0. +\] +Die Differentialgleichung \eqref{buch:pde:kreis:Rdgl} der Funktion $R(r)$ +wird also gelöst von den Funktionen $R(r) = J_\mu(\lambda r)$. + +\subsection{Eigenfrequenzen} +Im vorangegangenen Abschnitt haben wir gefunden, dass die Lösungen +für $R(r)$ die Funktionen $J_\mu(\lambda r)$ sind. +Bis jetzt haben wir aber nicht nachgeprüft, dass die Randbedingung +eingehalten wird. +Diese ist erfüllt, $R(r_0)=0$ ist. +Es muss also +$J_\mu(\lambda r_0)=0$ sein, oder $\lambda r_0$ muss eine +Nullstelle von $J_{\mu}$ sein. +Bezeichnen wir die Nullstellen von $J_\mu$ mit $j_{\mu k}$, wobei $k$ +eine natürliche Zahl ist, dann muss +\[ +\lambda = \frac{j_{\mu k}}{r_0} +\] +sein. +Die Eigenfrequenzen der kreisförmigen Membran werden also im Wesentlichen +durch die Nullstellen der Bessel-Funktionen gegeben. + +Zu jedem ganzzahligen $\mu$ gibt es also eine Folge $j_{\mu k}/r_0$ von +Eigenfrequenzen. +Die Lösungen mit Index $k$ der Differentialgleichung mit Index $k$ hat +die Form +\[ +U_{\mu k}(r,\varphi) += +C \cos(\mu \varphi+\delta) +J_{\mu}\biggl( +\frac{j_{\mu k}}{r_0}r +\biggr) +\] +Der Faktor $J_{\mu}$ hat $k$ weitere Nullstellen für Radien $r<r_0$,diese +gehören zu kreisförmigen Knotenlinien der Membran, dort bewegt sie sich +nicht. +Der Faktor $\cos(\mu\varphi+\delta)$ hat $2\mu$ Nullstellen im Intervall +$[0,2\pi)$, es gibt also noch zusätzlich $\mu$ diametrale Knotenlinien. +Nur für $\mu=0$ gibt es Lösungen, die keine radialen Knotenlinien haben, +da in diesem Fall $\Phi$ eine konstante Funktion sein muss. + +\begin{table} +\centering +\input{chapters/090-pde/bessel/besselzeros.tex} +\caption{Nullstellen der Bessel-Funktionen +\label{buch:pde:kreis:table:besselzeros}} +\end{table} + +\begin{figure} +\centering +\includegraphics[width=\textwidth]{chapters/090-pde/bessel/pauke.pdf} +\caption{Vorzeichen der Lösungsfunktionen und Knotenlinien +für verschiedene Werte von $\mu$ und $k$. +Die Bereiche, in denen die Lösungsfunktion positiv sind, ist +rot dargestellt, die negativen Bereiche blau. +In jeder Darstellung gibt es genau $k+\mu$ Knotenlinien. +Die Radien der kreisförmigen Knotenlinien müssen aus den Nullstellen +der Besselfunktionen berechnet werden. +\label{buch:pde:kreis:fig:pauke}} +\end{figure} |