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-1,1953 +1,29 @@ % -% differentialalgebren.tex +% differentialkoerper.tex % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule % -\section{Differentialkörper und der Satz von Liouville +\section{Differentialkörper und das Integrationsproblem \label{buch:integrale:section:dkoerper}} -\rhead{Differentialkörper und der Satz von Liouville} -Das Problem der Darstellbarkeit eines Integrals in geschlossener -Form verlangt zunächst einmal nach einer Definition dessen, was man -als ``geschlossene Form'' akzeptieren will. -Die sogenannten {\em elementaren Funktionen} von -Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:elementar} -bilden dafür den theoretischen Rahmen. -Das Problem ist dann die Frage zu beantworten, ob ein Integral eine -Stammfunktion hat, die eine elementare Funktion ist. -Der Satz von Liouville von Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:liouville} -löst das Problem. - -\subsection{Eine Analogie -\label{buch:integrale:section:analogie}} -% XXX Analogie: Formel für Polynom-Nullstellen -% XXX Stammfunktion als elementare Funktion -Das Analysis-Problem, eine Stammfunktion zu finden, ist analog zum -wohlbekannten algebraischen Problem, Nullstellen von Polynomen zu finden. -Wir entwickeln diese Analogie in etwas mehr Detail, um zu sehen, ob man -aus dem algebraischen Problem etwas über das Problem der Analysis -lernen kann. - -Für ein Polynom $p(X) = a_nX^n+a_{n-1}X^{n-1}+\dots+a_1X+a_0\in\mathbb{C}[X]$ -mit Koeffizienten $a_k\in\mathbb{C}$ ist es sehr einfach, für jede beliebige -komplexe Zahl $z\in\mathbb{C}$ den Wert $p(z)$ des Polynoms auszurechnen. -Ein paar wenige Rechenregeln genügen dazu, man kann leicht einem Kind -beibringen, mit einem Taschenrechner so einen Wert auszurechnen. - -Ähnlich sieht es mit der Ableitungsoperation aus. -Einige wenige Ableitungsregeln, die man in der Analysis~I lernt, -erlauben, auf mehr oder weniger mechanische Art und Weise, jede -beliebige Funktion abzuleiten. -Man kann auch leicht einen Computer dazu programmieren, solche Ableitungen -symbolisch zu berechnen. - -Aus dem Fundamentalsatz der Algebra, der von Gauss vollständig bewiesen -wurde, ist bekannt, dass jedes Polynom mit Koeffizienten in $\mathbb{C}$ -genau so viele Lösungen in $\mathbb{C}$, wie der Grad des Polynoms angibt. -Dies ist aber ein Existenzsatz, er sagt nichts darüber aus, wie man diese -Lösungen finden kann. -In Spezialfällen, wie zum Beispiel für quadratische Polynome, gibt -es spezialsierte Lösungsverfahren, mit denen man Lösungen angeben kann. -Natürlich existieren numerische Methoden wie zum Beispiel das -Newton-Verfahren, mit dem man Nullstellen von Polynomen beliebig genau -bestimmen kann. - -Der Fundamentalsatz der Integralrechnung besagt, dass jede stetige -Funktion eine Stammfunktion hat, die bis auf eine Konstante eindeutig -bestimmt ist. -Auch dieser Existenzsatz gibt keinerlei Hinweise darauf, wie man die -Stammfunktion finden kann. -In der Analysis-Vorlesung lernt man viele Tricks, die in einer -beindruckenden Zahl von Spezialfällen ermöglichen, ein passende -Funktion anzugeben. -Man lernt auch numerische Verfahren kennen, mit denen sich Werte der -Stammfunktion, also bestimmte Integrale, mit beliebiger Genauigkeit -finden kann. - -Die numerische Lösung des Nullstellenproblems ist insofern unbefriedigend, -als sie nur schwer eine Diskussion der Abhängigkeit der Nullstellen von -den Koeffizienten des Polynoms ermöglichen. -Eine Formel wie die Lösungsformel für die quadratische Gleichung -stellt genau für solche Fälle ein ideales Werkzeug bereit. -Was man sich also wünscht ist nicht nur einfach eine Lösung, sondern eine -einfache Formel zur Bestimmung aller Lösungen. -Im Zusammenhang mit algebraischen Gleichungen erwartet man eine Formel, -in der nur arithmetische Operationen und Wurzeln vorkommen. -Für quadratische Gleichungen ist so eine Formel seit dem Altertum bekannt, -Formeln für die kubische Gleichung und die Gleichung vierten Grades wurden -im 16.~Jahrhundert von Cardano bzw.~Ferrari gefunden. -Erst viel später haben Abel und Ruffini gezeigt, dass so eine allgemeine -Formel für Polynome höheren Grades als 4 nicht existiert. -Die Galois-Theorie, die auf den Ideen von Évariste Galois beruht, -stellt eine vollständige Theorie unter anderem für die Lösbarkeit -von Gleichungen durch Wurzelausdrücke dar. - -Numerische Integralwerte haben ebenfalls den Nachteil, dass damit -Diskussionen wie die Abhängigkeit von Parametern eines Integranden -nur schwer möglich sind. -Was man sich daher wünscht ist eine Formel für die Stammfunktion, -die Werte als Zusammensetzung gut bekannter Funktionen wie der Exponential- -und Logarithmus-Funktionen oder der trigonometrischen Funktionen -sowie Wurzeln, Potenzen und den arithmetischen Operationen. -Man sagt, man möchte die Stammfunktion in ``geschlossener Form'' -dargestellt haben. -Tatsächlich ist dieses Problem auch zu Beginn des 19.~Jahrhunderts -von Joseph Liouville genauer untersucht worden. -Er hat zunächst eine Klasse von ``elementaren Funktionen'' definiert, -die als Darstellungen einer Stammfunktion in Frage kommen. -Der Satz von Liouville besagt dann, dass nur Funktionen mit einer -ganz speziellen Form eine elementare Stammfunktion haben. -Damit wird es möglich, zu entscheiden, ob ein Integrand wie $e^{-x^2}$ -eine elementare Stammfunktion hat. -Seit dieser Zeit weiss man zum Beispiel, dass die Fehlerfunktion nicht -mit den bekannten Funktionen dargestellt werden kann. - -Mit dem Aufkommen der Computer und vor allem der Computer-Algebra-System (CAS) -wurde die Frage nach der Bestimmung einer Stammfunktion erneut aktuell. -Die ebenfalls weiter entwickelte abstrakte Algebra hat ermöglicht, die -Ideen von Liouville in eine erweiterte, sogenannte differentielle -Galois-Theorie zu verpacken, die eine vollständige Lösung des Problems -darstellt. -Robert Henry Risch hat in den Sechzigerjahren auf dieser Basis -einen Algorithmus entwickelt, mit dem es möglich wird, zu entscheiden, -ob eine Funktion eine elementare Stammfunktion hat und diese -gegebenenfalls auch zu finden. -Moderne CAS implementieren diesen Algorithmus -in Teilen, besonders weit zu gehen scheint das quelloffene System -Axiom. - -Der Risch-Algorithmus hat allerdings eine Achillesferse: er benötigt -eine Method zu entscheiden, ob zwei Ausdrücke übereinstimmen. -Dies ist jedoch ein im Allgemeinen nicht entscheidbares Problem. -Moderne CAS treiben einigen Aufwand, um die -Gleichheit von Ausdrücken zu entscheiden, sie können das Problem -aber grundsätzlich nicht vollständig lösen. -Damit kann der Risch-Algorithmus in praktischen Anwendungen das -Stammfunktionsproblem ebenfalls nur mit Einschränkungen lösen, -die durch die Fähigkeiten des Ausdrucksvergleichs in einem CAS -gesetzt werden. - -Im Folgenden sollen elementare Funktionen definiert werden, es sollen -die Grundideen der differentiellen Galois-Theorie zusammengetragen werden -und der Satz von Liouvill vorgestellt werden. -An Hand der Fehler-Funktion soll dann gezeigt werden, wie man jetzt -einsehen kann, dass die Fehlerfunktion nicht elementar darstellbar ist. -Im nächsten Abschnitt dann soll der Risch-Algorithmus skizziert werden. - -\subsection{Elementare Funktionen -\label{buch:integrale:section:elementar}} -Es soll die Frage beantwortet werden, welche Stammfunktionen sich -in ``geschlossener Form'' oder durch ``wohlbekannte Funktionen'' -ausdrücken lassen. -Welche Funktionen dabei als ``wohlbekannt'' gelten dürfen ist -ziemlich willkürlich. -Sicher möchte man Potenzen und Wurzeln, Logarithmus und Exponentialfunktion, -aber auch die trigonometrischen Funktionen dazu zählen dürfen. -Ausserdem will man beliebig mit den arithmetischen Operationen -rechnen. -So entsteht die Menge der Funktionen, die man ``elementar'' nennen -will. - -In der Menge der elementaren Funktionen möchte man jetzt -Stammfunktionen ausgewählter Funktionen suchen. -Dazu muss man von jeder Funktion ihre Ableitung kennen. -Die Ableitungsoperation macht aus der Funktionenmenge eine -differentielle Algebra. -Der Satz von Liouville (Satz~\ref{buch:integrale:satz:liouville1}) -liefert Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn eine Funktion -eine elementare Stammfunktion hat. -Sind diese Bedingungen nicht erfüllbar, ist auch keine -elementare Stammfunktion möglich. - -In den folgenden Abschnitten soll die differentielle Algebra -der elementaren Funktionen konstruiert werden. - -\subsubsection{Körper} -Die einfachsten Funktionen sind die die Konstanten, für die wir -für die nachfolgenden Betrachtungen fast immer die komplexen Zahlen -$\mathbb{C}$ -zu Grunde legen wollen. -Dabei ist vor allem wichtig, dass sich darin alle arithmetischen -Operationen durchführen lassen mit der einzigen Ausnahme, dass -nicht durch $0$ dividiert werden darf. -Man nennt $\mathbb{C}$ daher ein {\em Körper}. -\index{Körper}% -\label{buch:integrale:def:koerper} - -\subsubsection{Polynome und rationale Funktionen} -Die Polynome einer Variablen beschreiben eine Menge von -Funktionen, in der Addition, Subtraktion, Multiplikation -von Funktionen und Multiplikation mit komplexen Zahlen -uneingeschränkt möglich ist. -Wir bezeichen wie früher die Menge der Polynome in $z$ mit -$\mathbb{C}[z]$. - -Die Division ist erst möglich, wenn man beliebige Brüche -zulässt, deren Zähler und Nenner Polynome sind. -Die Menge -\[ -\mathbb{C}(z) -= -\biggl\{ -\frac{p(z)}{q(z)} -\;\bigg|\; -p,q\in \mathbb{C}[z] -\biggr\} -\] -heisst die Menge der {\em rationalen Funktionen}. -\label{buch:integrale:def:rationalefunktion} -\index{Funktion, rationale}% -\index{rationale Funktion}% -In ihr sind jetzt alle arithmetischen Operationen ausführbar -ausser natürlich die Division durch die Nullfunktion. -Die rationalen Funktionen bilden also wieder eine Körper. - -Die Tatsache, dass die rationalen Funktionen einen Körper -bilden bedeutet auch, dass die Konstruktion erneut durchgeführt -werden kann. -Ausgehend von einem beliebigen Körper $K$ können wieder zunächst -die Polynome $K[X]$ und anschliesen die rationalen Funktionen $K[X]$ -in der neuen Variablen, jetzt aber mit Koeffizienten in $K$ -gebildet werden. -So entstehen Funktionen von mehreren Variablen und, indem -wir für die neue Variable $X$ zum Beispiel die im übernächsten -Abschnitt betrachtete Wurzel $X=\sqrt{z}$ -einsetzen, rationale Funktionen in $z$ und $\sqrt{z}$. - -Solche Funktionenkörper werden im folgenden mit geschweiften -Buchstaben $\mathscr{D}$ bezeichnet. -\index{Funktionenkörper}% - -\subsubsection{Ableitungsoperation} -In allen Untersuchungen soll immer die Ableitungsoperation -mit berücksichtigt werden. -In unserer Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, dass die -Ableitung aus einem Grenzwert entsteht, es sind nur die algebraischen -Eigenschaften wichtig. -Diese sind in der folgenden Definition zusammengefasst. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:derivation} -Ein {\em Ableitungsoperator} oder eine {\em Derivation} einer Algebra -$\mathscr{D}$ von Funktionen ist eine lineare Abbildung -\[ -\frac{d}{dz} -\colon \mathscr{D} \to \mathscr{D} -: -f \mapsto \frac{df}{dz} = f', -\] -die zusätzlich die Produktregel -\begin{equation} -\frac{d}{dz} (fg) -= -\frac{df}{dz} \cdot g + f \cdot \frac{dg}{dz} -\qquad\Leftrightarrow\qquad -(fg)' = f' g + fg' -\label{buch:integrale:eqn:produktregel} -\end{equation} -\index{Produktregel}% -erfüllt. -Die Funktion $f'\in \mathscr{D}$ heisst auch die {\em Ableitung} -von $f\in\mathscr{D}$. -\index{Derivation}% -\index{Ableitungsoperator}% -\index{Ableitung}% -\end{definition} - -Die Produktregel hat zum Beispiel auch die bekannten Quotientenregel -zur Folge. -Dazu betrachten wir das Produkt $f= (f/g)\cdot g$ und leiten es mit -Hilfe der Produktregel ab: -\[ -\frac{d}{dz}f -= -\frac{d}{dz} -\biggl( -\frac{f}{g}\cdot g -\biggr) -= -{\color{darkred} -\frac{d}{dz} -\biggl( -\frac{f}{g} -\biggr)} -\cdot g -+ -\frac{f}{g}\cdot \frac{d}{dz}g. -\] -Jetzt lösen wir nach der {\color{darkred}roten} Ableitung des Quotienten -auf und erhalten -\begin{equation} -\biggl(\frac{f}{g}\biggr)' -= -\frac{d}{dz}\biggl(\frac{f}{g}\biggr) -= -\frac1g\biggl( -\frac{d}{dz}f - \frac{f}{g}\cdot \frac{d}{dz}g -\biggr) -= -\frac{1}{g} -\biggl( -f'-\frac{fg'}{g} -\biggr) -= -\frac{f'g-fg'}{g^2}. -\label{buch:integrale:eqn:quotientenregel} -\end{equation} -Dies ist die Quotientenregel. - -Aus der Produktregel folgt natürlich sofort auch die Potenzregel -für die Ableitung der $n$ten Potenz einer Funktion $f\in\mathscr{D}$, -sie lautet: -\begin{equation} -\frac{d}{dz} f^n -= -\underbrace{ -f'f^{n-1} + ff'f^{n-2} + f^2f'f^{n-3}+\dots f^{n-1}f' -}_{\displaystyle \text{$n$ Terme}} -= -nf^{n-1}f'. -\label{buch:integrale:eqn:potenzregel} -\end{equation} -In dieser Form versteckt sich natürlich auch die Kettenregel, die -Potenzfunktion ist die äussere Funktion, $f$ die innere, $f'$ ist also -die Ableitung er inneren Funktion, wie in der Kettenregel verlangt. -Falls $f$ ein Element von $\mathscr{D}$ ist mit der Eigenschaft -$df/dz=1$, dann entsteht die übliche Produktregel. - -\begin{definition} -Eine Algebra $\mathscr{D}$ von Funktionen mit einem Ableitungsoperator -$d/dz$ heisst eine {\em differentielle Algebra}. -\index{differentielle Algebra}% -\index{Algebra, differentielle}% -In einer differentiellen Algebra gelten die üblichen -Ableitungsregeln. -\end{definition} - -Die Potenzregel war in der Form~\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} -geschrieben worden, nicht als die Ableitung von $z$. -Der Grund dafür ist, dass wir gar nicht voraussetzen wollen, dass in -unserer differentiellen Algebra eine Funktion existiert, die die -Rolle von $z$ hat. -Dies ist gar nicht nötig, wie das folgende Beispiel zeigt. - -\begin{beispiel} -Als Funktionenmenge $\mathscr{D}$ nehmen wir rationale Funktionen -in zwei Variablen, die wir $\cos x $ und $\sin x$ nennen. -Diese Menge bezeichnen wir mit -$\mathscr{D}=\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ -Der Ableitungsoperator ist -\begin{align*} -\frac{d}{dx} \cos x &= -\sin x -\\ -\frac{d}{dx} \sin x &= \phantom{-}\cos x. -\end{align*} -Die Funktionen von $\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ sind also Brüche, -deren Zähler und Nenner Polynome in $\cos x$ und $\sin x$ sind. -Aus den Produkt- und Quotientenregeln und den Ableitungsregeln für -$\cos x$ und $\sin x$ folgt, dass die Ableitung einer Funktion in -$\mathscr{D}$ wieder in $\mathscr{D}$ ist, $\mathscr{D}$ ist eine -differentielle Algebra. -\end{beispiel} - -Die konstanten Funktionen spielen eine besondere Rolle. -Da wir bei der Ableitung nicht von der Vorstellung einer -Funktion mit einem variablen Argument ausgehen wollten und -die Ableitung nicht als Grenzwert definieren wollten, müssen -wir auch bei der Definition der ``Konstanten'' einen neuen -Weg gehen. -In der Analysis sind die Konstanten genau die Funktionen, -deren Ableitung $0$ ist. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:konstante} -Ein Element $f\in \mathscr{D}$ mit $df/dz=f'=0$ heissen -{\em Konstante} in $\mathscr{D}$. -\index{Konstante}% -\end{definition} - -Die in der Potenzregel~\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} -vermisste Funktion $z$ kann man ähnlich zu den Konstanten -zu definieren versuchen. -$z$ müsste ein Element von $\mathscr{D}$ mit $z' = 1$ sein. -Allerdings gibt es viele solche Elemente, ist $c$ eine Konstanten -und $z'=1$, dann ist auch $(z+c)'=1$, $(z+c)$ hat also für -die Zwecke unserer Untersuchung die gleichen Eigenschaften wie -$z$. -Dies deckt sich natürlich auch mit der Erwartung, dass Stammfunktionen -nur bis auf eine Konstante bestimmt sind. -Eine differentielle Algebra muss allerdings kein Element $z$ mit der -Eigenschaft $z'=1$ enthalten. - -\begin{beispiel} -In $\mathscr{D}=\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ gibt es kein Element $x$. -Ein solches wäre von der Form -\[ -x = \frac{p(\cos x,\sin x)}{q(\cos x,\sin x)}. -\] -Eine solche goniometrische Beziehung würde für $x=\frac{\pi}4$ bedeuten, -dass -\[ -\frac{\pi}4 -= -\frac{p(\sqrt{2}/2,\sqrt{2}/2)}{q(\sqrt{2}/2,\sqrt{2}/2)}. -\] -Auf der rechten Seite steht ein Quotient von Polynome, in dessen -Argument nur rationale Zahlen und $\sqrt{2}$ steht. -So ein Ausdruck kann immer in die Form -\[ -\pi -= -4\frac{a\sqrt{2}+b}{c\sqrt{2}+d} -= -\frac{4(a\sqrt{2}+b)(c\sqrt{2}-d)}{2c^2+d^2} -= -r\sqrt{2}+s -\] -gebracht werden. -Die Zahl auf der rechten Seite ist zwar irrational, aber sie ist Nullstelle -des quadratischen Polynoms -\[ -p(x) -= -(x-r\sqrt{2}-s)(x+r\sqrt{2}-s) -= -x^2 --2sx --2r^2+s^2 -\] -mit rationalen Koeffizienten, wie man mit der Lösungsformel für die -quadratische Gleichung nachprüfen kann. -Es ist bekannt, dass $\pi$ als transzendente Zahl nicht Nullstelle -eines Polynoms mit rationalen Koeffizienten ist. -Dieser Widerspruch zeigt, dass $x$ nicht in $\mathbb{Q}(\cos x, \sin x)$ -vorkommen kann. -\end{beispiel} - -In einer differentiellen Algebra kann jetzt die Frage nach der -Existenz einer Stammfunktion gestellt werden. - -\begin{aufgabe} -\label{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion} -Gegeben eine differentielle Algebra $\mathscr{D}$ und ein Element -$f\in\mathscr{D}$, entscheide, ob es ein Element $F\in\mathscr{D}$ -gibt mit der Eigenschaft $F'=f$. -Ein solches $F\in\mathscr{D}$ heisst {\em Stammfunktion} von $f$. -\end{aufgabe} - -\begin{satz} -In einer differentiellen Algebra $\mathscr{D}$ mit $z\in\mathscr{D}$ -hat die Potenzfunktion $f=z^n$ für $n\in\mathbb{N}\setminus\{-1\}$ -ein Stammfunktion, nämlich -\[ -F = \frac{1}{n+1} z^{n+1}. -\] -\label{buch:integrale:satz:potenzstammfunktion} -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -Tatsächlich kann man dies sofort nachrechnen, muss allerdings die -Fälle $n+1 >0$ und $n+1<0$ unterscheiden, da die Potenzregel -\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} nur für natürliche Exponenten -gilt. -Man erhält -\begin{align*} -n+1&>0\colon -& -\frac{d}{dz}\frac{1}{n+1}z^{n+1} -&= -\frac{1}{n+1}(n+1)z^{n+1-1} -= -z^n, -\\ -n+1&<0\colon -& -\frac{d}{dz}\frac{1}{n+1}\frac{1}{z^{-(n+1)}} -&= -\frac{1}{n+1}\frac{1'z^{-(n+1)}-1(-(n+1))z^{-n-1-1}}{z^{-2n-2}} -\\ -&& -&= -\frac{1}{n+1} -\frac{(n+1)z^n{-n-2}}{z^{-2n-2}} -\\ -&& -&= -\frac{1}{z^{-n}}=z^n. -\end{align*} -Man beachte, dass in dieser Rechnung nichts anderes als die -algebraischen Eigenschaften der Produkt- und Quotientenregel -verwendet wurden. -\end{proof} - -\subsubsection{Wurzeln} -Die Wurzelfunktionen sollen natürlich als elementare Funktionen -erlaubt sein. -Es ist bekannt, dass $\sqrt{z}\not\in \mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$ -ist, ein solches Element müsste also erst noch hinzugefügt werden. -Dabei muss auch seine Ableitung definiert werden. -Auch dabei dürfen wir nicht auf eine Grenzwertüberlegung zurückgreifen, -vielmehr müssen wir die Ableitung auf vollständig algebraische -Weise bestimmen. - -Wir schreiben $f=\sqrt{z}$ und leiten die Gleichung $f^2=z$ nach $z$ ab. -Dabei ergibt sich nach der Potenzregel -\[ -\frac{d}{dz}f^2 = 2f'f = \frac{d}{dz}z=1 -\qquad\Rightarrow\qquad f' = \frac{1}{2f}. -\] -Diese Rechnung lässt sich auch auf $n$-Wurzeln $g=\root{n}\of{z}$ mit -der Gleichung $g^n = z$ verallgemeinern. -Die Ableitung der $n$-ten Wurzel ist -\begin{equation} -\frac{d}{dz}g^n -= -ng^{n-1} = \frac{d}{dz}z=1 -\qquad\Rightarrow\qquad -\frac{d}{dz}g = \frac{1}{ng^{n-1}}. -\end{equation} -Es ist also möglich, eine differentielle Algebra $\mathscr{D}$ mit einer -$n$-ten Wurzel $g$ zu einer grösseren differentiellen Algebra $\mathscr{D}(g)$ -zu erweitern, in der wieder alle Regeln für das Rechnen mit Ableitungen -erfüllt sind. - -\subsubsection{Algebraische Elemente} -Die Charakterisierung der Wurzelfunktionen passt zwar zum verlangten -algebraischen Vorgehen, ist aber zu spezielle und nicht gut für die -nachfolgenden Untersuchengen geeignet. -Etwas allgemeiner ist der Begriff der algebraischen Elemente. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:algebraisches-element} -Seien $K\subset L$ zwei Körper. -Ein Element $\alpha \in L$ heisst {\em algebraisch} über $K$, -wenn $\alpha$ Nullstelle eines Polynoms $p\in K[X]$ mit Koeffizienten -in $K$ ist. -\index{algebraisch}% -\end{definition} - -Jedes Element $\alpha\in K$ ist algebraisch, da $\alpha$ Nullstelle -von $X-\alpha\in K[X]$ ist. -Die $n$tem Wurzeln eines Elemente $\alpha\in K$ sind ebenfalls algebraisch, -da sie Nullstellen des Polynoms $p(X) = X^n - \alpha$ sind. -Allerdings ist nicht klar, dass diese Wurzeln überhaupt existieren. -Nach dem Satz von Abel~\ref{buch:potenzen:satz:abel} gibt es aber -Nullstellen von Polynomen, die sich nicht als Wurzelausdrücke schreiben -lassen. -Der Begriff der algebraischen Elemente ist also allgemeiner als der -Begriff der Wurzel. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:algebraisch-abgeschlossen} -Ein Körper $K$ heisst {\em algebraisch abgeschlossen}, wenn jedes Polynom mit -Koeffizienten in $K$ eine Nullstelle in $K$ hat. -\end{definition} - -Der Körper $\mathbb{C}$ ist nach dem -Fundamentalsatz~\label{buch:potenzen:satz:fundamentalsatz} -der Algebra algebraisch abgeschlossen. -Da wir aber mit Funktionen arbeiten, müssen wir auch Wurzeln -von Funktionen finden können. -Dies ist nicht selbstverständlich, wie das folgende Beispiel zeigt. - -\begin{beispiel} -Es gibt keine stetige Funktion $f\colon \mathbb{C}\to\mathbb{C}$, die -die Gleichung $f(z)^2 = z$ und $f(1)=1$ erfüllt. -Für die Argumente $z(t)= e^{it}$ folgt, dass $f(z(t)) = e^{it/2}$ sein -muss. -Setzt man aber $t=\pm \pi$ ein, ergeben sich die Werte -$f(z(\pm\pi))=e^{\pm i\pi/2}=\pm 1$, die beiden Grenzwerte -für $t\to\pm\pi$ sind also verschieden. -\end{beispiel} - -Die Mathematik hat verschiedene ``Tricks'' entwickelt, wie mit diesem -Problem umgegangen werden kann: Funktionskeime, Garben, Riemannsche -Flächen. -Sie sind alle gleichermassen gut geeignet, das Problem zu lösen. -Für die vorliegende Aufgabe genügt es aber, dass es tatsächlich -immer ein wie auch immer geartetes Element gibt, welches Nullstelle -des Polynoms ist. - -Ist $f$ eine Nullstelle des Polynoms $p(X)$ mit Koeffizienten in -$\mathscr{D}$, dann kann man die Ableitung wie folgt berechnen. -Zunächst leitet man $p(f)$ ab: -\begin{align} -0&= -\frac{d}{dz}(a_nf^n + a_{n-1}f^{n-1}+\ldots+a_1f+a_0) -\notag -\\ -&= -a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\ldots+a_1'f+a_0' -+ -na_nf^{n-1}f' -+ -(n-1)a_nf^{n-2}f' -+ -\ldots -+ -a_2ff' -+ -a_1f' -\notag -\\ -&= -a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\ldots+a_1'f+a_0' -+ -( -na_nf^{n-1} -+ -(n-1)a_nf^{n-2} -+ -\ldots -+ -a_2f -+ -a_1 -)f' -\notag -\\ -\Rightarrow -\qquad -f'&=\frac{ -a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\dots+a_1'f+a_0' -}{ -na_nf^{n-1} -+ -(n-1)a_nf^{n-2} -+ -\dots -+ -a_1 -}. -\label{buch:integrale:eqn:algabl} -\end{align} -Das einzige, was dabei schief gehen könnte ist, dass der Nenner ebenfalls -verschwindet. -Dieses Problem kann man dadurch lösen, dass man als Polynom das -sogenannte Minimalpolynom verwendet. - -\begin{definition} -Das {\em Minimalpolynome} $m(X)$ eines algebraischen Elementes $\alpha$ ist -das Polynom kleinsten Grades, welches $m(\alpha)=0$ erfüllt. -\end{definition} - -Da das Minimalpolynom den kleinstmöglichen Grad hat, kann der Nenner -von~\eqref{buch:integrale:eqn:algabl}, -der noch kleineren Grad hat, unmöglich verschwinden. -Das Minimalpolynom ist auch im wesentlichen eindeutig. -Gäbe es nämlich zwei verschiedene Minimalpolynome $m_1$ und $m_2$, -dann müsste $\alpha$ auch eine Nullstelle des grössten gemeinsamen -Teilers $m_3=\operatorname{ggT}(m_1,m_2)$ sein. -Wären die beiden Polynome wesentlich verschieden, dann hätte $m_3$ -kleineren Grad, im Widerspruch zur Definition des Minimalpolynoms. -Also unterscheiden sich die beiden Polynome $m_1$ und $m_2$ nur um -einen skalaren Faktor. - -\subsubsection{Konjugation, Spur und Norm} -% Konjugation, Spur und Norm -Das Minimalpolynom eines algebraischen Elementes ist nicht -eindeutig bestimmt. -Zum Beispiel ist $\sqrt{2}$ algebraisch über $\mathbb{Q}$, das -Minimalpolynom ist $m(X)=X^2-2\in\mathbb{Q}[X]$. -Es hat aber noch eine zweite Nullstelle $-\sqrt{2}$. -Mit rein algebraischen Mitteln sind die beiden Nullstellen $\pm\sqrt{2}$ -nicht zu unterscheiden, erst die Verwendung der Vergleichsrelation -ermöglicht, sie zu unterscheiden. - -Dasselbe gilt für die imaginäre Einheit $i$, die das Minimalpolynom -$m(X)=X^2+1\in\mathbb{R}[X]$ hat. -Hier gibt es nicht einmal mehr eine Vergleichsrelation, mit der man -die beiden Nullstellen unterscheiden könnte. -In der Tat ändert sich aus algebraischer Sicht nichts, wenn man in -allen Formeln $i$ durch $-i$ ersetzt. - -Etwas komplizierter wird es bei $\root{3}\of{2}$. -Das Polynom $m=x^3-2\in\mathbb{Q}[X]$ hat $\root{3}\of{2}$ als -Nullstelle und dies ist auch tatsächlich das Minimalpolynom. -Das Polynom hat noch zwei weitere Nullstellen -\[ -\alpha_+ = \frac{-1+i\sqrt{3}}{2}\root{3}\of{2} -\qquad\text{und}\qquad -\alpha_- = \frac{-1-i\sqrt{3}}{2}\root{3}\of{2}. -\] -Die beiden Lösungen gehen durch die Vertauschung von $i$ und $-i$ -auseinander hervor. -Betrachtet man dasselbe Polynom aber als Polynom in $\mathbb{R}[X]$, -dann ist es nicht mehr das Minimalpolynom von $\root{3}\of{2}$, da -$X-\root{3}\of{2}\in\mathbb{R}[X]$ kleineren Grad und $\root{3}\of{2}$ -als Nullstelle hat. -Indem man -\[ -m(X)/(X-\root{3}\of{2})=X^2+\root{3}\of{2}X+\root{3}\of{2}^2=m_2(X) -\] -rechnet, bekommt man das Minimalpolynom der beiden Nullstellen $\alpha_+$ -und $\alpha_-$. -Wir lernen aus diesen Beispielen, dass das Minimalpolynom vom Grundkörper -abhängig ist (Die Faktorisierung $(X-\root{3}\of{2})\cdot m_2(X)$ von -$m(X)$ ist in $\mathbb{Q}[X]$ nicht möglich) und dass wir keine -algebraische Möglichkeit haben, die verschiedenen Nullstellen des -Minimalpolynoms zu unterscheiden. - -Die beiden Nullstellen $\alpha_+$ und $\alpha_-$ des Polynoms $m_2(X)$ -erlauben, $m_2(X)=(X-\alpha_+)(X-\alpha_-)$ zu faktorisieren. -Durch Ausmultiplizieren -\[ -(X-\alpha_+)(X-\alpha_-) -= -X^2 -(\alpha_++\alpha_-)X+\alpha_+\alpha_- -\] -und Koeffizientenvergleich mit $m_2(X)$ findet man die symmetrischen -Formeln -\[ -\alpha_+ + \alpha_- = \root{3}\of{2} -\qquad\text{und}\qquad -\alpha_+ \alpha_ = \root{3}\of{2}. -\] -Diese Ausdrücke sind nicht mehr abhängig von einer speziellen Wahl -der Nullstellen. - -Das Problem verschärft sich nocheinmal, wenn wir Funktionen betrachten. -Das Polynom $m(X)=X^3-z$ ist das Minimalpolynom der Funktion $\root{3}\of{z}$. -Die komplexe Zahl $z=re^{i\varphi}$ hat aber drei die algebraisch nicht -unterscheidbaren Nullstellen -\[ -\alpha_0(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3}, -\quad -\alpha_1(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3+2\pi/3} -\qquad\text{und}\qquad -\alpha_2(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3+4\pi/3}. -\] -Aus der Faktorisierung $ (X-\alpha_0(z)) (X-\alpha_1(z)) (X-\alpha_2(z))$ -und dem Koeffizientenvergleich mit dem Minimalpolynom kann man wieder -schliessen, dass die Relationen -\[ -\alpha_0(z) + \alpha_1(z) + \alpha_2(z)=0 -\qquad\text{und}\qquad -\alpha_0(z) \alpha_1(z) \alpha_2(z) = z -\] -gelten. - -Wir können also oft keine Aussagen über individuelle Nullstellen -eines Minimalpolynoms machen, sondern nur über deren Summe oder -Produkt. - -\begin{definition} -\index{buch:integrale:def:spur-und-norm} -Sie $m(X)\in K[X]$ das Minimalpolynom eines über $K$ algebraischen -Elements und -\[ -m(X) = a_nX^n + a_{n-1}X^{n-1} + \ldots + a_1X + a_0. -\] -Dann heissen -\[ -\operatorname{Tr}(\alpha) = -a_{n-1} -\qquad\text{und}\qquad -\operatorname{Norm}(\alpha) = (-1)^n a_0 -\] -die {\em Spur} und die {\em Norm} des Elementes $\alpha$. -\index{Spur eines algebraischen Elementes}% -\index{Norm eines algebraischen Elementes}% -\end{definition} - -Die Spur und die Norm können als Spur und Determinante einer Matrix -verstanden werden, diese allgemeineren Definitionen, die man in der -Fachliteratur, z.~B.~in~\cite{buch:lang} nachlesen kann, führen aber -für unsere Zwecke zu weit. - -\begin{hilfssatz} -Die Ableitungen von Spur und Norm sind -\[ -\operatorname{Tr}(\alpha)' -= -\operatorname{Tr}(\alpha') -\qquad\text{und}\qquad -\operatorname{Norm}(\alpha)' -= -\operatorname{Tr}(\alpha)' -\] -XXX Wirklich? -\end{hilfssatz} - -\subsubsection{Logarithmen und Exponentialfunktionen} -Die Funktion $z^{-1}$ musste im -Satz~\ref{buch:integrale:satz:potenzstammfunktion} -ausgeschlossen werden, sie hat keine Stammfunktion in $\mathbb{C}(z)$. -Aus der Analysis ist bekannt, dass die Logarithmusfunktion $\log z$ -eine Stammfunktion ist. -Der Logarithmus von $z$ aber auch der Logarithmus $\log f(z)$ -einer beliebigen Funktion $f(z)$ oder die Exponentialfunktion $e^{f(z)}$ -sollen ebenfalls elementare Funktionen sein. -Da wir aber auch hier nicht auf die analytischen Eigenschaften zurückgreifen -wollen, brauchen wir ein rein algebraische Definition. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:logexp} -Sei $\mathscr{D}$ ein differentielle Algebra und $f\in\mathscr{D}$. -Ein Element $\vartheta\in\mathscr{D}$ heisst ein {\em Logarithmus} -von $f$, geschrieben $\vartheta = \log f$, wenn $f\vartheta' = f'$ gilt. -$\vartheta$ heisst eine Exponentialfunktion von $f$ wenn -$\vartheta'=\vartheta f'$ gilt. -\end{definition} - -Die Formel für die Exponentialfunktion ist etwas vertrauter, sie ist -die bekannte Kettenregel -\begin{equation} -\vartheta' -= -\frac{d}{dz} e^f -= -e^f \cdot \frac{d}{dz} f -= -\vartheta \cdot f'. -\label{buch:integrale:eqn:exponentialableitung} -\end{equation} -Da wir uns vorstellen, dass Logarithmen Umkehrfunktionen von -Exponentialfunktionen sein sollen, -muss die definierende Gleichung genau wie -\eqref{buch:integrale:eqn:exponentialableitung} -aussehen, allerdings mit vertauschten Plätzen von $f$ und $\vartheta$, -also -\begin{equation} -\vartheta' = \vartheta\cdot f' -\qquad -\rightarrow -\qquad -f' = f\cdot \vartheta' -\;\Leftrightarrow\; -\vartheta' = (\log f)' = \frac{f'}{f}. -\label{buch:integrale:eqn:logarithmischeableitung} -\end{equation} -Dies ist die aus der Analysis bekannte Formel für die logarithmische -Ableitung. - -Der Logarithmus von $f$ und die Exponentialfunktion von $f$ sollen -also ebenfalls als elementare Funktionen betrachtet werden. - -\subsubsection{Die trigonometrischen Funktionen} -Die bekannten trigonometrischen Funktionen und ihre Umkehrfunktionen -sollten natürlich auch elementare Funktionen sein. -Dabei kommt uns zur Hilfe, dass sie sich mit Hilfe der Exponentialfunktion -als -\[ -\cos f = \frac{e^{if}+e^{-if}}2 -\qquad\text{und}\qquad -\sin f = \frac{e^{if}-e^{-if}}{2i} -\] -schreiben lassen. -Eine differentielle Algebra, die die Exponentialfunktionen von $if$ und -$-if$ enthält, enthält also automatisch auch die trigonometrischen -Funktionen. -Im Folgenden ist es daher nicht mehr nötig, die trigonometrischen -Funktionen speziell zu untersuchen. - -\subsubsection{Elementare Funktionen} -Damit sind wir nun in der Lage, den Begriff der elementaren Funktion -genau zu fassen. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:einfache-elementare-funktion} -Sie $\mathscr{D}$ eine differentielle Algebra über $\mathbb{C}$ und -$\mathscr{D}(\vartheta)$ eine Erweiterung von $\mathscr{D}$ um eine -neue Funktion $\vartheta$, dann heissen $\vartheta$ und die Elemente -von $\mathscr{D}(\vartheta)$ einfach elementar, wenn eine der folgenden -Bedingungen erfüllt ist: -\begin{enumerate} -\item $\vartheta$ ist algebraisch über $\mathscr{D}$, d.~h.~$\vartheta$ -ist eine ``Wurzel''. -\item $\vartheta$ ist ein Logarithmus einer Funktion in $\mathscr{D}$, -d.~h.~es gibt $f\in \mathscr{D}$ mit $f'=f\vartheta'$ -(Definition~\ref{buch:integrale:def:logexp}). -\item $\vartheta$ ist eine Exponentialfunktion einer Funktion in $\mathscr{D}$, -d.~h.~es bit $f\in\mathscr{D}$ mit $\vartheta'=\vartheta f'$ -(Definition~\ref{buch:integrale:def:logexp}). -\end{enumerate} -\end{definition} - -Einfache elementare Funktionen entstehen also ausgehend von einer -differentiellen Algebra, indem man genau einmal eine Wurzel, einen -Logarithmus oder eine Exponentialfunktion hinzufügt. -So etwas wie die zusammengesetzte Funktion $e^{\sqrt{z}}$ ist -damit noch nicht möglich. -Daher erlauben wir, dass man die gesuchten Funktionen in mehreren -Schritten aufbauen kann. - -\begin{definition} -Sei $\mathscr{F}$ eine differentielle Algebra, die die differentielle -Algebra $\mathscr{D}$ enthält, also $\mathscr{D}\subset\mathscr{F}$. -$\mathscr{F}$ und die Elemente von $\mathscr{F}$ heissen einfach, -wenn es endlich viele Elemente $\vartheta_1,\dots,\vartheta_n$ gibt -derart, dass -\[ -\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} -\begin{array}{ccccccccccccc} -\mathscr{D} -&\subset& -\mathscr{D}(\vartheta_1) -&\subset& -\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2) -&\subset& -\; -\cdots -\; -&\subset& -\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2,\dots,\vartheta_{n-1}) -&\subset& -\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2,\dots,\vartheta_{n-1},\vartheta_n) -&=& -\mathscr{F} -\\ -\| -&& -\| -&& -\| -&& -&& -\| -&& -\| -&& -\\ -\mathscr{F}_0 -&\subset& -\mathscr{F}_1 -&\subset& -\mathscr{F}_2 -&\subset& -\cdots -&\subset& -\mathscr{F}_{n-1} -&\subset& -\mathscr{F}_{n\mathstrut} -&& -\end{array} -\] -gilt so, dass jedes $\vartheta_{i+1}$ einfach ist über -$\mathscr{F}_i=\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_i)$. -\end{definition} - -In Worten bedeutet dies, dass man den Funktionen von $\mathscr{D}$ -nacheinander Wurzeln, Logarithmen oder Exponentialfunktionen einzelner -Funktionen hinzufügt. -Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion} kann -jetzt so formuliert werden. - -\begin{aufgabe} -\label{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} -Gegeben ist eine Differentielle Algebra $\mathscr{D}$ und eine -Funktion $f\in \mathscr{D}$. -Gibt es eine Folge $\vartheta_1,\dots,\vartheta_n$ und eine Funktion -$F\in\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ derart, dass -$F'=f$. -\end{aufgabe} - -Das folgende Beispiel zeigt, wie man möglicherweise mehrere -Erweiterungsschritte vornehmen muss, um zu einer Stammfunktion -zu kommen. -Es illustriert auch die zentrale Rolle, die der Partialbruchzerlegung -in der weiteren Entwicklung zukommen wird. - -\begin{beispiel} -\label{buch:integrale:beispiel:nichteinfacheelementarefunktion} -Es soll eine Stammfunktion der Funktion -\[ -f(z) -= -\frac{z}{(az+b)(cz+d)} -\in -\mathbb{C}(z) -\] -gefunden werden. -In der Analysis lernt man, dass solche Integrale mit der -Partialbruchzerlegung -\[ -\frac{z}{(az+b)(cz+d)} -= -\frac{A_1}{az+b}+\frac{A_2}{cz+d} -= -\frac{A_1cz+A_1d+A_2az+A_2b}{(az+b)(cz+d)} -\quad\Rightarrow\quad -\left\{ -\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} -\begin{array}{rcrcr} -cA_1&+&aA_2&=&1\\ -dA_1&+&bA_2&=&0 -\end{array} -\right. -\] -bestimmt werden. -Die Lösung des Gleichungssystems ergibt -$A_1=b/(bc-ad)$ und $A_2=d/(ad-bc)$. -Die Stammfunktion kann dann aus -\begin{align*} -\int f(z)\,dz -&= -\int\frac{A_1}{az+b}\,dz -+ -\int\frac{A_2}{cz+d}\,dz -= -\frac{A_1}{a}\int\frac{a}{az+b}\,dz -+ -\frac{A_2}{c}\int\frac{c}{cz+d}\,dz -\end{align*} -bestimmt werden. -In den Integralen auf der rechten Seite ist der Zähler jeweils die -Ableitung des Nenners, der Integrand hat also die Form $g'/g$. -Genau diese Form tritt in der Definition eines Logarithmus auf. -Die Stammfunktion ist jetzt -\[ -F(z) -= -\int f(z)\,dz -= -\frac{A_1}{a}\log(az+b) -+ -\frac{A_2}{c}\log(cz+d) -= -\frac{b\log(az+b)}{a(bc-ad)} -+ -\frac{d\log(cz+d)}{c(ad-bc)}. -\] -Die beiden Logarithmen kann man nicht durch rein rationale Operationen -ineinander überführen. -Sie müssen daher beide der Algebra $\mathscr{D}$ hinzugefügt werden. -\[ -\left. -\begin{aligned} -\vartheta_1&=\log(az+b)\\ -\vartheta_2&=\log(cz+d) -\end{aligned} -\quad -\right\} -\qquad\Rightarrow\qquad -F(z) \in \mathscr{F}=\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2). -\] -Die Stammfunktion $F(z)$ ist also keine einfache elementare Funktion, -aber $F$ ist immer noch eine elementare Funktion. -\end{beispiel} - -\subsection{Partialbruchzerlegung -\label{buch:integrale:section:partialbruchzerlegung}} -Die Konstruktionen des letzten Abschnitts haben gezeigt, -wie man die Funktionen, die man als Stammfunktionen einer Funktion -zulassen möchte, schrittweise konstruieren kann. -Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} -ist eine rein algebraische Formulierung der ursprünglichen -Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion}. -Schliesslich hat das Beispiel auf -Seite~\pageref{buch:integrale:beispiel:nichteinfacheelementarefunktion} -gezeigt, dass es im allgemeinen mehrere Schritte braucht, um zu einer -elementaren Stammfunktion zu gelangen. -Die Lösung setzt sich aus den Termen der Partialbruchzerlegung. -In diesem Abschnitt soll diese genauer studiert werden. - -In diesem Abschnitt gehen wir immer von einer differentiellen -Algebra über den komplexen Zahlen aus und verlangen, dass die -Konstanten in allen betrachteten differentiellen Algebren -$\mathbb{C}$ sind. - -\subsubsection{Monome} -Die beiden Funktionen $\vartheta-1=\log(az+b)$ und $\vartheta_2=(cz+d)$, -die im Beispiel hinzugefügt werden mussten, verhalten sich ich algebraischer -Hinsicht wie ein Monom: man kann es nicht faktorisieren oder bereits -bekannte Summanden aufspalten. -Solchen Funktionen kommt eine besondere Bedeutung zu. - -\begin{definition} -\label{buch:integrale:def:monom} -Die Funktion $\vartheta$ heisst ein Monom, wenn $\vartheta$ nicht -algebraisch ist über $\mathscr{D}$ und $\mathscr{D}(\vartheta)$ die -gleichen Konstanten enthält wie $\mathscr{D}$. -\end{definition} - -\begin{beispiel} -Als Beispiel beginnen wir mit den komplexen Zahlen $\mathbb{C}$ -und fügen die Funktion $\vartheta_1=z$ hinzu und erhalten -$\mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$. -Die Funktionen $z^k$ sind für alle $k$ linear unabhängig, d.~h.~es -gibt keinen Ausdruck -\[ -a_nz^n + a_{n-1}z^{n-1}+\cdots+a_1z+a_0=0. -\] -Dies ist gleichbedeutend damit, dass $z$ nicht algebraisch ist. -Das Monom $z$ ist also auch ein Monom im Sinne der -Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}. -\end{beispiel} - -\begin{beispiel} -Wir beginnen wieder mit $\mathbb{C}$ und fügen die Funktion -$e^z$ hinzu. -Gäbe es eine Beziehung -\[ -b_m(e^z)^m + b_{m-1}(e^z)^{m-1}+\dots+b_1e^z + b_0=0 -\] -mit komplexen Koeffizienten $b_i\in\mathbb{C}$, -dann würde daraus durch Einsetzen von $z=1$ die Relation -\[ -b_me^m + b_{m-1}e^{m-1} + \dots + b_1e + b_0=0, -\] -die zeigen würde, dass $e$ eine algebraische Zahl ist. -Es ist aber bekannt, dass $e$ transzendent ist. -Dieser Widersprich zeigt, dass $e^z$ ein Monom ist. -\end{beispiel} - -\begin{beispiel} -Jetzt fügen wir die Exponentialfunktion $\vartheta_2=e^z$ -der differentiellen Algebra $\mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$ hinzu -und erhalten $\mathscr{F}_1=\mathscr{D}(e^z) = \mathbb{C}(z,e^z)$. -Gäbe es das Minimalpolynom -\begin{equation} -b_m(z)(e^z)^m + b_{m-1}(z)(e^z)^{m-1}+\dots+b_1(z)e^z + b_0(z)=0 -\label{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} -\end{equation} -mit Koeffizienten $b_i\in\mathbb{C}(z)$, dann könnte man mit dem -gemeinsamen Nenner der Koeffizienten durchmultiplizieren und erhielte -eine Relation~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} mit -Koeffizienten in $\mathbb{C}[z]$. -Dividiert man durch $e^{mz}$ erhält man -\[ -b_m(z) + b_{m-1}(z)\frac{1}{e^z} + \dots + b_1(z)\frac{1}{(e^z)^{m-1}} + b_0(z)\frac{1}{(e^z)^m}=0. -\] -Aus der Analysis weiss man, dass die Exponentialfunktion schneller -anwächst als jedes Polynom, alle Terme auf der rechten Seite -konvergieren daher gegen 0 für $z\to\infty$. -Das bedeutet, dass $b_m(z)\to0$ für $z\to \infty$. -Das Polynom~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} wäre also gar -nicht das Minimalpolynom. -Dieser Widerspruch zeigt, dass $e^z$ nicht algebraisch ist über -$\mathbb{C}(z)$ und damit ein Monom ist\footnote{Etwas unbefriedigend -an diesem Argument ist, dass man hier wieder rein analytische statt -algebraische Eigenschaften von $e^z$ verwendet. -Gäbe es aber eine minimale Relation wie -\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} -mit Polynomkoeffizienten, dann wäre sie von der Form -\[ -P(z,e^z)=p(z)(e^z)^m + q(z,e^z)=0, -\] -wobei Grad von $e^z$ in $q$ höchstens $m-1$ ist. -Die Ableitung wäre dann -\[ -Q(z,e^z) -= -mp(z)(e^z)^m + p'(z)(e^z)^m + r(z,e^z) -= -(mp(z) + p'(z))(e^z)^m + r(z,e^z) -=0, -\] -wobei der Grad von $e^z$ in $r$ wieder höchstens $m-1$ ist. -Bildet man $mP(z,e^z) - Q(z,e^z) = 0$ ensteht eine Relation, -in der der Grad des Koeffizienten von $(e^z)^m$ um eins abgenommen hat. -Wiederholt man dies $m$ mal, verschwindet der Term $(e^z)^m$, die -Relation~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} -war also gar nicht minimal. -Dieser Widerspruch zeigt wieder, dass $e^z$ nicht algebraisch ist, -verwendet aber nur die algebraischen Eigenschaften der differentiellen -Algebra. -}. -\end{beispiel} - -\begin{beispiel} -Wir hätten auch in $\mathbb{Q}$ arbeiten können und $\mathbb{Q}$ -erst die Exponentialfunktion $e^z$ und dann den Logarithmus $z$ von $e^z$ -hinzufügen können. -Es gibt aber noch weitere Logarithmen von $e^z$ zum Beispiel $z+2\pi i$. -Offenbar ist $\psi=z+2\pi i\not\in \mathbb{Q}(z,e^z)$, wir könnten also -auch noch $\psi$ hinzufügen. -Zwar ist $\psi$ auch nicht algebraisch, aber wenn wir $\psi$ hinzufügen, -dann wird aber die Menge der Konstanten grösser, sie umfasst jetzt -$\mathbb{Q}(2\pi i)$. -Die Bedingung in der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}, -dass die Menge der Konstanten nicht grösser werden darf, ist also -verletzt. - -Hätte man mit $\mathbb{Q}(e^z, z+2\pi i)$ begonnen, wäre $z$ aus -dem gleichen Grund kein Monom, aber $z+2\pi i$ wäre eines im Sinne -der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}. -In allen Rechnungen könnte man $\psi=z+2\pi i$ nicht weiter aufteilen, -da $\pi$ oder seine Potenzen keine Elemente von $\mathbb{Q}(e^z)$ sind. -\end{beispiel} - -Da wir im Folgenden davon ausgehen, dass die Konstanten unserer -differentiellen Körper immer $\mathbb{C}$ sind, wird es jeweils -genügen zu untersuchen, ob eine neu hinzuzufügende Funktion algebraisch -ist oder nicht. - -\subsubsection{Ableitungen von Polynomen und rationalen Funktionen von Monomen} -Fügt man einer differentiellen Algebra ein Monom hinzu, dann lässt -sich etwas mehr über Ableitungen von Polynomen oder Brüchen in diesen -Monomen sagen. -Diese Eigenschaften werden später bei der Auflösung der Partialbruchzerlegung -nützlich sein. - -\begin{satz} -\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad} -Sei -\[ -P -= -A_nX^n + A_{n-1}X^{n-1} + \dots A_1X+A_0 -\in\mathscr{D}[X] -\] -ein Polynom mit Koeffizienten in einer differentiellen Algebra $\mathscr{D}$ -und $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$. -Dann gilt -\begin{enumerate} -\item -\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} -Falls $\vartheta=\log f$ ist, ist $P(\vartheta)'$ ein -Polynom vom Grad $n$ in $\vartheta$, wenn der Leitkoeffizient $A_n$ -nicht konstant ist, andernfalls ein Polynom vom Grad $n-1$. -\item -\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-exp} -Falls $\vartheta = \exp f$ ist, dann ist $P(\vartheta)'$ ein Polynom -in $\vartheta$ vom Grad $n$. -\end{enumerate} -\end{satz} - -Der Satz macht also genaue Aussagen darüber, wie sich der Grad eines -Polynoms in $\vartheta$ beim Ableiten ändert. - -\begin{proof}[Beweis] -Für Exponentialfunktion ist $\vartheta'=\vartheta f'$, die Ableitung -fügt also einfach einen Faktor $f'$ hinzu. -Terme der Form $A_k\vartheta^k$ haben die Ableitung -\[ -(A_k\vartheta^k) -= -A'_k\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta' -= -A'_k\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta f' -= -(A'_k + kA_k f)\vartheta^k. -\] -Damit wird die Ableitung des Polynoms -\begin{equation} -P(\vartheta)' -= -\underbrace{(A'_n+nA_nf')\vartheta^n}_{\displaystyle=(A_n\vartheta^n)'} -+ -(A'_{n-1}+(n-1)A_{n-1}f')\vartheta^{n-1} -+ \dots + -(A'_1+A_1f')\vartheta + A_0'. -\label{buch:integrale:ableitung:polynom} -\end{equation} -Der Grad der Ableitung kann sich also nur ändern, wenn $A_n'+nA_nf'=0$ ist. -Dies bedeutet aber wegen -\( -(A_n\vartheta^n)' -= -0 -\), dass $A_n\vartheta^n=c$ eine Konstante ist. -Da alle Konstanten bereits in $\mathscr{D}$ sind, folgt, dass -\[ -\vartheta^n=\frac{c}{A_n} -\qquad\Rightarrow\qquad -\vartheta^n - \frac{c}{A_n}=0, -\] -also wäre $\vartheta$ algebraisch über $\mathscr{D}$, also auch kein Monom. -Dieser Widerspruch zeigt, dass der Leitkoeffizient nicht verschwinden kann. - -Für die erste Aussage ist die Ableitung der einzelnen Terme des Polynoms -\[ -(A_k\vartheta^k)' -= -A_k'\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta' -= -A_k'\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\frac{f'}{f} -= -\biggl(A_k'\vartheta + kA_k\frac{f'}{f}\biggr)\vartheta^{k-1}. -\] -Die Ableitung des Polynoms ist daher -\[ -P(\vartheta)' -= -A_n'\vartheta^n + \biggl(nA_n\frac{f'}{f}+ A'_{n-1}\biggr)\vartheta^{n-1}+\dots -\] -Wenn $A_n$ keine Konstante ist, ist $A_n'\ne 0$ und der Grad von -$P(\vartheta)'$ ist $n$. -Wenn $A_n$ eine Konstante ist, müssen wir noch zeigen, dass der nächste -Koeffizient nicht verschwinden kann. -Wäre der zweite Koeffizient $=0$, dann wäre die Ableitung -\[ -(nA_n\vartheta+A_{n-1})' -= -nA_n\vartheta'+A'_{n-1} -= -nA_n\frac{f'}{f}+A'_{n-1} -= -0, -\] -d.h. $nA_n\vartheta+A_{n-1}=c$ wäre eine Konstante. -Da alle Konstanten schon in $\mathscr{D}$ sind, müsste auch -\[ -\vartheta = \frac{c-A_{n-1}}{nA_n} \in \mathscr{D} -\] -sein, wieder wäre $\vartheta$ kein Monom. -\end{proof} - -Der nächste Satz gibt Auskunft über den führenden Term in -$(\log P(\vartheta))' = P(\vartheta)'/P(\vartheta)$. - -\begin{satz} -\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} -Sei $P$ ein Polynom vom Grad $n$ wie in -\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung} -welches zusätzlich normiert ist, also $A_n=1$. -\begin{enumerate} -\item -\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-log} -Ist $\vartheta=\log f$, dann ist -$(\log P(\vartheta))' = P(\vartheta)'/P(\vartheta)$ und $P(\vartheta)'$ -hat Grad $n-1$. -\item -\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} -Ist $\vartheta=\exp f$, dann gibt es ein Polynom $N(\vartheta)$ so, dass -$(\log P(\vartheta))' -= -P(\vartheta)'/P(\vartheta) -= -N(\vartheta)/P(\vartheta)+nf'$ -ist. -Falls $P(\vartheta)=\vartheta$ ist $N=0$, andernfalls ist $N(\vartheta)$ -ein Polynom vom Grad $<n$. -\end{enumerate} -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -Die Gleichung $(\log P(\vartheta))'=P(\vartheta)'/P(\vartheta)$ ist die -Definition eines Logarithmus, es geht also vor allem um die Frage -des Grades von $P(\vartheta)'$. -Da der Leitkoeffizient als $1$ und damit konstant vorausgesetzt wurde, -folgt die Behauptung \ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-log} -aus -Aussage \ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} -von Satz~\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}. - -Für Aussage \ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} -beachten wir wieder die -Ableitungsformel~\eqref{buch:integrale:ableitung:polynom} -und berücksichtigen, dass $A_n=1$ eine Konstante ist. -Da $A_n'=0$ ist, wird -\begin{align*} -P(\vartheta)' -&= -nA_n\vartheta^n f' + \text{Terme niedrigeren Grades in $\vartheta$}. -\intertext{Das Polynom $nf'P(\vartheta)$ hat den gleichen Term vom -Grad $n$, man kann also $P(\vartheta)'$ auch schreiben als} -&= -nf' -P(\vartheta) -+ -\underbrace{ -\text{Terme niedrigeren Grades in $\vartheta$}}_{\displaystyle=N(\vartheta)}. -\end{align*} -Division durch $P(\vartheta)$ ergibt die versprochene Formel. - -Im Fall $P(\vartheta)=\vartheta$ ist $n=1$ und -$(\log P(\vartheta))'=P(\vartheta)'/P(\vartheta) -= -\vartheta f'/\vartheta -= -nf'$ und somit $N(\vartheta)=0$. -\end{proof} - -\subsubsection{Partialbruchzerlegungen} -Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass sich Monome im Sinne -der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom} algebraisch wie eine -unabhängige Variable verhalten. -Für die Berechnung von Integralen rationaler Funktionen in einer -Variablen $x$ verwendet -man die Partialbruchzerlegung, um Brüche mit einfachen Nennern zu -erhalten. -Es liegt daher nahe, dieselbe Idee auch auf die -Monome $\vartheta_i$ zu verwenden. -Dazu muss man die Brüche besser verstehen, die in einer Partialbruchzerlegung -vorkommen können. - -Eine Partialbruchzerlegung in der Variablen $X$ setzt sich zusammen -aus Brüchen der Form -\begin{equation} -g(X) -= -\frac{P(X)}{Q(X)^r}, -\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} -\end{equation} -wobei das Nennerpolynom $Q(X)$ ist ein normiertes irreduzibles Polynom -vom Grad $q$ und $P(X)$ ein beliebiges Polynom vom Grad $p<q$. - -Ist der Grad von $P(X)$ -im Quotienten -\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} -grösser als $q$, dann kann man $P(X)$ um Vielfache von Potenzen von -$Q(X)$ reduzieren und eine Summe von Termen der Art -\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} -erhalten, deren Nenner alle Grad $< q$ haben. -Die Anzahl neu enstehender Terme ist dabei ums grösser, je grösser -der Grad des Zählers ist. -Dies ist der Inhalt des folgenden Satzes. - -\begin{satz} -\label{buch:integrale:satz:partialbruch-reduktion} -Sei $Q(X)$ ein irreduzibles Polynom vom Grad $q$ und $P(X)$ ein beliebiges -Polynom vom Grad $p < (k+1)q$. -Dann gibt es Polynome $P_i(X)$, $i=0,\dots,k$, vom Grad $<q$ derart, -dass -\begin{equation} -\frac{P(X)}{Q(X)^r} -= -\sum_{i=0}^k \frac{P_i(X)}{Q(X)^{r-i}}. -\label{buch:integrale:satz:partialbruch-aufgeloest} -\end{equation} -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -Für $k=0$ ist $p<q$ und es muss nichts weiter gezeigt werden. - -Sei jetzt also $k>0$ das kleinste $k$ so, dass $p<(k+1)q$. -Insbesondere ist dann $kq\le p$. -Nach dem euklidischen Satz für die Division von $P(X)$ durch $Q(X)^k$ -gibt es ein Polynom $P_k(X)$ vom Grad $\le p-qk$ derart, dass -\[ -P(X) = P_k(X)Q(X)^k + R_k(X) -\] -mit einem Rest $R_k(X)$ vom Grad $<kq$. -Es folgt -\[ -\frac{ P(X)}{Q(X)^r} -= -\frac{P_k(X)}{Q(X)^{r-k}} -+ -\frac{R_k(X)}{Q(X)^r}. -\] -Der zweite Term ist wieder von der im Satz beschriebenen Art, allerdings -mit einem Wert von $k$, der um $1$ kleiner ist. -Durch rekursive Anwendung der gleichen Prozedur in $k$ weiteren Schritten -erhält man die Form -Das gleiche Argument kann jetzt auf das Polynom $R_k(X)$ anstelle -von $P(X)$ angewendet werden, erhalt man den Ausdruck -\eqref{buch:integrale:satz:partialbruch-aufgeloest}. -\end{proof} - -In der differentiellen Algebra $\mathscr{D}(\vartheta)$ muss man jetzt -auch Bescheid wissen über die Partialbruchzerlegung von Ableitungen solcher -Terme. - -\begin{satz} -\label{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} -Sei $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$ und -seien $P(\vartheta),Q(\vartheta)\in\mathscr{D}[\vartheta]$ Polynome, -wobei $Q(\vartheta)$ ein irreduzibles normiertes Polynom vom Grad $q$ -ist und $P(\vartheta)$ ein beliebiges Polynom vom Grad $p<q$. -Dann ist die Ableitung -\begin{equation} -g(\vartheta)' -= -\biggl( -\frac{P(\vartheta)}{Q(\vartheta)^r} -\biggr)' -= --r\frac{P(\vartheta)Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r+1}} -+ -\frac{P(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^r}. -\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung} -\end{equation} -Falls $\vartheta=\exp f$ eine Exponentialfunktion ist und -$Q(\vartheta)=\vartheta$, dann hat die Partialbruchzerlegung von $g(X)'$ -die Form -\begin{equation} -g(\vartheta)' -= -\frac{ -{P(\vartheta)'-rP(\vartheta)f} -}{ -\vartheta^{r} -}. -\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung-fall0} -\end{equation} -Für $Q(\vartheta)\ne \vartheta$ oder $\vartheta$ keine Exponentialfunktion -hat die Partialbruchzerlegung von $g(X)'$ die Form -\[ -g(\vartheta)' -= -\frac{R(\vartheta)}{Q(\vartheta)^{r+1}}+\frac{S(\vartheta)}{Q(\vartheta)^r} -\qquad\text{mit $R(\vartheta)\ne 0$}. -\] -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -Schreibt man den Quotienten $g(\vartheta)$ als -$g(\vartheta)=P(\vartheta)Q(\vartheta)^{-r}$, dann folgt aus -Produkt- und Potenzregel -\[ -g(\vartheta)' -= -P(\vartheta)'Q(\vartheta)^{-r} -+ -P(\vartheta)\bigl(Q(\vartheta)^{-r}\bigr)' -= -\frac{P(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r}} --r\frac{P(\vartheta)Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r+1}}, -\] -dies ist -\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung}. -Auf die Ableitungen von $P(\vartheta)$ und $Q(\vartheta)$ können -jetzt die Sätze -\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}, -\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} -und -\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} -angewendet werden. -Es sind jweils zwei Dinge zu prüfen: es dürfen in der Partialbruchzerlegung -im Nenner keine Potenzen $<r$ vorkommen und wegen $R\ne 0$ muss der Nenner -$Q(\vartheta)^{r+1}$ vorkommen. - -Falls $\vartheta=\log f$ ist, ist $Q(\vartheta)'$ ein Polynom vom -Grad $q-1$ nach Satz~\eqref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad} -\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} -und $P(\vartheta)'$ ist ein Polynom vom Grad höchstens $p$. -Der Zähler $P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ im zweiten Term ist nicht -durch $Q(\vartheta)$ teilbar, denn weil $Q(\vartheta)$ irreduzibel -ist, müsste $Q(\vartheta)$ entweder $P(\vartheta)$ oder $Q(\vartheta)'$ -teilen, aber beide haben zu geringen Grad. - -Falls $\vartheta=\exp f$ ist, ist $Q(\vartheta)'$ ein Polynom vom -Grad $q$ und $P(\vartheta)'$ ist eine Polynom vom Grad $p$. -Der Grad von $P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ ist $<2q$, daher -werden nach -Satz~\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-reduktion} -keine Nenner mit kleinerem Exponenten als $r$ auftreten. -Es ist noch zu prüfen, ob $Q(\vartheta)$ den Nenner des zweiten Termes -von~\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung} teilt. -Nehmen wir $Q(\vartheta)\mid P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ an, dann muss -$Q(\vartheta)\mid Q(\vartheta)'$ sein. -Für -\[ -Q(\vartheta) = \vartheta^q + q_{q-1}\vartheta^{q-1} + \dots -\] -ist die Ableitung -\[ -Q(\vartheta)' -= -q\vartheta^q f' -+ -\dots -\] -und damit -\[ -\frac{Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)} -= -qf'. -\] -Andererseits ist in der -Aussage~\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} -von -Satz~\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} -angewendet auf das Polynom $Q(\vartheta)$ das Polynom $N(\vartheta)=0$, -und daher muss $Q(\vartheta)=\vartheta$ und $q=1$ sein. -Dies ist der einzige Ausnahmefall, in die Partialbruchzerlegung die Form -\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung-fall0} -annimmt. -\end{proof} - -Der Satz besagt also, dass in fast allen Fällen die einzelnen Terme -der Partialbruchzerlegung der Ableitungen wieder von der gleichen -Form sind. - -\subsection{Der Satz von Liouville -\label{buch:integrale:section:liouville}} -Die Funktion -\[ -f(z) = \frac{(z+1)^2}{(z-1)^3} \in \mathbb{C}(z) = \mathscr{D} -\] -kann mit Hilfe der Partialbruchzerlegung -\[ -f(z) -= -\frac{1}{z-1} -+ -\frac{4}{(z-1)^2} -+ -\frac{4}{(z-1)^3} -\] -integriert werden. -Die Integranden $(z-1)^{-k}$ mit $k>1$ können mit der Potenzregel -integriert werden, aber für eine Stammfunktion $1/(z-1)$ muss -der Logarithmus $\log(z-1)$ hinzugefügt werden. -Die Stammfunktion -\[ -\int f(z)\,dz -= -\int -\frac{1}{z-1} -\,dz -+ -\int -\frac{4}{(z-1)^2} -\,dz -+ -\int -\frac{4}{(z-1)^3} -\,dz -= -\log(z-1) -- -\underbrace{\frac{4z-2}{(z-1)^2}}_{\displaystyle\in\mathscr{D}} -\in \mathscr{D}(\log(z-1)) = \mathscr{F} -\] -hat eine sehr spezielle Form. -Sie besteht aus einem Term in $\mathscr{D}$ und einem Logarithmus -einer Funktion von $\mathscr{D}$, also einem Monom über $\mathscr{D}$. - -\subsubsection{Einfach elementare Stammfunktionen} -Der in diesem Abschnitt zu beweisende Satz von Liouville zeigt, -dass die im einführenden Beispiel konstruierte Form der Stammfunktion -eine allgemeine Eigenschaft elementar integrierbarer -Funktionen ist. -Zunächst aber soll dieses Bespiel etwas verallgemeinert werden. - -\begin{satz}[Liouville-Vorstufe für Monome] -\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} -Sei $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$ und $g\in\mathscr{D}(\vartheta)$ -mit $g'\in\mathscr{D}$. -Dann hat $g$ die Form $v_0 + c_1\vartheta$ mit $v_0\in\mathscr{D}$ und -$c_1\in\mathbb{C}$. -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -In Anlehnung an das einführende Beispiel nehmen wir an, dass die -Stammfunktion $g\in\mathscr{D}[\vartheta]$ für ein Monom $\vartheta$ -über $\mathscr{D}$ ist. -Dann hat $g$ die Partialbruchzerlegung -\[ -g -= -H(\vartheta) -+ -\sum_{j\le r(i)} \frac{P_{ij}(\vartheta)}{Q_i(\vartheta)^j} -\] -mit irreduziblen normierten Polynomen $Q_i(\vartheta)$ und -Polynomen $P_{ij}(\vartheta)$ vom Grad kleiner als $\deg Q_i(\vartheta)$. -Ausserdem ist $H(\vartheta)$ ein Polynom. -Die Ableitung von $g$ muss jetzt aber wieder in $\mathscr{D}$ sein. -Zu ihrer Berechnung können die Sätze -\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}, -\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} -und -\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} -verwendet werden. -Diese besagen, dass in der Partialbruchzerlegung die Exponenten der -Nenner die Quotienten in der Summe nicht kleiner werden. -Die Ableitung $g'\in\mathscr{D}$ darf aber gar keine Nenner mit -$\vartheta$ enthalten, also dürfen die Quotienten gar nicht erst -vorkommen. -$g=H(\vartheta)$ muss also ein Polynom in $\vartheta$ sein. -Die Ableitung des Polynoms darf wegen $g'\in\mathscr{d}$ das Monom -$\vartheta$ ebenfalls nicht mehr enthalten, daher kann es höchstens vom -Grad $1$ sein. -Nach Satz~\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} -muss ausserdem der Leitkoeffizient von $g$ eine Konstante sein, -das Polynom hat also genau die behauptete Form. -\end{proof} - -\begin{satz}[Liouville-Vorstufe für algebraische Elemente] -\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-2} -Sei $\vartheta$ algebraische über $\mathscr{D}$ und -$g\in\mathscr{D}(\vartheta)$ mit $g'\in\mathscr{D}$. -\end{satz} - -\subsubsection{Elementare Stammfunktionen} -Nach den Vorbereitungen über einfach elementare Stammfunktionen -in den Sätzen~\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} -und -\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-2} sind wir jetzt -in der Lage, den allgemeinen Satz von Liouville zu formulieren -und zu beweisen. - -\begin{satz}[Liouville] -Sei $\mathscr{D}$ ein Differentialkörper, $\mathscr{F}$ einfach über -$\mathscr{D}$ mit gleichem Konstantenkörper $\mathbb{C}$. -Wenn $g\in \mathscr{F}$ eine Stammfunktion von $f\in\mathscr{D}$ ist, -also $g'=f$, dann gibt es Zahlen $c_i\in\mathbb{C}$ und -$v_0,v_i\in\mathscr{D}$ derart, dass -\begin{equation} -g = v_0 + \sum_{i=1}^k c_i \log v_i -\qquad\Rightarrow\qquad -g' = v_0' + \sum_{i=1}^k c_i \frac{v_i'}{v_i} = f -\label{buch:integrale:satz:liouville-fform} -\end{equation} -gilt. -\end{satz} - -Der Satz hat zur Folge, dass eine elementare Stammfunktion für $f$ -nur dann existieren kann, wenn sich $f$ in der speziellen Form -\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} -schreiben lässt. -Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} -lässt sich damit jetzt lösen. - - -\begin{proof}[Beweis] -Wenn die Stammfunktion $g\in\mathscr{D}$ ist, dann hat $g$ die Form -\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} mit $v_0=g$, die Summe -wird nicht benötigt. - -Wir verwenden Induktion nach der Anzahl der Elemente, die zu $\mathscr{D}$ -hinzugefügt werden müssen, um einen Differentialkörper -$\mathscr{F}=\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ zu konstruieren, -der $g$ enthält. -Da $f\in\mathscr{D}\subset\mathscr{D}(\vartheta_1)$ ist, können wir die -Induktionsannahme auf die Erweiterung -\[ -\mathscr{D}(\vartheta_1)\subset\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2) -\subset\cdots\subset \mathscr{D}(\vartheta_1,\cdots,\vartheta_n)=\mathscr{F} -\] -anwenden, die durch Hinzufügen von nur $n-1$ Elemente -$\vartheta_2,\dots,\vartheta_n$ aus $\mathscr{D}(\vartheta_1)$ den -Differentialkörper $\mathscr{F}$ erreicht, der $g$ enthält. -Sie besagt, dass sich $g$ schreiben lässt als -\[ -g = w_0 + \sum_{i=1}^{k_1} c_i\log w_i -\qquad\text{mit $c_i\in\mathbb{C}$ und $w_0,w_i\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$.} -\] -Wir müssen jetzt zeigen, dass sich dieser Ausdruck umformen lässt -in den Ausdruck der Form~\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform}. - -Der Term $w_0\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$ hat eine Partialbruchzerlegung -\[ -H(\vartheta_1) -+ -\sum_{j\le r(l)} \frac{P_{lj}(\vartheta_1)}{Q_l(\vartheta_1)^j} -\] -in der Variablen $\vartheta_1$. - -Da $w_i\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$ ist, kann man Zähler und Nenner -von $w_i$ als Produkt irreduzibler normierter Polynome schreiben: -\[ -w_i -= -\frac{h_i Z_{i1}(\vartheta_1)^{s_{i1}}\cdots Z_{im(i)}^{s_{im(i)}} -}{ -N_{i1}(\vartheta_1)^{t_{i1}}\cdots N_{in(i)}(\vartheta_1)^{t_{in(i)}} -} -\] -Der Logarithmus hat die Form -\begin{align*} -\log w_i -&= \log h_i + -s_{i1} -\log Z_{i1}(\vartheta_1) -+ -\cdots -+ -s_{im(i)} -\log Z_{im(i)} -- -t_{i1} -\log -N_{i1}(\vartheta_1) -- -\cdots -- -t_{in(i)} -\log -N_{in(i)}(\vartheta_1). -\end{align*} -$g$ kann also geschrieben werden als eine Summe von Polynomen, Brüchen, -wie sie in der Partialbruchzerlegung vorkommen, Logarithmen von irreduziblen -normierten Polynomen und Logarithmen von Elementen von $\mathscr{D}$. - -Die Ableitung $g'$ muss jetzt aber wieder in $\mathscr{D}$ sein, beim -Ableiten müssen also alle Terme verschwinden, die $\vartheta_1$ enthalten. -Dabei spielt es eine Rolle, ob $\vartheta_1$ ein Monom oder algebraisch ist. -\begin{enumerate} -\item -Wenn $\vartheta_1$ ein Monom ist, dann kann man wie im Beweis des -Satzes~\ref{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} argumentieren, -dass die Brüchterme gar nicht vorkommen und -$H(\vartheta_1)=v_0+c_1\vartheta_1$ sein muss. -Die Ableitung Termen der Form $\log Z(\vartheta_1)$ ist ein Bruchterm -mit dem irreduziblen Nenner $Z(\vartheta_1)$, die ebenfalls verschwinden -müssen. -Ist $\vartheta_1$ eine Exponentialfunktion, dann ist -$\vartheta_1' \in \mathscr{D}(\vartheta_1)\setminus\mathscr{D}$, also muss -$c_1=0$ sein. -Ist $\vartheta_1$ ein Logarithmus, also $\vartheta_1=\log v_1$, dann -kommen nur noch Terme der in -\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} -erlaubten Form vor. - -\item -Wenn $\vartheta_1$ algebraisch vom Grad $m$ ist, dann ist -\[ -g' = w_0' + \sum_{i=1}^{k_1} d_i\frac{w_i'}{w_i} = f. -\] -Weder $w_0$ noch $\log w_i$ sind in $\mathscr{D}(\vartheta_1)$. -Aber wenn man $\vartheta_1$ durch die $m$ konjugierten Elemente -ersetzt und alle summiert, dann ist -\[ -mf -= -\operatorname{Tr}(w_0) + \sum_{i=1}^{k_1} d_i \log\operatorname{Norm}(w_i). -\] -Da die Spur und die Norm in $\mathscr{D}$ sind, folgt, dass -\[ -f -= -\underbrace{\frac{1}{m} -\operatorname{Tr}(w_0)}_{\displaystyle= v_0} -+ -\sum_{i=1}^{k_1} \underbrace{\frac{d_i}{m}}_{\displaystyle=c_i} -\log -\underbrace{ \operatorname{Norm}(w_i)}_{\displaystyle=v_i} -= -v_0 + \sum_{i=1}^{k_1} c_i\log v_i -\] -die verlangte Form hat. -\qedhere -\end{enumerate} -\end{proof} - -\subsection{Die Fehlerfunktion ist keine elementare Funktion -\label{buch:integrale:section:fehlernichtelementar}} -% \url{https://youtu.be/bIdPQTVF5n4} -Mit Hilfe des Satzes von Liouville kann man jetzt beweisen, dass -die Fehlerfunktion keine elementare Funktion ist. -Dazu braucht man die folgende spezielle Form des Satzes. - -\begin{satz} -\label{buch:integrale:satz:elementarestammfunktion} -Wenn $f(x)$ und $g(x)$ rationale Funktionen von $x$ sind, dann -ist die Stammfunktion von $f(x)e^{g(x)}$ genau dann eine -elementare Funktion, wenn es eine rationale Funktion gibt, die -Lösung der Differentialgleichung -\[ -r'(x) + g'(x)r(x)=f(x) -\] -ist. -\end{satz} - -\begin{satz} -Die Funktion $x\mapsto e^{-x^2}$ hat keine elementare Stammfunktion. -\label{buch:iintegrale:satz:expx2} -\end{satz} - -\begin{proof}[Beweis] -Unter Anwendung des Satzes~\ref{buch:integrale:satz:elementarestammfunktion} -auf $f(x)=1$ und $g(x)=-x^2$ folgt, $e^{-x^2}$ genau dann eine rationale -Stammfunktion hat, wenn es eine rationale Funktion $r(x)$ gibt, die -Lösung der Differentialgleichung -\begin{equation} -r'(x) -2xr(x)=1 -\label{buch:integrale:expx2dgl} -\end{equation} -ist. - -Zunächst halten wir fest, dass $r(x)$ kein Polynom sein kann. -Wäre nämlich -\[ -r(x) -= -a_0 + a_1x + \dots + a_nx^n -= -\sum_{k=0}^n a_kx^k -\quad\Rightarrow\quad -r'(x) -= -a_1 + 2a_2x + \dots + na_nx^{n-1} -= -\sum_{k=1}^n -ka_kx^{k-1} -\] -ein Polynom, dann ergäbe sich beim Einsetzen in die Differentialgleichung -\begin{align*} -1 -&= -r'(x)-2xr(x) -\\ -&= -a_1 + 2a_2x + 3a_3x^2 + \dots + (n-1)a_{n-1}x^{n-2} + na_nx^{n-1} -\\ -&\qquad -- -2a_0x -2a_1x^2 -2a_2x^3 - \dots - 2a_{n-1}x^n - 2a_nx^{n+1} -\\ -& -\hspace{0.7pt} -\renewcommand{\arraycolsep}{1.8pt} -\begin{array}{crcrcrcrcrcrcrcr} -=&a_1&+&2a_2x&+&3a_3x^2&+&\dots&+&(n-1)a_{n-1}x^{n-2}&+&na_{n }x^{n-1}& & & & \\ - & &-&2a_0x&-&2a_1x^2&-&\dots&-& 2a_{n-3}x^{n-2}&-&2a_{n-2}x^{n-1}&-&2a_{n-1}x^n&-&2a_nx^{n+1} -\end{array} -\\ -&= -a_1 -+ -(2a_2-2a_0)x -+ -(3a_3-2a_1)x^2 -%+ -%(4a_4-2a_2)x^3 -+ -\dots -+ -(na_n-2a_{n-2})x^{n-1} -- -2a_{n-1}x^n -- -2a_nx^{n+1}. -\end{align*} -Koeffizientenvergleich zeigt, dass $a_1=1$ sein muss. -Aus den letzten zwei Termen liest man ebenfalls mittels Koeffizientenvergleich -ab, dass $a_n=0$ und $a_{n-1}=0$ sein müssen. -Aus den Koeffizienten $(ka_k-2a_{k-2})=0$ folgt, dass -$a_{k-2}=\frac{k}{2}a_k$ für alle $k>1$ sein muss, diese Koeffizienten -verschwinden also auch, inklusive $a_1=0$. -Dies ist allerdings im Widerspruch zu $a_1=1$. -Es folgt, dass $r(x)$ kein Polynom sein kann. - -Der Nenner der rationalen Funktion $r(x)$ hat also mindestens eine Nullstelle -$\alpha$, man kann daher $r(x)$ auch schreiben als -\[ -r(x) = \frac{s(x)}{(x-\alpha)^n}, -\] -wobei die rationale Funktion $s(x)$ keine Nullstellen und keine Pole hat. -Einsetzen in die Differentialgleichung ergibt: -\[ -1 -= -r'(x) -2xr(x) -= -\frac{s'(x)}{(x-\alpha)^n} --n -\frac{s(x)}{(x-\alpha)^{n+1}} -- -\frac{2xs(x)}{(x-\alpha)^n}. -\] -Multiplizieren mit $(x-\alpha)^{n+1}$ gibt -\[ -(x-\alpha)^{n+1} -= -s'(x)(x-\alpha) -- -ns(x) -- -2xs(x)(x-\alpha) -\] -Setzt man $x=\alpha$ ein, verschwinden alle Terme ausser dem mittleren -auf der rechten Seite, es bleibt -\[ -ns(\alpha) = 0. -\] -Dies widerspricht aber der Wahl der rationalen Funktion $s(x)$, für die -$\alpha$ keine Nullstelle ist. - -Somit kann es keine rationale Funktion $r(x)$ geben, die eine Lösung der -Differentialgleichung~\eqref{buch:integrale:expx2dgl} ist und -die Funktion $e^{-x^2}$ hat keine elementare Stammfunktion. -\end{proof} - -Der Satz~\ref{buch:iintegrale:satz:expx2} rechtfertigt die Einführung -der Fehlerfunktion $\operatorname{erf}(x)$ als neue spezielle Funktion, -mit deren Hilfe die Funktion $e^{-x^2}$ integriert werden kann. - - - +\rhead{Differentialkörper} +Die Einführung einer neuen Funktion $\operatorname{erf}(x)$ wurde +durch die Behauptung gerechtfertigt, dass es für den Integranden +$e^{-x^2}$ keine Stammfunktion in geschlossener Form gäbe. +Die Fehlerfunktion ist bei weitem nicht die einzige mit dieser +Eigenschaft. +Doch woher weiss man, dass es keine solche Funktion gibt, und +was heisst überhaupt ``Stammfunktion in geschlossener Form''? +In diesem Abschnitt wird daher ein algebraischer Rahmen entwickelt, +in dem diese Frage sinnvoll gestellt werden kann. +Das ultimative Ziel, welches aber erst in +Abschnitt~\ref{buch:integral:section:risch} in Angriff genommen +wird, ist ein Computer-Algorithmus, der Integrale in geschlossener +Form findet oder beweist, dass dies für einen gegebenen Integranden +nicht möglich ist. + +\input{chapters/060-integral/rational.tex} +\input{chapters/060-integral/erweiterungen.tex} +\input{chapters/060-integral/diffke.tex} +\input{chapters/060-integral/iproblem.tex} +\input{chapters/060-integral/irat.tex} +\input{chapters/060-integral/sqrat.tex} diff --git a/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper2.tex b/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper2.tex new file mode 100644 index 0000000..f41d3ba --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper2.tex @@ -0,0 +1,1953 @@ +% +% differentialalgebren.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Differentialkörper und der Satz von Liouville +\label{buch:integrale:section:dkoerper}} +\rhead{Differentialkörper und der Satz von Liouville} +Das Problem der Darstellbarkeit eines Integrals in geschlossener +Form verlangt zunächst einmal nach einer Definition dessen, was man +als ``geschlossene Form'' akzeptieren will. +Die sogenannten {\em elementaren Funktionen} von +Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:elementar} +bilden dafür den theoretischen Rahmen. +Das Problem ist dann die Frage zu beantworten, ob ein Integral eine +Stammfunktion hat, die eine elementare Funktion ist. +Der Satz von Liouville von Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:liouville} +löst das Problem. + +\subsection{Eine Analogie +\label{buch:integrale:section:analogie}} +% XXX Analogie: Formel für Polynom-Nullstellen +% XXX Stammfunktion als elementare Funktion +Das Analysis-Problem, eine Stammfunktion zu finden, ist analog zum +wohlbekannten algebraischen Problem, Nullstellen von Polynomen zu finden. +Wir entwickeln diese Analogie in etwas mehr Detail, um zu sehen, ob man +aus dem algebraischen Problem etwas über das Problem der Analysis +lernen kann. + +Für ein Polynom $p(X) = a_nX^n+a_{n-1}X^{n-1}+\dots+a_1X+a_0\in\mathbb{C}[X]$ +mit Koeffizienten $a_k\in\mathbb{C}$ ist es sehr einfach, für jede beliebige +komplexe Zahl $z\in\mathbb{C}$ den Wert $p(z)$ des Polynoms auszurechnen. +Ein paar wenige Rechenregeln genügen dazu, man kann leicht einem Kind +beibringen, mit einem Taschenrechner so einen Wert auszurechnen. + +Ähnlich sieht es mit der Ableitungsoperation aus. +Einige wenige Ableitungsregeln, die man in der Analysis~I lernt, +erlauben, auf mehr oder weniger mechanische Art und Weise, jede +beliebige Funktion abzuleiten. +Man kann auch leicht einen Computer dazu programmieren, solche Ableitungen +symbolisch zu berechnen. + +Aus dem Fundamentalsatz der Algebra, der von Gauss vollständig bewiesen +wurde, ist bekannt, dass jedes Polynom mit Koeffizienten in $\mathbb{C}$ +genau so viele Lösungen in $\mathbb{C}$, wie der Grad des Polynoms angibt. +Dies ist aber ein Existenzsatz, er sagt nichts darüber aus, wie man diese +Lösungen finden kann. +In Spezialfällen, wie zum Beispiel für quadratische Polynome, gibt +es spezialsierte Lösungsverfahren, mit denen man Lösungen angeben kann. +Natürlich existieren numerische Methoden wie zum Beispiel das +Newton-Verfahren, mit dem man Nullstellen von Polynomen beliebig genau +bestimmen kann. + +Der Fundamentalsatz der Integralrechnung besagt, dass jede stetige +Funktion eine Stammfunktion hat, die bis auf eine Konstante eindeutig +bestimmt ist. +Auch dieser Existenzsatz gibt keinerlei Hinweise darauf, wie man die +Stammfunktion finden kann. +In der Analysis-Vorlesung lernt man viele Tricks, die in einer +beindruckenden Zahl von Spezialfällen ermöglichen, ein passende +Funktion anzugeben. +Man lernt auch numerische Verfahren kennen, mit denen sich Werte der +Stammfunktion, also bestimmte Integrale, mit beliebiger Genauigkeit +finden kann. + +Die numerische Lösung des Nullstellenproblems ist insofern unbefriedigend, +als sie nur schwer eine Diskussion der Abhängigkeit der Nullstellen von +den Koeffizienten des Polynoms ermöglichen. +Eine Formel wie die Lösungsformel für die quadratische Gleichung +stellt genau für solche Fälle ein ideales Werkzeug bereit. +Was man sich also wünscht ist nicht nur einfach eine Lösung, sondern eine +einfache Formel zur Bestimmung aller Lösungen. +Im Zusammenhang mit algebraischen Gleichungen erwartet man eine Formel, +in der nur arithmetische Operationen und Wurzeln vorkommen. +Für quadratische Gleichungen ist so eine Formel seit dem Altertum bekannt, +Formeln für die kubische Gleichung und die Gleichung vierten Grades wurden +im 16.~Jahrhundert von Cardano bzw.~Ferrari gefunden. +Erst viel später haben Abel und Ruffini gezeigt, dass so eine allgemeine +Formel für Polynome höheren Grades als 4 nicht existiert. +Die Galois-Theorie, die auf den Ideen von Évariste Galois beruht, +stellt eine vollständige Theorie unter anderem für die Lösbarkeit +von Gleichungen durch Wurzelausdrücke dar. + +Numerische Integralwerte haben ebenfalls den Nachteil, dass damit +Diskussionen wie die Abhängigkeit von Parametern eines Integranden +nur schwer möglich sind. +Was man sich daher wünscht ist eine Formel für die Stammfunktion, +die Werte als Zusammensetzung gut bekannter Funktionen wie der Exponential- +und Logarithmus-Funktionen oder der trigonometrischen Funktionen +sowie Wurzeln, Potenzen und den arithmetischen Operationen. +Man sagt, man möchte die Stammfunktion in ``geschlossener Form'' +dargestellt haben. +Tatsächlich ist dieses Problem auch zu Beginn des 19.~Jahrhunderts +von Joseph Liouville genauer untersucht worden. +Er hat zunächst eine Klasse von ``elementaren Funktionen'' definiert, +die als Darstellungen einer Stammfunktion in Frage kommen. +Der Satz von Liouville besagt dann, dass nur Funktionen mit einer +ganz speziellen Form eine elementare Stammfunktion haben. +Damit wird es möglich, zu entscheiden, ob ein Integrand wie $e^{-x^2}$ +eine elementare Stammfunktion hat. +Seit dieser Zeit weiss man zum Beispiel, dass die Fehlerfunktion nicht +mit den bekannten Funktionen dargestellt werden kann. + +Mit dem Aufkommen der Computer und vor allem der Computer-Algebra-System (CAS) +wurde die Frage nach der Bestimmung einer Stammfunktion erneut aktuell. +Die ebenfalls weiter entwickelte abstrakte Algebra hat ermöglicht, die +Ideen von Liouville in eine erweiterte, sogenannte differentielle +Galois-Theorie zu verpacken, die eine vollständige Lösung des Problems +darstellt. +Robert Henry Risch hat in den Sechzigerjahren auf dieser Basis +einen Algorithmus entwickelt, mit dem es möglich wird, zu entscheiden, +ob eine Funktion eine elementare Stammfunktion hat und diese +gegebenenfalls auch zu finden. +Moderne CAS implementieren diesen Algorithmus +in Teilen, besonders weit zu gehen scheint das quelloffene System +Axiom. + +Der Risch-Algorithmus hat allerdings eine Achillesferse: er benötigt +eine Method zu entscheiden, ob zwei Ausdrücke übereinstimmen. +Dies ist jedoch ein im Allgemeinen nicht entscheidbares Problem. +Moderne CAS treiben einigen Aufwand, um die +Gleichheit von Ausdrücken zu entscheiden, sie können das Problem +aber grundsätzlich nicht vollständig lösen. +Damit kann der Risch-Algorithmus in praktischen Anwendungen das +Stammfunktionsproblem ebenfalls nur mit Einschränkungen lösen, +die durch die Fähigkeiten des Ausdrucksvergleichs in einem CAS +gesetzt werden. + +Im Folgenden sollen elementare Funktionen definiert werden, es sollen +die Grundideen der differentiellen Galois-Theorie zusammengetragen werden +und der Satz von Liouvill vorgestellt werden. +An Hand der Fehler-Funktion soll dann gezeigt werden, wie man jetzt +einsehen kann, dass die Fehlerfunktion nicht elementar darstellbar ist. +Im nächsten Abschnitt dann soll der Risch-Algorithmus skizziert werden. + +\subsection{Elementare Funktionen +\label{buch:integrale:section:elementar}} +Es soll die Frage beantwortet werden, welche Stammfunktionen sich +in ``geschlossener Form'' oder durch ``wohlbekannte Funktionen'' +ausdrücken lassen. +Welche Funktionen dabei als ``wohlbekannt'' gelten dürfen ist +ziemlich willkürlich. +Sicher möchte man Potenzen und Wurzeln, Logarithmus und Exponentialfunktion, +aber auch die trigonometrischen Funktionen dazu zählen dürfen. +Ausserdem will man beliebig mit den arithmetischen Operationen +rechnen. +So entsteht die Menge der Funktionen, die man ``elementar'' nennen +will. + +In der Menge der elementaren Funktionen möchte man jetzt +Stammfunktionen ausgewählter Funktionen suchen. +Dazu muss man von jeder Funktion ihre Ableitung kennen. +Die Ableitungsoperation macht aus der Funktionenmenge eine +differentielle Algebra. +Der Satz von Liouville (Satz~\ref{buch:integrale:satz:liouville1}) +liefert Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn eine Funktion +eine elementare Stammfunktion hat. +Sind diese Bedingungen nicht erfüllbar, ist auch keine +elementare Stammfunktion möglich. + +In den folgenden Abschnitten soll die differentielle Algebra +der elementaren Funktionen konstruiert werden. + +\subsubsection{Körper} +Die einfachsten Funktionen sind die die Konstanten, für die wir +für die nachfolgenden Betrachtungen fast immer die komplexen Zahlen +$\mathbb{C}$ +zu Grunde legen wollen. +Dabei ist vor allem wichtig, dass sich darin alle arithmetischen +Operationen durchführen lassen mit der einzigen Ausnahme, dass +nicht durch $0$ dividiert werden darf. +Man nennt $\mathbb{C}$ daher ein {\em Körper}. +\index{Körper}% +\label{buch:integrale:def:koerper} + +\subsubsection{Polynome und rationale Funktionen} +Die Polynome einer Variablen beschreiben eine Menge von +Funktionen, in der Addition, Subtraktion, Multiplikation +von Funktionen und Multiplikation mit komplexen Zahlen +uneingeschränkt möglich ist. +Wir bezeichen wie früher die Menge der Polynome in $z$ mit +$\mathbb{C}[z]$. + +Die Division ist erst möglich, wenn man beliebige Brüche +zulässt, deren Zähler und Nenner Polynome sind. +Die Menge +\[ +\mathbb{C}(z) += +\biggl\{ +\frac{p(z)}{q(z)} +\;\bigg|\; +p,q\in \mathbb{C}[z] +\biggr\} +\] +heisst die Menge der {\em rationalen Funktionen}. +\label{buch:integrale:def:rationalefunktion} +\index{Funktion, rationale}% +\index{rationale Funktion}% +In ihr sind jetzt alle arithmetischen Operationen ausführbar +ausser natürlich die Division durch die Nullfunktion. +Die rationalen Funktionen bilden also wieder eine Körper. + +Die Tatsache, dass die rationalen Funktionen einen Körper +bilden bedeutet auch, dass die Konstruktion erneut durchgeführt +werden kann. +Ausgehend von einem beliebigen Körper $K$ können wieder zunächst +die Polynome $K[X]$ und anschliesen die rationalen Funktionen $K[X]$ +in der neuen Variablen, jetzt aber mit Koeffizienten in $K$ +gebildet werden. +So entstehen Funktionen von mehreren Variablen und, indem +wir für die neue Variable $X$ zum Beispiel die im übernächsten +Abschnitt betrachtete Wurzel $X=\sqrt{z}$ +einsetzen, rationale Funktionen in $z$ und $\sqrt{z}$. + +Solche Funktionenkörper werden im folgenden mit geschweiften +Buchstaben $\mathscr{D}$ bezeichnet. +\index{Funktionenkörper}% + +\subsubsection{Ableitungsoperation} +In allen Untersuchungen soll immer die Ableitungsoperation +mit berücksichtigt werden. +In unserer Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, dass die +Ableitung aus einem Grenzwert entsteht, es sind nur die algebraischen +Eigenschaften wichtig. +Diese sind in der folgenden Definition zusammengefasst. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:derivation} +Ein {\em Ableitungsoperator} oder eine {\em Derivation} einer Algebra +$\mathscr{D}$ von Funktionen ist eine lineare Abbildung +\[ +\frac{d}{dz} +\colon \mathscr{D} \to \mathscr{D} +: +f \mapsto \frac{df}{dz} = f', +\] +die zusätzlich die Produktregel +\begin{equation} +\frac{d}{dz} (fg) += +\frac{df}{dz} \cdot g + f \cdot \frac{dg}{dz} +\qquad\Leftrightarrow\qquad +(fg)' = f' g + fg' +\label{buch:integrale:eqn:produktregel} +\end{equation} +\index{Produktregel}% +erfüllt. +Die Funktion $f'\in \mathscr{D}$ heisst auch die {\em Ableitung} +von $f\in\mathscr{D}$. +\index{Derivation}% +\index{Ableitungsoperator}% +\index{Ableitung}% +\end{definition} + +Die Produktregel hat zum Beispiel auch die bekannten Quotientenregel +zur Folge. +Dazu betrachten wir das Produkt $f= (f/g)\cdot g$ und leiten es mit +Hilfe der Produktregel ab: +\[ +\frac{d}{dz}f += +\frac{d}{dz} +\biggl( +\frac{f}{g}\cdot g +\biggr) += +{\color{darkred} +\frac{d}{dz} +\biggl( +\frac{f}{g} +\biggr)} +\cdot g ++ +\frac{f}{g}\cdot \frac{d}{dz}g. +\] +Jetzt lösen wir nach der {\color{darkred}roten} Ableitung des Quotienten +auf und erhalten +\begin{equation} +\biggl(\frac{f}{g}\biggr)' += +\frac{d}{dz}\biggl(\frac{f}{g}\biggr) += +\frac1g\biggl( +\frac{d}{dz}f - \frac{f}{g}\cdot \frac{d}{dz}g +\biggr) += +\frac{1}{g} +\biggl( +f'-\frac{fg'}{g} +\biggr) += +\frac{f'g-fg'}{g^2}. +\label{buch:integrale:eqn:quotientenregel} +\end{equation} +Dies ist die Quotientenregel. + +Aus der Produktregel folgt natürlich sofort auch die Potenzregel +für die Ableitung der $n$ten Potenz einer Funktion $f\in\mathscr{D}$, +sie lautet: +\begin{equation} +\frac{d}{dz} f^n += +\underbrace{ +f'f^{n-1} + ff'f^{n-2} + f^2f'f^{n-3}+\dots f^{n-1}f' +}_{\displaystyle \text{$n$ Terme}} += +nf^{n-1}f'. +\label{buch:integrale:eqn:potenzregel} +\end{equation} +In dieser Form versteckt sich natürlich auch die Kettenregel, die +Potenzfunktion ist die äussere Funktion, $f$ die innere, $f'$ ist also +die Ableitung er inneren Funktion, wie in der Kettenregel verlangt. +Falls $f$ ein Element von $\mathscr{D}$ ist mit der Eigenschaft +$df/dz=1$, dann entsteht die übliche Produktregel. + +\begin{definition} +Eine Algebra $\mathscr{D}$ von Funktionen mit einem Ableitungsoperator +$d/dz$ heisst eine {\em differentielle Algebra}. +\index{differentielle Algebra}% +\index{Algebra, differentielle}% +In einer differentiellen Algebra gelten die üblichen +Ableitungsregeln. +\end{definition} + +Die Potenzregel war in der Form~\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} +geschrieben worden, nicht als die Ableitung von $z$. +Der Grund dafür ist, dass wir gar nicht voraussetzen wollen, dass in +unserer differentiellen Algebra eine Funktion existiert, die die +Rolle von $z$ hat. +Dies ist gar nicht nötig, wie das folgende Beispiel zeigt. + +\begin{beispiel} +Als Funktionenmenge $\mathscr{D}$ nehmen wir rationale Funktionen +in zwei Variablen, die wir $\cos x $ und $\sin x$ nennen. +Diese Menge bezeichnen wir mit +$\mathscr{D}=\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ +Der Ableitungsoperator ist +\begin{align*} +\frac{d}{dx} \cos x &= -\sin x +\\ +\frac{d}{dx} \sin x &= \phantom{-}\cos x. +\end{align*} +Die Funktionen von $\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ sind also Brüche, +deren Zähler und Nenner Polynome in $\cos x$ und $\sin x$ sind. +Aus den Produkt- und Quotientenregeln und den Ableitungsregeln für +$\cos x$ und $\sin x$ folgt, dass die Ableitung einer Funktion in +$\mathscr{D}$ wieder in $\mathscr{D}$ ist, $\mathscr{D}$ ist eine +differentielle Algebra. +\end{beispiel} + +Die konstanten Funktionen spielen eine besondere Rolle. +Da wir bei der Ableitung nicht von der Vorstellung einer +Funktion mit einem variablen Argument ausgehen wollten und +die Ableitung nicht als Grenzwert definieren wollten, müssen +wir auch bei der Definition der ``Konstanten'' einen neuen +Weg gehen. +In der Analysis sind die Konstanten genau die Funktionen, +deren Ableitung $0$ ist. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:konstante} +Ein Element $f\in \mathscr{D}$ mit $df/dz=f'=0$ heissen +{\em Konstante} in $\mathscr{D}$. +\index{Konstante}% +\end{definition} + +Die in der Potenzregel~\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} +vermisste Funktion $z$ kann man ähnlich zu den Konstanten +zu definieren versuchen. +$z$ müsste ein Element von $\mathscr{D}$ mit $z' = 1$ sein. +Allerdings gibt es viele solche Elemente, ist $c$ eine Konstanten +und $z'=1$, dann ist auch $(z+c)'=1$, $(z+c)$ hat also für +die Zwecke unserer Untersuchung die gleichen Eigenschaften wie +$z$. +Dies deckt sich natürlich auch mit der Erwartung, dass Stammfunktionen +nur bis auf eine Konstante bestimmt sind. +Eine differentielle Algebra muss allerdings kein Element $z$ mit der +Eigenschaft $z'=1$ enthalten. + +\begin{beispiel} +In $\mathscr{D}=\mathbb{Q}(\cos x,\sin x)$ gibt es kein Element $x$. +Ein solches wäre von der Form +\[ +x = \frac{p(\cos x,\sin x)}{q(\cos x,\sin x)}. +\] +Eine solche goniometrische Beziehung würde für $x=\frac{\pi}4$ bedeuten, +dass +\[ +\frac{\pi}4 += +\frac{p(\sqrt{2}/2,\sqrt{2}/2)}{q(\sqrt{2}/2,\sqrt{2}/2)}. +\] +Auf der rechten Seite steht ein Quotient von Polynome, in dessen +Argument nur rationale Zahlen und $\sqrt{2}$ steht. +So ein Ausdruck kann immer in die Form +\[ +\pi += +4\frac{a\sqrt{2}+b}{c\sqrt{2}+d} += +\frac{4(a\sqrt{2}+b)(c\sqrt{2}-d)}{2c^2+d^2} += +r\sqrt{2}+s +\] +gebracht werden. +Die Zahl auf der rechten Seite ist zwar irrational, aber sie ist Nullstelle +des quadratischen Polynoms +\[ +p(x) += +(x-r\sqrt{2}-s)(x+r\sqrt{2}-s) += +x^2 +-2sx +-2r^2+s^2 +\] +mit rationalen Koeffizienten, wie man mit der Lösungsformel für die +quadratische Gleichung nachprüfen kann. +Es ist bekannt, dass $\pi$ als transzendente Zahl nicht Nullstelle +eines Polynoms mit rationalen Koeffizienten ist. +Dieser Widerspruch zeigt, dass $x$ nicht in $\mathbb{Q}(\cos x, \sin x)$ +vorkommen kann. +\end{beispiel} + +In einer differentiellen Algebra kann jetzt die Frage nach der +Existenz einer Stammfunktion gestellt werden. + +\begin{aufgabe} +\label{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion} +Gegeben eine differentielle Algebra $\mathscr{D}$ und ein Element +$f\in\mathscr{D}$, entscheide, ob es ein Element $F\in\mathscr{D}$ +gibt mit der Eigenschaft $F'=f$. +Ein solches $F\in\mathscr{D}$ heisst {\em Stammfunktion} von $f$. +\end{aufgabe} + +\begin{satz} +In einer differentiellen Algebra $\mathscr{D}$ mit $z\in\mathscr{D}$ +hat die Potenzfunktion $f=z^n$ für $n\in\mathbb{N}\setminus\{-1\}$ +ein Stammfunktion, nämlich +\[ +F = \frac{1}{n+1} z^{n+1}. +\] +\label{buch:integrale:satz:potenzstammfunktion} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Tatsächlich kann man dies sofort nachrechnen, muss allerdings die +Fälle $n+1 >0$ und $n+1<0$ unterscheiden, da die Potenzregel +\eqref{buch:integrale:eqn:potenzregel} nur für natürliche Exponenten +gilt. +Man erhält +\begin{align*} +n+1&>0\colon +& +\frac{d}{dz}\frac{1}{n+1}z^{n+1} +&= +\frac{1}{n+1}(n+1)z^{n+1-1} += +z^n, +\\ +n+1&<0\colon +& +\frac{d}{dz}\frac{1}{n+1}\frac{1}{z^{-(n+1)}} +&= +\frac{1}{n+1}\frac{1'z^{-(n+1)}-1(-(n+1))z^{-n-1-1}}{z^{-2n-2}} +\\ +&& +&= +\frac{1}{n+1} +\frac{(n+1)z^n{-n-2}}{z^{-2n-2}} +\\ +&& +&= +\frac{1}{z^{-n}}=z^n. +\end{align*} +Man beachte, dass in dieser Rechnung nichts anderes als die +algebraischen Eigenschaften der Produkt- und Quotientenregel +verwendet wurden. +\end{proof} + +\subsubsection{Wurzeln} +Die Wurzelfunktionen sollen natürlich als elementare Funktionen +erlaubt sein. +Es ist bekannt, dass $\sqrt{z}\not\in \mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$ +ist, ein solches Element müsste also erst noch hinzugefügt werden. +Dabei muss auch seine Ableitung definiert werden. +Auch dabei dürfen wir nicht auf eine Grenzwertüberlegung zurückgreifen, +vielmehr müssen wir die Ableitung auf vollständig algebraische +Weise bestimmen. + +Wir schreiben $f=\sqrt{z}$ und leiten die Gleichung $f^2=z$ nach $z$ ab. +Dabei ergibt sich nach der Potenzregel +\[ +\frac{d}{dz}f^2 = 2f'f = \frac{d}{dz}z=1 +\qquad\Rightarrow\qquad f' = \frac{1}{2f}. +\] +Diese Rechnung lässt sich auch auf $n$-Wurzeln $g=\root{n}\of{z}$ mit +der Gleichung $g^n = z$ verallgemeinern. +Die Ableitung der $n$-ten Wurzel ist +\begin{equation} +\frac{d}{dz}g^n += +ng^{n-1} = \frac{d}{dz}z=1 +\qquad\Rightarrow\qquad +\frac{d}{dz}g = \frac{1}{ng^{n-1}}. +\end{equation} +Es ist also möglich, eine differentielle Algebra $\mathscr{D}$ mit einer +$n$-ten Wurzel $g$ zu einer grösseren differentiellen Algebra $\mathscr{D}(g)$ +zu erweitern, in der wieder alle Regeln für das Rechnen mit Ableitungen +erfüllt sind. + +\subsubsection{Algebraische Elemente} +Die Charakterisierung der Wurzelfunktionen passt zwar zum verlangten +algebraischen Vorgehen, ist aber zu spezielle und nicht gut für die +nachfolgenden Untersuchengen geeignet. +Etwas allgemeiner ist der Begriff der algebraischen Elemente. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:algebraisches-element} +Seien $K\subset L$ zwei Körper. +Ein Element $\alpha \in L$ heisst {\em algebraisch} über $K$, +wenn $\alpha$ Nullstelle eines Polynoms $p\in K[X]$ mit Koeffizienten +in $K$ ist. +\index{algebraisch}% +\end{definition} + +Jedes Element $\alpha\in K$ ist algebraisch, da $\alpha$ Nullstelle +von $X-\alpha\in K[X]$ ist. +Die $n$tem Wurzeln eines Elemente $\alpha\in K$ sind ebenfalls algebraisch, +da sie Nullstellen des Polynoms $p(X) = X^n - \alpha$ sind. +Allerdings ist nicht klar, dass diese Wurzeln überhaupt existieren. +Nach dem Satz von Abel~\ref{buch:potenzen:satz:abel} gibt es aber +Nullstellen von Polynomen, die sich nicht als Wurzelausdrücke schreiben +lassen. +Der Begriff der algebraischen Elemente ist also allgemeiner als der +Begriff der Wurzel. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:algebraisch-abgeschlossen} +Ein Körper $K$ heisst {\em algebraisch abgeschlossen}, wenn jedes Polynom mit +Koeffizienten in $K$ eine Nullstelle in $K$ hat. +\end{definition} + +Der Körper $\mathbb{C}$ ist nach dem +Fundamentalsatz~\label{buch:potenzen:satz:fundamentalsatz} +der Algebra algebraisch abgeschlossen. +Da wir aber mit Funktionen arbeiten, müssen wir auch Wurzeln +von Funktionen finden können. +Dies ist nicht selbstverständlich, wie das folgende Beispiel zeigt. + +\begin{beispiel} +Es gibt keine stetige Funktion $f\colon \mathbb{C}\to\mathbb{C}$, die +die Gleichung $f(z)^2 = z$ und $f(1)=1$ erfüllt. +Für die Argumente $z(t)= e^{it}$ folgt, dass $f(z(t)) = e^{it/2}$ sein +muss. +Setzt man aber $t=\pm \pi$ ein, ergeben sich die Werte +$f(z(\pm\pi))=e^{\pm i\pi/2}=\pm 1$, die beiden Grenzwerte +für $t\to\pm\pi$ sind also verschieden. +\end{beispiel} + +Die Mathematik hat verschiedene ``Tricks'' entwickelt, wie mit diesem +Problem umgegangen werden kann: Funktionskeime, Garben, Riemannsche +Flächen. +Sie sind alle gleichermassen gut geeignet, das Problem zu lösen. +Für die vorliegende Aufgabe genügt es aber, dass es tatsächlich +immer ein wie auch immer geartetes Element gibt, welches Nullstelle +des Polynoms ist. + +Ist $f$ eine Nullstelle des Polynoms $p(X)$ mit Koeffizienten in +$\mathscr{D}$, dann kann man die Ableitung wie folgt berechnen. +Zunächst leitet man $p(f)$ ab: +\begin{align} +0&= +\frac{d}{dz}(a_nf^n + a_{n-1}f^{n-1}+\ldots+a_1f+a_0) +\notag +\\ +&= +a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\ldots+a_1'f+a_0' ++ +na_nf^{n-1}f' ++ +(n-1)a_nf^{n-2}f' ++ +\ldots ++ +a_2ff' ++ +a_1f' +\notag +\\ +&= +a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\ldots+a_1'f+a_0' ++ +( +na_nf^{n-1} ++ +(n-1)a_nf^{n-2} ++ +\ldots ++ +a_2f ++ +a_1 +)f' +\notag +\\ +\Rightarrow +\qquad +f'&=\frac{ +a_n'f^n + a_{n-1}'f^{n-1}+\dots+a_1'f+a_0' +}{ +na_nf^{n-1} ++ +(n-1)a_nf^{n-2} ++ +\dots ++ +a_1 +}. +\label{buch:integrale:eqn:algabl} +\end{align} +Das einzige, was dabei schief gehen könnte ist, dass der Nenner ebenfalls +verschwindet. +Dieses Problem kann man dadurch lösen, dass man als Polynom das +sogenannte Minimalpolynom verwendet. + +\begin{definition} +Das {\em Minimalpolynome} $m(X)$ eines algebraischen Elementes $\alpha$ ist +das Polynom kleinsten Grades, welches $m(\alpha)=0$ erfüllt. +\end{definition} + +Da das Minimalpolynom den kleinstmöglichen Grad hat, kann der Nenner +von~\eqref{buch:integrale:eqn:algabl}, +der noch kleineren Grad hat, unmöglich verschwinden. +Das Minimalpolynom ist auch im wesentlichen eindeutig. +Gäbe es nämlich zwei verschiedene Minimalpolynome $m_1$ und $m_2$, +dann müsste $\alpha$ auch eine Nullstelle des grössten gemeinsamen +Teilers $m_3=\operatorname{ggT}(m_1,m_2)$ sein. +Wären die beiden Polynome wesentlich verschieden, dann hätte $m_3$ +kleineren Grad, im Widerspruch zur Definition des Minimalpolynoms. +Also unterscheiden sich die beiden Polynome $m_1$ und $m_2$ nur um +einen skalaren Faktor. + +\subsubsection{Konjugation, Spur und Norm} +% Konjugation, Spur und Norm +Das Minimalpolynom eines algebraischen Elementes ist nicht +eindeutig bestimmt. +Zum Beispiel ist $\sqrt{2}$ algebraisch über $\mathbb{Q}$, das +Minimalpolynom ist $m(X)=X^2-2\in\mathbb{Q}[X]$. +Es hat aber noch eine zweite Nullstelle $-\sqrt{2}$. +Mit rein algebraischen Mitteln sind die beiden Nullstellen $\pm\sqrt{2}$ +nicht zu unterscheiden, erst die Verwendung der Vergleichsrelation +ermöglicht, sie zu unterscheiden. + +Dasselbe gilt für die imaginäre Einheit $i$, die das Minimalpolynom +$m(X)=X^2+1\in\mathbb{R}[X]$ hat. +Hier gibt es nicht einmal mehr eine Vergleichsrelation, mit der man +die beiden Nullstellen unterscheiden könnte. +In der Tat ändert sich aus algebraischer Sicht nichts, wenn man in +allen Formeln $i$ durch $-i$ ersetzt. + +Etwas komplizierter wird es bei $\root{3}\of{2}$. +Das Polynom $m=x^3-2\in\mathbb{Q}[X]$ hat $\root{3}\of{2}$ als +Nullstelle und dies ist auch tatsächlich das Minimalpolynom. +Das Polynom hat noch zwei weitere Nullstellen +\[ +\alpha_+ = \frac{-1+i\sqrt{3}}{2}\root{3}\of{2} +\qquad\text{und}\qquad +\alpha_- = \frac{-1-i\sqrt{3}}{2}\root{3}\of{2}. +\] +Die beiden Lösungen gehen durch die Vertauschung von $i$ und $-i$ +auseinander hervor. +Betrachtet man dasselbe Polynom aber als Polynom in $\mathbb{R}[X]$, +dann ist es nicht mehr das Minimalpolynom von $\root{3}\of{2}$, da +$X-\root{3}\of{2}\in\mathbb{R}[X]$ kleineren Grad und $\root{3}\of{2}$ +als Nullstelle hat. +Indem man +\[ +m(X)/(X-\root{3}\of{2})=X^2+\root{3}\of{2}X+\root{3}\of{2}^2=m_2(X) +\] +rechnet, bekommt man das Minimalpolynom der beiden Nullstellen $\alpha_+$ +und $\alpha_-$. +Wir lernen aus diesen Beispielen, dass das Minimalpolynom vom Grundkörper +abhängig ist (Die Faktorisierung $(X-\root{3}\of{2})\cdot m_2(X)$ von +$m(X)$ ist in $\mathbb{Q}[X]$ nicht möglich) und dass wir keine +algebraische Möglichkeit haben, die verschiedenen Nullstellen des +Minimalpolynoms zu unterscheiden. + +Die beiden Nullstellen $\alpha_+$ und $\alpha_-$ des Polynoms $m_2(X)$ +erlauben, $m_2(X)=(X-\alpha_+)(X-\alpha_-)$ zu faktorisieren. +Durch Ausmultiplizieren +\[ +(X-\alpha_+)(X-\alpha_-) += +X^2 -(\alpha_++\alpha_-)X+\alpha_+\alpha_- +\] +und Koeffizientenvergleich mit $m_2(X)$ findet man die symmetrischen +Formeln +\[ +\alpha_+ + \alpha_- = \root{3}\of{2} +\qquad\text{und}\qquad +\alpha_+ \alpha_ = \root{3}\of{2}. +\] +Diese Ausdrücke sind nicht mehr abhängig von einer speziellen Wahl +der Nullstellen. + +Das Problem verschärft sich nocheinmal, wenn wir Funktionen betrachten. +Das Polynom $m(X)=X^3-z$ ist das Minimalpolynom der Funktion $\root{3}\of{z}$. +Die komplexe Zahl $z=re^{i\varphi}$ hat aber drei die algebraisch nicht +unterscheidbaren Nullstellen +\[ +\alpha_0(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3}, +\quad +\alpha_1(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3+2\pi/3} +\qquad\text{und}\qquad +\alpha_2(z)=\root{3}\of{r}e^{i\varphi/3+4\pi/3}. +\] +Aus der Faktorisierung $ (X-\alpha_0(z)) (X-\alpha_1(z)) (X-\alpha_2(z))$ +und dem Koeffizientenvergleich mit dem Minimalpolynom kann man wieder +schliessen, dass die Relationen +\[ +\alpha_0(z) + \alpha_1(z) + \alpha_2(z)=0 +\qquad\text{und}\qquad +\alpha_0(z) \alpha_1(z) \alpha_2(z) = z +\] +gelten. + +Wir können also oft keine Aussagen über individuelle Nullstellen +eines Minimalpolynoms machen, sondern nur über deren Summe oder +Produkt. + +\begin{definition} +\index{buch:integrale:def:spur-und-norm} +Sie $m(X)\in K[X]$ das Minimalpolynom eines über $K$ algebraischen +Elements und +\[ +m(X) = a_nX^n + a_{n-1}X^{n-1} + \ldots + a_1X + a_0. +\] +Dann heissen +\[ +\operatorname{Tr}(\alpha) = -a_{n-1} +\qquad\text{und}\qquad +\operatorname{Norm}(\alpha) = (-1)^n a_0 +\] +die {\em Spur} und die {\em Norm} des Elementes $\alpha$. +\index{Spur eines algebraischen Elementes}% +\index{Norm eines algebraischen Elementes}% +\end{definition} + +Die Spur und die Norm können als Spur und Determinante einer Matrix +verstanden werden, diese allgemeineren Definitionen, die man in der +Fachliteratur, z.~B.~in~\cite{buch:lang} nachlesen kann, führen aber +für unsere Zwecke zu weit. + +\begin{hilfssatz} +Die Ableitungen von Spur und Norm sind +\[ +\operatorname{Tr}(\alpha)' += +\operatorname{Tr}(\alpha') +\qquad\text{und}\qquad +\operatorname{Norm}(\alpha)' += +\operatorname{Tr}(\alpha)' +\] +XXX Wirklich? +\end{hilfssatz} + +\subsubsection{Logarithmen und Exponentialfunktionen} +Die Funktion $z^{-1}$ musste im +Satz~\ref{buch:integrale:satz:potenzstammfunktion} +ausgeschlossen werden, sie hat keine Stammfunktion in $\mathbb{C}(z)$. +Aus der Analysis ist bekannt, dass die Logarithmusfunktion $\log z$ +eine Stammfunktion ist. +Der Logarithmus von $z$ aber auch der Logarithmus $\log f(z)$ +einer beliebigen Funktion $f(z)$ oder die Exponentialfunktion $e^{f(z)}$ +sollen ebenfalls elementare Funktionen sein. +Da wir aber auch hier nicht auf die analytischen Eigenschaften zurückgreifen +wollen, brauchen wir ein rein algebraische Definition. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:logexp} +Sei $\mathscr{D}$ ein differentielle Algebra und $f\in\mathscr{D}$. +Ein Element $\vartheta\in\mathscr{D}$ heisst ein {\em Logarithmus} +von $f$, geschrieben $\vartheta = \log f$, wenn $f\vartheta' = f'$ gilt. +$\vartheta$ heisst eine Exponentialfunktion von $f$ wenn +$\vartheta'=\vartheta f'$ gilt. +\end{definition} + +Die Formel für die Exponentialfunktion ist etwas vertrauter, sie ist +die bekannte Kettenregel +\begin{equation} +\vartheta' += +\frac{d}{dz} e^f += +e^f \cdot \frac{d}{dz} f += +\vartheta \cdot f'. +\label{buch:integrale:eqn:exponentialableitung} +\end{equation} +Da wir uns vorstellen, dass Logarithmen Umkehrfunktionen von +Exponentialfunktionen sein sollen, +muss die definierende Gleichung genau wie +\eqref{buch:integrale:eqn:exponentialableitung} +aussehen, allerdings mit vertauschten Plätzen von $f$ und $\vartheta$, +also +\begin{equation} +\vartheta' = \vartheta\cdot f' +\qquad +\rightarrow +\qquad +f' = f\cdot \vartheta' +\;\Leftrightarrow\; +\vartheta' = (\log f)' = \frac{f'}{f}. +\label{buch:integrale:eqn:logarithmischeableitung} +\end{equation} +Dies ist die aus der Analysis bekannte Formel für die logarithmische +Ableitung. + +Der Logarithmus von $f$ und die Exponentialfunktion von $f$ sollen +also ebenfalls als elementare Funktionen betrachtet werden. + +\subsubsection{Die trigonometrischen Funktionen} +Die bekannten trigonometrischen Funktionen und ihre Umkehrfunktionen +sollten natürlich auch elementare Funktionen sein. +Dabei kommt uns zur Hilfe, dass sie sich mit Hilfe der Exponentialfunktion +als +\[ +\cos f = \frac{e^{if}+e^{-if}}2 +\qquad\text{und}\qquad +\sin f = \frac{e^{if}-e^{-if}}{2i} +\] +schreiben lassen. +Eine differentielle Algebra, die die Exponentialfunktionen von $if$ und +$-if$ enthält, enthält also automatisch auch die trigonometrischen +Funktionen. +Im Folgenden ist es daher nicht mehr nötig, die trigonometrischen +Funktionen speziell zu untersuchen. + +\subsubsection{Elementare Funktionen} +Damit sind wir nun in der Lage, den Begriff der elementaren Funktion +genau zu fassen. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:einfache-elementare-funktion} +Sie $\mathscr{D}$ eine differentielle Algebra über $\mathbb{C}$ und +$\mathscr{D}(\vartheta)$ eine Erweiterung von $\mathscr{D}$ um eine +neue Funktion $\vartheta$, dann heissen $\vartheta$ und die Elemente +von $\mathscr{D}(\vartheta)$ einfach elementar, wenn eine der folgenden +Bedingungen erfüllt ist: +\begin{enumerate} +\item $\vartheta$ ist algebraisch über $\mathscr{D}$, d.~h.~$\vartheta$ +ist eine ``Wurzel''. +\item $\vartheta$ ist ein Logarithmus einer Funktion in $\mathscr{D}$, +d.~h.~es gibt $f\in \mathscr{D}$ mit $f'=f\vartheta'$ +(Definition~\ref{buch:integrale:def:logexp}). +\item $\vartheta$ ist eine Exponentialfunktion einer Funktion in $\mathscr{D}$, +d.~h.~es bit $f\in\mathscr{D}$ mit $\vartheta'=\vartheta f'$ +(Definition~\ref{buch:integrale:def:logexp}). +\end{enumerate} +\end{definition} + +Einfache elementare Funktionen entstehen also ausgehend von einer +differentiellen Algebra, indem man genau einmal eine Wurzel, einen +Logarithmus oder eine Exponentialfunktion hinzufügt. +So etwas wie die zusammengesetzte Funktion $e^{\sqrt{z}}$ ist +damit noch nicht möglich. +Daher erlauben wir, dass man die gesuchten Funktionen in mehreren +Schritten aufbauen kann. + +\begin{definition} +Sei $\mathscr{F}$ eine differentielle Algebra, die die differentielle +Algebra $\mathscr{D}$ enthält, also $\mathscr{D}\subset\mathscr{F}$. +$\mathscr{F}$ und die Elemente von $\mathscr{F}$ heissen einfach, +wenn es endlich viele Elemente $\vartheta_1,\dots,\vartheta_n$ gibt +derart, dass +\[ +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{ccccccccccccc} +\mathscr{D} +&\subset& +\mathscr{D}(\vartheta_1) +&\subset& +\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2) +&\subset& +\; +\cdots +\; +&\subset& +\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2,\dots,\vartheta_{n-1}) +&\subset& +\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2,\dots,\vartheta_{n-1},\vartheta_n) +&=& +\mathscr{F} +\\ +\| +&& +\| +&& +\| +&& +&& +\| +&& +\| +&& +\\ +\mathscr{F}_0 +&\subset& +\mathscr{F}_1 +&\subset& +\mathscr{F}_2 +&\subset& +\cdots +&\subset& +\mathscr{F}_{n-1} +&\subset& +\mathscr{F}_{n\mathstrut} +&& +\end{array} +\] +gilt so, dass jedes $\vartheta_{i+1}$ einfach ist über +$\mathscr{F}_i=\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_i)$. +\end{definition} + +In Worten bedeutet dies, dass man den Funktionen von $\mathscr{D}$ +nacheinander Wurzeln, Logarithmen oder Exponentialfunktionen einzelner +Funktionen hinzufügt. +Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion} kann +jetzt so formuliert werden. + +\begin{aufgabe} +\label{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} +Gegeben ist eine Differentielle Algebra $\mathscr{D}$ und eine +Funktion $f\in \mathscr{D}$. +Gibt es eine Folge $\vartheta_1,\dots,\vartheta_n$ und eine Funktion +$F\in\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ derart, dass +$F'=f$. +\end{aufgabe} + +Das folgende Beispiel zeigt, wie man möglicherweise mehrere +Erweiterungsschritte vornehmen muss, um zu einer Stammfunktion +zu kommen. +Es illustriert auch die zentrale Rolle, die der Partialbruchzerlegung +in der weiteren Entwicklung zukommen wird. + +\begin{beispiel} +\label{buch:integrale:beispiel:nichteinfacheelementarefunktion} +Es soll eine Stammfunktion der Funktion +\[ +f(z) += +\frac{z}{(az+b)(cz+d)} +\in +\mathbb{C}(z) +\] +gefunden werden. +In der Analysis lernt man, dass solche Integrale mit der +Partialbruchzerlegung +\[ +\frac{z}{(az+b)(cz+d)} += +\frac{A_1}{az+b}+\frac{A_2}{cz+d} += +\frac{A_1cz+A_1d+A_2az+A_2b}{(az+b)(cz+d)} +\quad\Rightarrow\quad +\left\{ +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{rcrcr} +cA_1&+&aA_2&=&1\\ +dA_1&+&bA_2&=&0 +\end{array} +\right. +\] +bestimmt werden. +Die Lösung des Gleichungssystems ergibt +$A_1=b/(bc-ad)$ und $A_2=d/(ad-bc)$. +Die Stammfunktion kann dann aus +\begin{align*} +\int f(z)\,dz +&= +\int\frac{A_1}{az+b}\,dz ++ +\int\frac{A_2}{cz+d}\,dz += +\frac{A_1}{a}\int\frac{a}{az+b}\,dz ++ +\frac{A_2}{c}\int\frac{c}{cz+d}\,dz +\end{align*} +bestimmt werden. +In den Integralen auf der rechten Seite ist der Zähler jeweils die +Ableitung des Nenners, der Integrand hat also die Form $g'/g$. +Genau diese Form tritt in der Definition eines Logarithmus auf. +Die Stammfunktion ist jetzt +\[ +F(z) += +\int f(z)\,dz += +\frac{A_1}{a}\log(az+b) ++ +\frac{A_2}{c}\log(cz+d) += +\frac{b\log(az+b)}{a(bc-ad)} ++ +\frac{d\log(cz+d)}{c(ad-bc)}. +\] +Die beiden Logarithmen kann man nicht durch rein rationale Operationen +ineinander überführen. +Sie müssen daher beide der Algebra $\mathscr{D}$ hinzugefügt werden. +\[ +\left. +\begin{aligned} +\vartheta_1&=\log(az+b)\\ +\vartheta_2&=\log(cz+d) +\end{aligned} +\quad +\right\} +\qquad\Rightarrow\qquad +F(z) \in \mathscr{F}=\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2). +\] +Die Stammfunktion $F(z)$ ist also keine einfache elementare Funktion, +aber $F$ ist immer noch eine elementare Funktion. +\end{beispiel} + +\subsection{Partialbruchzerlegung +\label{buch:integrale:section:partialbruchzerlegung}} +Die Konstruktionen des letzten Abschnitts haben gezeigt, +wie man die Funktionen, die man als Stammfunktionen einer Funktion +zulassen möchte, schrittweise konstruieren kann. +Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} +ist eine rein algebraische Formulierung der ursprünglichen +Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion}. +Schliesslich hat das Beispiel auf +Seite~\pageref{buch:integrale:beispiel:nichteinfacheelementarefunktion} +gezeigt, dass es im allgemeinen mehrere Schritte braucht, um zu einer +elementaren Stammfunktion zu gelangen. +Die Lösung setzt sich aus den Termen der Partialbruchzerlegung. +In diesem Abschnitt soll diese genauer studiert werden. + +In diesem Abschnitt gehen wir immer von einer differentiellen +Algebra über den komplexen Zahlen aus und verlangen, dass die +Konstanten in allen betrachteten differentiellen Algebren +$\mathbb{C}$ sind. + +\subsubsection{Monome} +Die beiden Funktionen $\vartheta-1=\log(az+b)$ und $\vartheta_2=(cz+d)$, +die im Beispiel hinzugefügt werden mussten, verhalten sich ich algebraischer +Hinsicht wie ein Monom: man kann es nicht faktorisieren oder bereits +bekannte Summanden aufspalten. +Solchen Funktionen kommt eine besondere Bedeutung zu. + +\begin{definition} +\label{buch:integrale:def:monom} +Die Funktion $\vartheta$ heisst ein Monom, wenn $\vartheta$ nicht +algebraisch ist über $\mathscr{D}$ und $\mathscr{D}(\vartheta)$ die +gleichen Konstanten enthält wie $\mathscr{D}$. +\end{definition} + +\begin{beispiel} +Als Beispiel beginnen wir mit den komplexen Zahlen $\mathbb{C}$ +und fügen die Funktion $\vartheta_1=z$ hinzu und erhalten +$\mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$. +Die Funktionen $z^k$ sind für alle $k$ linear unabhängig, d.~h.~es +gibt keinen Ausdruck +\[ +a_nz^n + a_{n-1}z^{n-1}+\cdots+a_1z+a_0=0. +\] +Dies ist gleichbedeutend damit, dass $z$ nicht algebraisch ist. +Das Monom $z$ ist also auch ein Monom im Sinne der +Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}. +\end{beispiel} + +\begin{beispiel} +Wir beginnen wieder mit $\mathbb{C}$ und fügen die Funktion +$e^z$ hinzu. +Gäbe es eine Beziehung +\[ +b_m(e^z)^m + b_{m-1}(e^z)^{m-1}+\dots+b_1e^z + b_0=0 +\] +mit komplexen Koeffizienten $b_i\in\mathbb{C}$, +dann würde daraus durch Einsetzen von $z=1$ die Relation +\[ +b_me^m + b_{m-1}e^{m-1} + \dots + b_1e + b_0=0, +\] +die zeigen würde, dass $e$ eine algebraische Zahl ist. +Es ist aber bekannt, dass $e$ transzendent ist. +Dieser Widersprich zeigt, dass $e^z$ ein Monom ist. +\end{beispiel} + +\begin{beispiel} +Jetzt fügen wir die Exponentialfunktion $\vartheta_2=e^z$ +der differentiellen Algebra $\mathscr{D}=\mathbb{C}(z)$ hinzu +und erhalten $\mathscr{F}_1=\mathscr{D}(e^z) = \mathbb{C}(z,e^z)$. +Gäbe es das Minimalpolynom +\begin{equation} +b_m(z)(e^z)^m + b_{m-1}(z)(e^z)^{m-1}+\dots+b_1(z)e^z + b_0(z)=0 +\label{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} +\end{equation} +mit Koeffizienten $b_i\in\mathbb{C}(z)$, dann könnte man mit dem +gemeinsamen Nenner der Koeffizienten durchmultiplizieren und erhielte +eine Relation~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} mit +Koeffizienten in $\mathbb{C}[z]$. +Dividiert man durch $e^{mz}$ erhält man +\[ +b_m(z) + b_{m-1}(z)\frac{1}{e^z} + \dots + b_1(z)\frac{1}{(e^z)^{m-1}} + b_0(z)\frac{1}{(e^z)^m}=0. +\] +Aus der Analysis weiss man, dass die Exponentialfunktion schneller +anwächst als jedes Polynom, alle Terme auf der rechten Seite +konvergieren daher gegen 0 für $z\to\infty$. +Das bedeutet, dass $b_m(z)\to0$ für $z\to \infty$. +Das Polynom~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} wäre also gar +nicht das Minimalpolynom. +Dieser Widerspruch zeigt, dass $e^z$ nicht algebraisch ist über +$\mathbb{C}(z)$ und damit ein Monom ist\footnote{Etwas unbefriedigend +an diesem Argument ist, dass man hier wieder rein analytische statt +algebraische Eigenschaften von $e^z$ verwendet. +Gäbe es aber eine minimale Relation wie +\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} +mit Polynomkoeffizienten, dann wäre sie von der Form +\[ +P(z,e^z)=p(z)(e^z)^m + q(z,e^z)=0, +\] +wobei Grad von $e^z$ in $q$ höchstens $m-1$ ist. +Die Ableitung wäre dann +\[ +Q(z,e^z) += +mp(z)(e^z)^m + p'(z)(e^z)^m + r(z,e^z) += +(mp(z) + p'(z))(e^z)^m + r(z,e^z) +=0, +\] +wobei der Grad von $e^z$ in $r$ wieder höchstens $m-1$ ist. +Bildet man $mP(z,e^z) - Q(z,e^z) = 0$ ensteht eine Relation, +in der der Grad des Koeffizienten von $(e^z)^m$ um eins abgenommen hat. +Wiederholt man dies $m$ mal, verschwindet der Term $(e^z)^m$, die +Relation~\eqref{buch:integrale:beweis:exp-analytisch} +war also gar nicht minimal. +Dieser Widerspruch zeigt wieder, dass $e^z$ nicht algebraisch ist, +verwendet aber nur die algebraischen Eigenschaften der differentiellen +Algebra. +}. +\end{beispiel} + +\begin{beispiel} +Wir hätten auch in $\mathbb{Q}$ arbeiten können und $\mathbb{Q}$ +erst die Exponentialfunktion $e^z$ und dann den Logarithmus $z$ von $e^z$ +hinzufügen können. +Es gibt aber noch weitere Logarithmen von $e^z$ zum Beispiel $z+2\pi i$. +Offenbar ist $\psi=z+2\pi i\not\in \mathbb{Q}(z,e^z)$, wir könnten also +auch noch $\psi$ hinzufügen. +Zwar ist $\psi$ auch nicht algebraisch, aber wenn wir $\psi$ hinzufügen, +dann wird aber die Menge der Konstanten grösser, sie umfasst jetzt +$\mathbb{Q}(2\pi i)$. +Die Bedingung in der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}, +dass die Menge der Konstanten nicht grösser werden darf, ist also +verletzt. + +Hätte man mit $\mathbb{Q}(e^z, z+2\pi i)$ begonnen, wäre $z$ aus +dem gleichen Grund kein Monom, aber $z+2\pi i$ wäre eines im Sinne +der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom}. +In allen Rechnungen könnte man $\psi=z+2\pi i$ nicht weiter aufteilen, +da $\pi$ oder seine Potenzen keine Elemente von $\mathbb{Q}(e^z)$ sind. +\end{beispiel} + +Da wir im Folgenden davon ausgehen, dass die Konstanten unserer +differentiellen Körper immer $\mathbb{C}$ sind, wird es jeweils +genügen zu untersuchen, ob eine neu hinzuzufügende Funktion algebraisch +ist oder nicht. + +\subsubsection{Ableitungen von Polynomen und rationalen Funktionen von Monomen} +Fügt man einer differentiellen Algebra ein Monom hinzu, dann lässt +sich etwas mehr über Ableitungen von Polynomen oder Brüchen in diesen +Monomen sagen. +Diese Eigenschaften werden später bei der Auflösung der Partialbruchzerlegung +nützlich sein. + +\begin{satz} +\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad} +Sei +\[ +P += +A_nX^n + A_{n-1}X^{n-1} + \dots A_1X+A_0 +\in\mathscr{D}[X] +\] +ein Polynom mit Koeffizienten in einer differentiellen Algebra $\mathscr{D}$ +und $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$. +Dann gilt +\begin{enumerate} +\item +\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} +Falls $\vartheta=\log f$ ist, ist $P(\vartheta)'$ ein +Polynom vom Grad $n$ in $\vartheta$, wenn der Leitkoeffizient $A_n$ +nicht konstant ist, andernfalls ein Polynom vom Grad $n-1$. +\item +\label{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-exp} +Falls $\vartheta = \exp f$ ist, dann ist $P(\vartheta)'$ ein Polynom +in $\vartheta$ vom Grad $n$. +\end{enumerate} +\end{satz} + +Der Satz macht also genaue Aussagen darüber, wie sich der Grad eines +Polynoms in $\vartheta$ beim Ableiten ändert. + +\begin{proof}[Beweis] +Für Exponentialfunktion ist $\vartheta'=\vartheta f'$, die Ableitung +fügt also einfach einen Faktor $f'$ hinzu. +Terme der Form $A_k\vartheta^k$ haben die Ableitung +\[ +(A_k\vartheta^k) += +A'_k\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta' += +A'_k\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta f' += +(A'_k + kA_k f)\vartheta^k. +\] +Damit wird die Ableitung des Polynoms +\begin{equation} +P(\vartheta)' += +\underbrace{(A'_n+nA_nf')\vartheta^n}_{\displaystyle=(A_n\vartheta^n)'} ++ +(A'_{n-1}+(n-1)A_{n-1}f')\vartheta^{n-1} ++ \dots + +(A'_1+A_1f')\vartheta + A_0'. +\label{buch:integrale:ableitung:polynom} +\end{equation} +Der Grad der Ableitung kann sich also nur ändern, wenn $A_n'+nA_nf'=0$ ist. +Dies bedeutet aber wegen +\( +(A_n\vartheta^n)' += +0 +\), dass $A_n\vartheta^n=c$ eine Konstante ist. +Da alle Konstanten bereits in $\mathscr{D}$ sind, folgt, dass +\[ +\vartheta^n=\frac{c}{A_n} +\qquad\Rightarrow\qquad +\vartheta^n - \frac{c}{A_n}=0, +\] +also wäre $\vartheta$ algebraisch über $\mathscr{D}$, also auch kein Monom. +Dieser Widerspruch zeigt, dass der Leitkoeffizient nicht verschwinden kann. + +Für die erste Aussage ist die Ableitung der einzelnen Terme des Polynoms +\[ +(A_k\vartheta^k)' += +A_k'\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\vartheta' += +A_k'\vartheta^k + A_kk\vartheta^{k-1}\frac{f'}{f} += +\biggl(A_k'\vartheta + kA_k\frac{f'}{f}\biggr)\vartheta^{k-1}. +\] +Die Ableitung des Polynoms ist daher +\[ +P(\vartheta)' += +A_n'\vartheta^n + \biggl(nA_n\frac{f'}{f}+ A'_{n-1}\biggr)\vartheta^{n-1}+\dots +\] +Wenn $A_n$ keine Konstante ist, ist $A_n'\ne 0$ und der Grad von +$P(\vartheta)'$ ist $n$. +Wenn $A_n$ eine Konstante ist, müssen wir noch zeigen, dass der nächste +Koeffizient nicht verschwinden kann. +Wäre der zweite Koeffizient $=0$, dann wäre die Ableitung +\[ +(nA_n\vartheta+A_{n-1})' += +nA_n\vartheta'+A'_{n-1} += +nA_n\frac{f'}{f}+A'_{n-1} += +0, +\] +d.h. $nA_n\vartheta+A_{n-1}=c$ wäre eine Konstante. +Da alle Konstanten schon in $\mathscr{D}$ sind, müsste auch +\[ +\vartheta = \frac{c-A_{n-1}}{nA_n} \in \mathscr{D} +\] +sein, wieder wäre $\vartheta$ kein Monom. +\end{proof} + +Der nächste Satz gibt Auskunft über den führenden Term in +$(\log P(\vartheta))' = P(\vartheta)'/P(\vartheta)$. + +\begin{satz} +\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} +Sei $P$ ein Polynom vom Grad $n$ wie in +\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung} +welches zusätzlich normiert ist, also $A_n=1$. +\begin{enumerate} +\item +\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-log} +Ist $\vartheta=\log f$, dann ist +$(\log P(\vartheta))' = P(\vartheta)'/P(\vartheta)$ und $P(\vartheta)'$ +hat Grad $n-1$. +\item +\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} +Ist $\vartheta=\exp f$, dann gibt es ein Polynom $N(\vartheta)$ so, dass +$(\log P(\vartheta))' += +P(\vartheta)'/P(\vartheta) += +N(\vartheta)/P(\vartheta)+nf'$ +ist. +Falls $P(\vartheta)=\vartheta$ ist $N=0$, andernfalls ist $N(\vartheta)$ +ein Polynom vom Grad $<n$. +\end{enumerate} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Die Gleichung $(\log P(\vartheta))'=P(\vartheta)'/P(\vartheta)$ ist die +Definition eines Logarithmus, es geht also vor allem um die Frage +des Grades von $P(\vartheta)'$. +Da der Leitkoeffizient als $1$ und damit konstant vorausgesetzt wurde, +folgt die Behauptung \ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-log} +aus +Aussage \ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} +von Satz~\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}. + +Für Aussage \ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} +beachten wir wieder die +Ableitungsformel~\eqref{buch:integrale:ableitung:polynom} +und berücksichtigen, dass $A_n=1$ eine Konstante ist. +Da $A_n'=0$ ist, wird +\begin{align*} +P(\vartheta)' +&= +nA_n\vartheta^n f' + \text{Terme niedrigeren Grades in $\vartheta$}. +\intertext{Das Polynom $nf'P(\vartheta)$ hat den gleichen Term vom +Grad $n$, man kann also $P(\vartheta)'$ auch schreiben als} +&= +nf' +P(\vartheta) ++ +\underbrace{ +\text{Terme niedrigeren Grades in $\vartheta$}}_{\displaystyle=N(\vartheta)}. +\end{align*} +Division durch $P(\vartheta)$ ergibt die versprochene Formel. + +Im Fall $P(\vartheta)=\vartheta$ ist $n=1$ und +$(\log P(\vartheta))'=P(\vartheta)'/P(\vartheta) += +\vartheta f'/\vartheta += +nf'$ und somit $N(\vartheta)=0$. +\end{proof} + +\subsubsection{Partialbruchzerlegungen} +Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass sich Monome im Sinne +der Definition~\ref{buch:integrale:def:monom} algebraisch wie eine +unabhängige Variable verhalten. +Für die Berechnung von Integralen rationaler Funktionen in einer +Variablen $x$ verwendet +man die Partialbruchzerlegung, um Brüche mit einfachen Nennern zu +erhalten. +Es liegt daher nahe, dieselbe Idee auch auf die +Monome $\vartheta_i$ zu verwenden. +Dazu muss man die Brüche besser verstehen, die in einer Partialbruchzerlegung +vorkommen können. + +Eine Partialbruchzerlegung in der Variablen $X$ setzt sich zusammen +aus Brüchen der Form +\begin{equation} +g(X) += +\frac{P(X)}{Q(X)^r}, +\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} +\end{equation} +wobei das Nennerpolynom $Q(X)$ ist ein normiertes irreduzibles Polynom +vom Grad $q$ und $P(X)$ ein beliebiges Polynom vom Grad $p<q$. + +Ist der Grad von $P(X)$ +im Quotienten +\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} +grösser als $q$, dann kann man $P(X)$ um Vielfache von Potenzen von +$Q(X)$ reduzieren und eine Summe von Termen der Art +\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-quotient} +erhalten, deren Nenner alle Grad $< q$ haben. +Die Anzahl neu enstehender Terme ist dabei ums grösser, je grösser +der Grad des Zählers ist. +Dies ist der Inhalt des folgenden Satzes. + +\begin{satz} +\label{buch:integrale:satz:partialbruch-reduktion} +Sei $Q(X)$ ein irreduzibles Polynom vom Grad $q$ und $P(X)$ ein beliebiges +Polynom vom Grad $p < (k+1)q$. +Dann gibt es Polynome $P_i(X)$, $i=0,\dots,k$, vom Grad $<q$ derart, +dass +\begin{equation} +\frac{P(X)}{Q(X)^r} += +\sum_{i=0}^k \frac{P_i(X)}{Q(X)^{r-i}}. +\label{buch:integrale:satz:partialbruch-aufgeloest} +\end{equation} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Für $k=0$ ist $p<q$ und es muss nichts weiter gezeigt werden. + +Sei jetzt also $k>0$ das kleinste $k$ so, dass $p<(k+1)q$. +Insbesondere ist dann $kq\le p$. +Nach dem euklidischen Satz für die Division von $P(X)$ durch $Q(X)^k$ +gibt es ein Polynom $P_k(X)$ vom Grad $\le p-qk$ derart, dass +\[ +P(X) = P_k(X)Q(X)^k + R_k(X) +\] +mit einem Rest $R_k(X)$ vom Grad $<kq$. +Es folgt +\[ +\frac{ P(X)}{Q(X)^r} += +\frac{P_k(X)}{Q(X)^{r-k}} ++ +\frac{R_k(X)}{Q(X)^r}. +\] +Der zweite Term ist wieder von der im Satz beschriebenen Art, allerdings +mit einem Wert von $k$, der um $1$ kleiner ist. +Durch rekursive Anwendung der gleichen Prozedur in $k$ weiteren Schritten +erhält man die Form +Das gleiche Argument kann jetzt auf das Polynom $R_k(X)$ anstelle +von $P(X)$ angewendet werden, erhalt man den Ausdruck +\eqref{buch:integrale:satz:partialbruch-aufgeloest}. +\end{proof} + +In der differentiellen Algebra $\mathscr{D}(\vartheta)$ muss man jetzt +auch Bescheid wissen über die Partialbruchzerlegung von Ableitungen solcher +Terme. + +\begin{satz} +\label{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} +Sei $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$ und +seien $P(\vartheta),Q(\vartheta)\in\mathscr{D}[\vartheta]$ Polynome, +wobei $Q(\vartheta)$ ein irreduzibles normiertes Polynom vom Grad $q$ +ist und $P(\vartheta)$ ein beliebiges Polynom vom Grad $p<q$. +Dann ist die Ableitung +\begin{equation} +g(\vartheta)' += +\biggl( +\frac{P(\vartheta)}{Q(\vartheta)^r} +\biggr)' += +-r\frac{P(\vartheta)Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r+1}} ++ +\frac{P(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^r}. +\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung} +\end{equation} +Falls $\vartheta=\exp f$ eine Exponentialfunktion ist und +$Q(\vartheta)=\vartheta$, dann hat die Partialbruchzerlegung von $g(X)'$ +die Form +\begin{equation} +g(\vartheta)' += +\frac{ +{P(\vartheta)'-rP(\vartheta)f} +}{ +\vartheta^{r} +}. +\label{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung-fall0} +\end{equation} +Für $Q(\vartheta)\ne \vartheta$ oder $\vartheta$ keine Exponentialfunktion +hat die Partialbruchzerlegung von $g(X)'$ die Form +\[ +g(\vartheta)' += +\frac{R(\vartheta)}{Q(\vartheta)^{r+1}}+\frac{S(\vartheta)}{Q(\vartheta)^r} +\qquad\text{mit $R(\vartheta)\ne 0$}. +\] +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Schreibt man den Quotienten $g(\vartheta)$ als +$g(\vartheta)=P(\vartheta)Q(\vartheta)^{-r}$, dann folgt aus +Produkt- und Potenzregel +\[ +g(\vartheta)' += +P(\vartheta)'Q(\vartheta)^{-r} ++ +P(\vartheta)\bigl(Q(\vartheta)^{-r}\bigr)' += +\frac{P(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r}} +-r\frac{P(\vartheta)Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)^{r+1}}, +\] +dies ist +\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung}. +Auf die Ableitungen von $P(\vartheta)$ und $Q(\vartheta)$ können +jetzt die Sätze +\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}, +\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} +und +\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} +angewendet werden. +Es sind jweils zwei Dinge zu prüfen: es dürfen in der Partialbruchzerlegung +im Nenner keine Potenzen $<r$ vorkommen und wegen $R\ne 0$ muss der Nenner +$Q(\vartheta)^{r+1}$ vorkommen. + +Falls $\vartheta=\log f$ ist, ist $Q(\vartheta)'$ ein Polynom vom +Grad $q-1$ nach Satz~\eqref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad} +\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad-log} +und $P(\vartheta)'$ ist ein Polynom vom Grad höchstens $p$. +Der Zähler $P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ im zweiten Term ist nicht +durch $Q(\vartheta)$ teilbar, denn weil $Q(\vartheta)$ irreduzibel +ist, müsste $Q(\vartheta)$ entweder $P(\vartheta)$ oder $Q(\vartheta)'$ +teilen, aber beide haben zu geringen Grad. + +Falls $\vartheta=\exp f$ ist, ist $Q(\vartheta)'$ ein Polynom vom +Grad $q$ und $P(\vartheta)'$ ist eine Polynom vom Grad $p$. +Der Grad von $P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ ist $<2q$, daher +werden nach +Satz~\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-reduktion} +keine Nenner mit kleinerem Exponenten als $r$ auftreten. +Es ist noch zu prüfen, ob $Q(\vartheta)$ den Nenner des zweiten Termes +von~\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung} teilt. +Nehmen wir $Q(\vartheta)\mid P(\vartheta)Q(\vartheta)'$ an, dann muss +$Q(\vartheta)\mid Q(\vartheta)'$ sein. +Für +\[ +Q(\vartheta) = \vartheta^q + q_{q-1}\vartheta^{q-1} + \dots +\] +ist die Ableitung +\[ +Q(\vartheta)' += +q\vartheta^q f' ++ +\dots +\] +und damit +\[ +\frac{Q(\vartheta)'}{Q(\vartheta)} += +qf'. +\] +Andererseits ist in der +Aussage~\label{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-exp} +von +Satz~\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} +angewendet auf das Polynom $Q(\vartheta)$ das Polynom $N(\vartheta)=0$, +und daher muss $Q(\vartheta)=\vartheta$ und $q=1$ sein. +Dies ist der einzige Ausnahmefall, in die Partialbruchzerlegung die Form +\eqref{buch:integrale:eqn:partialbruch-ableitung-fall0} +annimmt. +\end{proof} + +Der Satz besagt also, dass in fast allen Fällen die einzelnen Terme +der Partialbruchzerlegung der Ableitungen wieder von der gleichen +Form sind. + +\subsection{Der Satz von Liouville +\label{buch:integrale:section:liouville}} +Die Funktion +\[ +f(z) = \frac{(z+1)^2}{(z-1)^3} \in \mathbb{C}(z) = \mathscr{D} +\] +kann mit Hilfe der Partialbruchzerlegung +\[ +f(z) += +\frac{1}{z-1} ++ +\frac{4}{(z-1)^2} ++ +\frac{4}{(z-1)^3} +\] +integriert werden. +Die Integranden $(z-1)^{-k}$ mit $k>1$ können mit der Potenzregel +integriert werden, aber für eine Stammfunktion $1/(z-1)$ muss +der Logarithmus $\log(z-1)$ hinzugefügt werden. +Die Stammfunktion +\[ +\int f(z)\,dz += +\int +\frac{1}{z-1} +\,dz ++ +\int +\frac{4}{(z-1)^2} +\,dz ++ +\int +\frac{4}{(z-1)^3} +\,dz += +\log(z-1) +- +\underbrace{\frac{4z-2}{(z-1)^2}}_{\displaystyle\in\mathscr{D}} +\in \mathscr{D}(\log(z-1)) = \mathscr{F} +\] +hat eine sehr spezielle Form. +Sie besteht aus einem Term in $\mathscr{D}$ und einem Logarithmus +einer Funktion von $\mathscr{D}$, also einem Monom über $\mathscr{D}$. + +\subsubsection{Einfach elementare Stammfunktionen} +Der in diesem Abschnitt zu beweisende Satz von Liouville zeigt, +dass die im einführenden Beispiel konstruierte Form der Stammfunktion +eine allgemeine Eigenschaft elementar integrierbarer +Funktionen ist. +Zunächst aber soll dieses Bespiel etwas verallgemeinert werden. + +\begin{satz}[Liouville-Vorstufe für Monome] +\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} +Sei $\vartheta$ ein Monom über $\mathscr{D}$ und $g\in\mathscr{D}(\vartheta)$ +mit $g'\in\mathscr{D}$. +Dann hat $g$ die Form $v_0 + c_1\vartheta$ mit $v_0\in\mathscr{D}$ und +$c_1\in\mathbb{C}$. +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +In Anlehnung an das einführende Beispiel nehmen wir an, dass die +Stammfunktion $g\in\mathscr{D}[\vartheta]$ für ein Monom $\vartheta$ +über $\mathscr{D}$ ist. +Dann hat $g$ die Partialbruchzerlegung +\[ +g += +H(\vartheta) ++ +\sum_{j\le r(i)} \frac{P_{ij}(\vartheta)}{Q_i(\vartheta)^j} +\] +mit irreduziblen normierten Polynomen $Q_i(\vartheta)$ und +Polynomen $P_{ij}(\vartheta)$ vom Grad kleiner als $\deg Q_i(\vartheta)$. +Ausserdem ist $H(\vartheta)$ ein Polynom. +Die Ableitung von $g$ muss jetzt aber wieder in $\mathscr{D}$ sein. +Zu ihrer Berechnung können die Sätze +\ref{buch:integrale:satz:polynom-ableitung-grad}, +\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} +und +\ref{buch:integrale:satz:partialbruch-monom} +verwendet werden. +Diese besagen, dass in der Partialbruchzerlegung die Exponenten der +Nenner die Quotienten in der Summe nicht kleiner werden. +Die Ableitung $g'\in\mathscr{D}$ darf aber gar keine Nenner mit +$\vartheta$ enthalten, also dürfen die Quotienten gar nicht erst +vorkommen. +$g=H(\vartheta)$ muss also ein Polynom in $\vartheta$ sein. +Die Ableitung des Polynoms darf wegen $g'\in\mathscr{d}$ das Monom +$\vartheta$ ebenfalls nicht mehr enthalten, daher kann es höchstens vom +Grad $1$ sein. +Nach Satz~\ref{buch:integrale:satz:log-polynom-ableitung-grad} +muss ausserdem der Leitkoeffizient von $g$ eine Konstante sein, +das Polynom hat also genau die behauptete Form. +\end{proof} + +\begin{satz}[Liouville-Vorstufe für algebraische Elemente] +\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-2} +Sei $\vartheta$ algebraische über $\mathscr{D}$ und +$g\in\mathscr{D}(\vartheta)$ mit $g'\in\mathscr{D}$. +\end{satz} + +\subsubsection{Elementare Stammfunktionen} +Nach den Vorbereitungen über einfach elementare Stammfunktionen +in den Sätzen~\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} +und +\label{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-2} sind wir jetzt +in der Lage, den allgemeinen Satz von Liouville zu formulieren +und zu beweisen. + +\begin{satz}[Liouville] +Sei $\mathscr{D}$ ein Differentialkörper, $\mathscr{F}$ einfach über +$\mathscr{D}$ mit gleichem Konstantenkörper $\mathbb{C}$. +Wenn $g\in \mathscr{F}$ eine Stammfunktion von $f\in\mathscr{D}$ ist, +also $g'=f$, dann gibt es Zahlen $c_i\in\mathbb{C}$ und +$v_0,v_i\in\mathscr{D}$ derart, dass +\begin{equation} +g = v_0 + \sum_{i=1}^k c_i \log v_i +\qquad\Rightarrow\qquad +g' = v_0' + \sum_{i=1}^k c_i \frac{v_i'}{v_i} = f +\label{buch:integrale:satz:liouville-fform} +\end{equation} +gilt. +\end{satz} + +Der Satz hat zur Folge, dass eine elementare Stammfunktion für $f$ +nur dann existieren kann, wenn sich $f$ in der speziellen Form +\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} +schreiben lässt. +Die Aufgabe~\ref{buch:integrale:aufgabe:existenz-stammfunktion-dalg} +lässt sich damit jetzt lösen. + + +\begin{proof}[Beweis] +Wenn die Stammfunktion $g\in\mathscr{D}$ ist, dann hat $g$ die Form +\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} mit $v_0=g$, die Summe +wird nicht benötigt. + +Wir verwenden Induktion nach der Anzahl der Elemente, die zu $\mathscr{D}$ +hinzugefügt werden müssen, um einen Differentialkörper +$\mathscr{F}=\mathscr{D}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ zu konstruieren, +der $g$ enthält. +Da $f\in\mathscr{D}\subset\mathscr{D}(\vartheta_1)$ ist, können wir die +Induktionsannahme auf die Erweiterung +\[ +\mathscr{D}(\vartheta_1)\subset\mathscr{D}(\vartheta_1,\vartheta_2) +\subset\cdots\subset \mathscr{D}(\vartheta_1,\cdots,\vartheta_n)=\mathscr{F} +\] +anwenden, die durch Hinzufügen von nur $n-1$ Elemente +$\vartheta_2,\dots,\vartheta_n$ aus $\mathscr{D}(\vartheta_1)$ den +Differentialkörper $\mathscr{F}$ erreicht, der $g$ enthält. +Sie besagt, dass sich $g$ schreiben lässt als +\[ +g = w_0 + \sum_{i=1}^{k_1} c_i\log w_i +\qquad\text{mit $c_i\in\mathbb{C}$ und $w_0,w_i\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$.} +\] +Wir müssen jetzt zeigen, dass sich dieser Ausdruck umformen lässt +in den Ausdruck der Form~\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform}. + +Der Term $w_0\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$ hat eine Partialbruchzerlegung +\[ +H(\vartheta_1) ++ +\sum_{j\le r(l)} \frac{P_{lj}(\vartheta_1)}{Q_l(\vartheta_1)^j} +\] +in der Variablen $\vartheta_1$. + +Da $w_i\in\mathscr{D}(\vartheta_1)$ ist, kann man Zähler und Nenner +von $w_i$ als Produkt irreduzibler normierter Polynome schreiben: +\[ +w_i += +\frac{h_i Z_{i1}(\vartheta_1)^{s_{i1}}\cdots Z_{im(i)}^{s_{im(i)}} +}{ +N_{i1}(\vartheta_1)^{t_{i1}}\cdots N_{in(i)}(\vartheta_1)^{t_{in(i)}} +} +\] +Der Logarithmus hat die Form +\begin{align*} +\log w_i +&= \log h_i + +s_{i1} +\log Z_{i1}(\vartheta_1) ++ +\cdots ++ +s_{im(i)} +\log Z_{im(i)} +- +t_{i1} +\log +N_{i1}(\vartheta_1) +- +\cdots +- +t_{in(i)} +\log +N_{in(i)}(\vartheta_1). +\end{align*} +$g$ kann also geschrieben werden als eine Summe von Polynomen, Brüchen, +wie sie in der Partialbruchzerlegung vorkommen, Logarithmen von irreduziblen +normierten Polynomen und Logarithmen von Elementen von $\mathscr{D}$. + +Die Ableitung $g'$ muss jetzt aber wieder in $\mathscr{D}$ sein, beim +Ableiten müssen also alle Terme verschwinden, die $\vartheta_1$ enthalten. +Dabei spielt es eine Rolle, ob $\vartheta_1$ ein Monom oder algebraisch ist. +\begin{enumerate} +\item +Wenn $\vartheta_1$ ein Monom ist, dann kann man wie im Beweis des +Satzes~\ref{buch:integrale:satz:liouville-vorstufe-1} argumentieren, +dass die Brüchterme gar nicht vorkommen und +$H(\vartheta_1)=v_0+c_1\vartheta_1$ sein muss. +Die Ableitung Termen der Form $\log Z(\vartheta_1)$ ist ein Bruchterm +mit dem irreduziblen Nenner $Z(\vartheta_1)$, die ebenfalls verschwinden +müssen. +Ist $\vartheta_1$ eine Exponentialfunktion, dann ist +$\vartheta_1' \in \mathscr{D}(\vartheta_1)\setminus\mathscr{D}$, also muss +$c_1=0$ sein. +Ist $\vartheta_1$ ein Logarithmus, also $\vartheta_1=\log v_1$, dann +kommen nur noch Terme der in +\eqref{buch:integrale:satz:liouville-fform} +erlaubten Form vor. + +\item +Wenn $\vartheta_1$ algebraisch vom Grad $m$ ist, dann ist +\[ +g' = w_0' + \sum_{i=1}^{k_1} d_i\frac{w_i'}{w_i} = f. +\] +Weder $w_0$ noch $\log w_i$ sind in $\mathscr{D}(\vartheta_1)$. +Aber wenn man $\vartheta_1$ durch die $m$ konjugierten Elemente +ersetzt und alle summiert, dann ist +\[ +mf += +\operatorname{Tr}(w_0) + \sum_{i=1}^{k_1} d_i \log\operatorname{Norm}(w_i). +\] +Da die Spur und die Norm in $\mathscr{D}$ sind, folgt, dass +\[ +f += +\underbrace{\frac{1}{m} +\operatorname{Tr}(w_0)}_{\displaystyle= v_0} ++ +\sum_{i=1}^{k_1} \underbrace{\frac{d_i}{m}}_{\displaystyle=c_i} +\log +\underbrace{ \operatorname{Norm}(w_i)}_{\displaystyle=v_i} += +v_0 + \sum_{i=1}^{k_1} c_i\log v_i +\] +die verlangte Form hat. +\qedhere +\end{enumerate} +\end{proof} + +\subsection{Die Fehlerfunktion ist keine elementare Funktion +\label{buch:integrale:section:fehlernichtelementar}} +% \url{https://youtu.be/bIdPQTVF5n4} +Mit Hilfe des Satzes von Liouville kann man jetzt beweisen, dass +die Fehlerfunktion keine elementare Funktion ist. +Dazu braucht man die folgende spezielle Form des Satzes. + +\begin{satz} +\label{buch:integrale:satz:elementarestammfunktion} +Wenn $f(x)$ und $g(x)$ rationale Funktionen von $x$ sind, dann +ist die Stammfunktion von $f(x)e^{g(x)}$ genau dann eine +elementare Funktion, wenn es eine rationale Funktion gibt, die +Lösung der Differentialgleichung +\[ +r'(x) + g'(x)r(x)=f(x) +\] +ist. +\end{satz} + +\begin{satz} +Die Funktion $x\mapsto e^{-x^2}$ hat keine elementare Stammfunktion. +\label{buch:iintegrale:satz:expx2} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Unter Anwendung des Satzes~\ref{buch:integrale:satz:elementarestammfunktion} +auf $f(x)=1$ und $g(x)=-x^2$ folgt, $e^{-x^2}$ genau dann eine rationale +Stammfunktion hat, wenn es eine rationale Funktion $r(x)$ gibt, die +Lösung der Differentialgleichung +\begin{equation} +r'(x) -2xr(x)=1 +\label{buch:integrale:expx2dgl} +\end{equation} +ist. + +Zunächst halten wir fest, dass $r(x)$ kein Polynom sein kann. +Wäre nämlich +\[ +r(x) += +a_0 + a_1x + \dots + a_nx^n += +\sum_{k=0}^n a_kx^k +\quad\Rightarrow\quad +r'(x) += +a_1 + 2a_2x + \dots + na_nx^{n-1} += +\sum_{k=1}^n +ka_kx^{k-1} +\] +ein Polynom, dann ergäbe sich beim Einsetzen in die Differentialgleichung +\begin{align*} +1 +&= +r'(x)-2xr(x) +\\ +&= +a_1 + 2a_2x + 3a_3x^2 + \dots + (n-1)a_{n-1}x^{n-2} + na_nx^{n-1} +\\ +&\qquad +- +2a_0x -2a_1x^2 -2a_2x^3 - \dots - 2a_{n-1}x^n - 2a_nx^{n+1} +\\ +& +\hspace{0.7pt} +\renewcommand{\arraycolsep}{1.8pt} +\begin{array}{crcrcrcrcrcrcrcr} +=&a_1&+&2a_2x&+&3a_3x^2&+&\dots&+&(n-1)a_{n-1}x^{n-2}&+&na_{n }x^{n-1}& & & & \\ + & &-&2a_0x&-&2a_1x^2&-&\dots&-& 2a_{n-3}x^{n-2}&-&2a_{n-2}x^{n-1}&-&2a_{n-1}x^n&-&2a_nx^{n+1} +\end{array} +\\ +&= +a_1 ++ +(2a_2-2a_0)x ++ +(3a_3-2a_1)x^2 +%+ +%(4a_4-2a_2)x^3 ++ +\dots ++ +(na_n-2a_{n-2})x^{n-1} +- +2a_{n-1}x^n +- +2a_nx^{n+1}. +\end{align*} +Koeffizientenvergleich zeigt, dass $a_1=1$ sein muss. +Aus den letzten zwei Termen liest man ebenfalls mittels Koeffizientenvergleich +ab, dass $a_n=0$ und $a_{n-1}=0$ sein müssen. +Aus den Koeffizienten $(ka_k-2a_{k-2})=0$ folgt, dass +$a_{k-2}=\frac{k}{2}a_k$ für alle $k>1$ sein muss, diese Koeffizienten +verschwinden also auch, inklusive $a_1=0$. +Dies ist allerdings im Widerspruch zu $a_1=1$. +Es folgt, dass $r(x)$ kein Polynom sein kann. + +Der Nenner der rationalen Funktion $r(x)$ hat also mindestens eine Nullstelle +$\alpha$, man kann daher $r(x)$ auch schreiben als +\[ +r(x) = \frac{s(x)}{(x-\alpha)^n}, +\] +wobei die rationale Funktion $s(x)$ keine Nullstellen und keine Pole hat. +Einsetzen in die Differentialgleichung ergibt: +\[ +1 += +r'(x) -2xr(x) += +\frac{s'(x)}{(x-\alpha)^n} +-n +\frac{s(x)}{(x-\alpha)^{n+1}} +- +\frac{2xs(x)}{(x-\alpha)^n}. +\] +Multiplizieren mit $(x-\alpha)^{n+1}$ gibt +\[ +(x-\alpha)^{n+1} += +s'(x)(x-\alpha) +- +ns(x) +- +2xs(x)(x-\alpha) +\] +Setzt man $x=\alpha$ ein, verschwinden alle Terme ausser dem mittleren +auf der rechten Seite, es bleibt +\[ +ns(\alpha) = 0. +\] +Dies widerspricht aber der Wahl der rationalen Funktion $s(x)$, für die +$\alpha$ keine Nullstelle ist. + +Somit kann es keine rationale Funktion $r(x)$ geben, die eine Lösung der +Differentialgleichung~\eqref{buch:integrale:expx2dgl} ist und +die Funktion $e^{-x^2}$ hat keine elementare Stammfunktion. +\end{proof} + +Der Satz~\ref{buch:iintegrale:satz:expx2} rechtfertigt die Einführung +der Fehlerfunktion $\operatorname{erf}(x)$ als neue spezielle Funktion, +mit deren Hilfe die Funktion $e^{-x^2}$ integriert werden kann. + + + diff --git a/buch/chapters/060-integral/diffke.tex b/buch/chapters/060-integral/diffke.tex new file mode 100644 index 0000000..61badc8 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/diffke.tex @@ -0,0 +1,237 @@ +% +% diffke.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Differentialkörper und ihre Erweiterungen +\label{buch:integral:subsection:diffke}} +Die Ableitung wird in den Grundvorlesungen der Analysis jeweils +als ein Grenzprozess eingeführt. +Die praktische Berechnung von Ableitungen verwendet aber praktisch +nie diese Definition, sondern fast ausschliesslich die rein algebraischen +Ableitungsregeln. +So wie die Wurzelfunktionen im letzten Abschnitt als algebraische +Körpererweiterungen erkannt wurden, muss jetzt auch für die Ableitung +eine rein algebraische Definition gefunden werden. +Die entstehende Struktur ist der Differentialkörper, der in diesem +Abschnitt definiert werden soll. + +% +% Derivation +% +\subsubsection{Derivation} +Für die praktische Berechnung der Ableitung einer Funktion verwendet +man in erster Linie die bekannten Rechenregeln. +Dazu gehören für zwei Funktionen $f$ und $g$ +\begin{itemize} +\item Linearität: $(\alpha f+\beta g)' = \alpha f' + \beta g'$ für +Konstanten $\alpha$, $\beta$. +\item Produktregel: $(fg)'=f'g+fg'$. +\index{Produktregel}% +\item Quotientenregel: $(f/g)' = (f'g-fg')/g^2$. +\index{Quotientenregel}% +\end{itemize} +Die ebenfalls häufig verwendete Kettenregel $(f\circ g)' = (f'\circ g) g'$ +\index{Kettenregel}% +für zusammengesetzte Funktionen wird später kaum benötigt, da wir +Verkettungen durch Körpererweiterungen ersetzen wollen. +Die Ableitung hat somit die rein algebraischen Eigenschaften +einer Derivation gemäss folgender Definition. + +\begin{definition} +Sei $\mathscr{F}$ ein Körper. +Eine {\em Derivation} ist eine lineare Abbildung +\index{Derivation}% +$D\colon \mathscr{F}\to\mathscr{F}$ +mit der Eigenschaft +\[ +D(fg) = (Df)g+f(Dg). +\] +Ein {\em Differentialkörper} ist ein Körper mit einer Derivation. +\index{Differentialkoerper@Differentialkörper}% +\end{definition} + +Die Ableitung in einem Funktionenkörper ist eine Derivation, +die sich zusätzlich dadurch auszeichnet, dass $Dx=x'=1$. +Sie wird weiterhin mit dem Strich bezeichnet. + +% +% Ableitungsregeln +% +\subsubsection{Ableitungsregeln} +Die Definition einer Derivation macht keine Aussagen über Quotienten, +diese kann man aber aus den Eigenschaften einer Derivation sofort +ableiten. +Wir schreiben $q=f/g$ für $f,g\in\mathscr{F}$, dann ist $f=qg$. +Nach der Kettenregel gilt +\( +f'=q'g+qg' +\). +Substituiert man darin $q=f/g$ und löst nach $q'$ auf, erhält man +\[ +f'=q'g+\frac{fg'}{g} +\qquad\Rightarrow\qquad +q'=\frac1{g}\biggl(f'-\frac{fg'}{g}\biggr) += +\frac{f'g-fg'}{g^2}. +\] + + +% +% Konstantenkörper +% +\subsubsection{Konstantenkörper} +Die Ableitung einer Konstanten verschwindet. +Beim Hinzufügen von Funktionen zu einem Funktionenkörper können weitere +Konstanten hinzukommen, ohne dass dies auf den ersten Blick sichtbar wird. +Zum Beispiel enthält $\mathbb{Q}(x,\!\sqrt{x+\pi})$ wegen +$(\!\sqrt{x+\pi})^2-x=\pi$ auch die Konstante $\pi$. +Eine Derivation ermöglicht dank des nachfolgenden Satzes auch, +solche Konstanten zu erkennen. + +\begin{satz} +Sei $\mathscr{F}$ ein Körper und $D$ eine Derivation in $\mathscr{F}$. +Dann ist die Menge $C=\{a\in\mathscr{F}\;|\;Da=0\}$ ein Körper. +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Es muss gezeigt werden, dass Summe und Produkt von Element von $C$ +wieder in $C$ liegen. +Wenn $Da=Db=0$, dann ist $D(a+b)=Da+Db=0$, also ist $a+b\in C$. +Für das Produkt gilt $D(ab)=(Da)b+a(Db)=0b+a0=0$, also ist auch +$ab\in C$. +\end{proof} + +Die Menge $C$ heisst der {\em Konstantenkörper} von $\mathscr{F}$. +\index{Konstantenkörper}% + +% +% Ableitung algebraischer Elemente +% +\subsubsection{Ableitung und algebraische Körpererweiterungen} +Die Rechenregeln in einem Differentialkörper $\mathscr{F}$ legen auch die +Ableitung eines algebraischen Elements fest. +Sei $m(z)=m_0+m_1z+\ldots+m_{n-1}z^{n-1}+z^n$ das Minimalpolynom eines +über $\mathscr{F}$ algebraischen Elements $f$. +Aus $m(f)=0$ folgt durch Ableiten +\[ +0 += +m(f)' += +m_0' ++ +(m_1'f+m_1f') ++ +(m_2'f + m_12f'f) ++ +\ldots ++ +(m_{n-1}'f^{n-1} + m_{n-1} (n-1)f'f^{n-2}) ++ +nf'f^{n-1}. +\] +Zusammenfassen der Ableitung $f'$ auf der linken Seite liefert die +Gleichung +\[ +f'( +m_1+2m_2f+\ldots+(n-1)m_{n-1}f^{n-2}+nf^{n-1} +) += +m_0' + m_1'f + m_2'f^2 + \ldots + m_{n-1}'f^{n-1} + f^n, +\] +aus der +\[ +f' += +\frac{ +m_0' + m_1'f + m_2'f^2 + \ldots + m_{n-1}'f^{n-1} + f^n +}{ +m_1+2m_2f+\ldots+(n-1)m_{n-1}f^{n-2}+nf^{n-1} +} +\] +als Element von $\mathscr{F}(g)$ berechnet werden kann. +Die Ableitungsoperation lässt sich somit auf die Körpererweiterung +$\mathscr{F}(f)$ fortsetzen. + +\begin{beispiel} +Das über $\mathbb{Q}(x)$ algebraische Element $y=\sqrt{ax^2+bx+c}$ +hat das Minimalpolynom +\[ +m(z) += +z^2 - [ax^2+bx+c] +\in +\mathbb{Q}(x)[z] +\] +mit Koeffizienten $m_0 = ax^2+bx+c,$ $m_1=0$ und $m_2=1$. +Es hat die Ableitung +\[ +y' += +\frac{m_0'}{2m_2y} += +\frac{ +2ax+b +}{ +2y +} +\in +\mathbb{Q}(x,y) +\] +wegen $m_0'=2ax+b$. +\end{beispiel} + +\begin{definition} +Eine differentielle Körpererweiterung ist eine Körpererweiterung +$\mathscr{K}\subset\mathscr{F}$ von Differentialkörpern derart, dass +die Ableitungen $D_{\mathscr{K}}$ in $\mathscr{K}$ +und $D_{\mathscr{F}}$ in $\mathscr{F}$ übereinstimmen: +\( +D_{\mathscr{K}}g= D_{\mathscr{F}} g +\) +für alle $g\in\mathscr{K}$. +\end{definition} + +% +% Logarithmus und Exponantialfunktion +% +\subsubsection{Logarithmus und Exponentialfunktion} +Die Exponentialfunktion und der Logarithmus sind nicht algebraisch +über $\mathbb{Q}(x)$, sie lassen sich nicht durch eine algebraische +Gleichung charakterisieren. +Sie zeichnen sich aber durch besondere Ableitungseigenschaften aus. +Die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen garantiert, +dass eine Funktion durch eine Differentialgleichung und Anfangsbedingungen +festgelegt ist. +\label{buch:integral:expundlog} +Für die Exponentialfunktion und der Logarithmus haben die +Ableitungseigenschaften +\[ +\exp'(x) = \exp(x) +\qquad\text{und}\qquad +x \log'(x) = 1. +\] +\index{Exponentialfunktion}% +\index{Logarithmus}% +In der algebraischen Beschreibung eines Funktionenkörpers gibt es +das Konzept des Wertes einer Funktion an einer bestimmten Stelle nicht. +Somit können keine Anfangsbedingungen vorgegeben werden. +Da die Gleichung für $\exp$ linear sind, sind Vielfache einer Lösung wieder +Lösungen, +insbesondere ist mit $\exp(x)$ auch $a\exp(x)$ eine Lösung. +Die Gleichung für $\log$ ist nicht linear, aber es ist +$\log'(x) = 1/x$, $\log$ ist eine Stammfunktion von $1/x$, die +nur bis auf eine Konstante bestimmt ist. +Tatsächlich gilt +\[ +x(\log(x)+a)' += +x\log(x) + xa' = x\log(x)=1, +\] +die Funktion $\log(x)+a$ ist also auch eine Lösung für den Logarithmus. + +Die Eigenschaft, dass die Exponentialfunktion die Umkehrfunktion +des Logarithmus ist, lässt sich mit den Mitteln eines Differentialkörpers +nicht ausdrücken. + diff --git a/buch/chapters/060-integral/elementar.tex b/buch/chapters/060-integral/elementar.tex new file mode 100644 index 0000000..fd5f051 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/elementar.tex @@ -0,0 +1,214 @@ +% +% elementar.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Elementare Funktionen +\label{buch:integral:subsection:elementar}} +Etwas allgemeiner kann man sagen, dass in den +Beispielen~\eqref{buch:integration:risch:eqn:integralbeispiel2} +algebraische Erweiterungen von $\mathbb{Q}(x)$ und Erweiterungen +um Logarithmen oder Exponentialfunktionen vorgekommen sind. +Die Stammfunktionen verwenden dieselben Funktionen oder höchstens +Erweiterungen um Logarithmen von Funktionen, die man schon im +Integranden gesehen hat. + +% +% Exponentielle und logarithmische Funktione +% +\subsubsection{Exponentielle und logarithmische Funktionen} +In Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:diffke} haben wir +bereits die Exponentialfunktion $e^x$ und die Logarithmusfunktion +$\log x$ charakterisiert als eine Körpererweiterung durch +Elemente, die der Differentialgleichung +\[ +\exp' = \exp +\qquad\text{und}\qquad +\log' = \frac{1}{x} +\] +genügen. +Für die Stammfunktionen, die in +Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:logexp} +gefunden wurden, sind aber Logarithmusfunktionen nicht von +$x$ sondern von beliebigen über $\mathbb{Q}$ algebraischen Elementen +nötig. +Um zu verstehen, wie wir diese Funktion als Körpererweiterung erhalten +könnten, betrachten wir die Ableitung einer Exponentialfunktion +$\vartheta(x) = \exp(f(x))$ und eines +Logarithmus +$\psi(x) = \log(f(x))$, wie man sie mit der Kettenregel +berechnet hätte: +\begin{align*} +\vartheta'(x) +&=\exp(f(x)) \cdot f'(x) +& +\psi'(x) +&= +\frac{f'(x)}{f(x)} +\quad\Leftrightarrow\quad +f(x)\psi'(x) += +f'(x). +\end{align*} +Dies motiviert die folgende Definition + +\begin{definition} +\label{buch:integral:def:explog} +Sei $\mathscr{F}$ ein Differentialklörper und $f\in\mathscr{F}$. +Ein Exponentialfunktion von $f$ ist ein $\vartheta\in \mathscr{F}$mit +$\vartheta' = \vartheta f'$. +Ein Logarithmus von $f$ ist ein $\vartheta\in\mathscr{F}$ mit +$f\vartheta'=f'$. +\end{definition} + +Für $f=x$ mit $f'=1$ reduziert sich die +Definition~\ref{buch:integral:def:explog} +auf die Definition der Exponentialfunktion $\exp(x)$ und +Logarithmusfunktion $\log(x)$ auf Seite~\pageref{buch:integral:expundlog}. + + +% +% +% +\subsubsection{Transzendente Körpererweiterungen} +Die Wurzelfunktionen haben wir früher als algebraische Erweiterungen +eines Differentialkörpers erkannt. +Die logarithmischen und exponentiellen Elemente gemäss +Definition~\ref{buch:integral:def:explog} sind nicht algebraisch. + +\begin{definition} +\label{buch:integral:def:transzendent} +Sei $\mathscr{F}\subset\mathscr{G}$ eine Körpererweiterung und +$\vartheta\in\mathscr{G}$. +$\vartheta$ heisst {\em transzendent}, wenn $\vartheta$ nicht +algebraisch ist. +\end{definition} + +\begin{beispiel} +Die Funktion $f = e^x + e^{2x} + e^{x/2}$ ist sicher transzendent, +in diesem Beispiel zeigen wir, dass es mindestens drei verschiedene +Möglichkeiten gibt, eine Körpererweiterung von $\mathbb{Q}(x)$ zu +konstruieren, die $f$ enthält. + +Erste Möglichkeit: $f=\vartheta_1 + \vartheta_2 + \vartheta_3$ mit +$\vartheta_1=e^x$, +$\vartheta_2=e^{2x}$ +und +$\vartheta_3=e^{x/2}$. +Jedes der Elemente $\vartheta_i$ ist exponentiell über $\mathbb{Q}(x)$ und +$f$ ist in +\[ +\mathbb{Q}(x) +\subset +\mathbb{Q}(x,\vartheta_1) +\subset +\mathbb{Q}(x,\vartheta_1,\vartheta_2) +\subset +\mathbb{Q}(x,\vartheta_1,\vartheta_2,\vartheta_3) +\ni +f. +\] +Jede dieser Körpererweiterungen ist transzendent. + +Zweite Möglichkeit: $\vartheta_1=e^x$ ist exponentiell über +$\mathbb{Q}(x)$ und $\mathbb{Q}(x,\vartheta_1)$ enthält wegen +\[ +(\vartheta_1^2)' += +2\vartheta_1\vartheta_1' += +2\vartheta_1^2, +\] +somit ist $\vartheta_1^2=\vartheta_2$ eine Exponentialfunktion von $2x$ +über $\mathbb{Q}(x)$. +Das Element $\vartheta_3=e^{x/2}$ ist zwar auch exponentiell über +$\mathbb{Q}(x)$, es ist aber auch eine Nullstelle des Polynoms +$m(z)=z^2-[\vartheta_1]$. +Die Erweiterung +$\mathbb{Q}(x,\vartheta_1)\subset\mathbb{Q}(x,\vartheta_1,\vartheta_3)$ +ist eine algebraische Erweiterung, die +$f=\vartheta_1 + \vartheta_1^2+\vartheta_3$ enthält. + +Dritte Möglichkeit: $\vartheta_3=e^{x/2}$ ist exponentiell über +$\mathbb{Q}(x)$. +Die transzendente Körpererweiterung +\[ +\mathbb{Q}(x) \subset \mathbb{Q}(x,\vartheta_3) +\] +enthält das Element +$f=\vartheta_3^4+\vartheta_3^2 + \vartheta_3 $. +\end{beispiel} + +Das Beispiel zeigt, dass man nicht sagen kann, dass eine Funktion +ausschliesslich in einer algebraischen oder transzendenten Körpererweiterung +zu finden ist. +Vielmehr gibt es für die gleiche Funktion möglicherweise verschiedene +Körpererweiterungen, die alle die Funktion enthalten können. + +% +% Elementare Funktionen +% +\subsubsection{Elementare Funktionen} +Die Stammfunktionen~\eqref{buch:integration:risch:eqn:integralbeispiel2} +können aufgebaut werden, indem man dem Körper $\mathbb{Q}(x)$ schrittweise +sowohl algebraische wie auch transzendente Elemente hinzufügt, +wie in der folgenden Definition, die dies für abstrakte +Differentialkörpererweiterungen formuliert. + +\begin{definition} +Eine Körpererweiterung $\mathscr{F}\subset\mathscr{G}$ heisst +{\em transzendente elementare Erweiterung}, wenn +$\mathscr{G} = \mathscr{F}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ und +jedes der Element $\vartheta_i$ transzendent und logarithmisch oder +exponentiell ist über +$\mathscr{F}_{i-1}=\mathscr{F}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_{i-1})$. +Die Körpererweiterung $\mathscr{F}\subset\mathscr{G}$ heisst +{\em elementare Erweiterung}, wenn +$\mathscr{G} = \mathscr{F}(\vartheta_1,\dots,\vartheta_n)$ und +jedes Element $\vartheta_i$ ist entweder logarithmisch, exponentiell +oder algebraisch über $\mathscr{F}_{i-1}$. +\end{definition} + +Die Funktionen, die als akzeptable Stammfunktionen für das Integrationsproblem +in Betracht kommen, sind also jene, die in einer geeigneten elementaren +Erweiterung des von $\mathbb{Q}(x)$ liegen. +Ausserdem können auch noch weitere Konstanten nötig sein, sowohl +algebraische Zahlen wie auch Konstanten wie $\pi$ oder $e$. + +\begin{definition} +Sei $\mathscr{K}(x)$ der Differentialklörper der rationalen Funktionen +über dem Konstantenkörper $\mathscr{K}\supset\mathbb{Q}$, der in $\mathbb{C}$ +enthalten ist. +Ist $\mathscr{F}\supset \mathscr{K}(x)$ eine transzendente elementare +Erweiterung von $\mathscr{K}(x)$, dann heisst $\mathscr{F}$ +ein Körper von {\em transzendenten elementaren Funktionen}. +Ist $\mathscr{F}$ eine elementare Erweiterung von $\mathscr{K}(x)$, dann +heisst $\mathscr{F}$ ein Körper von {\em elementaren Funktionen}. +\end{definition} + +\subsubsection{Das Integrationsproblem} +Die elementaren Funktionen enthalten alle Funktionen, die sich mit +arithmetischen Operationen, Wurzeln, Exponentialfunktionen, Logarithmen und +damit auch mit trigonometrischen und hyperbolischen Funktionen und ihren +Umkehrfunktionen aus den rationalen Zahlen, der unabhängigen Variablen $x$ +und möglicherweise einigen zusätzlichen Konstanten aufbauen lassen. +Sei also $f$ eine Funktion in einem Körper von elementaren +Funktionen +\[ +\mathscr(F) += +\mathbb{Q}(\alpha_1,\dots,\alpha_l)(x,\vartheta_1,\dots,\vartheta_n). +\] +Eine elementare Stammfunktion ist eine Funktion $F=\int f$ in einer +elementaren Körpererweiterung +\[ +\mathscr{G} += +\mathbb{Q}(\alpha_1,\dots,\alpha_l,\dots,\alpha_{l+k}) +(x,\vartheta_1,\dots,\vartheta_n,\dots,\vartheta_{n+m}) +\] +mit $F'=f$. +Das Ziel ist, $F$ mit Hilfe eines Algorithmus zu bestimmen. + + + diff --git a/buch/chapters/060-integral/erweiterungen.tex b/buch/chapters/060-integral/erweiterungen.tex new file mode 100644 index 0000000..9138f3e --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/erweiterungen.tex @@ -0,0 +1,343 @@ +% +% erweiterungen.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Körpererweiterungen +\label{buch:integral:subsection:koerpererweiterungen}} +Das Beispiel des Körpers $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ auf Seite +\pageref{buch:integral:beispiel:Qsqrt2} illustriert eine Möglichkeit, +einen kleinen Körper zu vergrössern. +Das Prinzip ist verallgemeinerungsfähig und soll in diesem Abschnitt +erarbeitet werden. + +% +% algebraische Zahl-Erweiterungen +\subsubsection{Algebraische Erweiterungen} +Der Körper $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ entsteht aus dem Körper $\mathbb{Q}$ +dadurch, dass man die Zahl $\sqrt{2}$ hinzufügt und alle erlaubten +arithmetischen Operationen zulässt. +Die Darstellung von Elementen von $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ als +$a+b\sqrt{2}$ ist möglich, weil die Zahl $\alpha=\sqrt{2}$ die +algebraische Relation +\[ +\alpha^2-2 = \sqrt{2}^2 -2 = 0 +\] +erfüllt. +Voraussetzung für diese Aussage ist, dass es die Zahl $\sqrt{2}$ in einem +geeigneten grösseren Körper gibt. +Die reellen oder komplexen Zahlen bilden einen solchen Körper. +Wir verallgemeinern diese Situation wie folgt. + +\begin{definition} +Ist $K$ ein Körper, dann heisst ein Körper $L$ mit $K\subset L$ ein +{\em Erweiterungskörper} von $K$. +\index{Erweiterungskoerper@Erweiterungskörper} +\end{definition} + +\begin{definition} +\label{buch:integral:definition:algebraisch} +Sei $K\subset L$ eine Körpererweiterung. +Das Element $\alpha\in L$ heisst {\em algebraisch} über $K$, wenn es +ein Polynom $p(x)\in K[x]$ gibt derart, dass $\alpha$ eine Nullstelle +von $p(x)$ ist, also gibt mit $p(\alpha)=0$. +Das normierte Polynom $m(x)$ geringsten Grades, welches $m(\alpha)=0$ +erfüllt, heisst das {\em Minimalpolynom} von $\alpha$. +\index{Minimalpolynom}% +\end{definition} + +Man sagt auch $\alpha$ ist algebraisch vom Grad $n$, wenn das Minimalpolynom +den Grad $n$ hat. +Wenn $\alpha\ne 0$ algebraisch ist, dann ist auch $1/\alpha$ algebraisch, +wie das folgende Argument zeigt. +Für das Minimalpolynom $m(x)$ von $\alpha$, ist $m(\alpha)=0$. +Teilt man diese Gleichung durch $\alpha^n$ teilt, erhält man +\[ +m_0\frac{1}{\alpha^n} ++ +m_1\frac{1}{\alpha^{n-1}} ++ +\ldots ++ +m_{n-1}\frac{1}{\alpha} ++ +1 += +0, +\] +das Polynom +\[ +\hat{m}(x) += +m_0x^n + m_1x^{n-1} + \ldots m_{n-1} x + 1 +\in +K[x] +\] +hat also $\alpha^{-1}$ als Nullstelle. +Das Polynom $\hat{m}(x)$ beweist daher, dass $\alpha^{-1}$ algebraisch ist. + +Die Zahl $\sqrt{2}\in\mathbb{R}$ ist also algebraisch über $\mathbb{Q}$ +und jede andere Quadratwurzel von Elementen von $\mathbb{Q}$ ist +ebenfalls algebraisch über $\mathbb{Q}$. +Auch der Körper $\mathbb{Q}(\alpha)$ kann für jede andere Quadratwurzel +auf die genau gleiche Art wie für $\sqrt{2}$ konstruiert werden. + +\begin{definition} +\label{buch:integral:definition:algebraischeerweiterung} +Sei $K\subset L$ eine Körpererweiterung und $\alpha\in L$ ein algebraisches +Element mit Minimalpolynom $m(x)\in K[x]$. +Dann heisst die Menge +\begin{equation} +K(\alpha) += +\{ +a_0 + a_1\alpha + \ldots +a_n\alpha^n +\;|\; +a_i\in K +\} +\label{buch:integral:eqn:algelement} +\end{equation} +mit $n=\deg m(x) - 1$ der durch {\em Adjunktion} oder Hinzufügen +von $\alpha$ erhaltene Erweiterungsköper. +\end{definition} + +Wieder muss nur überprüft werden, dass jedes Produkt oder jeder +Quotient von Ausdrücken der Form~\eqref{buch:integral:eqn:algelement} +wieder in diese Form gebracht werden kann. +Dazu sei +\[ +m(x) += +m_0+m_1x + m_2x^2 ++\ldots +m_{n-1}x^{n-1} + x^n +\] +das Minimalpolynom von $\alpha$. +Die Gleichung $m(\alpha)=0$ kann nach $\alpha^n$ aufgelöst werden und +liefert +\[ +\alpha^n = -m_0 - m_1\alpha - m_2\alpha^2 -\ldots -m_{n-1}\alpha^{n-1}. +\] +Damit kann jede Potenz von $\alpha$ mit einem Exponenten grösser als $n$ +in eine Linearkombination von Potenzen mit kleineren Exponenten +reduziert werden. +Ein Polynom in $\alpha$ kann also immer auf die +Form~\eqref{buch:integral:eqn:algelement} +gebracht werden. + +Es muss aber noch gezeigt werden, dass auch der Kehrwert eines Elements +der Form~\eqref{buch:integral:eqn:algelement} in dieser Form geschrieben +werden kann. +Sei also $a(\alpha)$ so ein Element, dann sind die beiden Polynome +$a(x)$ und $m(x)$ teilerfremd, der grösste gemeinsame Teiler ist $1$. +Mit dem erweiterten euklidischen Algorithmus kann man zwei Polynome +$s(x)$ und $t(x)$ finden derart, dass $s(x)a(x)+t(x)m(x)=1$. +Setzt man $\alpha$ für $x$ ein, verschwindet das Minimalpolynom und +es bleibt +\[ +s(\alpha)a(\alpha) = 1 +\qquad\Rightarrow\qquad +s(\alpha) = \frac{1}{a(\alpha)}. +\] +Damit ist $s(\alpha)$ eine Darstellung von $1/a(\alpha)$ in der +Form~\eqref{buch:integral:eqn:algelement}. + +% +% Komplexe Zahlen +% +\subsubsection{Komplexe Zahlen} +Die imaginäre Einheit $i$ hat die Eigenschaft, dass $i^2=-1$, insbesondere +ist sie Nullstelle des Polynoms $m(x)=x^2+1\in\mathbb{Q}[x]$. +Die Menge $\mathbb{Q}(i)$ ist daher eine algebraische Körpererweiterung +von $\mathbb{Q}$ bestehend aus den komplexen Zahlen mit rationalem +Real- und Imaginärteil. + +% +% Transzendente Körpererweiterungen +% +\subsubsection{Transzendente Erweiterungen} +Nicht alle Zahlen in $\mathbb{R}$ sind algebraisch. +Lindemann bewies 1882 einen allgemeinen Satz, aus dem folgt, +dass $\pi$ und $e$ nicht algebraisch sind, es gibt also +kein Polynom mit rationalen Koeffizienten, welches $\pi$ +oder $e$ als Nullstelle hat. + +\begin{definition} +Eine Zahl $\alpha\in L$ in einer Körpererweiterung $K\subset L$ +heisst {\em transzendent}, wenn $\alpha$ nicht algebraisch ist, +wenn es also kein Polynom in $K[x]$ gibt, welches $\alpha$ als +Nullstelle hat. +\end{definition} + +Die Zahlen $\pi$ und $e$ sind also transzendent. +Eine andere Art, diese Eigenschaft zu beschreiben ist zu sagen, +dass die Potenzen +\[ +1=\pi^0, \pi, \pi^2,\pi^3,\dots +\] +linear unabhängig sind. +Gäbe es nämlich eine lineare Abhängigkeit, dann gäbe es Koeffizienten +$l_i$ derart, dass +\[ +l_0 + l_1\pi^1 + l_2\pi^2 + \ldots + l_{n-1}\pi^{n-1} + l_{n}\pi^n = l(\pi)=0, +\] +und damit wäre dann ein Polynom gefunden, welches $\pi$ als Nullstelle hat. + +Selbstverstländlich kann man zu einem transzendenten Element $\alpha$ +immer noch einen Körper konstruieren, der alle Zahlen enthält, welche man +mit den arithmetischen Operationen aus $\alpha$ bilden kann. +Man kann ihn schreiben als +\[ +K(\alpha) += +\biggl\{ +\frac{p(\alpha)}{q(\alpha)} +\;\bigg|\; +p(x),q(x)\in K[x] \wedge p(x)\ne 0 +\biggr\}, +\] +aber die Vereinfachungen zur +Form~\eqref{buch:integral:eqn:algelement}, die bei einem algebraischen +Element $\alpha$ möglich waren, können jetzt nicht mehr durchgeführt +werden. +$K\subset K(\alpha)$ ist zwar immer noch eine Körpererweiterung, aber +$K(\alpha)$ ist nicht mehr ein endlichdimensionaler Vektorraum. +Die Körpererweiterung $K\subset K(\alpha)$ heisst {\em transzendent}. + +% +% rationale Funktionen als Körpererweiterungen +% +\subsubsection{Rationale Funktionen als Körpererweiterung} +Die unabhängige Variable wird bei Rechnen so behandelt, dass die +Potenzen alle linear unabhängig sind. +Dies ist die Grundlage für den Koeffizientenvergleich. +Der Körper der rationalen Funktion $K(x)$ +ist also eine transzendente Körpererweiterung von $K$. + +% +% Erweiterungen mit algebraischen Funktionen +% +\subsubsection{Algebraische Funktionen} +Für das Integrationsproblem möchten wir nicht nur rationale Funktionen +verwenden können, sondern auch Wurzelfunktionen. +Wir möchten also zum Beispiel auch mit der Funktion $\sqrt{ax^2+bx+c}$ +und allem, was man mit arithmetischen Operationen daraus machen kann, +arbeiten können. +Eine Körpererweiterung, die $\sqrt{ax^2+bx+c}$ enthält, enthält auch +alles, was man daraus bilden kann. +Doch wie bekommen wir die Funktion $\sqrt{ax^2+bx+c}$ in den Körper? + +Die Art und Weise, wie man Wurzeln in der Schule kennenlernt ist als +eine neue Operation, die zu einer Zahl die Quadratwurzel liefert. +Diese Idee, den Körper mit einer weiteren Funktion anzureichern, +führt über nicht auf eine nützliche neue algebraische Struktur. +Wir dürfen daher $\sqrt{ax^2+bx+c}$ nicht als die Zusammensetzung +einer einzelnen neuen Funktion $\sqrt{\phantom{A}}$ mit +einem Polynom betrachten. + +Die Wurzel $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist aber auch die Nullstelle des Polynoms +\[ +p(z) += +z^2 - [ax^2+bx+c] +\in +K(x)[z] +\] +mit Koeffizienten in $K(x)$. +Die eckigen Klammern sollen helfen, die Koeffizienten in $K(x)$ +zu erkennen. +Die Funktion $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist also algebraisch über $K(x)$. +Einen Funktionenkörper, der die Funktion enthält, kann man also erhalten, +indem man den Körper $K(x)$ um das über $K(x)$ algebraische Element +$y=\sqrt{ax^2+bx+c}$ zu $K(x,y)=K(x,\sqrt{ax^2+bx+c}$ erweitert. +Wurzelfunktion werden daher nicht als Zusammensetzungen, sondern als +algebraische Erweiterungen eines Funktionenkörpers betrachtet. + +% +% Konjugation +% +\subsubsection{Konjugation} +Die komplexen Zahlen sind die algebraische Erweiterung der reellen Zahlen +um die Nullstelle $i$ des Polynoms $m(x)=x^2+1$. +Die Zahl $-i$ ist aber auch eine Nullstelle von $m(x)$, die mit algebraischen +Mitteln nicht von $i$ unterscheidbar ist. +Die komplexe Konjugation $a+bi\mapsto a-bi$ vertauscht die beiden +\index{Konjugation, komplexe}% +\index{komplexe Konjugation}% +Nullstellen des Minimalpolynoms. + +Ähnliches gilt für die Körpererweiterung $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$. +$\sqrt{2}$ und $\sqrt{2}$ sind beide Nullstellen des Minimalpolynoms +$m(x)=x^2-2$, die mit algebraischen Mitteln nicht unterschiedbar sind. +Sie haben zwar verschiedene Vorzeichen, doch ohne eine Ordnungsrelation +können diese nicht unterschieden werden. +\index{Ordnungsrelation}% +Eine Ordnungsrelation zwischen rationalen Zahlen lässt sich zwar +definieren, aber die Zahl $\sqrt{2}$ ist nicht rational, es braucht +also eine zusätzliche Annahme, zum Beispiel die Identifikation von +$\sqrt{2}$ mit einer reellen Zahl in $\mathbb{R}$, wo der Vergleich +möglich ist. + +Auch in $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ ist die Konjugation +$a+b\sqrt{2}\mapsto a-b\sqrt{2}$ eine Selbstabbildung, die +die Körperoperationen respektiert. + +Das Polynom $m(x)=x^2-x-1$ hat die Nullstellen +\[ +\frac12 \pm\sqrt{\biggl(\frac12\biggr)^2+1} += +\frac{1\pm\sqrt{5}}{2} += +\left\{ +\bgroup +\renewcommand{\arraystretch}{2.20} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{lcl} +\displaystyle +\frac{1+\sqrt{5}}{2} &=& \phantom{-}\varphi \\ +\displaystyle +\frac{1-\sqrt{5}}{2} &=& \displaystyle-\frac{1}{\varphi}. +\end{array} +\egroup +\right. +\] +Sie erfüllen die gleiche algebraische Relation $x^2=x+1$. +Sie sind sowohl im Vorzeichen wie auch im absoluten Betrag +verschieden, beides verlangt jedoch eine Ordnungsrelation als +Voraussetzung, die uns fehlt. +Aus beiden kann man mit rationalen Operationen $\sqrt{5}$ gewinnen, +denn +\[ +\sqrt{5} += +4\varphi-1 += +-4\biggl(-\frac{1}{\varphi}\biggr)^2-1 +\qquad\Rightarrow\qquad +\mathbb{Q}(\!\sqrt{5}) += +\mathbb{Q}(\varphi) += +\mathbb{Q}(-1/\varphi). +\] +Die Abbildung $a+b\varphi\mapsto a-b/\varphi$ ist eine Selbstabbildung +des Körpers $\mathbb{Q}(\!\sqrt{5})$, welche die beiden Nullstellen +vertauscht. + +Dieses Phänomen gilt für jede algebraische Erweiterung. +Die Nullstellen des Minimalpolynoms, welches die Erweiterung +definiert, sind grundsätzlich nicht unterscheidbar. +Mit der Adjunktion einer Nullstelle enthält der Erweiterungskörper +auch alle anderen. +Sind $\alpha_1$ und $\alpha_2$ zwei Nullstellen des Minimalpolynoms, +dann definiert die Abbildung $\alpha_1\mapsto\alpha_2$ eine Selbstabbildung, +die die Nullstellen permutiert. + +Die algebraische Körpererweiterung +$\mathbb{Q}(x)\subset \mathbb{Q}(x,\sqrt{ax^2+bx+c})$ +ist nicht unterscheidbar von +$\mathbb{Q}(x)\subset \mathbb{Q}(x,-\!\sqrt{ax^2+bx+c})$. +Für das Integrationsproblem bedeutet dies, dass alle Methoden so +formuliert werden müssen, dass die Wahl der Nullstellen auf die +Lösung keinen Einfluss haben. + + diff --git a/buch/chapters/060-integral/eulertransformation.tex b/buch/chapters/060-integral/eulertransformation.tex index a597892..65d48b2 100644 --- a/buch/chapters/060-integral/eulertransformation.tex +++ b/buch/chapters/060-integral/eulertransformation.tex @@ -93,6 +93,7 @@ Durch Auflösung nach der hypergeometrischen Funktion bekommt man die folgende Integraldarstellung. \begin{satz}[Euler] +\index{Satz!Eulertransformation}% \label{buch:integrale:eulertransformation:satz} Die hypergeometrische Funktion $\mathstrut_2F_1$ kann durch das Integral @@ -219,6 +220,7 @@ Funktionen $\mathstrut_{p+1}F_{q+1}$ durch ein Integral, dessen Integrand $\mathstrut_pF_q$ enthält, ausdrücken lässt. \begin{satz} +\index{Satz!Euler-Transformationformel}% Es gilt die sogennannte Euler-Transformationsformel \index{Euler-Transformation}% \[ diff --git a/buch/chapters/060-integral/experiments/rxy.maxima b/buch/chapters/060-integral/experiments/rxy.maxima new file mode 100644 index 0000000..0d5a56d --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/experiments/rxy.maxima @@ -0,0 +1,9 @@ +y: sqrt(a*x^2+b*x+c); + +F: log(x + b/(2 * a) + y/sqrt(a))/sqrt(a); + +f: diff(F, x); + +ratsimp(f); + +ratsimp(y*f); diff --git a/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex b/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex index 581e56a..6b87044 100644 --- a/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex +++ b/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex @@ -622,7 +622,9 @@ Resultat für die Laplace-Transformierte von $f(t)$, sie ist \frac1s\biggl(1-\frac12e^{-a\sqrt{s}} \biggr). \] -\begin{satz} Die Laplace-Transformierte der Fehlerfunktion mit Argument +\begin{satz} +\index{Satz!Laplace-Transformierte der Fehlerfunktion}% +Die Laplace-Transformierte der Fehlerfunktion mit Argument $a/2\sqrt{t}$ ist \begin{equation} f(t) = \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr) diff --git a/buch/chapters/060-integral/iproblem.tex b/buch/chapters/060-integral/iproblem.tex new file mode 100644 index 0000000..85db464 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/iproblem.tex @@ -0,0 +1,93 @@ +% +% iproblem.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Das Integrationsproblem +\label{buch:integral:subsection:integrationsproblem}} +\index{Integrationsproblem}% +Die Ableitung ist ein einem Differentialkörper mit Hilfe der Ableitungsregeln +immer ausführbar, ganz ähnlich wie die Berechnung von Potenzen in einem Körper +immer ausführbar ist. +Die Umkehrung, also eine sogenannte Stammfunktion zu finden, ist dagegen +deutlich schwieriger. + +\begin{definition} +\index{Stammfunktion} +Eine {\em Stammfunktion} einer Funktion $f\in\mathscr{K}$ im Funktionenkörper +$\mathscr{K}$ ist eine Funktion $F\in\mathscr{K}$ derart, dass $F'=f$. +Wir schreiben auch $F=\int f$. +\end{definition} + +Zwei Stammfunktionen $F_1$ und $F_2$ einer Funktion $f\in\mathscr{K}$ +haben die Eigenschaft +\[ +\left.\begin{aligned} +F_1' &= f \\ +F_2' &= f +\end{aligned}\quad\right\} +\qquad +\Rightarrow +\qquad +(F_1-F_2)' = 0 +\qquad\Rightarrow\qquad +F_1-F_2\in\mathscr{C}, +\] +die beiden Stammfunktionen unterscheiden sich daher nur durch eine +Konstante. + +\subsubsection{Stammfunktion von Polynomen} +Für Polynome ist das Problem leicht lösbar. +Aus der Ableitungsregel +\[ +\frac{d}{dx} x^n = nx^{n-1} +\] +folgt, dass +\[ +\int x^n = \frac{1}{n+1} x^{n+1} +\] +eine Stammfunktion von $x^n$ ist. +Da $\int$ linear ist, ergibt sich damit auch eine Stammfunktion für +ein beliebiges Polynom +\[ +g(x) += +g_0 + g_1x + g_2x^2 + \dots g_nx^n += +\sum_{k=0}^n g_kx^k +\in\mathbb{Q}(x) +\] +angeben: +\begin{equation} +\int g(x) += +g_0x + \frac12g_1x^2 + \frac13g_2x^3 + \dots \frac{1}{n+1}g_nx^{n+1} += +\sum_{k=0}^n +\frac{g_k}{k+1}x^{k+1}. +\label{buch:integral:iproblem:eqn:polyintegral} +\end{equation} + +\subsubsection{Körpererweiterungen} +Obwohl die Ableitung in einem Differentialkörper immer ausgeführt werden +kann, gibt es keine Garantie, dass es eine Stammfunktion im gleichen +Körper gibt. +Im kleinsten denkbaren Funktionenkörper $\mathbb{Q}(x)$ +haben die negativen Potenzen linearer Funktionen die Stammfunktionen +\[ +\int +\frac{1}{(x-\alpha)^k} += +\frac{1}{(-k+1)(x-\alpha)^{k-1}} +\] +für $k\ne 1$, sind also wieder in $\mathbb{Q}(x)$. +Für $k=1$ ist aber +\[ +\int \frac{1}{x-\alpha} += +\log(x-\alpha), +\] +es braucht also eine Körpererweiterung um $\log(x-\alpha)$, damit +$(x-\alpha)^{-1}$ eine Stammfunktion in $\mathbb{Q}(x,\log(x-\alpha))$ +hat. + diff --git a/buch/chapters/060-integral/irat.tex b/buch/chapters/060-integral/irat.tex new file mode 100644 index 0000000..4c472ea --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/irat.tex @@ -0,0 +1,140 @@ +% +% irat.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Integration rationaler Funktionen +\label{buch:integral:subsection:rationalefunktionen}} +Für die Integration der rationalen Funktionen lernt man in einem +Analysis-Kurs üblicherweise ein Lösungsverfahren. +Dies zeigt zunächst, dass rationale Funktionen immer eine Stammfunktion +in einem geeigneten Erweiterungskörper haben. +Es deutet aber auch an, dass Stammfunktionen eine ziemlich spezielle +Form haben, die später als +Satz von Liouville~\ref{buch:integral:satz:liouville} +ein besondere Rolle spielen wird. + +% +% Aufgabenstellung +% +\subsubsection{Aufgabenstellung} +In diesem Abschnitt ist eine rationale Funktion $f(x)\in\mathbb{Q}(x)$ +gegeben, deren Stammfunktion bestimmt werden soll. +Als rationale Funktion kann sie als Bruch +\begin{equation} +f(x) = \frac{p(x)}{q(x)} +\label{buch:integral:irat:eqn:quotient} +\end{equation} +mit Polynomen $p(x),q(x)\in\mathbb{Q}[x]$ geschrieben werden. +Gesucht ist ein Erweiterungskörper $\mathscr{K}\supset \mathbb{Q}(x)$ +derart und eine Stammfunktion $F\in\mathscr{K}$ von $f$, also $F'=f$. + +% +% Polynomdivision +% +\subsubsection{Polynomdivision} +Der Quotient~\eqref{buch:integral:irat:eqn:quotient} kann durch Polynomdivision +mit Rest vereinfacht werden in einen polynomialen Teil und einen echten +Bruch: +\begin{equation} +f(x) += +g(x) ++ +\frac{a(x)}{b(x)} +\label{buch:integral:irat:eqn:polydiv} +\end{equation} +mit Polynomen $g(x),a(x),b(x)\in\mathbb[Q](x)$ und $\deg a(x) < \deg b(x)$. +Für den ersten Summanden liefert +\eqref{buch:integral:iproblem:eqn:polyintegral} eine Stammfunktion. +Im Folgenden bleibt also nur noch der zweite Term zu behandeln. + +% +% Partialbruchzerlegung +% +\subsubsection{Partialbruchzerlegung} +Zur Berechnung des Integral des Bruchs +in~\eqref{buch:integral:irat:eqn:polydiv} wird die Partialbruchzerlegung +benötigt. +Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass wir den Körper $\mathbb{Q}(x)$ +mit alle Nullstellen $\beta_i$ des Nenner-Polynoms $b(x)$ zu einem Körper +$\mathscr{K}$ erweitert haben, in dem Nenner in Linearfaktoren zerfällt. +Unter diesen Voraussetzungen hat die Partialbruchzerlegung die Form +\begin{equation} +\frac{a(x)}{b(x)} += +\sum_{i=1}^m +\sum_{k=1}^{k_i} +\frac{A_{ik}}{(x-\beta_i)^k}, +\label{buch:integral:irat:eqn:partialbruch} +\end{equation} +wobei $k_i$ die Vielfachheit der Nullstelle $\beta_i$ ist. +Die Koeffizienten $A_{ik}$ können zum Beispiel mit Hilfe eines linearen +Gleichungssystems bestimmt werden. + +Um eine Stammfunktion zu finden, muss man also Stammfunktionen für +jeden einzelnen Summanden bestimmen. +Für Exponenten $k>1$ im Nenner eines Terms der +Partialbruchzerlegung~\eqref{buch:integral:irat:eqn:partialbruch} +kann dazu die Regel +\[ +\int \frac{A_{ik}}{(x-\beta_i)^k} += +\frac{A_{ik}}{(-k+1)(x-\beta_i)^{k-1}} +\] +verwendet werden. +Diese Stammfunktion liegt wieder in $\mathscr{K}(x)$ liegt. + +% +% Körpererweiterungen +% +\subsubsection{Körpererweiterung} +Für $k=1$ ist eine logarithmische Erweiterung um die Funktion +\begin{equation} +\int \frac{A_{i1}}{x-\alpha_i} += +A_{i1} +\log(x-\alpha_i) +\label{buch:integral:irat:eqn:logs} +\end{equation} +nötig. +Es gibt also eine Stammfunktion in einem Erweiterungskörper, sofern +er zusätzlich alle logarithmischen Funktionen +in~\ref{buch:integral:irat:eqn:logs} enthält. +Sie hat die Form +\[ +\sum_{i=1}^m A_{i1} \log(x-\beta_i), +\] +wobei $A_{i1}\in\mathscr{K}$ ist. + +Setzt man alle vorher schon gefundenen Teile der Stammfunktion zusammen, +kann man sehen, dass die Stammfunktion die Form +\begin{equation} +F(x) = v_0(x) + \sum_{i=1}^m c_i \log v_i(x) +\label{buch:integral:irat:eqn:liouvillstammfunktion} +\end{equation} +haben muss. +Dabei ist $v_0(x)\in\mathscr{K}(x)$ und besteht aus der Stammfunktion +des polynomiellen Teils und den Stammfunktionen der Terme der Partialbruchzerlegung mit Exponenten $k>1$. +Die logarithmischen Terme bestehen aus den Konstanten $c_i=A_{i1}$ +und den Logarithmusfunktionen $v_i(x)=x-\beta_i\in\mathscr{K}(x)$. +Die Funktion $f(x)$ muss daher die Form +\[ +f(x) += +v_0'(x) ++ +\sum_{i=1}^m c_i\frac{v'_i(x)}{v_i(x)} +\] +gehabt haben. +Die Form~\eqref{buch:integral:irat:eqn:liouvillstammfunktion} +der Stammfunktion ist nicht eine Spezialität der rationalen Funktionen. +Sie wird auch bei grösseren Funktionenkörpern immer wieder auftreten +und ist als Satz von Liouville bekannt. + +% +% Minimale algebraische Erweiterung +% +\subsubsection{Minimale algebraische Erweiterung} +XXX Rothstein-Trager + diff --git a/buch/chapters/060-integral/logexp.tex b/buch/chapters/060-integral/logexp.tex new file mode 100644 index 0000000..e0efab2 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/logexp.tex @@ -0,0 +1,146 @@ +% +% logexp.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Log-Exp-Notation für trigonometrische und hyperbolische Funktionen +\label{buch:integral:subsection:logexp}} +Die Integration rationaler Funktionen hat bereits gezeigt, dass +eine Stammfunktion nicht immer im Körper der rationalen Funktionen +existiert. +Es kann notwendig sein, dem Körper logarithmische Erweiterungen der Form +$\log(x-\alpha)$ hinzuzufügen. + +Es können jedoch noch ganz andere neue Funktionen auftreten, wie die +folgende Zusammenstellung einiger Stammfunktionen zeigt: +\begin{equation} +\begin{aligned} +\int\frac{dx}{1+x^2} +&= +\arctan x, +\\ +\int \cos x\,dx +&= +\sin x, +\\ +\int\frac{dx}{\sqrt{1-x^2}} +&= +\arcsin x, +\\ +\int +\operatorname{arcosh} x\,dx +&= +x \operatorname{arcosh} x - \sqrt{x^2-1}. +\end{aligned} +\label{buch:integration:risch:allgform} +\end{equation} +In der Stammfunktion treten Funktionen auf, die auf den ersten +Blick nichts mit den Funktionen im Integranden zu tun haben. + +\subsubsection{Trigonometrische und hyperbolische Funktionen} +Die trigonometrischen und hyperbolichen Funktionen +in~\eqref{buch:integration:risch:allgform} +lassen sich alle durch Exponentialfunktionen ausdrücken. +So gilt +\begin{equation} +\begin{aligned} +\sin x &= \frac{1}{2i}\bigl( e^{ix} - e^{-ix}\bigr), +& +&\qquad& +\cos x &= \frac{1}{2}\bigl( e^{ix} + e^{-ix}\bigr), +\\ +\sinh x &= \frac12\bigl( e^x - e^{-x} \bigr), +& +&\qquad& +\cosh x &= \frac12\bigl( e^x + e^{-x} \bigr). +\end{aligned} +\label{buch:integral:risch:trighyp} +\end{equation} +Nach Multiplikation mit $e^{ix}$ bzw.~$e^{x}$ entsteht eine +quadratische Gleichung in $e^{ix}$ bzw.~$e^{x}$. +Die Lösungsformel für quadratische Gleichungen erlaubt daher, $e^{ix}$ +bzw.~$e^{x}$ zu finden und damit auch die Umkehrfunktionen. +Die Rechnung ergibt +\begin{equation} +\begin{aligned} +\arcsin y +&= +\frac{1}{i}\log\bigl( +iy\pm\sqrt{1-y^2} +\bigr), +& +&\qquad& +\arccos y +&= +\log\bigl( +y\pm \sqrt{y^2-1} +\bigr), +\\ +\operatorname{arsinh}y +&= +\log\bigl( +y \pm \sqrt{1+y^2} +\bigr), +& +&\qquad& +\operatorname{arcosh} y +&= +\log\bigl( +y\pm \sqrt{y^2-1} +\bigr). +\end{aligned} +\label{buch:integral:risch:trighypinv} +\end{equation} +Alle Funktionen, die man aus dem elementaren Analysisunterricht +kennt, können also mit Hilfe von Exponentialfunktionen und Logarithmen +geschrieben werden. +Man nennt dies die $\log$-$\exp$-Notation der trigonometrischen +und hyperbolischen Funktionen. +\index{logexpnotation@$\log$-$\exp$-Notation}% + +\subsubsection{$\log$-$\exp$-Notation} +Wendet man die Substitutionen +\eqref{buch:integral:risch:trighyp} +und +\eqref{buch:integral:risch:trighypinv} +auf die Integrale +\eqref{buch:integration:risch:allgform} +an, entstehen die Beziehungen +\begin{equation} +\begin{aligned} +\int\frac{1}{1+x^2} +&= +\frac12i\bigl( +\log(1-ix) - \log(1+ix) +\bigr), +\\ +\int\bigl( +{\textstyle\frac12} +e^{ix} ++ +{\textstyle\frac12} +e^{-ix} +\bigr) +&= +-{\textstyle\frac12}ie^{ix} ++{\textstyle\frac12}ie^{-ix}, +\\ +\int +\frac{1}{\sqrt{1-x^2}} +&= +-i\log\bigl(ix+\sqrt{1-x^2}), +\\ +\int \log\bigl(x+\sqrt{x^2-1}\bigr) +&= +x\log\bigl(x+\sqrt{x^2-1}\bigr) - \sqrt{x^2-1}. +\end{aligned} +\label{buch:integration:risch:eqn:integralbeispiel2} +\end{equation} +Die in den Stammfuntionen auftretenden Funktionen treten entweder +schon im Integranden auf oder sind Logarithmen von solchen +Funktionen. +Zum Beispiel hat der Nenner im ersten Integral die Faktorisierung +$1+x^2=(1+ix)(1-ix)$, in der Stammfunktion findet man die Logarithmen +der Faktoren. + + diff --git a/buch/chapters/060-integral/rational.tex b/buch/chapters/060-integral/rational.tex new file mode 100644 index 0000000..0ca164d --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/rational.tex @@ -0,0 +1,203 @@ +% +% rational.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Rationale Funktionen und Funktionenkörper +\label{buch:integral:subsection:rational}} +Welche Funktionen sollen als Antwort auf die Frage nach einer Stammfunktion +akzeptiert werden? +Polynome in der unabhängigen Variablen $x$ sollten sicher dazu gehören, +also alles, was man mit Hilfe der Multiplikation, Addition und Subtraktion +aus Koeffizienten zum Beispiel in den rationalen Zahlen $\mathbb{Q}$ und +der unabhängigen Variablen aufbauen kann. +Doch welche weiteren Operationen sollen zugelassen werden und was lässt +sich über die entstehende Funktionenmenge aussagen? + +\subsubsection{Körper} +Die kleinste Zahlenmenge, in der alle arithmetischen Operationen soweit +sinnvoll durchgeführt werden können, ist die Menge $\mathbb{Q}$ der +rationalen Zahlen. +Etwas formaler ist eine solche Menge, in der die Arithmetik uneingeschränkt +ausgeführt werden kann, ein Körper gemäss der folgenden Definition. +\index{Korper@Körper}% + +\begin{definition} +\label{buch:integral:definition:koerper} +Eine {\em Körper} ist eine Menge $K$ mit zwei Verknüpfungen $+$, die Addition, +und $\cdot$, die Multiplikation, +welche die folgenden Eigenschaften haben. +\begin{center} +\renewcommand{\tabcolsep}{0pt} +\begin{tabular}{p{68mm}p{4mm}p{68mm}} +%Eigenschaften der +Addition: +\begin{enumerate}[{\bf A}.1)] +\item assoziativ: $(a+b)+c=a+(b+c)$ +für alle $a,b,c\in K$ +\item kommutativ: $a+b=b+a$ +für alle $a,b\in K$ +\item Neutrales Element der Addition: es gibt ein Element $0\in K$ mit +der Eigenschaft $a+0=a$ für alle $a\in K$ +\item Additiv inverses Element: zu jedem Element $a\in K$ gibt es das Element +$-a$ mit der Eigenschaft $a+(-a)=0$. +\end{enumerate} +&&% +%Eigenschaften der +Multiplikation: +\begin{enumerate}[{\bf M}.1)] +\item assoziativ: $(a\cdot b)\cdot c=a\cdot (b\cdot c)$ +für alle $a,b,c\in K$ +\index{Assoziativgesetz}% +\index{assoziativ}% +\item kommutativ: $a\cdot b=b\cdot a$ +für alle $a,b\in K$ +\index{Kommutativgesetz}% +\index{kommutativ}% +\item Neutrales Element der Multiplikation: es gibt ein Element $1\in K$ mit +der Eigenschaft $a\cdot 1 =a$ für alle $a\in K$ +\index{neutrales Element}% +\item Multiplikativ inverses Element: zu jedem Element +\index{inverses Element}% +$a\in K^*=K\setminus\{0\}$ +gibt es das Element $a^{-1}$ mit der Eigenschaft $a\cdot a^{-1}=1$. +\index{Einheitengruppe}% +\index{Gruppe der invertierbaren Elemente}% +\end{enumerate} +\end{tabular} +\end{center} +\vspace{-22pt} +Ausserdem gilt das Distributivgesetz: für alle $a,b,c\in K$ gilt +$a\cdot(b+c)=a\cdot b + a\cdot c$. +\index{Disitributivgesetz}% +Die Menge $K^*$ heisst auch die {\em Einheitengruppe} oder die +{\em Gruppe der invertierbaren Elemente} des Körpers. +\end{definition} + +Das Assoziativgesetz {\bf A}.1 besagt, dass Summen mit beliebig +vielen Termen ohne Klammern geschrieben werden kann, weil es nicht +darauf ankommt, in welcher Reihenfolge die Additionen ausgeführt werden. +Ebenso für das Assoziativgesetz {\bf M}.1 der Multiplikation. +Die Kommutativgesetze {\bf A}.2 und {\bf M}.2 implizieren, dass man +nicht auf die Reihenfolge der Summanden oder Faktoren achten muss. +Das Distributivgesetz schliesslich besagt, dass man Produkte ausmultiplizieren +oder gemeinsame Faktoren ausklammern kann, wie man es in der Schule +gelernt hat. + +Die rellen Zahlen $\mathbb{R}$ und die komplexen Zahlen $\mathbb{C}$ +bilden ebenfalls einen Körper, die von den rationalen Zahlen geerbten +Eigenschaften der Verknüpfungen setzen sich auf $\mathbb{R}$ und +$\mathbb{C}$ fort. +Es lassen sich allerdings auch Zahlkörper zwischen $\mathbb{Q}$ und +$\mathbb{R}$ konstruieren, wie das folgende Beispiel zeigt. + +\begin{beispiel} +\label{buch:integral:beispiel:Qsqrt2} +Die Menge +\[ +\mathbb{Q}(\!\sqrt{2}) += +\{ +a+b\sqrt{2} +\;|\; +a,b\in \mathbb{Q} +\} +\] +ist eine Teilmenge von $\mathbb{R}$. +Die Rechenoperationen haben alle verlangten Eigenschaften, wenn gezeigt +werden kann, dass Produkte und Quotienten von Zahlen in $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ +wieder in $\mathbb{Q}(\!\sqrt{2})$ sind. +Dazu rechnet man +\begin{align*} +(a+b\sqrt{2}) +(c+d\sqrt{2}) +&= +ac + 2bd + (ad+bc)\sqrt{2} \in \mathbb{Q}(\!\sqrt{2}) +\intertext{und} +\frac{a+b\sqrt{2}}{c+d\sqrt{2}} +&= +\frac{a+b\sqrt{2}}{c+d\sqrt{2}} +\cdot +\frac{c-d\sqrt{2}}{c-d\sqrt{2}} += +\frac{ac-2bd +(-ad+bc)\sqrt{2}}{c^2-2d^2} +\\ +&= +\underbrace{\frac{ac-2bd}{c^2-2d^2}}_{\displaystyle\in\mathbb{Q}} ++ +\underbrace{\frac{-ad+bc}{c^2-2d^2}}_{\displaystyle\in\mathbb{Q}} +\sqrt{2} +\in \mathbb{Q}(\!\sqrt{2}). +\qedhere +\end{align*} +\end{beispiel} + +% +% Rationale Funktionen +% +\subsubsection{Rationalen Funktionen} +Die als Antworten auf die Frage nach einer Stammfunktion akzeptablen +Funktionen sollten alle rationalen Zahlen sowie die unabhängige +Variable $x$ enthalten. +Ausserdem sollte man beliebige arithmetische Operationen mit +diesen Ausdrücken durchführen können. +Mit Addition, Subtraktion und Multiplikation entstehen aus den +rationalen Zahlen und der unabhängigen Variablen die Polynome $\mathbb{Q}[x]$ +(siehe auch Abschnitt~\ref{buch:potenzen:section:polynome}). + + +\begin{definition} +Die Menge +\[ +\mathbb{Q}(x) += +\biggl\{ +\frac{p(x)}{q(x)} +\;\bigg|\; +p(x),q(x)\in\mathbb{Q}[x] +\wedge +q(x)\ne 0 +\biggr\}, +\] +bestehend aus allen Quotienten von Polynomen, deren Nenner nicht +das Nullpolynom ist, heisst der Körper der {\em rationalen Funktionen} +\index{rationale Funktion}% +mit Koeffizienten in $\mathbb{Q}$. +\end{definition} + +Die Definition erlaubt, dass der Nenner Nullstellen hat, die sich in +Polen der Funktion äussern. +Die Eigenschaften eines Körpers sind sicher erfüllt, wenn wir uns +nur davon überzeugen können, +dass die arithmetischen Operationen nicht aus dieser Funktionenmenge +herausführen. +Dazu muss man nur verstehen, dass die Operation des gleichnamig Machens +zweier Brüche auch für Nenner funktioniert, die Polynome sind, und die +Summe wzeier Brüche von Polynomen wieder in einen Bruch von Polynomen +umwandelt. + +% +% Warum rationale Zahlen? +% +\subsubsection{Warum die Beschränkung auf rationale Zahlen?} +Aus mathematischer Sicht gibt es gute Gründe, Analysis im Körper $\mathbb{R}$ +oder $\mathbb{C}$ zu betreiben. +Da Ableitung und Integral als Grenzwerte definiert sind, stellt diese +Wahl des Körpers sicher, dass die Grenzwerte auch tatsächlich existieren. +Der Fundamentalsatz der Algebra garantiert, dass über $\mathbb{C}$ +jedes Polynome in Linearfaktoren zerlegt werden kann. + +Der Einfachheit der Analyse in $\mathbb{R}$ oder $\mathbb{C}$ steht +die Schwierigkeit gegenüber, beliebige Elemente von $\mathbb{R}$ in +einem Computer exakt darzustellen. +Für Brüche in $\mathbb{Q}$ gibt es eine solche Darstellung durch +Paare von Ganzzahlen, wie sie die GNU Multiprecision Arithmetic Library +\cite{buch:gmp} realisiert. +Irrationale Zahlen dagegen können nur exakt gehandhabt werden, wenn +man im wesentlichen symbolisch mit ihnen rechnet. +Die Grundlage dafür wird in +Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:koerpererweiterungen} +gelegt. + + + diff --git a/buch/chapters/060-integral/risch.tex b/buch/chapters/060-integral/risch.tex index 6c8ff96..2080ce8 100644 --- a/buch/chapters/060-integral/risch.tex +++ b/buch/chapters/060-integral/risch.tex @@ -6,7 +6,20 @@ \section{Der Risch-Algorithmus \label{buch:integral:section:risch}} \rhead{Risch-Algorithmus} +Die Lösung des Integrationsproblem für $\mathbb{Q}(x)$ und für +$\mathbb{Q}(x,y)$ mit $y=\!\sqrt{ax^2+bx+c}$ hat gezeigt, dass +ein Differentialkörper genau die richtige Bühne für dieses Unterfangen +sein dürfte. +Die Stammfunktionen konnten in einem Erweiterungskörper gefunden +werden, der ein paar Logarithmen hinzugefügt worden sind. +Tatsächlich lässt sich in diesem Rahmen sogar ein Algorithmus +formulieren, der in einem noch zu definierenden Sinn ``elementare'' +Funktionen als Stammfunktionen finden kann oder beweisen kann, dass +eine solche nicht existiert. +Dieser Abschnitt soll einen Überblick darüber geben. +\input{chapters/060-integral/logexp.tex} +\input{chapters/060-integral/elementar.tex} diff --git a/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex b/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex new file mode 100644 index 0000000..787cfc9 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/sqrat.tex @@ -0,0 +1,480 @@ +% +% sqrat.tex +% +% (c) 2022 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschlue +% +\subsection{Integranden der Form $R(x,\sqrt{ax^2+bx+c})$ +\label{buch:integral:subsection:rxy}} +Für rationale Funktionen lässt sich immer eine Stammfunktion in einem +Erweiterungskörper angeben, der durch hinzufügen einzelner logarithmischer +Funktionen entsteht. +Die dabei verwendeten Techniken lassen sich verallgemeinern. +Zur Illustration und Motivation des später beschriebenen Risch-Algorithmus +stellen wir uns in diesem Abschnitt der Aufgabe, Integrale +mit einem Integranden zu berechnen, der eine rationale Funktion von $x$ +und $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist. + +% +% Aufgabenstellung +% +\subsubsection{Aufgabenstellung} +Eine rationale Funktion von $x$ und $\sqrt{ax^2+bx+c}$ ist ein +Element des Differentialkörpers, den man aus $\mathbb{Q}(x)$ durch +hinzufügen des Elementes +\[ +y=\sqrt{ax^2+bx+c} +\] +erhält. +Eine Funktion $f\in\mathbb{Q}(x,y)$ kann geschrieben werden als Bruch +\begin{equation} +f += +\frac{ +\tilde{p}_0 + \tilde{p}_1y + \dots + \tilde{p}_n y^n +}{ +\tilde{q}_0 + \tilde{q}_1y + \dots + \tilde{q}_m y^m +} +\label{buch:integral:sqrat:eqn:ftilde} +\end{equation} +mit rationalen Koeffizienten $\tilde{p}_i,\tilde{q}_i\in\mathbb{Q}(x)$. +Gesucht ist eine Stammfunktion von $f$. + +% +% Algebraische Vereinfachungen +% +\subsubsection{Algebraische Vereinfachungen} +Da $x^2=ax^2+bx+c$ ein Polynom ist, sind auch alle geraden Potenzen +von $y$ Polynome in $\mathbb{Q}(x)$, +und die ungeraden Potenzen von $y$ lassen sich als Produkt aus einem +Polynom und dem Faktor $y$ schreiben. +Der Integrand~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:ftilde} +lässt sich daher vereinfachen zu einem Bruch der Form +\begin{equation} +f(x) += +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y}, +\label{buch:integral:sqrat:eqn:moebius} +\end{equation} +wobei $p_i$ und $q_i$ rationale Funktionen in $\mathbb{Q}(x)$ sind. + +% +% Rationalisieren +% +\subsubsection{Rationalisieren} +Unschön an der Form~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:moebius} ist die +Tatsache, dass $y$ sowohl im Nenner wie auch im Zähler auftreten kann. +Da aber $y$ die quadratische Identität $y^2=ax^2+bx+c$ erfüllt, +kann das $y$ im Nenner durch Erweitern mit $q_0-q_1y$ zum verschwinden +gebracht werden. +Die Rechnung ergibt +\begin{align*} +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y} +&= +\frac{p_0+p_1y}{q_0+q_1y} +\cdot +\frac{q_0-q_1y}{q_0-q_1y} += +\frac{(p_0+p_1y)(q_0-q_1y)}{q_0^2-q_1^2y^2} +\\ +&= +\frac{p_0q_0-p_1q_1(ax^2+bx+c)}{q_0^2-q_1^2(ax^2+bx+c)} ++ +\frac{q_0p_1-q_1p_0}{q_0^2-q_1^2(ax^2+bx+c)} y. +\end{align*} +Die Quotienten enthalten $y$ nicht mehr, sind also in $\mathbb{Q}(x)$. +In der späteren Rechnung stellt sich heraus, dass es praktischer ist, +das $y$ im Nenner zu haben, was man durch erweitern mit $y$ wieder +unter Ausnützung von $y^2=ax^2+bx+c$ erreichen kann. +Die zu integrierende Funktion kann also in der Form +\begin{equation} +f(x) += +W_1 + W_2\frac{1}{y} +\label{buch:integral:sqint:eqn:w1w2y} +\end{equation} +geschrieben werden mit rationalen Funktionen +$W_1,W_2\in\mathbb{Q}(x)$. +Eine Stammfunktion von $W_1$ kann mit der Methode von +Abschnitt~\ref{buch:integral:subsection:rationalefunktionen} +gefunden werden. +Im Folgenden kümmern wir uns daher nur noch um $W_1$. + +% +% Polynomdivision +% +\subsubsection{Polynomdivision} +Die Funktion $W_2$ in \eqref{buch:integral:sqint:eqn:w1w2y} ist eine +rationale Funktion $W_2\in \mathbb{K}(x)$, also ein Bruch mit Polynomen +in $x$ als Zähler und Nenner. +Durch Polynomdivision mit Rest können wir $W_2$ schreiben als +\[ +W_1 = \varphi + W_3, +\] +wobei $\varphi$ ein Polynom in $x$ ist und $W_3$ eine rationale +Funktion, deren Zählergrad kleiner ist als der Nennergrad. +Zur Bestimmung der Stammfunktion bleibt jetzt nur noch +\begin{equation} +\int W_2\frac{1}{y} += +\int \frac{\varphi}{y} ++ +\int W_3\frac1{y} +\label{buch:integral:sqint:eqn:Wy} +\end{equation} +zu berechnen. + +% +% Integranden der Form $\varphi(x)/y$ +% +\subsubsection{Integranden der Form $\varphi(x)/y$} +Der erste Term in~\eqref{buch:integral:sqint:eqn:Wy} ist ein Integral eines +Quotienten eines Polynoms geteilt durch $y$. +Solche Integrale können, wie im Folgenden gezeigt werden soll, reduziert +werden auf das Integral von $1/y$. +Genauer gilt der folgende Satz. + +\begin{satz} +\label{buch:integral:sqint:satz:polyy} +Sei $\varphi\in\mathcal{K}(x)$ ein Polynom in $x$, dann gibt +es ein Polynom $\psi\in\mathcal{K}(x)$ vom Grad $\deg\psi < \deg\varphi$, +und $A\in\mathcal{K}$ derart, dass +\begin{equation} +\int \frac{\varphi}{y} += +\psi y + A\int\frac{1}{y}. +\label{buch:integral:sqint:eqn:phipsi} +\end{equation} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Wir schreiben die Polynome in der Form +\begin{align*} +\varphi +&= +\varphi_mx^m + \varphi_{m-1}x^{m-1} + \dots + \varphi_2x^2 + \varphi_1x + \varphi_0 +\\ +\psi +&= +\phantom{\varphi_mx^m+\mathstrut} +\psi_{m-1}x^{m-1} + \dots + \psi_2x^2 + \psi_1x + \psi_0 +\intertext{mit der Ableitung} +\psi' +&= +\phantom{\varphi_mx^m+\mathstrut} +\psi_{m-1}(m-1)x^{m-2} + \dots + 2\psi_2x + \psi_1. +\end{align*} +Wir leiten die Gleichung~\eqref{buch:integral:sqint:eqn:phipsi} +nach $x$ ab und erhalten +\begin{align*} +\frac{\varphi}{y} +&= +\psi'y + \psi y' + \frac{A}{y} += +\psi'y + \psi \frac{ax+b/2}{y} + \frac{A}{y}. +\intertext{Durch Multiplikation mit $y$ wird die Gleichung wesentlich +vereinfacht zu} +\varphi +&= +\psi' y^2 + \psi y' y + A += +\psi' \cdot(ax^2+bx+c) + \psi\cdot (ax+b/2) + A. +\end{align*} +Auf beiden Seiten stehen Polynome, man kann daher versuchen, die +Koeffizienten von $\psi$ mit Hilfe eines Koeffizientenvergleichs zu +bestimmen. +Dazu müssen die Produkte auf der rechten Seite ausmultipliziert werden. +So ergeben sich die Gleichungen +\begin{equation} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{lcrcrcrcrcrcrcr} +\varphi_m +&=& +(m-1)\psi_{m-1} a &+& & & +&+& +\psi_{m-1} a & & & & +\\ +\varphi_{m-1} +&=& +(m-2)\psi_{m-2}a +&+& +(m-1)\psi_{m-1}b +& & +&+& +\psi_{m-2}a +&+& +\psi_{m-1}\frac{b}2 +& & +\\ +\varphi_{m-2} +&=& +(m-3)\psi_{m-3}a +&+& +(m-2)\psi_{m-2}b +&+& +(m-1)\psi_{m-1}c +&+& +\psi_{m-3}a +&+& +\psi_{m-2}\frac{b}2 +& & +\\ +&\vdots&&&&&&&&&&& +\\ +\varphi_2 +&=& +\psi_{1\phantom{-m}}a +&+& +2\psi_{2\phantom{-m}}b +&+& +3\psi_{3\phantom{-m}}c +&+& +\psi_{1\phantom{-m}}a +&+& +\psi_{2\phantom{-m}}\frac{b}2 +& & +\\ +\varphi_1 +&=& +& & +\psi_{1\phantom{-m}}b +& & +2\psi_{2\phantom{-m}}c +&+& +\psi_{0\phantom{-m}}a +&+& +\psi_{1\phantom{-m}}\frac{b}2 +\\ +\varphi_0 +&=& +& & +& & +\psi_{1\phantom{-m}}c +& & +&+& +\psi_{0\phantom{-m}}\frac{b}2 +&+&A +\end{array} +\end{equation} +In jeder Gleichung kommen hächstens drei der Koeffizienten von $\psi$ vor. +Fasst man sie zusammen und stellt die Terme etwas um, +erhält man die einfacheren Gleichungen +\begin{equation} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\renewcommand{\arraystretch}{1.3} +\begin{array}{lcrcrcrcrcrcrcr} +\varphi_m +&=& +(m-0){\color{red}\psi_{m-1}}a & & & & +& & +\\ +\varphi_{m-1} +&=& +(m-1+\frac12)\psi_{m-1}b +&+& +(m-1){\color{red}\psi_{m-2}}a +& & +& & +\\ +\varphi_{m-2} +&=& +(m-1)\psi_{m-1}c +&+& +(m-2+\frac12)\psi_{m-2}b +&+& +(m-2){\color{red}\psi_{m-3}}a +& & +\\ +&\vdots&&&&&&&&&&& +\\ +\varphi_2 +&=& +3\psi_{3\phantom{-m}}c +&+& +(2+\frac12)\psi_{2\phantom{-m}}b +&+& +2{\color{red}\psi_{1\phantom{-m}}}a +& & +\\ +\varphi_1 +&=& +2\psi_{2\phantom{-m}}c +&+& +(1+\frac12)\psi_{1\phantom{-m}}b +&+& +{\color{red}\psi_{0\phantom{-m}}}a +& & +\\ +\varphi_0 +&=& +\psi_{1\phantom{-m}}c +& & +&+& +(0+\frac12) \psi_{0\phantom{-m}}b +&+&{\color{red}A} +\end{array} +\end{equation} +Die erste Gleichung kann wegen $a\ne 0$ nach $\psi_{m-1}$ aufgelöst werden, +dadurch ist $\psi_{m-1}$ bestimmt. +In allen folgenden Gleichungen taucht jeweils ein neuer Koeffizient +von $\psi$ auf, der rot hervorgehoben ist. +Wieder wegen $a\ne 0$ kann die Gleichung immer nach dieser Variablen +aufgelöst werden. +Die Gleichungen zeigen daher, dass die Koeffizienten des Polynoms $\psi$ +in absteigender Folge und die Konstanten $A$ eindeutig bestimmt werden. +\end{proof} + +Mit diesem Satz ist das Integral über den Teil $\varphi/y$ auf den +Fall des Integrals von $1/y$ reduziert. +Letzteres wird im nächsten Abschnitt berechnet. + +% +% Das Integral von $1/y$ +% +\subsubsection{Das Integral von $1/y$} +Eine Stammfunktion von $1/y$ kann mit etwas Geschick mit den +Interationstechniken gefunden werden, die man in einem Analysis-Kurs +lernt. +Durch Ableitung der Funktion +\[ +F += +\frac{1}{\sqrt{a}}\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr) +\] +kann man nachprüfen, dass $F$ eine Stammfunktion von $1/y$ ist, +also +\begin{equation} +\int +\frac{1}{y} += +\frac{1}{\sqrt{a}}\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr). +\end{equation} + +% +% Partialbruchzerlegung +% +\subsubsection{Partialbruchzerlegung} +In der rationalen Funktion $W_3$ in \eqref{buch:integral:sqint:eqn:Wy} +hat der Zähler kleineren Grad als der Nenner, sie kann daher wieder +in Partialbrüche +\[ +W_3 += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +\frac{A_{ik}}{(x-\alpha_i)^k} +\] +mit den Nullstellen $\alpha_i$ des Nenners von $W_3$ mit Vielfachheiten +$k_i$ zerlegt werden. +Die Stammfunktion von $W_3/y$ wird damit zu +\begin{equation} +\int W_3\frac{1}{y} += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +A_{ik} +\int +\frac{1}{(x-\alpha_i)^ky} += +\sum_{i=1}^n +\sum_{k=1}^{k_i} +A_{ik} +\int +\frac{1}{(x-\alpha_i)^k \sqrt{ax^2+bx+c}}. +\end{equation} +Die Stammfunktion ist damit reduziert auf Integrale der Form +\begin{equation} +\int +\frac{1}{(x-\alpha)^k \sqrt{ax^2+bx+c}} +\label{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +\end{equation} +mit $k>0$. + +% +% Integrale der Form \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +% +\subsubsection{Integrale der Form \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart}} +Die Integrale~\eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +können mit Hilfe der Substution +\[ +t=\frac{1}{x-\alpha} +\qquad\text{oder}\qquad +x=\frac1t+\alpha +\] +In ein Integral verwandelt werden, für welches bereits eine +Berechnungsmethode entwickelt wurde. +Dazu berechnet man +\begin{align*} +y^2 +&= a\biggl(\frac1t+\alpha\biggr)^2 + b\biggl(\frac1t+\alpha\biggr) + c +\\ +&= +a\biggl(\frac{1}{t^2}+2\frac{\alpha}{t}+\alpha^2\biggr) ++\frac{b}{t}+b\alpha+c += +\frac{1}{t^2}\bigl( +\underbrace{a+(2a\alpha+b)t+(a\alpha^2+c)t^2}_{\displaystyle=Y^2} +\bigr) +\intertext{und damit} +y&=\frac{Y}{t}. +\end{align*} +Führt man die Substition +$dx = -dt/t^2$ im Integral aus, erhält man +\begin{align*} +\int\frac{dx}{(x-\alpha)^ky} +&= +- +\int +t^k\cdot\frac{t}{Y}\frac{dt}{t^2} += +-\int\frac{t^{k-1}}{Y}\,dt. +\end{align*} +Das letzte Integral ist wieder von der Form, die in +Satz~\ref{buch:integral:sqint:satz:polyy} behandelt wurde. +Insbesondere gibt es ein Polynom $\psi$ vom Grad $k-2$ und +eine Konstante $A$ derart, dass +\[ +\int\frac{1}{(x-\alpha)^ky} += +\psi Y + A\int\frac{1}{Y} +\] +ist. +Damit ist das Integral von $R(x,y)$ vollständig bestimmt. + +\subsubsection{Beobachtungen} +Die eben dargestellte Berechnung des Integrals von $R(x,y)$ zeigt einige +Gemeinsamkeiten mit der entsprechenden Rechnung für rationale +Integranden, aber auch einige wesentliche Unterschiede. +Wieder zeigt sich, dass Polynomdivision und Partialbruchzerlegung +die zentralen Werkzeuge sind, mit denen der Integrand zerlegt und +leichter integrierbare Funktionen umgeformt werden kann. +Andererseits ist der in +Satz~\ref{buch:integral:sqint:satz:polyy} +zusammengefasste Schritt eine wesentliche zusätzliche Vereinfachung, +die keine Entsprechung bei rationalen Integranden hat. + +Die gefunden Form der Stammfunktion hat jedoch die allgemeine +Form +\[ +\int R(x,y) += +v_0 + +C +\log\biggl(x+\frac{b}{2a}+\frac{y}{\sqrt{a}}\biggr) ++ +\sum_{i=1}^n c_i +\log v_i, +\] +die ganz der bei rationalen Integranden gefunden Form entspricht. +Darin ist $v_0$ die Summe der angefallenen rationalen Teilintegrale, +also $v_0\in\mathcal{K}(x,y)$. +Die $v_i\in\mathcal{K}(x,y)$ sind die entsprechenden Logarithmusfunktionen, +die bei der Berechnung der Integrale \eqref{buch:integral:sqrat:eqn:2teart} +auftreten. +Insbesondere liefert die Rechnung eine Körpererweiterung von +$\mathcal{K}(x,y)$ um die logarithmische Funktionen +$\log(x+b/2a+y/\!\sqrt{y})$ und $\log v_i$, in der $R(x,y)$ eine +Stammfunktion hat. + + + + |