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author | Andreas Müller <andreas.mueller@othello.ch> | 2021-01-15 17:04:33 +0100 |
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Einleitung und Kapitel 1 hinzugefügt
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möglich wurde. +Pierre de Fermat +\index{Fermat, Pierre de}% +und René Descartes +\index{Descartes, René}% +schufen die sogenannte {\em analytische Geometrie}. +Das rechtwinklige Koordinatensystem, nach Descartes auch karteisches +Koordinatensystem genannt, beschreibt Punkte als Zahlenpaare $(x,y)$ +und Kurven in der Ebene durch ihre Gleichungen. +Geraden können als Graphen der Funktion $f(x) = ax+b$ oder als Lösungsmenge +linearer Gleichungen wie $ax+by=c$ verstanden werden. +Eine Parabel kann als Graph einer quadratischen Funktion $f(x)=ax^2+bx+c$ +dargestellt werden. +Die Punkte $(x,y)$ eines Kreises lösen eine Gleichung der Form +\[ +(x-x_M)^2 + (y-y_M)^2 = r^2. +\] +Mit dieser einfachen Idee konnte jedes geometrische Problem in der Ebene +in ein algebraisches Problem übersetzt werden und umgekehrt. + +Die Algebraisierung macht allerdings auch klar, dass dem Aufbau des +Zahlensystems mehr Beachtung geschenkt werden muss. +Zum Beispiel beschreibt die Gleichung +\[ +x^2+(y-1)^2=4 +\] +einen Kreis mit Radius $2$ um den Punkt $(0,1)$. +Der Kreis hat natürlich zwei Schnittpunkte mit der $x$-Achse, wie jede +Gerade, deren Abstand vom Mittelpunkt des Kreises kleiner als der Radius +ist. +Die Schnittpunkte haben die Koordinaten $(x_S,0)$ und $x_S$ muss die +Gleichung +\[ +x_S^2 + (0-1)^2 = x_S^2+1=4 +\qquad\Rightarrow\qquad +x_S^2=3 +\] +erfüllen. +Eine solche Lösung ist nicht möglich, wenn man sich auf rationale +Koordinaten $x_S\in\mathbb{Q}$ beschränkt, die Erweiterung auf +reelle Zahlen ist notwendig. + +Kapitel~\ref{buch:chapter:zahlen} übernimmt die Aufgabe, die Zahlensysteme +klar zu definieren und ihre wichtigsten Eigenschaften zusammenzutragen. +Sie bilden das Fundament aller folgenden Konstruktionen. + +Die reellen Zahlen erweitern die rationalen Zahlen derart, dass damit +zum Beispiel quaddratische Gleichungen gelöst werden können. +Dies ist aber nicht die einzige mögliche Vorgehensweise. +Die Zahl $\alpha=\sqrt{2}$ ist ja nur ein Objekt, mit dem gerechnet werden +kann wie mit jeder anderen Zahl, welche aber die zusätzliche Rechenregel +$\alpha^2=2$ erfüllt. +Die Erweiterung von $\mathbb{R}$ zu den komplexen Zahl verlangt nur, +dass man der Menge $\mathbb{R}$ ein neues algebraisches Objekt $i$ +hinzufügt, welches als spezielle Eigenschaft die Gleichung $i^2=-1$ hat. +Bei $\sqrt{2}$ hat die geometrische Anschauung suggeriert, dass es eine +solche Zahl ``zwischen'' den rationalen Zahlen gibt, aber für $i$ +gibt es keine solche Anschauung. +Die imaginäre Einheit $i$ erhielt daher auch diesen durchaus +abwertend gemeinten Namen. + +Die Zahlensysteme lassen sich also verstehen als einfachere Zahlensysteme, +denen man zusätzliche Objekte mit besonderen algebraischen Eigenschaften +hinzufügt. +Doch was sind das für Objekte, gibt es die überhaupt? +Kann man deren Existenz einfach so postulieren, so wie man das mit $i$ +gemacht hat? +Und was macht man, wenn man sich den nächsten ``algebraischen Wunsch'' +erfüllen will, auch einfach wieder die Existenz des neuen Objektes +postulieren? + +Komplexen Zahlen und Matrizen zeigen, wie das gehen könnte. +Indem man vier rationale Zahlen als $2\times 2$-Matrix in der Form +\[ +A= +\begin{pmatrix} +a_{11}&a_{12}\\ +a_{21}&a_{22} +\end{pmatrix} +\] +gruppiert und die Rechenoperationen +\begin{align*} +A+B +& +\begin{pmatrix} +a_{11}&a_{12}\\ +a_{21}&a_{22} +\end{pmatrix} ++ +\begin{pmatrix} +b_{11}&b_{12}\\ +b_{21}&b_{22} +\end{pmatrix} += +\begin{pmatrix} +a_{11}+b_{11}&a_{12}+b_{12}\\ +a_{21}+b_{21}&a_{22}+b_{22} +\end{pmatrix} +\\ +AB +&= +\begin{pmatrix} +a_{11}&a_{12}\\ +a_{21}&a_{22} +\end{pmatrix} +\begin{pmatrix} +b_{11}&b_{12}\\ +b_{21}&b_{22} +\end{pmatrix} += +\begin{pmatrix} +a_{11}b_{11} + a_{12}b_{21} & a_{11}b_{21} + a_{12}b_{22} \\ +a_{21}b_{11} + a_{22}b_{21} & a_{21}b_{21} + a_{22}b_{22} +\end{pmatrix} +\end{align*} +definiert, kann man neue Objekte mit zum Teil bekannten, zum Teil +aber auch ungewohnten algebraischen Eigenschaften bekommen. +Die Matrizen der Form +\[ +A_a += +\begin{pmatrix} a&0\\0&a \end{pmatrix}, +\quad +a\in\mathbb{Q} +\] +zum Beispiel erfüllen alle Regeln für das Rechnen mit rationalen Zahlen. +$\mathbb{Q}$ kann man also als Teilmenge des neuen Systems ansehen. +Aber die Matrix +\[ +J += +\begin{pmatrix} 0&-1\\1&0 \end{pmatrix} +\] +hat die Eigenschaft +\[ +J^2 = +\begin{pmatrix} 0&-1\\1&0 \end{pmatrix} +\begin{pmatrix} 0&-1\\1&0 \end{pmatrix} += +\begin{pmatrix} -1&0\\0&-1\end{pmatrix} += +-E = -A_1. +\] +Das neue Objekt $J$ ist ein explizit konstruiertes Objekt, welches +die genau die rechnerischen Eigenschaften der imaginären Einheit $i$. + +Die imaginäre Einheit ist nicht die einzige Grösse, die sich auf diese +Weise konstruieren lässt. +Zum Beispiel erfüllt die Matrix +\[ +W=\begin{pmatrix} 0&2\\1&0 \end{pmatrix} +\qquad\text{die Gleichung}\qquad +W^2 = \begin{pmatrix} 2&0\\0&2\end{pmatrix} = A_2, +\] +die Menge der Matrizen der +\[ +\mathbb{Q}(\sqrt{2}) += +\left\{\left. +\begin{pmatrix} a&2b\\ b&a\end{pmatrix} +\;\right|\; +a,b\in\mathbb{Q} +\right\} +\] +verhält sich daher genau so wie die Menge der rationalen Zahlen, denen +man ein ``imaginäres'' neues Objekt $\sqrt{2}$ hinzugefügt hat. + +Matrizen sind also ein Werkzeug, mit dem sich algebraisches Systeme +mit fast beliebigen Eigenschaften konstruieren lassen. +Dies führt zu einer Explosion der denkbaren algebraischen Strukturen. +Kapitel~\ref{buch:chapter:vektoren-und-matrizen} bringt etwas Ordnung +in diese Vielfalt, indem die grundlegenden Strukturen charakterisiert +und benannt werden. + +In den folgenden Kapiteln sollen dann weitere algebraische Konstrukte +studiert und mit Matrizen realisiert werden. +Den Anfang machen in Kapitel~\ref{buch:chapter:polynome} die Polynome. +Polynome beschreiben grundlegende algebraische Eigenschaften eines +einzelnen Objektes, sowohl $\sqrt{2}$ wie auch $i$ sind Lösungen einer +Polynomgleichung. + +Eine besondere Rolle spielen in der Mathematik die Symmetrien. +Eine der frühesten Anwendungen dieses Gedankens in der Algebra war +die Überlegung, dass sich die Nullstellen einer Polynomgleichung +permutieren lassen. +Die Idee der Permutationsgruppe taucht auch in algebraischen Konstruktionen +wie der Determinanten auf. +Tatsächlich lassen sich Permutationen auch als Matrizen schreiben +und die Rechenregeln für Determinanten sind ein direktes Abbild +gewisser Eigenschaften von Transpositionen. +Einmal mehr haben Matrizen ermöglicht, ein neues Konzept in einer +bekannten Sprache auszudrücken. + +Die Darstellungstheorie ist das Bestreben, nicht nur Permutationen, +sondern beliebige Gruppen von Symmetrien als Mengen von Matrizen +darzustellen. +Die abstrakten Symmetriegruppen erhalten damit immer konkrete +Realisierungen als Matrizenmengen. +Auch kompliziertere Strukturen wie Ringe, Körper oder Algebren +lassen sich mit Matrizen realisieren. +Aber die Idee ist nicht auf die Geometrie beschränkt, auch analytische +oder kombinatorische Eigenschaften lassen sich in Matrizenstrukturen +abbilden und damit neuen rechnerischen Behandlungen zugänglich +machen. + +Das Kapitel~\ref{buch:chapter:homologie} illustriert, wie weit dieser +Plan führen kann. +Die Konstruktion der Homologiegruppen zeigt, wie sich die Eigenschaften +der Gestalt gewisser geometrischer Strukturen zunächst mit Matrizen, +die kombinatorische Eigenschaften beschreiben, ausdrücken lassen. +Anschliessend können daraus wieder algebraische Strukturen gewonnen +werden. +Gestalteigenschaften werden damit der rechnerischen Untersuchung zugänglich. + +Die folgenden Kapitel sollen zeigen, wie Matrizen der Schlüssel dafür +sein können, fast jede denkbare rechnerische Struktur zu verstehen und +auch zum Beispiel für die Berechnung mit dem Computer zu realisieren. + + + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/Makefile.inc b/buch/chapters/05-zahlen/Makefile.inc new file mode 100644 index 0000000..566217d --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/Makefile.inc @@ -0,0 +1,13 @@ +# +# Makefile.inc -- Makefile dependencies for chapter 0.5 +# +# (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +# + +CHAPTERFILES = $(CHAPTERFILES) \ + chapters/05-zahlen/natuerlich.tex \ + chapters/05-zahlen/ganz.tex \ + chapters/05-zahlen/rational.tex \ + chapters/05-zahlen/reell.tex \ + chapters/05-zahlen/komplex.tex \ + chapters/05-zahlen/chapter.tex diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/chapter.tex b/buch/chapters/05-zahlen/chapter.tex new file mode 100644 index 0000000..fe294d6 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/chapter.tex @@ -0,0 +1,37 @@ +% +% chapter.tex -- Kapitel mit den Grunddefinition und Notationen +% +% (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\chapter{Zahlen +\label{buch:chapter:zahlen}} +\lhead{Zahlen} +\rhead{} + +Das Thema dieses Buches ist die Konstruktion interessanter +mathematischer Objekte mit Hilfe von Matrizen. +Die Einträge dieser Matrizen sind natürlich Zahlen, wir wollen +von diesen als den grundlegenden Bausteinen ausgehen. +Dies schliesst natürlich nicht aus, dass man auch Zahlenmengen +mit Hilfe Matrizen beschreiben kann, wie wir es später für die +komplexen Zahlen machen werden. + +In diesem Kapitel sollen daher die Eigenschaften der bekannten +Zahlensysteme der natürlichen, ganzen, rationalen, reellen und +komplexen Zahlen nochmals in einer Übersicht zusammengetragen +werden. +Dabei wird besonderes Gewicht darauf gelegt, wie in jedem Fall +einerseits neue Objekte postuliert werden können, andererseits +aber auch konkrete Objekte konstruiert werden können. + +\input{chapters/05-zahlen/natuerlich.tex} +\input{chapters/05-zahlen/ganz.tex} +\input{chapters/05-zahlen/rational.tex} +\input{chapters/05-zahlen/reell.tex} +\input{chapters/05-zahlen/komplex.tex} + +%\section*{Übungsaufgaben} +%\aufgabetoplevel{chapters/05-zahlen/uebungsaufgaben} +%\begin{uebungsaufgaben} +%\end{uebungsaufgaben} + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/ganz.tex b/buch/chapters/05-zahlen/ganz.tex new file mode 100644 index 0000000..8dd4a62 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/ganz.tex @@ -0,0 +1,114 @@ +% +% ganz.tex -- Ganze Zahlen +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Ganze Zahlen +\label{buch:section:ganze-zahlen}} +\rhead{Ganze Zahlen} +Die Menge der ganzen Zahlen löst das Problem, dass nicht jede ganzzahlige +Gleichung der Form $x+a=b$ eine Lösung hat. +Dazu ist erforderlich, den natürlichen Zahlen die negativen Zahlen +hinzuzufügen, also wieder die Existenz neuer Objekte zu postulieren, +die die Rechenregeln weiterhin erfüllen. + +\subsubsection{Paare von natürlichen Zahlen} +Die ganzen Zahlen können konstruiert werden als Paare $(u,v)$ von +natürlichen Zahlen $u,v\in\mathbb{N}$. +Die Paare der Form $(u,0)$ entsprechen den natürlichn Zahlen, die +Paare $(0,v)$ sind die negativen Zahlen. +Die Rechenoperatioen sind wie folgt definiert: +\begin{equation} +\begin{aligned} +(a,b)+(u,v) &= (a+u,b+v) +\\ +(a,b)\cdot (u,v) &= (au+bv,av+bu) +\end{aligned} +\label{buch:zahlen:ganze-rechenregeln} +\end{equation} + +\subsubsection{Äquivalenzrelation} +Die Definition~\eqref{buch:zahlen:ganze-rechenregeln} +erzeugt neue Paare, die wir noch nicht interpretieren können. +Zum Beispiel ist $0=1+(-1) = (1,0) + (0,1) = (1,1)$, die Paare $(u,u)$ +müssen daher alle mit der ganzen Zahl $0$ identifiziert werden. +Es folgt dann auch, dass alle Paare von natürlichen Zahlen mit +``gleicher Differenz'' den gleichen ganzzahligen Wert darstellen, +allerdings können wir das nicht so formulieren, da ja die Differenz +noch gar nicht definiert ist. +Stattdessen gelten zwei Paare als äquivalent, wenn +\begin{equation} +(a,b) \sim (c,d) +\qquad\Leftrightarrow\qquad +a+d = c+d +\label{buch:zahlen:ganz-aquivalenz} +\end{equation} +gilt. +Diese Bedingung erhält man, indem man zu $a-b=c-d$ die Summe $b+d$ +hinzuaddiert. +Ein ganzen Zahl $z$ ist daher eine Menge von Paaren von natürlichen +Zahlen mit der Eigenschaft +\[ +(a,b)\in z\;\wedge (a',b')\in z +\qquad\Leftrightarrow\qquad +(a,b)\sim(a',b') +\qquad\Leftrightarrow\qquad +a+b' = a'+b. +\] +Man nennt eine solche Menge eine {\em Äquivalenzklasse} der Relation $\sim$. + +Die Menge $\mathbb{Z}$ der {\em ganzen Zahlen} Ist die Menge aller solchen +Äquivalenzklassen. +Die Menge der natürlichen Zahlen $\mathbb{N}$ ist in evidenter Weise +darin eingebettet als die Menge der Äquivalenzklassen von Paaren der +Form $(n,0)$. + +\subsubsection{Entgegengesetzter Wert} +Zu jeder ganzen Zahl $z$ dargestellt durch das Paar $(a,b)$ +stellt das Paar $(b,a)$ eine ganze Zahl dar mit der Eigenschaft +\begin{equation} +z+(b,a) += +(a,b) + (b+a) = (a+b,a+b) \sim (0,0) = 0. +\label{buch:zahlen:eqn:entgegengesetzt} +\end{equation} +Die von $(b,a)$ dargestellte ganze Zahl wird mit $-z$ bezeichnet, +die Rechnung~\eqref{buch:zahlen:eqn:entgegengesetzt} lässt sich damit +abgekürzt als $z+(-z)=0$ schreiben. + +\subsubsection{Lösung von Gleichungen} +Gleichungen der Form $a=x+b$ können jetzt für beliebige ganze Zahlen +immer gelöst werden. +Dazu schreibt man $a,b\in\mathbb{N}$ als Paare und sucht die +Lösung in der Form $x=(u,v)$. +Man erhält +\begin{align*} +(a,0) &= (u,v) + (b,0) +\\ +(a+b,b) &= (u+b,v) +\end{align*} +Das Paar $(u,v) = (a,b)$ ist eine Lösung, die man normalerweise als +$a-b = (a,0) + (-(b,0)) = (a,0) + (0,b) = (a,b)$ schreibt. + +\subsubsection{Ring} +\index{Ring}% +Die ganzen Zahlen sind ein Beispiel für einen sogenannten Ring, +eine algebraische Struktur in der Addition, Subtraktion und +Multiplikation definiert sind. +Weitere Beispiel werden später vorgestellt, +der Ring der Polynome $\mathbb{Z}[X]$ in Kapitel~\ref{buch:chapter:polynome} +und +der Ring der $n\times n$-Matrizen in +Kapitel~\ref{buch:chapter:vektoren-und-matrizen}. +In einem Ring wird nicht verlangt, dass die Multiplikation kommutativ +ist, Matrizenringe sind nicht kommutativ. +$\mathbb{Z}$ ist ein kommutativer Ring ebenso sind die Polynomringe +kommutativ. +Die Theorie der nicht kommutativen Ringe ist sehr viel reichhaltiger +und leider auch komplizierter als die kommutative Theorie. +\index{Ring!kommutativer}% + + + + + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/komplex.tex b/buch/chapters/05-zahlen/komplex.tex new file mode 100644 index 0000000..7198e68 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/komplex.tex @@ -0,0 +1,281 @@ +% +% komplex.tex -- komplexe Zahlen +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Komplexe Zahlen +\label{buch:section:komplexe-zahlen}} +\rhead{Komplexe Zahlen} +In den reellen Zahlen lassen sich viele algebraische Gleichungen lösen, +andere, z.~B.~die Gleichung +\begin{equation} +x^2+1=0, +\label{buch:zahlen:eqn:igleichung} +\end{equation} +haben weiterhin keine Lösung. +Der Grund dafür ist das Bestreben bei der Konstruktion der reellen Zahlen, +die Ordnungsrelation zu erhalten. +Diese ermöglicht, Näherungsintervall und Intervallschachtelungen +zu definieren. + +Die Ordnungsrelation sagt aber auch, dass $x^2\ge 0$ ist für jedes +$x\in\mathbb{R}$, so dass $x^2+1>0$ sein muss. +Dies ist der Grund, warum die Gleichung \ref{buch:zahlen:eqn:igleichung} +keine Lösung in $\mathbb{R}$ haben kann. +Im Umkehrschluss folgt auch, dass eine Erweiterung der reellen Zahlen, +in der die Gleichung \eqref{buch:zahlen:eqn:igleichung} lösbar ist, +ohne die Ordnungsrelation auskommen muss. +Es muss darin Zahlen geben, deren Quadrat negativ ist und der +Grössenvergleich dieser Zahlen untereinander ist nur eingeschränkt +möglich. + +\subsubsection{Imaginäre und komplexe Zahlen} +Den reellen Zahlen fehlen also Zahlen, deren Quadrat negativ ist. +Nach inzwischen bewährtem Muster konstruieren wird die neuen Zahlen +daher als Paare $(a,b)$. +Die erste Komponente soll die bekannten reellen Zahlen darstellen, +deren Quadrat positiv ist. +Die zweite Komponente soll für die Zahlen verwendet werden, deren Quadrat +negativ ist. +Die Zahl, deren Quadrat $-1$ sein soll, bezeichnen wir auch mit dem +Paar $(0,1)$ und schreiben dafür auch $i=(0,1)$ mit $i^2=-1$. + +Die Rechenregeln sollen weiterhin erhalten bleiben, sie müssen daher +wie folgt definiert werden: +\begin{equation} +\begin{aligned} +(a,b) + (c,d) &= (a+c,b+d) & (a+bi) + (c+di) &= (a+c) + (b+d)i +\\ +(a,b) \cdot (c,d) & (ad-bd, ad+bc) & (a+bi)\cdot(c+di) &= ac-bd + (ad+bc)i. +\end{aligned} +\label{buch:zahlen:cregeln} +\end{equation} +Diese Regeln sich ganz natürlich, sie ergeben sich aus den Rechenregeln +in $\mathbb{R}$ unter Berücksichtigung der Regel $i^2=-1$. + +Eine komplexe Zahl ist ein solches Paar, die Menge der komplexen Zahlen +ist +\[ +\mathbb{C} += +\{a+bi\;|\;a,b\in\mathbb{R}\} +\] +mit den Rechenoperationen~\eqref{buch:zahlen:cregeln}. +Die Menge $\mathbb{C}$ verhält sich daher wie eine zweidimensionaler +reeller Vektorraum. + +\subsubsection{Real- und Imaginärteil} +Ist $z=a+bi$ eine komplexe Zahl, dann heisst $a$ der Realteil $a=\Re z$ +und $b$ heisst der Imaginärteil $\Im z$. +Real- und Imaginärteil sind lineare Abbildungen $\mathbb{C}\to\mathbb{R}$, +sie projizieren einen Punkt auf die Koordinatenachsen, die entsprechen +auch die reelle und die imaginäre Achse heissen. + +Die Multiplikation mit $i$ vertauscht Real- und Imaginärteil: +\[ +\Re (iz) += +-b += +-\Im z +\qquad\text{und}\qquad +\Im (iz) += +a += +\Re z. +\] +Zusätzlich kehrt das Vorzeichen der einen Komponente. +Wir kommen auf diese Eigenschaft zurück, wenn wir später in Abschnitt~XXX +komplexe Zahlen als Matrizen beschreiben. + +\subsubsection{Komplexe Konjugation} +Der komplexen Zahl $u=a+bi$ ordnen wir die sogenannte +{\em komplex konjugierte} Zahl $\overline{z} = a-bi$. +Mit Hilfe der komplexen Konjugation kann man den Real- und Imaginärteil +algebraisch ausdrücken: +\[ +\Re z += +\frac{z+\overline{z}}2 += +\frac{a+bi+a-bi}{2} += +\frac{2a}2 +=a +\qquad\text{und}\qquad +\Im z += +\frac{z-\overline{z}}{2i} += +\frac{a+bi-a+bi}{2i} += +\frac{2bi}{2i} += +b. +\] +In der Gaussschen Zahlenebene ist die komplexe Konjugation eine +Spiegelung an der reellen Achse. + +\subsubsection{Betrag} +In $\mathbb{R}$ kann man die Ordnungsrelation dazu verwenden zu entscheiden, +ob eine Zahl $0$ ist. +Wenn $x\ge 0$ ist und $x\le 0$, dann ist $x=0$. +In $\mathbb{C}$ steht diese Ordnungsrelation nicht mehr zur Verfügung. +Eine komplexe Zahl ist von $0$ verschieden, wenn der Vektor in der +Zahlenebene Länge verschieden von $0$ ist. +Wir definieren daher den Betrag einer komplexen Zahl $z=a+bi$ als +\[ +|z|^2 += +a^2 +b^2 += +(\Re z)^2 + (\Im z)^2 +\qquad\Rightarrow\qquad +|z| += +\sqrt{a^2+b^2} += +\sqrt{(\Re z)^2 + (\Im z)^2}. +\] +Der Betrag lässt sich auch mit Hilfe der komplexen Konjugation ausdrücken, +es ist $z\overline{z} = (a+bi)(a-bi) = a^2+abi-abi+b^2 = |z|^2$. +Der Betrag ist immer eine reelle Zahl. + +\subsubsection{Division} +Die Erweiterung zu den komplexen Zahlen muss auch die Division erhalten. +Dies ist durchaus nicht selbstverständlich. +Man kann zeigen, dass ein Produkt von Vektoren eines Vektorraums, nur für +einige wenige, niedrige Dimensionen überhaupt möglich ist. +Für die Division sind die Einschränkungen noch gravierender, die einzigen +Dimensionen $>1$, in denen ein Produkt mit einer Division definiert werden +kann, sind $2$, $4$ und $8$. +Nur in Dimension $2$ ist ein kommutatives Produkt möglich, dies muss das +Produkt der komplexen Zahlen sein. + +Wie berechnet man den Quotienten $\frac{z}{w}$ für zwei beliebige komplexe +Zahlen $z=a+bi$ und $w=c+di$ mit $w\ne 0$? +Dazu erweitert man den Bruch mit der komplex konjugierten des Nenners: +\begin{align*} +\frac{z}{w} +&= +\frac{z\overline{w}}{w\overline{w}} += +\frac{z\overline{w}}{|w|^2} +\end{align*} +Da der Nenner $|w|^2>0$ eine reelle Zahl ist, ist die Division einfach, +es ist die Multiplikation mit der reellen Zahl $1/|w|^2$. + +Wir können den Quotienten auch in Komponenten ausdrücken: +\begin{align*} +\frac{z}{w} +&= +\frac{a+bi}{c+di} += +\frac{(a+bi)(c+di)}{(c+di)(c-di)} += +\frac{ac-bd +(ad+bc)i}{c^2+d^2}. +\end{align*} + +\subsubsection{Gausssche Zahlenebene} +Beschränkt man die Multiplikation auf einen reellen Faktor, wird $\mathbb{C}$ +zu einem zweidimensionalen reellen Vektorraum. +Man kann die komplexe Zahl $a+bi$ daher auch als Punkt $(a,b)$ in der +sogenannten Gaussschen Ebene betrachten. +Die Addition von komplexen Zahlen ist in diesem Bild die vektorielle +Addition, die Multiplikation mit reellen Zahlen werden wir weiter unten +genauer untersuchen müssen. + +\begin{figure} +\centering +\begin{tikzpicture}[>=latex,thick,scale=1.5] +\pgfmathparse{atan(2/3)} +\xdef\winkel{\pgfmathresult} +\fill[color=blue!20] (0,0) -- (1.5,0) arc (0:\winkel:1.5) -- cycle; +\draw[->] (-1,0) -- (4,0) coordinate[label={$\Re z$}]; +\draw[->] (0,-1) -- (0,3) coordinate[label={right:$\Im z$}]; +\draw[line width=0.5pt] (3,0) -- (3,2); +\node at (3,1) [right] {$\Im z=b$}; +\node at (1.5,0) [below] {$\Re z=a$}; +\draw[->,color=red,line width=1.4pt] (0,0) -- (3,2); +\node at (3,2) [above right] {$z=a+bi$}; +\def\punkt#1{ + \fill[color=white] #1 circle[radius=0.04]; + \draw #1 circle[radius=0.04]; +} +\punkt{(0,0)} +\punkt{(3,2)} +\node[color=red] at (1.5,1) [rotate=\winkel,above] {$r=|z|$}; +\node[color=blue] at ({\winkel/2}:1.0) + [rotate={\winkel/2}] {$\varphi=\operatorname{arg}z$}; +\end{tikzpicture} +\caption{Argument und Betrag einer komplexen Zahl $z=a+ib$ in der +Gaussschen Zahlenebene +\label{buch:zahlen:cfig}} +\end{figure} +Die Zahlenebene führt auf eine weitere Parametrisierung einer +komplexen Zahl. +Ein Punkt $z$ der Ebene kann in Polarkoordinaten auch durch den Betrag +und den Winkel zwischen der reellen Achse und dem Radiusvektor zum Punkt +beschrieben werden. + + +\subsubsection{Geometrische Interpretation der Rechenoperationen} +Die Addition kompelxer Zahlen wurde bereits als Vektoraddition +in der Gausschen Zahlenebene. +Die Multiplikation ist etwas komplizierter, wir berechnen Betrag +und Argument von $zw$ separat. +Für den Betrag erhalten wir +\begin{align*} +|zw|^2 +&= +z\overline{z}w\overline{w} += +|z|^2|w|^2 +\end{align*} +Der Betrag des Produktes ist also das Produkt der Beträge. + +Für das Argument verwenden wir, dass +\[ +\tan\operatorname{arg}z += +\frac{\Im z}{\Re z} += +\frac{b}{a} +\qquad\Rightarrow\qquad +b=a\tan\operatorname{arg}z +\] +und analog für $w$. +Bei der Berechnung des Produktes behandeln wir nur den Fall $a\ne 0$ +und $c\ne 0$, was uns ermöglicht, den Bruch durch $ac$ zu kürzen: +\begin{align*} +\tan\arg wz +&= +\frac{\Im wz}{\Re wz} += +\frac{ad+bc}{ac-bd} += +\frac{\frac{d}{c} + \frac{b}{a}}{1-\frac{b}{a}\frac{d}{c}} += +\frac{ +\tan\operatorname{arg}z+\tan\operatorname{arg}w +}{ +1+ +\tan\operatorname{arg}z\cdot\tan\operatorname{arg}w +} += +\tan\bigl( +\operatorname{arg}z+\operatorname{arg}w +\bigr). +\end{align*} +Im letzten Schritt haben wir die Additionsformel für den Tangens verwendet. +Daraus liest man ab, dass das Argument eines Produkts die Summe der +Argumente ist. +Die Multiplikation mit einer festen komplexen Zahl führt also mit der ganzen +komplexen Ebene eine Drehstreckung durch. +Auf diese geometrische Beschreibung der Multiplikation werden wir zurückkommen, +wenn wir die komplexen Zahlen als Matrizen beschreiben wollen. + + + + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/natuerlich.tex b/buch/chapters/05-zahlen/natuerlich.tex new file mode 100644 index 0000000..278aa5e --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/natuerlich.tex @@ -0,0 +1,224 @@ +% +% natuerlich.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Natürlich Zahlen +\label{buch:section:natuerliche-zahlen}} +\rhead{Natürliche Zahlen} +Die natürlichen Zahlen sind die Zahlen, mit denen wir zählen. +\index{natürliche Zahlen}% +\index{$\mathbb{N}$}% +Sie abstrahieren das Konzept der Anzahl der Elemente einer endlichen +Menge. +Da die leere Menge keine Elemente hat, muss die Menge der natürlichen +Zahlen auch die Zahl $0$ enthalten. +Wir schreiben +\[ +\mathbb{N} += +\{ +0,1,2,3,\dots +\}. +\] + +\subsubsection{Peano-Axiome} +Man kann den Zählprozess durch die folgenden Axiome von Peano beschreiben: +\index{Peano-Axiome}% +\begin{enumerate} +\item $0\in\mathbb N$. +\item Jede Zahl $n\in \mathbb{N}$ hat einen {\em Nachfolger} +$n'\in \mathbb{N}$. +\index{Nachfolger}% +\item $0$ ist nicht Nachfolger einer Zahl. +\item Wenn zwei Zahlen $n,m\in\mathbb{N}$ den gleichen Nachfolger haben, +$n'=m'$, dann sind sie gleich $n=m$. +\item Enthält eine Menge $X$ die Zahl $0$ und mit jeder Zahl auch ihren +Nachfolger, dann ist $X\subset\mathbb{N}$. +\end{enumerate} + +\subsubsection{Addition} +Aus der Nachfolgereigenschaft lässt sich durch wiederholte Anwendung +die vertrautere Addition konstruieren. +\index{Addition!in $\mathbb{N}$}% +Um die Zahl $n\in\mathbb{N}$ um $m\in\mathbb{N}$ zu vermehren, also +$n+m$ auszurechnen, kann man rekursiven Regeln +\begin{align*} +n+0&=n\\ +n+m'&=(n+m)' +\end{align*} +festlegen. +Nach diesen Regeln ist +\[ +5+3 += +5+2' += +(5+2)' += +(5+1')' += +((5+1)')' += +((5+0')')' += +(((5)')')'. +\] +Dies ist genau die Art und Weise, wie kleine Kinder Rechnen lernen. +Sie Zählen von $5$ ausgehend um $3$ weiter. +Der dritte Nachfolger von $5$ heisst üblicherweise $8$. + +Die algebraische Struktur, die hier konstruiert worden ist, heisst +eine Halbgruppe. +Allerdings kann man darin zum Beispiel nur selten Gleichungen +lösen, zum Beispiel hat $3+x=1$ keine Lösung. +Die Addition ist nicht immer umkehrbar. + +\subsubsection{Multiplikation} +Es ist klar, dass auch die Multiplikation definiert werden kann, +sobald die Addition definiert ist. +Die Rekursionsformeln +\begin{align} +n\cdot 0 &= 0 \notag \\ +n\cdot m' &= n\cdot m + n +\label{buch:zahlen:multiplikation-rekursion} +\end{align} +legen jedes Produkt von natürlichen Zahlen fest, zum Beispiel +\[ +5\cdot 3 += +5\cdot 2' += +5\cdot 2 + 5 += +5\cdot 1' + 5 += +5\cdot 1 + 5 + 5 += +5\cdot 0' + 5 + 5 += +5\cdot 0 + 5 + 5 + 5 += +5 + 5 + 5. +\] +Doch auch bezüglich der Multiplikation ist $\mathbb{N}$ unvollständig, +die Beispielgleichung $3x=1$ hat eine Lösung in $\mathbb{N}$. + +\subsubsection{Rechenregeln} +Aus den Definitionen lassen sich auch die Rechenregeln ableiten, +die man für die alltägliche Rechnung braucht. +Zum Beispiel kommt es nicht auf die Reihenfolge der Summanden +oder Faktoren an. +Das {\em Kommutativgesetz} besagt +\[ +a+b=b+a +\qquad\text{und}\qquad +a\cdot b = b\cdot a. +\] +\index{Kommutativgesetz}% +Die Kommutativität der Addition werden wir auch in allen weiteren +Konstruktionen voraussetzen. +Die Kommutativität des Produktes ist allerdings weniger selbstverständlich +und wird beim Matrizenprodukt nur noch für spezielle Faktoren zutreffen. + +Eine Summe oder ein Produkt mit mehr als zwei Summanden bzw.~Faktoren +kann in jeder beliebigen Reihenfolge ausgewertet werden, +\[ +(a+b)+c += +a+(b+c) +\qquad\text{und}\qquad +(a\cdot b)\cdot c += +a\cdot (b\cdot c) +\] +dies ist das Assoziativgesetz. +Es gestattet auch eine solche Summe oder ein solches Produkt einfach +als $a+b+c$ bzw.~$a\cdot b\cdot c$ zu schreiben, da es ja keine Rolle +spielt, in welcher Reihenfolge man die Teilprodukte berechnet. + +Die Konstruktion der Multiplikation als iterierte Addition mit Hilfe +der Rekursionsformel \eqref{buch:zahlen:multiplikation-rekursion} +hat auch zur Folge, dass die {\em Distributivgesetze} +\[ +a\cdot(b+c) = ab+ac +\qquad\text{und}\qquad +(a+b)c = ac+bc +\] +gilt. +Das Distributivgesetz drückt die wohlbekannte Regel des +Ausmultiplizierens aus. +Ein Distributivgesetz ist also grundlegend dafür, dass man mit den +Objekten so rechnen kann, wie man das in der elementaren Algebra +gelernt hat. +Auch das Distributivgesetz ist daher eine Rechenregel, die wir in +Zukunft immer dann fordern werden, wenn Addition und Multiplikation +definiert sind. +Es gilt immer für Matrizen. + +\subsubsection{Teilbarkeit} +Die Lösbarkeit von Gleichungen der Form $ax=b$ mit $a,b\in\mathbb{N}$ +gibt aber Anlass zu dem sehr nützlichen Konzept der Teilbarkeit. +\index{Teilbarkeit}% +Die Zahl $b$ heisst teilbar durch $a$, wenn die Gleichung $ax=b$ eine +Lösung in $\mathbb{N}$ hat. +\index{teilbar}% +Jede natürlich Zahl $n$ ist durch $1$ teilbar und auch durch sich selbst, +denn $n\cdot 1 = n$. +Andere Teiler sind dagegen nicht selbstverständlich, die Zahlen +\[ +\mathbb{P} += +\{2,3,5,7,11,17,19,23,29,\dots\} +\] +haben keine weiteren Teiler, sie heissen {\em Primzahlen}. +\index{Primzahl}% +Die Menge der natürlichen Zahlen ist die naheliegende Arena +für die Zahlentheorie. +\index{Zahlentheorie}% + +\subsubsection{Konstruktion der natürlichen Zahlen aus der Mengenlehre} +Die Peano-Axiome postulieren, dass es natürliche Zahlen gibt. +Es werden keine Anstrengungen unternommen, die natürlichen Zahlen +aus noch grundlegenderen mathematischen Objekten zu konstruieren. +Die Mengenlehre bietet eine solche Möglichkeit. +Da die natürlichen Zahlen das Konzept der Anzahl der Elemente einer +Menge abstrahieren, gehört die leere Menge zur Zahl $0$. +Die Zahl $0$ kann also durch die leere Menge $\emptyset = \{\}$ +wiedergegeeben werden. +Der Nachfolger muss jetzt als eine Menge mit zwei Elementen konstruiert +werden. +Das einzige mit Sicherheit existierende Objekt, das für diese Menge +zur Verfügung steht, ist $\emptyset$. +Zur Zahl $1$ gehört daher die Menge $\{\emptyset\}$, eine Menge mit +genau einem Element. +Stellt die Menge $N$ die Zahl $n$ dar, dann können wir die zu $n+1$ +gehörige Menge $N'$ dadurch konstruieren, dass wir zu den Elemente +von $N$ in zusätzliches Element hinzufügen, das noch nicht in $N$ ist, +zum Beispiel $N$: +\[ +N' = N \cup \{ N \}. +\] +Die natürlichen Zahlen existieren also, wenn wir akzeptieren, dass es +Mengen gibt. +Die natürlichen Zahl sind also nacheinander die Mengen +\begin{align*} +0 &= \emptyset +\\ +1 &= \emptyset \cup \{\emptyset\} = \{0\} +\\ +2 &= 1 \cup \{ 1\} = \{0\}\cup\{1\} = \{0,1\} +\\ +3 &= 2 \cup \{ 2\} = \{0,1\}\cup \{2\} = \{0,1,2\} +\\ +&\phantom{n}\vdots +\\ +n+1&= n \cup \{n\} = \{0,\dots,n-1\} \cup \{n\} = \{0,1,\dots,n\} +\\ +&\phantom{n}\vdots +\end{align*} + + + + + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/rational.tex b/buch/chapters/05-zahlen/rational.tex new file mode 100644 index 0000000..aeb0b6b --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/rational.tex @@ -0,0 +1,113 @@ +% +% rational.tex -- rationale Zahlen +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Rationale Zahlen +\label{buch:section:rationale-zahlen}} +\rhead{Rationale Zahlen} +In den ganzen Zahlen sind immer noch nicht alle linearen Gleichungen +lösbar, es gibt keine ganze Zahl $x$ mit $3x=1$. +Die nötige Erweiterung der ganzen Zahlen lernen Kinder noch bevor sie +die negativen Zahlen kennenlernen. + +\subsubsection{Brüche} +Rationale Zahlen sind Paare von ganzen Zahlen $a$ und $b\ne 0$, +die in der speziellen Schreibweise $\frac{a}{b}$ dargestellt werden. +Die Rechenregeln für Addition und Multiplikation sind +\begin{align*} +\frac{a}{b}+\frac{c}{d} +&= +\frac{ad+bc}{bd}, +\\ +\frac{a}{b}\cdot\frac{c}{d} +&= +\frac{ac}{bd}. +\end{align*} +Die speziellen Brüche $\frac{0}{b}$ und $\frac{1}{1}$ erfüllen die +Regeln +\begin{align*} +\frac{a}{b}+\frac{0}{d} &= \frac{ad}{bd} +\\ +\frac{a}{b}\cdot \frac{0}{c} &= \frac{0}{bc} +\\ +\frac{a}{b}\cdot \frac{1}{1} &= \frac{a}{b}. +\end{align*} +Wir sind uns gewohnt, die Brüche $\frac{0}{b}$ mit der Zahl $0$ und +$\frac{1}{1}$ mit der Zahl $1$ zu identifizieren. + +\subsubsection{Kürzen} +Wie bei den ganzen Zahlen entstehen durch die Rechenregeln viele Brüche, +denen wir den gleichen Wert zuordnen möchten +Zum Beispiel folgt +\[ +\frac{ac}{bc} - \frac{a}{b} += +\frac{abc-abc}{b^2c} += +\frac{0}{b^2c}, +\] +wir müssen also die beiden Brüche als gleichwertig betrachten. +Allgemein gelten die zwei Brüche $\frac{a}{b}$ und $\frac{c}{d}$ +als äquivalent, wenn $ad-bc= 0$ gilt. + +Die Definition bestätigt, dass die beiden Brüche +\[ +\frac{ac}{bc} +\qquad\text{und}\qquad +\frac{a}{b} +\] +als gleichwertig zu betrachten sind. +Der Übergang von links nach rechts heisst {\em Kürzen}, +\index{Kürzen}% +der Übergang von rechts nach links heisst {\em Erweitern}. +\index{Erweitern}% +Eine rationale Zahl ist also eine Menge von Brüchen, die durch +Kürzen und Erweitern ineinander übergeführt werden können. + +Die Menge der Äquivalenzklassen von Brüchen ist die Menge $\mathbb{Q}$ +der rationalen Zahlen. +In $\mathbb{Q}$ sind Addition, Subtraktion und Multiplikation mit den +gewohnten Rechenregeln, die bereits in $\mathbb{Z}$ gegolten haben, +uneingeschränkt möglich. + +\subsubsection{Kehrwert} +Zu jedem Bruch $\frac{a}{b}$ lässt sich der Bruch $\frac{b}{a}$, +der sogenannte {\em Kehrwert} +\index{Kehrwert} +konstruieren. +Er hat die Eigenschaft, dass +\[ +\frac{a}{b}\cdot\frac{b}{a} += +\frac{ab}{ba} += +1 +\] +gilt. +Der Kehrwert ist also das multiplikative Inverse, jede von $0$ verschiedene +rationale Zahl hat eine Inverse. + +\subsubsection{Lösung von linearen Gleichungen} +Mit dem Kehrwert lässt sich jetzt jede lineare Gleichung lösen. +Die Gleichung $ax=b$ hat die Lösung +\[ +ax = \frac{a}{1} \frac{u}{v} = \frac{b}{1} +\qquad\Rightarrow\qquad +\frac{1}{a} + \frac{a}{1} \frac{u}{v} = \frac{1}{a}\frac{b}{1} +\qquad\Rightarrow\qquad +\frac{u}{v} = \frac{b}{a}. +\] +Dasselbe gilt auch für rationale Koeffizienten $a$ und $b$. +In der Menge $\mathbb{Q}$ kann man also beliebige lineare Gleichungen +lösen. + +\subsubsection{Körper} +$\mathbb{Q}$ ist ein Beispiel für einen sogenannten {\em Körper}, +in dem die arithmetischen Operationen Addition, Subtraktion, Multiplikation +und Division möglich sind mit der einzigen Einschränkung, dass nicht durch +$0$ dividiert werden kann. +Körper sind die natürliche Bühne für die lineare Algebra, da sich lineare +Gleichungssysteme ausschliesslich mit den Grundoperation lösen lassen. + diff --git a/buch/chapters/05-zahlen/reell.tex b/buch/chapters/05-zahlen/reell.tex new file mode 100644 index 0000000..1f241a2 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/05-zahlen/reell.tex @@ -0,0 +1,88 @@ +% +% reell.tex -- reelle Zahlen +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Reelle Zahlen +\label{buch:section:reelle-zahlen}} +\rhead{Reelle Zahlen} +In den rationalen Zahlen lassen sich algebraische Gleichungen höheren +Grades immer noch nicht lösen. +Dass die Gleichung $x^2=2$ keine rationale Lösung hat, ist schon den +Pythagoräern aufgefallen. +Die geometrische Intuition der Zahlengeraden führt uns dazu, nach +Zahlen zu suchen, die gute Approximationen für $\sqrt{2}$ sind. +Wir können zwar keine Bruch angeben, dessen Quadrat $2$ ist, aber +wenn es eine Zahl $\sqrt{2}$ mit dieser Eigenschaft git, dann können +wir dank der Ordnungsrelation feststellen, dass sie in all den folgenden, +kleiner werdenden Intervallen +\[ +\biggl[1,\frac32\biggr],\; +\biggl[\frac75,\frac{17}{12}\biggr],\; +\biggl[\frac{41}{29},\frac{99}{70}\biggr],\; +\biggl[\frac{239}{169},\frac{577}{408}\biggr],\; +\dots +\] +enthalten sein muss\footnote{Die Näherungsbrüche konvergieren sehr +schnell, sie sind mit der sogenannten Kettenbruchentwicklung der +Zahl $\sqrt{2}$ gewonnen.}. +Jedes der Intervalle enthält auch das nachfolgende Intervall, und +die intervalllänge konvergiert gegen 0. +Eine solche Intervallschachtelung beschreibt also genau eine Zahl, +aber möglicherweise keine, die sich als Bruch schreiben lässt. + +Die Menge $\mathbb{R}$ der reellen Zahlen kann auch als die Menge +aller Cauchy-Folgen $(a_n)_{n\in\mathbb{N}}$. +Eine Folge ist eine Cauchy-Folge, wenn für jedes $\varepsilon>0$ +es eine Zahl $N(\varepsilon)$ gibt derart, dass $|a_n-a_m|<\varepsilon$ +für $n,m>N(\varepsilon)$. +Ab einer geeigneten Stelle $N(\varepsilon)$ sind die Folgenglieder also +mit Genauigkeit $\varepsilon$ nicht mehr unterscheidbar. + +Nicht jede Cauchy-Folge hat eine rationale Zahl als Grenzwert. +Da wir für solche Folgen noch keine Zahlen als Grenzwerte haben, +nehmen wir die Folge als eine mögliche Darstellung der Zahl. +Die Folge kann man ja auch verstehen als eine Vorschrift, wie man +Approximationen der Zahl berechnen kann. + +Zwei verschiedene Cauchy-Folgen $(a_n)_{n\in\mathbb{N}}$ und +$(b_n)_{n\in\mathbb{N}}$ +können den gleichen Grenzwert haben. +So sind +\[ +\begin{aligned} +a_n&\colon&& +1,\frac32,\frac75,\frac{17}{12},\frac{41}{29},\frac{99}{70},\frac{239}{169}, +\frac{577}{408},\dots +\\ +b_n&\colon&& +1,1.4,1.41,1.412,1.4142,1.41421,1.414213,1.4142135,\dots +\end{aligned} +\] +beide Folgen, die die Zahl $\sqrt{2}$ approximieren. +Im Allgemeinen tritt dieser Fall ein, wenn $|a_n-b_n|$ eine +Folge mit Grenzwert $0$ oder Nullfolge ist. +Eine reelle Zahl ist also die Menge aller rationalen Cauchy-Folgen, +deren Differenzen Nullfolgen sind. + +Die Menge $\mathbb{R}$ der reellen Zahlen kann man also ansehen +als bestehend aus Mengen von Folgen, die alle den gleichen Grenzwert +haben. +Die Rechenregeln der Analysis +\[ +\lim_{n\to\infty} (a_n + b_n) += +\lim_{n\to\infty} a_n + +\lim_{n\to\infty} b_n +\qquad\text{und}\qquad +\lim_{n\to\infty} a_n \cdot b_n += +\lim_{n\to\infty} a_n \cdot +\lim_{n\to\infty} b_n +\] +stellen sicher, dass sich die Rechenoperationen von den rationalen +Zahlen auf die reellen Zahlen übertragen lassen. + + + + diff --git a/buch/chapters/Makefile.inc b/buch/chapters/Makefile.inc index 1624ed5..0d8445d 100644 --- a/buch/chapters/Makefile.inc +++ b/buch/chapters/Makefile.inc @@ -9,6 +9,7 @@ CHAPTERFILES = \ chapters/vorwort.tex include chapters/00-einleitung/Makefile.inc +include chapters/05-zahlen/Makefile.inc include chapters/10-vektorenmatrizen/Makefile.inc include chapters/20-polynome/Makefile.inc include chapters/30-endlichekoerper/Makefile.inc diff --git a/buch/chapters/part1.tex b/buch/chapters/part1.tex index 58ac102..23febf7 100644 --- a/buch/chapters/part1.tex +++ b/buch/chapters/part1.tex @@ -7,6 +7,7 @@ \input{chapters/vorwort.tex} \part{Grundlagen} \input{chapters/00-einleitung/chapter.tex} +\input{chapters/05-zahlen/chapter.tex} \input{chapters/10-vektorenmatrizen/chapter.tex} \input{chapters/20-polynome/chapter.tex} \input{chapters/30-endlichekoerper/chapter.tex} |