% % loesbarkeit.tex % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochscule % \section{Lösungen von Polynomgleichungen \label{buch:potenzen:section:loesungen}} \rhead{Lösungen von Polynomgleichungen} Die Berechnung von Polynomen ist sehr einfach, da nur arithmetische Grundoperationen benötigt werden. In vielen Anwendungen sind jedoch die Argumente gefragt, für die ein Polynom einen bestimmten Wert annimmt. Es geht also um die Lösung von Gleichungen der Form \[ p(x) = c \] für ein Polynome $p(x)$ und eine Konstante $c\in\mathbb{C}$. % % Fundamentalsatz der Algebra % \subsection{Fundamentalsatz der Algebra} In Abschnitt~\ref{buch:polynome:subsection:faktorisierung-und-nullstellen} wurde gezeigt, dass sich jede Nullstellen $\alpha$ eines Polynoms als Faktor $x-\alpha$ abspalten lässt. Jedes Polynom liess sich in ein Produkt von Linearfaktoren und einen Faktor zerlegen, der keine Nullstellen hat. Zum Beispiel hat das Polynom $x^2+1\in\mathbb{R}[x]$ keine Nullstellen in $\mathbb{R}$. Eine solche Nullstelle müsste eine Quadratwurzel von $-1$ sein. Die komplexen Zahlen $\mathbb{C}$ wurden genau mit dem Ziel konstruiert, dass $i=\sqrt{-1}$ sinnvoll wird. Der Fundamentalsatz der Algebra zeigt, dass $\mathbb{C}$ alle Nullstellen von Polynomen enthält. \begin{satz}[Gauss] \index{Satz!Fundamentalsatz der Algebra}% \index{Fundamentalsatz der Algebra}% \label{buch:potenzen:satz:fundamentalsatz} Jedes Polynom $p(x)=a_nx^n+\dots + a_2x^2 + a_1x + a_0\in\mathbb{C}[x]$ zerfällt in ein Produkt \[ p(x) = a_n (x-\alpha_1)(x-\alpha_2)\cdots(x-\alpha_n) \] für Nullstellen $\alpha_k\in\mathbb{C}$. \end{satz} % % Lösbarkeit durch Wurzelausdrücke % \subsection{Lösbarkeit durch Wurzelausdrücke} Der Fundamentalsatz macht keine Aussage darüber, wie die Nullstellen eines Polynoms gefunden werden können. Selbst für besonders einfache Gleichungen der Form \[ x^n = c \qquad \text{oder Polynome der Form} \qquad p(x) = x^n -c \] gibt es keine direkte, nur auf den arithmetischen Operationen basierende Methode, eine Nullstelle oder Faktorisierung in endlich vielen Schritten zu finden. Dies rechtfertigt, für diese einfachen Fälle eine neue, spezielle Funktion zu definieren, die mindestens für reelle Koeffizienten die Nullstelle als Rückgabewert hat. \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/010-potenzen/images/wurzel.pdf} \caption[Graph der Wurzelfunktionen]{Graph der Wurzelfunktionen \ensuremath{x\mapsto\root{n}\of{x}} als Umkehrfunktionen der Potenzfunktionen $x\mapsto x^n$ für $n=2$ ({\color{red}rot}), $n=3$ ({\color{blue}blau}), $n=16$ ({\color{darkgreen}grün}) und $n=27$ ({\color{orange}orange}). \label{buch:potenzen:fig:wurzel} } \end{figure} \begin{definition} Die inverse Funktion der Potenzfunktion $f\colon \mathbb{R}\to\mathbb{R}:x\mapsto y=f(x)=x^n$ heisst die $n$-{\em te Wurzel} und wird \[ \root{n}\of{\mathstrut\phantom{m}} = f^{-1} \colon D\to\mathbb{R} : y\mapsto f^{-1}(y)=\root{n}\of{\mathstrut y} \] geschrieben. Für gerades $n$ ist der Definitionsbereich der Wurzel nur $D=\mathbb{R}_{\ge 0}$, für ungerades $n$ ist $D=\mathbb{R}$. Für $n=2$ wird die Wurzel als \( \root{2}\of{\mathstrut y} = \sqrt{\mathstrut y} \) geschrieben. \end{definition} Mit der Wurzelfunktion ist es jetzt möglich, auch kompliziertere Gleichungen zu lösen: \begin{enumerate} \item Für negative Argument $y<0$ müssen Quadratwurzeln als $\sqrt{y\mathstrut}=i\sqrt{-y\mathstrut}$ definiert werden. \item Mindestens der Betrag der Wurzel einer komplexen Zahl lässt sich jetzt sofort mittels $|\root{n}\of{c\mathstrut}|=\root{n}\of{|c|\mathstrut}$ berechnen. Für das Argument sind jedoch die in Abschnitt~\label{buch:geometrie:section:trigonometrisch} definierten trigonometrischen Funktionen notwendig. \item Die quadratische Gleichung \[ ax^2+bx+c=0 \] hat die Nullstellen \[ x_{1,2} = \frac{-b\pm\sqrt{b^2-4ac\mathstrut}}{2a}. \] \item Für kubische Gleichungen hat Cardano eine Lösung gefunden, die Nur Wurzelausdrücke und arithmetische Operationen verwendet. Die Gleichung $x^3+px+q=0$ hat die Nullstelle \[ x = \root{3}\of{-\frac{q}2+\sqrt{\frac{q^2}4+\frac{p^3}{27}}} + \root{3}\of{-\frac{q}2-\sqrt{\frac{q^2}4+\frac{p^3}{27}}}. \] Falls das Argument der Quadratwurzel negativ ist, muss eine Kubikwurzel aus einer komplexen Zahl berechnet werden, was wieder über die Möglichkeiten der oben definierten Wurzelfunktionen hinausgeht. \item Für die Lösung einer Gleichung vierten Grades hat Ferrari eine Formel angegeben, die mit Wurzelausdrücken und arithmetischen Operationen auskommt. \end{enumerate} Allerdings ist damit auch bereits ausgeschöpft, was die Wurzelfunktionen zur Lösung von Polynomgleichungen beitragen können. Der folgende Satz von Abel zeigt, dass man für Polynomgleichungen höheren Grades nicht mit einer Lösung durch Wurzelausdrücke rechnen kann. \begin{satz}[Abel] \index{Satz!von Abel} \label{buch:potenzen:satz:abel} Für Polynomegleichungen vom Grad $n\ge 5$ gibt es keine allgemeine Lösung durch Wurzelausdrücke. \end{satz} % % Algebraische Zahlen % \subsection{Algebraische Zahlen} Die Verwendung der komplexen Zahlen ist für numerische Rechnungen zweckmässig. In den Anwendungen der Computer-Algebra hingegen erwartet man zum Beispiel exakte Formeln für eine Stammfunktion. Nicht rationale Zahlen können nur exakt verarbeitet werden, wenn Sie sich algebraisch in endlich vielen Schritten charakterisieren lassen. Dies ist zum Beispiel für rationale Zahlen $\mathbb{Q}$ möglich. Gewisse irrationale Zahlen kann man charakterisieren durch die Eigenschaft, Nullstelle eines Polynoms $p(x)\in\mathbb{Q}[x]$ mit rationalen Koeffizienten zu sein. \begin{definition} Eine Zahl $\alpha$ heisst {\em algebraisch} über $\mathbb{Q}$, wenn es ein Polynom \index{algebraische Zahl}% $p(x)\in \mathbb{Q}[x]$ gibt, welches $\alpha$ als Nullstelle hat. Eine Zahl heisst transzendent über $\mathbb{Q}$, wenn sie nicht algebraisch ist über $\mathbb{Q}$. \end{definition} Die Zahlen $i=\sqrt{-1}$ und $\sqrt{n\mathstrut}$ für $n\in\mathbb{N}$ sind also algebraisch über $\mathbb{Z}$. Es ist gezeigt worden, dass $\pi$ und $e$ nicht nur irrational sind, sondern sogar transzendent. Eine Polynomgleichung $p(\alpha)=0$ mit $p(x)\in\mathbb{Q}[x]$ hat eine Rechenregel für $\alpha$ zur Folge. Dazu schreibt man \[ p_n\alpha^n + p_{n-1}\alpha^{n-1} + \dots + a_1\alpha + a_0 =0 \qquad\Rightarrow\qquad \alpha^n = -\frac{1}{p_n}\bigl( p_{n-1}\alpha^{n-1}+\dots+a_1\alpha+a_0 \bigr). \] Diese Regel erlaubt, jede Potenz $\alpha^k$ mit $k\ge n$ durch Potenzen von $\alpha^l$ mit $l