% % Was ist zu erwarten % \subsection*{Was ist zu erwarten?} Spezielle Funktionen wie die eben angedeuteten werden also zu Bausteinen, die in der Lösung algebraischer oder auch analytischer Probleme verwendet werden können. Die Erfahrung zeigt, dass diese Funktionen immer wieder nützlich sind, es lohnt sich also, ihre Berechnung zum Beispiel in einer Bibliothek zu implementieren. Spezielle Funktionen sind in diesem Sinn eine mathematische Form des informatischen Prinzips des ``code reuse''. Die nachstehenden Kapitel sollen die vielfältigen Arten illustrieren, wie diese Prinzipien zu neuen und nützlichen speziellen Funktionen und ihren Anwendungen führen können. Hier eine kurze Übersicht über ihren Inhalt. \begin{enumerate} \item Potenzen und Wurzeln: Potenzen und Polynome sind die einfachsten Funktionen, die sich unmittelbar aus den arithmetischen Operationen konstruieren lassen. Die zugehörigen Umkehrfunktionen sind die Wurzelfunktionen, sie lösen gewisse algebraische Gleichungen. Aus den Polynomen lassen sich weiter rationale Funktionen und Potenzreihen konstruieren, die als wichtige Werkzeuge zur Konstruktion spezieller Funktionen in späteren Kapiteln sind. \item Exponentialfunktion und Exponentialgleichungen. Die Exponentialfunktion entsteht aus dem Zinsproblem durch Grenzwert, die Jost Bürgi zur Berechnung seiner Logarithmentabelle verwendet hat. Hier zeigt sich die Nützlichkeit spezieller Funktionen als Grundlage für die numerische Rechnung: Logarithmentafeln waren über Jahrhunderte das zentrale Werkzeug für die Durchführung numerischer Rechnung. Besonders nützlich ist aber auch die Potenzreihendarstellung der Exponentialdarstellung, die meist für die numerische Berechnung verwendet wird. Die Lambert-$W$-schliesslich löst gewisse Exponentialgleichungen. \item Spezielle Funktionen aus der Geometrie. Dieses Kapitel startet mit der langen Geschichte der trigonometrischen Funktionen, den wahrscheinlich wichtigsten speziellen Funktionen für geometrische Anwendungen. Es führt aber auch die Kegelschnitte, die hyperbolischen Funktionen und andere Parametrisierungen der Kegelschnitte ein, die später wichtig werden. Es beginnt auch die Diskussion einiger geometrischer Fragestellungen die sich oft nur durch Definition neuer spezieller Funktionen lösen lassen, wie zum Beispiel das Problem der Kurvenlänge auf einer Ellipse. \item Spezielle Funktionen und Rekursion. Viele Probleme lassen eine Lösung in rekursiver Form zu. Zum Beispiel lässt sich die Fakultät durch eine Rekursionsbeziehung vollständig definieren. Dieses Kapitel zeigt, wie sich die Fakultät zur Gamma-Funktion $\Gamma(x)$ erweitern lässt, die für beliebige reelle $x$ definiert ist. Sie ist aber nur die Spitze eines Eisbergs von weiteren wichtigen Funktionen. Die Beta-Integrale sind ebenfalls durch Rekursionsbeziehungen charakterisiert, lassen sich durch Gamma-Funktionen ausdrücken und haben als Anwendung die Verteilungsfunktionen der Ordnungsstatistiken. Lineare Differenzengleichungen sind Rekursionsgleichungen, die sich besonders leicht mit Potenzfunktionen lösen lassen. Alle diese Funktionen sind Speziallfälle einer sehr viel grösseren Klasse von Funktionen, den hypergeometrischen Funktionen, die sich durch eine Rekursionsbeziehung der Koeffizienten ihrer Potenzreihenentwicklung auszeichnen. Es wird sich in nächsten Kapitel zeigen, dass sie besonders gut geeignet sind, Lösungen von linearen Differentialgleichungen zu beschreiben. \item Differentialgleichungen. Lösungsfunktionen von Differentialgleichungen sind meistens die erste Anwendung, in der man die klassschen speziellen Funktionen kennenlernt. Sie entstehen mit Hilfe der Potenzreihenmethode und können daher als hypergeometrische Funktionen geschrieben werden. Sie sind aber von derart grosser Bedeutung für die Anwendung, dass viele dieser Funktionen als eigenständige Funktionenfamilien definiert worden sind. Die Bessel-Funktionen werden in diesem Zusammenhang eingehend behandelt. \item Integrale können als Lösungen sehr spezieller Differentialgleichungen betrachtet werden. Eine Stammfunktion $F(x)$ der Funktion $f(x)$ hat als Ableitung die ursprüngliche Funktion: $F'(x)=f(x)$. Während Ableiten ein einfacher, algebraischer Prozess ist, scheint das Finden einer Stammfunktion sehr viel anspruchsvoller zu sein. Spezielle Funktionen sinnvoll sein, wenn eine Stammfunktion sich nicht mit den bereits definierten Funktionen ausdrücken lässt. Es gibt eine systematische Methode zu entscheiden, ob eine Stammfunktion sich durch ``elementare Funktionen'' ausdrücken lässt, sie wird oft der Risch-Algorithmus genannt. \item Orthogonalität. Mit dem Integral lassen sich auch für Funktionen Skalarprodukte definieren. Orthogonalität zwischen Funktionen zeichnet dann Funktionen aus, die sich besonders gut zur Darstellung beliebiger stetiger oder integrierbarer Funktionen eignen. Die Fourier-Theorie und ihre vielen Varianten sind ein Resultat. Besonders einfache orthogonale Funktionenfamilien sind die orthogonalen Polynome, die ausserdem zu ausserordentlich genauen numerischen Integrationsverfahren führen. \item Integraltransformationen. Die trigonometrischen Funktionen sind die Grundlage der Fourier-Theorie. Doch auch andere spezielle Funktionenfamilien können ähnlich nützliche Integraltransformationen hergeben. Die Bessel-Funktionen stellen sich in diesem Zusammenhang als die Polarkoordinaten-Variante der Fourier-Theorie in der Ebene heraus. \item Funktionentheorie. Einige Eigenschaften der Lösungen gewöhnlicher Differentialgleichung sind allein mit der reellen Analysis nicht zu bewältigen. In der Welt der speziellen Funktionen hat man aber strengere Anforderungen an Funktionen, sie lassen sich immer als Funktionen einer komplexen Variablen verstehen. Dieses Kapitel stellt die wichtigsten Eigenschaften komplex differenzierbarer Funktionen zusammen und wendet sie zum Beispiel auf das Problem an, weitere Lösungen der Bessel-Differentialgleichung zu finden. \item Partielle Differentialgleichungen sind eine der wichtigsten Quellen der gewöhnlichen Differentialgleichungen, die nur mit speziellen Funktionen gelöst werden können. So führen rotationssymmetrische Wellenprobleme in der Ebene ganz natürlich auf die Besselsche Differentialgleichung und damit auf die Bessel-Funktionen als Lösungsfunktionen. \item Elliptische Funktionen. Einige der in Kapitel~\ref{buch:chapter:geometrie} angesprochenen Fragestellungen wie der Berechnung der Bogenlänge auf einer Ellipse lassen sich mit keiner der bisher vorgestellten Technik lösen. In diesem Kapitel werden die elliptischen Integrale und die zugehörigen Umkehrfunktionen vorgestellt. Die Jacobischen elliptischen Funktionen verallgemeinern die trigonometrischen Funktionen und können gewisse nichtlineare Differentialgleichungen lösen. Sie finden auch Anwendungen im Design elliptischer Filter (siehe Kapitel~\ref{chapter:ellfilter}). \end{enumerate} Natürlich ist damit das weite Gebiet der speziellen Funktionen nur ganz grob umrissen. Weitere Aspekte und Anwendungen werden in den Artikeln im zweiten Teil vorgestellt. Eine Übersicht dazu findet der Leser auf Seite~\pageref{buch:uebersicht}.