% % separation.tex % % (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule % \section{Separationsmethode \label{buch:pde:section:separation}} \rhead{Separationsmethode} Die Existenz der Lösung einer gewöhnlichen Differentialgleichung ist unter einigermassen milden Bedingungen in der Nähe der Anfangsbedingung garantiert. Ausserdem steht eine ganze Reihe von Lösungsverfahren zur Verfügung, nicht zuletzt das Potenzreihenverfahren, welches in Kapitel~\ref{buch:chapter:differential} beschrieben wurde. Das Ziel dieses Abschnitts ist eine Methode vorzustellen, mit der partielle Differentialgleichungen auf gewöhnliche Differentialgleichungen zurückgeführt werden können. % % Ansatz % \subsection{Separationsansatz} Die Separationsmethode ist motiviert durch die Beobachtung, dass in vielen partiellen Differentialgleichungen die Ableitungen nach verschiedenen Variablen sich in verschiedenen Termen befinden und sich daher algebraisch trennen lassen. Für eine beliebige Funktion bringt das nicht viel, aber für Funktionen mit einer speziellen Form kann man daraus eine Vereinfachung ableiten. % % Prinzip der Separation % \subsubsection{Prinzip} Die Grundlage der Separationsmethode ist die Idee, die Differentialgleichung in zwei Teile aufzuteilen, die keine gemeinsamen Variablen enthalten. Eine partielle Differentialgleichungen in einem zweidimensionalen Gebiet mit den Koordinaten $x$ und $y$ soll so umgeformt werden, dass auf der linken Seite des Gleichheitszeichens nur die Variable $x$ vorkommt und auf der rechten nur die Variable $y$. Es entsteht also eine Gleichung der Form \begin{equation} F(x) = G(y). \label{buch:pde:ansatz:eqn:F=G} \end{equation} Wie so etwas gehen gehen kann wird weiter unten untersucht. Betrachtet hält man in der Gleichung~\eqref{buch:pde:ansatz:eqn:F=G} die Variable $x$ fest, steht links eine fest Zahl, schreiben wir sie $\lambda$. Die Gleichung wird also zu \[ \lambda = G(y), \] sie muss für alle $y$ gelten. Es folgt dann, dass die rechte Seite gar nicht von $y$ abhängen kann. Für jeden Wert von $y$ muss $G$ den gleichen Wert $\lambda$ geben. Wenn aber $G$ konstant ist und immer den Wert $\lambda$ ergibt, dann ist die Gleichung~\eqref{buch:pde:ansatz:eqn:F=G} auch gleichbedeutend mit der Gleichung \[ F(x) = \lambda, \] $F$ muss also auch konstant sein. Die algebraische Trennung der beiden Variablen $x$ und $y$ hat also zur Folge, dass die beiden Seiten der Gleichung gar nicht varieren können, beide Seiten müssen konstant sein. Die Konstante ist allerdings nicht bekannt und muss im Laufe der weiteren Lösungsschritte der Gleichung bestimmt werden. Die Überlegungen funktionieren auch für eine grössere Zahl von Variablen. Entscheidend ist nur, dass die einen Variablen, zum Beispiel $x_1,\dots,x_k$, nur auf der linken Seite vorkommen und die anderen, wir nennen sie $x_{k+1},\dots,x_n$ nur auf der rechten. Die Gleichung hat dann die Form \begin{equation} F(x_1,\dots,x_k) = G(x_{k+1},\dots,x_n). \label{buch:pde:ansatz:eqn:FF=GG} \end{equation} Setzt man feste Werte von $x_1,\dots,x_k$ ein, ist die linke Seite eine Zahl, die wir wieder $\lambda$ nennen können. Es muss also für alle $x_{k+1},\dots,x_n$ gelten, dass $G(x_{k+1},\dots,x_n)=\lambda$ ist. Daher ist $G$ eine Konstante, sie ist gar nicht von den Variablen abhängig. Wenn aber die rechte Seite konstant ist, dann muss auch für alle $x_1,\dots,x_k$ gelten, dass $F(x_1,\dots,x_k)=\lambda$ ist, die linke Seite kann also auch nicht varieren. \begin{prinzip} In einer Gleichung \[ F(x_1,\dots,x_k) = G(x_{k+1},\dots,x_n), \] in der die linke Seite nur von $x_1,\dots,x_k$ abhängt und die rechte nur von $x_{k+1},\dots,x_n$ müssen beide Seiten konstant sein. \end{prinzip} % % Beispiel zur Erklärung des Separationsvorgehens % \subsubsection{Ein Beispiel} In der Differentialgleichung \[ x\frac{\partial u}{\partial x} - y^2\frac{\partial^2 u}{\partial y^2} = y^4 \] kommen die Ableitungen nach $x$ und $y$ in verschiedenen Termen vor. Wir versuchen daher, auch die Lösungsfunktion als Summe \[ u(x,y) = X(x) + Y(y) \] von Termen zu schreiben, die nur von jeweils einer Variablen abhängen. Setzt man dies in die Differentialgleichung ein, erhält man \[ x\frac{\partial}{\partial x}(X(x)+Y(y)) -y^2\frac{\partial}{\partial y}(X(x)+Y(y)) = xX'(x) -y^2Y'(y) = y^4. \] Indem man den Term mit $y$ auf die rechte Seite schafft, findet man die Gleichung \[ xX'(x) = y^2Y'(y) + y^4, \] in der die Variablen $x$ und $y$ separiert sind. Es folgt, dass beide Seiten konstant sein müssen, es gibt also eine Konstante $\lambda$ derart, dass \[ xX'(x) = \lambda \qquad\text{und}\qquad y^2Y''(y) +y^4 = \lambda. \] Diese beiden Gleichungen lassen sich als Differentialgleichungen in der üblicheren Form als \begin{align*} X'(x) &= \frac{\lambda}{x} &&\Rightarrow& X(x) &= \int \frac{\lambda}{x}\,dx = \lambda \log x + C \\ Y''(y) &= \frac{\lambda - y^4}{y^2} &&\Rightarrow& Y'(y) &= \int \frac{\lambda-y^4}{y^2}\,dy = -\frac{\lambda}{y}-\frac{y^3}3 + D \\ & &&\Rightarrow& Y(y) &= \int Y'(y)\,dy = -\lambda \log y - \frac{y^4}{12} +Dy +E \end{align*} schreiben und im Falle von $X(x)$ mit einem Integral lösen. $Y(y)$ benötigt zwei Integrationen, ist aber ansonsten nicht schwieriger zu bestimmen. Das Beispiel zeigt, dass ein Separationsansatz ermöglicht, eine partielle Differntialgleichung in mehrere gewöhnliche Differentialgleichungen zu zerlegen, eine für jede Variable, und zu lösen. % % Anpassung des Ansatzes an die Randbedingungen % \subsubsection{Separationsansatz und Randbedingungen} Die im Beispiel gewählte Aufteilung der Lösungsfunktion in eine Summe macht es sehr schwierig, Randbedingungen der partiellen Differentialgleichungen in Randbedingungen der gewöhnlichen Differentialgleichungen zu übersetzen. Als Beispiel dieser Schwierigkeit betrachten wir die Differentialgleichung \[ \Delta u = \frac{\partial^2 u}{\partial x^2} + \frac{\partial^2 u}{\partial y^2} = a u \] auf dem Gebiet $\Omega = [0,a]\times [0,b] = \{(x,y)\in\mathbb{R}^2\mid 00$ in einem Punkt $x\in G$ des Gebietes $G$ ist. Die Randbedingungen zerfallen in zwei Teile: \begin{itemize} \item Bedingungen, die wiedergeben, dass die Membran in einen Rahmen eingespannt und damit unbeweglich ist. Dies bedeutet, dass $u(t,x)=0$ für alle Zeiten $t>0$ und für Randpunkte $x\in\partial G$ von $G$ ist. \item Bedingungen, die Auslenkung und Geschwindigkeit der Membran zur Zeit $t=0$ beschreiben, typischerweise ind er Form \begin{align*} u(0,x) = f(x), \frac{\partial u}{\partial t}(0,x) = g(x) \end{align*} wobei $f(x)$ und $g(x)$ Funktionen auf dem Gebiet $G$ sind. \end{itemize} In der Zeitableitung auf der linken Seite von~\eqref{buch:pde:separation:wellengleichung} kommen die Ortskoordinaten nicht vor und im Laplace-Operator auf der rechten Seite tritt die Zeit nicht auf. Es ist daher naheliegend zu versuchen, die Lösung der Differntialgleichung als Produkt \[ u(t,x) = T(t) \cdot U(x) \] zu schreiben. Wendet man die Differentialgleichung darauf an, wird daraus die Gleichung \[ \frac{1}{c^2} T''(t)\cdot U(x) = T(t) \cdot \Delta U(x). \] Indem man druch $T(t)$ und $U(x)$ teilt, entsteht die separierte Gleichung \[ \frac{1}{c^2} \frac{T''(t)}{T(t)} = \frac{\Delta U(x)}{U(x)}. \] Die linke Seite ist nur von der Zeit abhängig, die rechte nur von den Ortskoordinaten. Damit ist die Differentialgleichung separiert und das Problem darauf reduziert, die gewöhnliche Differentialgleichung \[ T''(t) = \lambda T(t) \] und die partielle Differentialgleichung \[ \Delta U(x) = \lambda U(x) \] niedrigerer Dimension zu lösen. \subsubsection{Allgemeine Situation} Das Definitionsgebiet der partiellen Differentialgleichung ist also von der Form $\mathbb{R}^+\times G$, wobei $G\subset\mathbb{R}^n$ ein räumliches Gebiet ist und $\mathbb{R}^+$ die Zeitachse. Auch die Randbedingungen zerfallen in zwei Arten: \begin{itemize} \item Bedingungen über die Lösungsfunktion zur Zeit $t=0$ im inneren des räumliche Gebietes $G$, zum Beispiel die Anfangsauslenkung und/oder Anfangsgeschwindigkeit einer schwingenden Saite oder Membran. \item Bedingungen über die Lösungsfunktion auf dem Rand $\partial G$ von $G$ für alle Zeiten $t>0$, zum Beispiel die Bedingung, dass die Membran fest eingespannt ist. \end{itemize} Oft zerfällt auch der Differentialoperator in Zeitableitungen und einen zeitunabhängigen Teil der nur Ableitungen nach den Ortsvariablen enthält. Die Wellengleichung \[ \frac{1}{c^2} \frac{\partial^2}{\partial t^2} u = \Delta u \qquad\Leftrightarrow\qquad \biggl( \frac{1}{c^2}\frac{\partial^2}{\partial t^2} - \Delta \biggr) u = 0 \] enthält Ableitungen nach der Zeit, die nicht von Ortskoordinaten abhängig sind. Der Laplace-Operator $\Delta$ ist nicht von der Zeitabhängig und das Gebiet $G$ hängt ebenfalls nicht von der Zeit ab. \subsubsection{Separation der Zeit} Unter den gegeben Voraussetzungen ist es naheliegend, die Lösungsfunktion $u(t,x)$ als Produkt \[ u(t,x) = T(t) \cdot U(x),\qquad t\in\mathbb{R}^+, x\in G \] anzusetezen. Die Wellengleichung wird dann \[ \frac{1}{c^2} T''(t)\cdot U(x) = T(t)\cdot\Delta U(x) \] und nach Separation \[ \frac{1}{c^2} \frac{T''(t)}{T(t)} = \frac{\Delta U(x)}{U(x)}. \] Es gibt also eine gemeinsame Konstante. Da wir Schwingungslösungen erwarten, für die $T''(t) = -\omega^2 T(t)$ ist, schreiben wir die gemeinsame Konstante als $-\lambda^2$, was später die Formeln vereinfachen wird. Die separierten Differentialgleichungen werden jetzt \begin{align*} \frac{1}{c^2} \frac{T''(t)}{T(t)} &= -\lambda^2 &&\Rightarrow& T''(t)-c^2\lambda T(t)&=0 &&\Rightarrow& T''(t) &= A \cos(c\sqrt\lambda t) + B \sin(c \lambda t) \\ &&&&&&&& &= C \cos(c \lambda t+\delta) \\ \frac{\Delta U(x)}{U(x)}&=-\lambda^2 &&\Rightarrow& \Delta U &= -\lambda^2 U \end{align*} Die letzte Gleichung für die Funktion $U(x)$ hat die Form eines Eigenwertproblems mit dem Eigenwert $-\lambda^2$. \begin{definition} Eine Eigenfunktion eines Operators $L$ zum Eigenwert $\lambda$ ist eine Funktion $U$ derart, dass $LU=\lambda U$. \end{definition} Die Separation ermöglich also, das ursprüngliche Problem aufzuspalten in ein Eigenwertproblem für eine nur ortsabhängige Funktion $U(x)$ und eine Schwingungsgleichung für $T(t)$. Die Schwingungsfrequenz $c \lambda $ hängt direkt mit dem Eigenwert zusammen. Die Funktion $U(x)$ beschreibt die Form der Membran, die Amplitude in jedem Punkt, der Faktor $T(t)$ beschreibt die Schwingung.