% % ellipsenbogen.tex % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule % \section{Bogenlänge \label{buch:geometrie:section:ellipsenbogen}} \rhead{Bogenlänge} Die Möglichkeit, die Länge einer Kurve zu definieren und zu bestimmen, ist eine der Leistungen der Infinitesimalrechnung. In einigen Fällen lässt sich die Länge auch auf elementare Art und Weise bestimmen oder mit Integralen, die leicht auflösbar sind. Bereits bei der Bogenlänge entlang einer Ellipse sieht die Lage jedoch ganz anders aus. \subsection{Berechnung der Bogenlänge} In diesem Abschnitt sollen ein paar Methoden zusammgengestellt werden, mit denen die Länge einer Kurve berechnet werden kann. \subsubsection{Länge einer parametrisierten Kurve} Beispiele wie die Kochsche Schneeflockenkurve, deren Länge schwer zu definieren ist, zeigen, dass der Begriff einer Kurve für die Zwecke dieses Abschnittes genügend eng gefasst werden muss. Die folgende Definition tut dies. \begin{definition} \label{buch:geometrie:def:kurve} Sei $I=[a,b]\subset\mathbb{R}$ ein Intervall. Eine {\em Kurve} ist eine differenzierbare Abbildung $\gamma \colon I \to \mathbb{R}^n$. \index{Kurve} \end{definition} \begin{beispiel} \begin{figure} \centering \includegraphics[width=\textwidth]{chapters/030-geometrie/images/zylinder.pdf} \caption{Schraubenlinie mit der Parameterdarstellung \eqref{buch:geometrie:eqn:helix} und Abrollung zur Berechnung der Länge der Kurve. \label{buch:geometrie:fig:zylinder}} \end{figure} Die Abbildung~\ref{buch:geometrie:fig:zylinder} zeigt \begin{equation} \gamma \colon [0,2\pi] \to \mathbb{R}^3 : t\mapsto\begin{pmatrix}r\cos t\\ r\sin t\\ th/2\pi\end{pmatrix} \label{buch:geometrie:eqn:helix} \end{equation} beschreibt eine Schraubenlinie oder Helix. \index{Schraubenlinie}% \index{Helix}% Die Abbildung ist ganz offensichtlich differenzierbar und hat die Ableitung \begin{equation} \frac{d}{dt}\gamma(t) = \dot{\gamma}(t) = \begin{pmatrix} -r\sin t \\ r\cos t \\ h/2\pi\end{pmatrix}. \label{buch:geometrie:eqn:helixdot} \end{equation} Die Länge dieser Schraubenlinie lässt sich direkt berechnen. Die Schraubenlinie liegt auf dem Mantel eines Zylinders mit Radius $r$ und Höhe $h$. Durch Abrollen des Zylinders erkennt man, dass die Schraubenlinie die Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks mit Katheten $2\pi r$ und $h$ ist. Die Länge $l$ der Schraubenlinie ist daher \begin{equation} l = \sqrt{(2\pi r)^2 +h^2} \label{buch:geometrie:eqn:helixlaenge} \end{equation} nach dem Satz von Pythagoras. \end{beispiel} Unterteilt man das Intervall $I$ in den Teilpunkten $t_i$ mit \[ a = t_0 < t_1 < t_2 < \dots < t_{n-1} < t_n = b, \] dann ist die Summe \[ L = \sum_{i=0}^{n-1} |\gamma(t_{i+1}) - \gamma(t_{i})| \] eine Approximation für die Länge der Kurve. Die Differenz auffeinanderfolgender Punkte kann mit Hilfe der Ableitung als \[ \gamma(t_{i+1})-\gamma(t_i) \approx \dot{\gamma}(t_{i}) \cdot (t_{i+1}-t_i) \] approximiert werden. Damit wird die Summe $L$ approximiert durch \[ L\approx \sum_{i=0}^{n-1} |\dot{\gamma}(t_i)| \cdot (t_{i+1}-t_i). \] Dies ist eine Riemannsche Summe für das Integral \[ \int_a^b |\dot{\gamma}(t)|\,dt, \] wir definieren die Bogenlänge einer Kurve daher wie folgt. \begin{definition} \label{buch:geometrie:def:kurvenlaenge} Sei $\gamma\colon I\to\mathbb{R}$ eine Kurve im Sinne der Definition~\ref{buch:geometrie:def:kurve}. Dann ist die {\em Bogenlänge} entlang der Kurve zwischen dem Punkt $\gamma(a)$ und $\gamma(t)$ definiert durch das Integral \[ l(t) = \int_{a}^t |\dot{\gamma}(\tau)|\,d\tau. \] \end{definition} \begin{beispiel} Die Helix mit der Parametrisierung~\eqref{buch:geometrie:eqn:helix} hat die Kurvenlänge \begin{align*} l(t) &= \int_0^t |\dot{\gamma}(\tau)|\,d\tau = \int_0^t \sqrt{r^2\sin^2 \tau + r^2\cos^2\tau + (h/2\pi)^2}\,d\tau \\ &= \int_0^t \sqrt{r^2 + (h/2\pi)^2}\,d\tau = t\sqrt{r^2+(h/2\pi)^2}. \end{align*} Für eine ganze Umdrehung, also für $t=2\pi$ finden wir \( l(2\pi) = \sqrt{4\pi^2 r^2 + h^2}, \) was mit dem elementaren Resultat~\eqref{buch:geometrie:eqn:helixlaenge} übereinstimmt. \end{beispiel} \subsubsection{Länge eines Graphen} Der Graph einer auf dem Intervall $I=[a,b]$ definierte Funktion $y=f(x)$ kann als Parametrisierung einer Kurve \[ \gamma \colon [a,b] \to \mathbb{R}^2 : x \mapsto \begin{pmatrix}x\\f(x)\end{pmatrix} \] betrachtet werden. Nach Definition~\ref{buch:geometrie:def:kurvenlaenge} ist Länge dieser Kurven zwischen den Punkten $(a,f(a))$ und $(x,f(x))$ durch das Integral \[ l(x) = \int_a^x \biggl| \begin{pmatrix}1\\f'(\xi)\end{pmatrix}\biggr|\,d\xi = \int_a^x \sqrt{1+f'(\xi)^2}\,d\xi \] gegeben. \begin{beispiel} Die auf dem Intervall $I=[0,b]$ definierte quadratische Funktion $f(x)=cx^2$ mit $b>0$ und $c>0$ hat die Bogenlänge \begin{align*} l(x) &= \int_0^x \sqrt{1+f'(\xi)^2}\,d\xi = \int_0^x \sqrt{1+4c^2\xi^2}\,d\xi = \biggl[ \frac{ \operatorname{arsinh}2c\xi)}{4c} + \frac{\xi\sqrt{4c^2\xi^2+1}}{2} \biggr]_0^x \\ &= \frac{ \operatorname{arsinh}(2cx)}{4c}. \end{align*} Die Stammfunktion wurde mit einem Computeralgebraprogramm gefunden. \end{beispiel} \subsubsection{Kurvenlänge in Polarkoordinaten} Eine Kurve kann in Polarkoordinaten in der Ebene durch eine Funktion $r=r(\varphi)$ beschrieben werden. Dies führt auf eine Parametrisierung \[ \varphi \mapsto \gamma(\varphi)=\begin{pmatrix} r(\varphi)\cos\varphi\\ r(\varphi)\sin\varphi \end{pmatrix} \] durch den Polarwinkel $\varphi$. Die Kurvenlänge kann gemäss Definition~\label{buch:geometrie:def:kurvenlaenge} braucht die Ableitung der Parametrisierung, also die Funktion \[ \dot{\gamma}(\varphi) = \begin{pmatrix} r'(\varphi)\cos\varphi - r(\varphi)\sin\varphi\\ r'(\varphi)\sin\varphi + r(\varphi)\cos\varphi \end{pmatrix}. \] Die Länge von $\dot{\gamma}$ ist \begin{align*} |\dot{\gamma}(\varphi)|^2 &= \bigl( r'(\varphi)\cos\varphi - r(\varphi)\sin\varphi \bigr)^2 + \bigl( r'(\varphi)\sin\varphi + r(\varphi)\cos\varphi \bigr)^2 \\ &= r'(\varphi)^2\cos^2\varphi -2r(\varphi)r'(\varphi)\cos\varphi\sin\varphi +r(\varphi)^2\sin^2\varphi \\ &\qquad +r'(\varphi)^2\sin^2\varphi +2r(\varphi)r'(\varphi)\sin\varphi\cos\varphi +r(\varphi)^2\cos^2\varphi \\ &=r'(\varphi)^2(\cos^2\varphi+\sin^2\varphi) + r(\varphi)^2(\sin^2\varphi+\cos^2\varphi). \\ &= r'(\varphi)^2 + r(\varphi)^2. \end{align*} Dies führt auf das Integral \begin{equation} l(\alpha) = \int_a^\alpha \sqrt{r'(\varphi)^2 + r(\varphi)^2}\,d\varphi \end{equation} für die Länge der Kurve. % % hierhin verschoben für bessere Platzierung % \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/030-geometrie/images/kegelschnitte.pdf} \caption{Hyperbeln, Parabeln und Ellipsen sind die Schnittkurven einer Ebene mit einem Kegel. Der Winkel zwischen der Achse des Kegels und der Schnittebene bestimmt, welche Art von Schnittkurve entsteht. Wenn keine der Mantellinien des Kegels parallel ist zur Ebene, dann entsteht eine Ellipse (rechts). In der Mitte ist genau eine Mantellinie (hellblau) parallel zur Ebene, es ensteht eine Parabel und links gibt es genau zwei verschiedene Mantellinien des Kegels (hellblau), die zur Ebene parallel sind, es entsteht eine Hyperbel. \label{buch:geometrie:laenge:fig:kegelschnitte}} \end{figure} % % % Kreis % \subsection{Kreis} Die Länge eines Bogens auf dem Einheitskreis zwischen dem Punkt $(1,0)$ und $P=(x,y)$ mit $x^2+y^2=1$ ist nach Definition der Winkel $\alpha$ zwischen der $x$-Achse und $P$. Es gilt also \[ \tan\alpha = \frac{y}{x} \qquad\text{oder}\qquad \sin\alpha = y = \sqrt{1-x^2}. \] Der Kreis kann auch als Graph $y=f(x)=\sqrt{1-x^2}$ parametrisiert werden, in der die Länge des Bogens \begin{align*} l(x) = \int_x^1 \sqrt{1+f'(t)^2}\,dt = \int_x^1 \sqrt{1+\frac{t^2}{1-t^2}}\,dt = \int_x^1 \sqrt{\frac{1-t^2+t^2}{1-t^2}}\,dt = \int_x^1 \frac{dt}{\sqrt{1-t^2}}. \end{align*} Aus dem bekannten Wert der Länge des Bogens erhalten wir jetzt die Formel \begin{equation} \arcsin \sqrt{1-x^2} = \int_x^1 \frac{dt}{\sqrt{1-t^2}}. \label{buch:geometrie:eqn:kreislaenge} \end{equation} Tatsächlich ist die Ableitung davon \[ \frac{d}{dx}\arcsin\sqrt{1-x^2} = -\frac{1}{\sqrt{1-x^2}}, \] was mit der Integralformel~\ref{buch:geometrie:eqn:kreislaenge} übereinstimmt. \subsection{Kegelschnitte \label{buch:geometrie:subsection:kegelschnitte}} Kegelschnitte sind die Schnittkurven eines geraden Kreiskegels mit einer Ebene (Abbildung~\ref{buch:geometrie:laenge:fig:kegelschnitte}). Der Kreis ist der Spezialfall des Schnittes mit einer horizontalen Ebene. Im Gegensatz zum Kreis lässt sich aber die Kurvenlänge nicht mehr in geschlossener Form berechnen. \subsubsection{Koordinatengleichung} Aus der in Abbildung~\ref{buch:geometrie:laenge:fig:kegelschnitte} dargestellten Geometrie kann man die folgende Charakterisierung von Ellipsen und Hyperbeln ableiten. \begin{definition} \label{buch:geometrie:def:kegelschnitte} Gegeben sind die Punkte $F_1$ und $F_2$ in der Ebene, sie heissen die {\em Brennpunkte}. Die Punkte in der Ebene, deren Abstandssumme von zwei festen Punkten $F_1$ und $F_2$ konstant ist, bilden eine {\em Ellipse}. Die Punkte in der Ebene, deren Abstandsdifferenz von zwei festen Punkten $F_1$ und $F_2$ konstant ist, bilden eine {\em Hyperbel}. \end{definition} \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/030-geometrie/images/hyperbel.pdf} \caption{Geometrie einer Hyperbel in der Ebene. Die Hyperbel besteht aus den Punkten $P$ der Ebene, deren Entfernungsdifferenz $\overline{F_1P}-\overline{F_2P}$ von zwei vorgegebenen Punkten $F_1$ und $F_2$ konstant ist. Die Differenz $\pm 2a$ führt auf die Hyperbeln mit Halbachsen $a$ und $b$. \label{buch:geometrie:hyperbel:fig:2d}} \end{figure} \begin{figure} \centering \includegraphics{chapters/030-geometrie/images/ellipse.pdf} \caption{Geometrie einer Ellipse in der Ebene. Die Ellipse besteht aus den Punkten $P$ der Ebene, deren Entfernungssumme $\overline{F_1P}+\overline{F_2P}$ zu zwei vorgegebenen Punkten $F_1$ und $F_2$ konstant ist. Die Summe $\pm 2a$ führt auf die Ellipsen mit Halbachsen $a$ und $b$. \label{buch:geometrie:ellipse:fig:2d}} \end{figure} Aus der Definition~\ref{buch:geometrie:def:kegelschnitte} soll jetzt eine Koordinatengleichung für Ellipsen und Hyperbeln hergeleitet werden. Die Brennpunkte haben die Koordinaten $F_1=(e,0)$ und $F_2=(-e,0)$. Die Grösse $e$ heisst auch die {\em lineare Exzentrizität}. Die Abstandssumme bzw.~-differenz wird mit $2a$ bezeichnet Die Punkte $A_+=(a,0)$ und $A_-=(-a,0)$ sind Punkte der gesuchten Kurven, denn die Summe bzw.~Differenz der Entfernungen von $A_+$ zu den beiden Brennpunkten ist \[ \overline{A_+F_2} \pm \overline{A_+F_1} = \begin{cases} (a-e)+(a+e) = 2a &\qquad\text{Ellipse} \\ (e+a)-(e-a) = 2a &\qquad\text{Hyperbel} \end{cases} \] In Abbildung~\ref{buch:geometrie:hyperbel:fig:2d} ist diese Situation für eine Hyperbel dargestellt, in Abbildung~\ref{buch:geometrie:ellipse:fig:2d} für eine Ellipse. Für eine Ellipse ist $ea$, wir schreiben \[ b^2 = \begin{cases} a^2-e^2&\qquad\text{Ellipse} \\ e^2-a^2&\qquad\text{Hyperbel} \end{cases} \] Die Zahlen $a$ und $b$ heissen die {\em grosse} bzw.~{\em kleine Halbachse} der Ellipse bzw.~Hyperbel. Für einen beliebigen Punkt $P=(x,y)$ in der Ebene wird die Bedingung an die Abstände zu \[ \overline{PF_2} \pm \overline{PF_1} = \sqrt{(x+e)^2+y^2} \pm \sqrt{(x-e)^2+y^2} = 2a. \] Hier und in der folgenden Rechnung gilt das obere Zeichen jeweils für die Ellipse, das untere für die Hyperbel. Quadrieren ergibt \begin{align*} 4a^2 &= (x+e)^2+y^2 \pm 2\sqrt{ ((x+e)^2+y^2) ((x-e)^2+y^2) } + (x-e)^2+y^2 \\ 2a^2-x^2-e^2-y^2 &= \pm\sqrt{ y^4 + y^2((x+e)^2 + (x-e)^2) +(x^2-e^2)^2 } \\ &= \pm\sqrt{y^4 + 2y^2 ( x^2+e^2) +x^4 - 2x^2e^2 + e^4}. \end{align*} Erneutes Quadrieren bringt auch die Wurzel auf der rechten Seiten zum Verschwinden: \begin{align} 4a^4 + x^4 + e^4 + y^4 -4a^2(x^2+y^2+e^2) +2y^2(x^2+e^2)+2x^2e^2 &= y^4+2y^2(x^2 +e^2) + x^4 -2x^2e^2+e^4 \notag \\ 4a^4 -4a^2(x^2+y^2+e^2) +2x^2e^2 &= -2x^2e^2 \notag \\ a^4+x^2e^2&=a^2(x^2+y^2+e^2) \notag \\ x^2(e^2-a^2)&=a^2(e^2-a^2) + a^2y^2. \notag \end{align} Die Differenz $e^2-a^2$ ist bis auf das Vorzeichen identisch mit $b^2$, genauer gilt \begin{equation*} \mp x^2b^2 = \mp a^2b^2 + a^2y^2. \end{equation*} Nach Division durch $\mp a^2b^2$ bleibt \begin{equation} \frac{x^2}{a^2} = 1 \mp{y^2}{b^2} \qquad\Rightarrow\qquad \frac{x^2}{a^2} \pm \frac{y^2}{b^2} = 1, \label{buch:geometrie:hyperbel:gleichung} \end{equation} die Koordinatengleichunggleichung einer Ellipse bwz.~Hyperbel. \subsubsection{Hyperbeln} Die Hyperbeln können auch als Graphen einer Funktion von $x$ gefunden werden. Dazu wird die Gleichung~\eqref{buch:geometrie:hyperbel:gleichung} nach $y$ aufgelöst: \[ \frac{x^2}{a^2} - \frac{y^2}{b^2} = 1 \qquad\Rightarrow\qquad y = \pm b\sqrt{\frac{x^2}{a^2}-1}. \] Die rechte Seite hat für $|x|