From a05e9b7228e790855554d578cf5c9162feb6e0a0 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: =?UTF-8?q?Andreas=20M=C3=BCller?= Date: Sat, 25 Dec 2021 22:07:55 +0100 Subject: more on orthogonal families --- buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex | 219 +++++++++++++++++++++++++++++- 1 file changed, 217 insertions(+), 2 deletions(-) (limited to 'buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex') diff --git a/buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex b/buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex index a764002..b081017 100644 --- a/buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex +++ b/buch/chapters/060-integral/orthogonal.tex @@ -272,6 +272,189 @@ b_n \end{align*} berücksichtigen dies. +\subsubsection{Selbstadjungierte Operatoren und Eigenvektoren} +Symmetrische Matrizen spielen eine spezielle Rolle in der +endlichdimensionalen linearen Algebra, weil sie sich immer +mit einer orthonormierten Basis diagonalisieren lassen. +In der vorliegenden Situation undendlichdimensionaler Vektorräume +brauchen wir eine angepasste Definition. + +\begin{definition} +Eine lineare Selbstabbildung $A\colon V\to V$ +eines Vektorrraums mit Skalarprodukt +heisst {\em selbstadjungiert}, wenn für alle Vektoren $u,v\in V$ +heisst $\langle Au,v\rangle = \langle u,Av\rangle$. +\end{definition} + +Es ist wohlbekannt, dass Eigenvektoren einer symmetrischen Matrix +zu verschiedenen Eigenwerten orthogonal sind. +Der Beweis ist direkt übertragbar, wir halten das Resultat hier +für spätere Verwendung fest. + +\begin{satz} +Sind $f$ und $g$ Eigenvektoren eines selbstadjungierten Operators $A$ +zu verschiedenen Eigenwerten $\lambda$ und $\mu$, dann sind $f$ und $g$ +orthogonal. +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir die Eigenschaft nutzen, +dass Eigenfunktionen eines selbstadjungierten Operatores zu verschiedenen +Eigenwerten orthogonal sind. +Dazu seien $Df = \lambda f$ und $Dg=\mu g$ und wir rechnen +\begin{equation*} +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{rcccrl} +\langle Df,g\rangle &=& \langle \lambda f,g\rangle &=& \lambda\phantom{)}\langle f,g\rangle +&\multirow{2}{*}{\hspace{3pt}$\biggl\}\mathstrut-\mathstrut$}\\ +=\langle f,Dg\rangle &=& \langle f,\mu g\rangle &=& \mu\phantom{)}\langle f,g\rangle& +\\[2pt] +\hline + 0 & & &=& (\lambda-\mu)\langle f,g\rangle& +\end{array} +\end{equation*} +Da $\lambda-\mu\ne 0$ ist, muss $\langle f,g\rangle=0$ sein. +\end{proof} + +\begin{beispiel} +Sei $C^1([0,2\pi], \mathbb{C})=C^1(S^1,\mathbb{C})$ +der Vektorraum der $2\pi$-periodischen differenzierbaren Funktionen mit +dem Skalarprodukt +\[ +\langle f,g\rangle += +\frac{1}{2\pi}\int_0^{2\pi} \overline{f(t)}g(t)\,dt +\] +enthält die Funktionen $e_n(t) = e^{int}$. +Der Operator +\[ +D=i\frac{d}{dt} +\] +ist selbstadjungiert, denn mit Hilfe von partieller Integration erhält man +\[ +\langle Df,g\rangle += +\frac{1}{2\pi} +\int_0^{2\pi} +\underbrace{ +\overline{i\frac{df(t)}{dt}} +}_{\uparrow} +\underbrace{g(t)}_{\downarrow} +\,dt += +\underbrace{ +\frac{-i}{2\pi} +\biggl[ +\overline{f(t)}g(t) +\biggr]_0^{2\pi} +}_{\displaystyle=0} ++ +\frac{1}{2\pi} +\int_0^{2\pi} +\overline{f(t)}i\frac{dg(t)}{dt} +\,dt += +\langle f,Dg\rangle +\] +unter Ausnützung der $2\pi$-Periodizität der Funktionen. + +Die Funktionen $e_n(t)$ sind Eigenfunktionen des Operators $D$, denn +\[ +De_n(t) = i\frac{d}{dt}e^{int} = -n e^{int} = -n e_n(t). +\] +Nach obigem Satz sind die Eigenfunktionen von $D$ orthogonal. +\end{beispiel} + +Das Beispiel illustriert, dass orthogonale Funktionenfamilien +ein automatisches Nebenprodukt selbstadjungierter Operatoren sind. + +% +% Besselfunktionen also orthogonale Funktionenfamilie +% +\subsection{Bessel-Funktionen als orthogonale Funktionenfamilie} +Auch die Besselfunktionen sind eine orthogonale Funktionenfamilie. +Sie sind Funktionen differenzierbaren Funktionen $f(r)$ für $r>0$ +mit $f'(r)=0$ und für $r\to\infty$ nimmt $f(r)$ so schnell ab, dass +auch $rf(r)$ noch gegen $0$ strebt. +Das Skalarprodukt ist +\[ +\langle f,g\rangle += +\int_0^\infty r f(r) g(r)\,dr, +\] +als Operator verwenden wir +\[ +A = \frac{d^2}{dr^2} + \frac{1}{r}\frac{d}{dr} + s(r), +\] +wobei $s(r)$ eine beliebige integrierbare Funktion sein kann. +Zunächst überprüfen wir, ob dieser Operator wirklich selbstadjungiert ist. +Dazu rechnen wir +\begin{align} +\langle Af,g\rangle +&= +\int_0^\infty +r\,\biggl(f''(r)+\frac1rf'(r)+s(r)f(r)\biggr) g(r) +\,dr +\notag +\\ +&= +\int_0^\infty rf''(r)g(r)\,dr ++ +\int_0^\infty f'(r)g(r)\,dr ++ +\int_0^\infty s(r)f(r)g(r)\,dr. +\notag +\intertext{Der letzte Term ist symmetrisch in $f$ und $g$, daher +ändern wir daran weiter nichts. +Auf das erste Integral kann man partielle Integration anwenden und erhält} +&= +\biggl[rf'(r)g(r)\biggr]_0^\infty +- +\int_0^\infty f'(r)g(r) + rf'(r)g'(r)\,dr ++ +\int_0^\infty f'(r)g(r)\,dr ++ +\int_0^\infty s(r)f(r)g(r)\,dr. +\notag +\intertext{Der erste Term verschwindet wegen der Bedingungen an die +Funktionen $f$ und $g$. +Der erste Term im zweiten Integral hebt sich gegen das +zweite Integral weg. +Der letzte Term ist das Skalarprodukt von $f'$ und $g'$. +Somit ergibt sich +} +&= +-\langle f',g'\rangle ++ +\int_0^\infty s(r) f(r)g(r)\,dr. +\label{buch:integrale:orthogonal:besselsa} +\end{align} +Vertauscht man die Rollen von $f$ und $g$, erhält man das Gleiche, da im +letzten Ausdruck~\eqref{buch:integrale:orthogonal:besselsa} die Funktionen +$f$ und $g$ symmetrische auftreten. +Damit ist gezeigt, dass der Operator $A$ selbstadjungiert ist. +Es folgt nun, dass Eigenvektoren des Operators $A$ automatisch +orthogonal sind. + +Eigenfunktionen von $A$ sind aber Lösungen der Differentialgleichung +\[ +\begin{aligned} +&& +Af&=\lambda f +\\ +&\Rightarrow\qquad& +f''(r) +\frac1rf'(r) + s(r)f(r) &= \lambda f(r) +\\ +&\Rightarrow\qquad& +r^2f''(r) +rf'(r)+ (-\lambda r^2+s(r)r^2)f(r) &= 0 +\end{aligned} +\] +sind. +Durch eine geeignete Wahl der Funktion $s(r)$ kann jetzt der +Zusammenhang mit der Besselschen Differentialgleichung hergestellt werden. +Ihre Lösungen zu verschiedenen Werten des Parameters müssen also +orthogonal sein, insbesondere sind die Besselfunktion $J_\nu(r)$ +und $J_\mu(r)$ orthogonal wenn $\mu\ne\nu$ ist. % % Orthogonale Polynome @@ -325,6 +508,15 @@ Die ersten beiden Funktionen sind das konstante Polynom $1$ und das Polynome $x$. Nach obiger Beobachtung ist das Skalarprodukt $\langle 1,x\rangle=0$, also ist $P_1(x)=x$. +Die Graphen der entstehenden Polynome sind in +Abbildung~\ref{buch:integral:orthogonal:legendregraphen} +dargestellt. +\begin{figure} +\centering +\includegraphics{chapters/060-integral/images/legendre.pdf} +\caption{Graphen der Legendre-Polynome $P_n(x)$ für $n=1,\dots,10$. +\label{buch:integral:orthogonal:legendregraphen}} +\end{figure} \begin{lemma} Die Polynome $P_{2n}(x)$ sind gerade, die Polynome $P_{2n+1}(x)$ sind @@ -467,9 +659,24 @@ P_4(x) = \] setzen muss. +\begin{figure} +\centering +\includegraphics{chapters/060-integral/images/orthogonal.pdf} +\caption{Orthogonalität der Legendre-Polynome $P_4(x)$ ({\color{blue}blau}) +und $P_7(x)$ ({\color{darkgreen}grün}). +Die blaue Fläche ist die Fläche unter dem Graphen +von $P_4(x)^2$, $P_4(x)$ muss durch die Wurzel aus diesem Flächeninhalt +geteilt werden, um ein Polynome mit Norm $1$ zu erhalten. +Für die grüne Fläche ist es $P_7(x)$. +Die rote Kurve ist der Graph der Funktion $P_4(x)\cdot P_7(x)$, +die rote Fläche ist deren Integral, sie ist $0$, d.~h.~die beiden +Funktionen sind orthogonal. +\label{buch:integral:orthogonal:legendreortho}} +\end{figure} + \begin{table} \centering -\renewcommand{\arraystretch}{1.5} +\renewcommand{\arraystretch}{1.2} \begin{tabular}{|>{$}c<{$}|>{$}l<{$}|} \hline n&P_n(x)\\ @@ -495,7 +702,7 @@ n&P_n(x)\\ 9&\frac1{128}(12155x^9-25740x^7+18018x^5-4620x^3+315x) \\ 10&\frac1{256}(46189x^{10}-109395x^8+90090x^6-30030x^4+3465x^2-63) -\\ +\\[2pt] \hline \end{tabular} \caption{Die Legendre-Polynome $P_n(x)$ für $n=0,1,\dots,10$ sind @@ -503,9 +710,16 @@ orthogonale Polynome vom Grad $n$, die den Wert $P_n(1)=1$ haben. \label{buch:integral:table:legendre-polynome}} \end{table} + + Die so konstruierten Polynome heissen die {\em Legendre-Polynome}. Durch weitere Durchführung des Verfahrens liefert die Polynome in Tabelle~\ref{buch:integral:table:legendre-polynome}. +Die Graphen sind in Abbildung~\ref{buch:integral:orthogonal:legendregraphen} +dargestellt. +Abbildung~\ref{buch:integral:orthogonal:legendreortho} illustriert, +dass die die beiden Polynome $P_4(x)$ und $P_7(x)$ orthogonal sind. +Das Produkt $P_4(x)\cdot P_7(x)$ hat Integral $=0$. %% @@ -520,3 +734,4 @@ Tabelle~\ref{buch:integral:table:legendre-polynome}. \input{chapters/060-integral/legendredgl.tex} \input{chapters/060-integral/gaussquadratur.tex} + -- cgit v1.2.1