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authorAndreas Müller <andreas.mueller@ost.ch>2022-02-21 08:46:55 +0100
committerAndreas Müller <andreas.mueller@ost.ch>2022-02-21 08:46:55 +0100
commitaa531bcba622703a3000793cca2e9e0f36a1337f (patch)
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-rw-r--r--buch/chapters/080-funktionentheorie/carlson.tex171
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new file mode 100644
index 0000000..1923351
--- /dev/null
+++ b/buch/chapters/080-funktionentheorie/carlson.tex
@@ -0,0 +1,171 @@
+%
+% carlson.tex
+%
+% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule
+%
+\subsection{Der Satz von Carlson
+\label{buch:funktionentheorie:subsection:satz-von-carlson}}
+In Abschnitt~\ref{buch:rekursion:section:gamma} wurde gezeigt,
+wie die Gamma-Funktion $\Gamma(x)$ konstruiert werden kann, die
+in ganzzahligen Argumenten mit der Fakultät zusammenfällt.
+Es wurde auch gezeigt, dass $\Gamma(x)+\sin(\pi x)$ eine
+weitere Funktion mit dieser Eigenschaft ist.
+Die Integraldefinition der
+Gamma-Funktion~\ref{buch:rekursion:def:gamma} zeigt, dass
+die Gamma-Funktion holomorph ist.
+Der folgende Satz von Carlson zeigt jetzt, dass sich
+zwei solche Lösungen um eine unbeschränkte Funktion
+unterscheiden müssen.
+
+\begin{satz}[Carlson]
+\label{buch:funktionentheorie:satz:carlson}
+Ist $f(z)$ eine holomorphe Funktion, die für $\operatorname{R}z\ge 0$
+beschränkt ist und an den Stellen $z=1,2,3,\dots$ verschwindet.
+Dann ist $f(z)=0$.
+\end{satz}
+
+\begin{figure}
+\centering
+\includegraphics{chapters/080-funktionentheorie/images/carlsonpath.pdf}
+\caption{Pfad zum Beweis des Satzes \ref{buch:funktionentheorie:satz:carlson}
+von Carlson.
+\label{buch:funktionentheorie:fig:carlsonpath}}
+\end{figure}
+
+\begin{proof}[Beweis]
+Da $f(1)=f(2)=f(3)=\dots=0$ ist auch die Funktion
+\[
+g_n(z) = \frac{f(z)}{(z-1)(z-2)\cdot\ldots\cdot(z-n)}
+\]
+eine holomorphe Funktion.
+Für $|z|>n$ ist jeder Faktor im Nenner betragsmässig $>1$,
+also ist $g_n(z)$ in der rechten Halbebene nicht nur beschränkt,
+es gilt sogar
+\[
+|g_n(z)| =\frac{|f(z)|}{|z-1|\cdot|z-2|\cdot\ldots\cdot|z-n|}
+\le \frac{M}{(|z|-n)^n}
+=
+O\biggl(\frac{1}{|z|^n}\biggr)
+\qquad\text{für $|z|\to\infty$}.
+\]
+Mit dem Cauchy-Integralsatz kann man jetzt $g_n(a)$ für einen
+Punkt $a$ in der rechten Halbebene berechnen, er ist
+\begin{equation}
+g_n(a)
+=
+\frac{1}{2\pi i}
+\oint_{\gamma} \frac{g_n(z)}{z-a}\,dz
+=
+\frac{f(a)}{(a-1)(a-2)\cdot\ldots\cdot(a-n)},
+\label{buch:funktionentheorie:proof:eqn:gna}
+\end{equation}
+wobei $\gamma$ ein Pfad ist, der $a$ umschliessen muss.
+
+Als Pfad wählen wir einen Halbkreis $C_1$ vom Radius $R$ um den Nullpunkt
+und das Segment von $-iR$ bis $iR$, dargestellt in
+Abbildung~\ref{buch:funktionentheorie:fig:carlsonpath}.
+% XXX Bild des Pfades
+Das Integral über den Halbkreis kann durch
+\begin{align*}
+\biggl|
+\frac{1}{2\pi i}
+\int_{C_1} \frac{f(z)}{(z-a)(z-1)(z-2)\cdot\ldots\cdot(z-n)}\,dz
+\biggr|
+&\le
+\frac1{2\pi} \max_{|z|=R\wedge\operatorname{Re}z\ge 0}
+\frac{M}{|z-a|\cdot|z-1|\cdot|z-2|\cdot\ldots\cdot|z-n|}\pi R
+\\
+&\le
+\frac{M\pi R}{(R-n)^n}
+\end{align*}
+abgeschätzt werden.
+Die rechte Seite geht für $n>1$ gegen $0$ wenn $R\to\infty$ geht.
+Das Integral über den Kreisbogen $C_1$ trägt also nichts bei zum
+Integral~\eqref{buch:funktionentheorie:proof:eqn:gna}
+
+Es bleibt das Integral über die imaginäre Achse, es ist
+\begin{align}
+g_n(a)
+&=
+\frac{1}{2\pi i}
+\int_{-\infty}^\infty
+\frac{f(it)}{(it-a)(it-1)(it-2)\cdot\ldots\cdot(it-n)}
+\,i\,dt
+\notag
+\\
+|g_n(a)|
+&=
+\frac{1}{2\pi}
+\int_{-\infty}^\infty
+\frac{|f(it)|}{
+\sqrt{(a^2+t^2)(1^2+t^2)(2^2+t^2)\cdot\ldots\cdot(n^2+t^2)}
+}
+\,dt.
+\notag
+\intertext{Im Nenner kann man in den Faktoren $(k^2+t^2)$ mit $k>1$
+das $k^2$ weglassen, was den Nenner kleiner und damit den ganzen Ausdruck
+grösser macht.
+Es bleibt dann nur noch der erste Term, in dem wir $a>1$ durch $1$ ersetzen
+können.
+Insgesamt bekommen wir so die Abschätzung}
+&\le
+\frac{1}{2\pi} \int_{-\infty}^\infty
+\frac{M}{\sqrt{(1+t^2)(1+t^2)}\cdot 2\cdot 3\cdot\ldots\cdot n}
+\,dt
+=
+\frac{M}{2\pi n!}
+\int_{-\infty}^\infty\frac{dt}{1+t^2}
+=
+\frac{M}{2 n!}.
+\label{buch:funktionentheorie:carlson:eqn:integral}
+\end{align}
+Um eine Abschätzung für $f(a)$ zu erhalten, muss man jetzt noch den Nenner
+von \eqref{buch:funktionentheorie:proof:eqn:gna} abschätzen.
+Da $a$ nicht ganzzahlig ist, ist die nächstkleiner Ganzzahl $[a]\ne a$.
+Das Produkt im Nenner von \eqref{buch:funktionentheorie:proof:eqn:gna}
+kann daher aufgespaltet werden in die Faktoren $(a-k)$ mit $k<a$ und
+die Faktoren mit $k>a$.
+Den Betrag der Faktoren mit $k<a$ kann man vergrössern, indem man $a$
+durch $[a]+1$ ersetzt, man erhält
+\begin{align*}
+|
+(a-1)(a-2)\cdots(a-[a])
+|
+&\le
+([a]+1-1)([a]+1-2)\cdots([a]+1-[a])=[a]!.
+\intertext{Die nachfolgenden Faktoren kann man vergrössern, indem man $a$ durch $[a]$ ersetzt, was}
+|(a-([a]+1))(a-([a]+2))\cdots(a-n)|
+&\le
+|([a]-([a]+1))([a]-([a]+2))\cdots([a]-n)|
+\\
+&=
+1\cdot 2 \cdot\ldots\cdot |n-[a]|
+=
+(n-[a])!.
+\end{align*}
+ergibt.
+Aus \eqref{buch:funktionentheorie:proof:eqn:gna} und der Abschätzung
+\eqref{buch:funktionentheorie:carlson:eqn:integral}
+für $|g_n(a)$
+erhält man jetzt
+\[
+|f(a)|
+=
+|(a-1)(a-2)\cdots(a-n)|\cdot|g_n(a)|
+\le
+\frac{[a]!\,(n-[a])!}{n!}
+\frac{M}{2}
+=
+\frac{M}{2} \binom{n}{[a]}^{-1}.
+\]
+Für $n>[a]$ ist der Binomialkoeffizient auch $>n$ und somit
+\[
+|f(a)|\le \frac{M}{2n}
+\to 0
+\qquad\text{für $n\to\infty$}.
+\]
+Damit ist gezeigt, dass $f(a)=0$ ist für alle reellen $a>1$.
+A fortiori verschwinden auch alle Ableitungen von $f$ und damit
+damit auch die zugehörige Potenzreihe, also $f(z)=0$.
+\end{proof}
+