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index 3bf1004..65ab441 100644
--- a/buch/chapters/95-homologie/simplex.tex
+++ b/buch/chapters/95-homologie/simplex.tex
@@ -12,10 +12,10 @@ die sogenannten Simplizes entwickeln müssen.
\subsection{Simplizes und Rand
\label{buch:subsection:simplices}}
-
-\subsubsection{Rand eines Dreiecks}
Die Inzidenz-Matrix eines Graphen hat einer Kante die beiden Endpunkte
mit verschiedenen Vorzeichen zugeordnet.
+
+\subsubsection{Rand eines Dreiecks}
Dieses Idee soll jetzt verallgemeinert werden.
Der Rand des Dreiecks $\triangle$ in
Abbildung~\ref{buch:homologie:figure:zusammenziehbar}
@@ -47,7 +47,7 @@ Wir können diese Zuordnung wieder mit einer Matrix ausdrücken.
\end{pmatrix*}
\]
-\subsubsection{Simplizes}
+\subsubsection{Standardsimplizes}
Punkte, Kanten und Dreiecke sind die einfachsten Fälle sogenannter
Simplizes.
Wir formulieren die Definition dieser Objekte auf eine Weise,
@@ -88,16 +88,29 @@ Anfangspunkt $s_1(0)$ mit einem negativen Vorzeichen versehen wird.
Für höhere Dimensionen brauchen wir auf analoge Weise erst wieder einen
geeigneten Parameterraum.
Die Menge
-\[
+\begin{equation}
\triangle_n
=
-\{(t_0,\dots,t_n)\in\mathbb{R}^{n+1}\,|\, t_i\ge 0,t_0+t_1+\dots+t_n=1\}
-\]
+\{(t_0,\dots,t_n)\in\mathbb{R}^{n+1}\mid t_i\ge 0,t_0+t_1+\dots+t_n=1\}
+\subset\mathbb{R}^{n+1}
+\label{buch:homologie:eqn:standardsimplex}
+\end{equation}
beschreibt zum Beispiel für $n=2$ ein Dreieck und für $n=3$ ein
Tetraeder.
+\index{Tetraeder}%
+
+\begin{definition}
+Die Menge $\triangle_n$ von \eqref{buch:homologie:eqn:standardsimplex}
+heisst das $n$-dimensionale Standardsimplex.
+\index{Standardsimplex}%
+\end{definition}
+
+Die Standardbasisvektoren von $\mathbb{R}^{n+1}$ werden $e_0,\dots,e_n$
+bezeichnet und sind die Ecken des $n$-dimensionalen Standardsimplex.
+\subsubsection{Simplizes in $\mathbb{R}^N$}
Gegeben $n+1$-Punkte $P_0,\dots,P_n$ mit Ortsvektoren
-$\vec{p}_0,\dots,\vec{p}_n$ können wir eine Abbildung
+$\vec{p}_0,\dots,\vec{p}_n\in\mathbb{R}^N$, können wir eine Abbildung
\begin{equation}
s_n
\colon
@@ -116,121 +129,203 @@ t_1\vec{p}_1
t_n\vec{p}_n
\end{equation}
Eine solche Abbildung verallgemeinert also den Begriff einer Strecke
+in einem Raum $\mathbb{R}^N$
auf höhere Dimensionen.
+Sie ist durch die Eckpunkte vollständig vorgegeben, es reicht also
+die Punkte $P_0,\dots,P_n\in\mathbb{R}^N$ zu kennen.
+
+%\begin{definition}
+%\label{buch:def:simplex}
+%Ein $n$-dimensionales {\em Simplex} oder {\em $n$-Simplex} in $X$ ist eine
+%stetige Abbildung $s_n\colon\triangle_n\to X$.
+%\end{definition}
+%
+%Die Ecken des $n$-Simplex $\triangle_n$ sind die Standardbasisvektoren
+%in $\mathbb{R}^{n+1}$.
+%Mit $e_k$ bezeichnen wird die Ecke, deren Koordinaten $t_i=0$ sind für
+%$k\ne i$, ausser der Koordinaten $t_k$, die den Wert $t_k=1$ hat.
+
\begin{definition}
-\label{buch:def:simplex}
-Ein $n$-dimensionales {\em Simplex} oder {\em $n$-Simplex} ist eine
-stetige Abbildung $s_n\colon\triangle_n\to X$.
+Ein $n$-Simplex in $\mathbb{R}^N$ ist die stückweise lineare Abbildung
+$s\colon \triangle_n\to \mathbb{R}^N$ gegeben durch die Bilder der Eckpunkte
+$P_i = s(e_i)$.
+Wir schreiben auch $[P_0,P_1,\dots,P_n]$ für dieses Simplex.
\end{definition}
-Die Ecken des $n$-Simplex $\triangle_n$ sind die Standardbasisvektoren
-in $\mathbb{R}^{n+1}$.
-Mit $e_k$ bezeichnen wird die Ecke, deren Koordinaten $t_i=0$ sind für
-$k\ne i$, ausser der Koordinaten $t_k$, die den Wert $t_k=1$ hat.
-
\subsubsection{Rechnen mit Simplizes}
-Damit wir leichter mit Simplizes rechnen können, betrachten wir
+Wir möchten später ein geometrisches Objekt aus Simplizes zusammensetzen.
+Dazu müssen wir mehrere Simplizes so ein einen Raum abbilden können, dass
+sie an den Rändern zusammenpassen.
+Dazu müssen wir mit ``Kombinationen'' von Simplizes rechnen können.
+Wir betrachten daher
jedes Simplex als einen Basisvektor eines abstrakten Vektorraumes.
-Zu einem $n$-Simplex gehören Vektorräume $C_l$ für jede Dimension
-$l=0$ bis $l=n$.
-Der Vektorraum $C_0$ besteht aus Linearkombinationen
-\[
-C_0
-=
-\{ x_0 P_0 + \dots + x_n P_n \,| x_i\in\mathbb{R} \},
-\]
-$C_0$ ist ein $n$-dimensionaler Raum.
-Der Vektorraum $C_1$ besteht aus Linearkombinationen der Kanten
-\[
-C_1
-=
-\biggl\{
-\sum_{i<j}
-x_{ij} k_{ij}
-\,
-\bigg|
-\,
-x_{ij}\in\mathbb{R}
-\biggr\},
-\]
-wobei $k_{ij}$ die Kante von der Ecke $i$ zur Ecke $j$ ist.
-In Dimension $l$ bezeichnen wir mit $C_l$ den Vektorraum bestehend
-aus den Linearkombinationen
+Simplizes verschiedener Dimension in $\mathbb{R}^N$ können natürlich
+immer unterschieden werden, wir können also den Vektorraum in einzelne
+Vektorräume aufteilnen, einen für jede Dimension.
+In Dimension $l$ bezeichnen wir mit $C_l$ den Vektorraum, dessen
+Basisvektoren $l+1$-Tupel
+\(
+[P_0,\dots,P_l]
+\)
+von Punkten von $\mathbb{R}^N$ sind.
+Der Vektorraum $C_l$ besteht dann aus Linearkombinationen
\[
C_l
=
\biggl\{
-\sum_{i_1<\dots<i_l} x_{i_1\dots i_l} s_{i_1\dots i_l}
-\,
-\bigg|
-\,
-s_{i_1\dots i_l}\in\mathbb{R}
-\biggr\},
-\]
-wobei $s_{i_1\dots i_l}$ das Simplex mit den Ecken $i_1,\dots,i_l$ ist.
-
-Für $n=1$ gibt ist $C_1$ ein eindimensionaler Vektorraum und $C_0$
-ist zweidimensional.
-Die Randabbildung, die einer Kante den Rand zuordnet, ist
-\[
-\partial
-\colon
-C_1\to C_0
-:
-s_{01}
-\mapsto
-1\cdot s_0 + (-1)\cdot s_1
-\]
-und hat in den oben beschriebenden Basen die Matrix
-\[
-\partial
-=
-\begin{pmatrix}
-1\\
--1
-\end{pmatrix}.
+\sum x_{P_0\dots P_l} [P_0,\dots,P_l]
+\;\bigg|\;
+x_{P_0\dots P_l}\in\mathbb{R}
+\biggr\}.
\]
+Die Seitenflächen dieses Simplex sind die $l-1$-dimensionalen
+Simplizes, die man erhält, indem man eine Ecke weglässt.
+Wir bezeichnen mit $[P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,P_l] \in C_{l-1}$
+Die Seitenfläche, die man durch Weglassen der Ecke $P_i$
+erhalten hat.
\subsubsection{Rand eines Simplex}
-Einem Simplex muss auch der Rand zugeordnet werden können.
-Setzt man in $\triangle_2$ den Parameter $t_k=0$, dann erhält
-man die Kante,
-die der Ecke mit Nummer $k$ gegenüberliegt.
-Für jedes $k$ gibt es also eine Abbildung
-\[
-i_k
-\colon
-\triangle_{n-1} \to \triangle_n
-:
-(t_0,\dots,t_n)
+Die Oberfläche eines Simplex ist nicht einfach die Summe der
+Seitenflächen.
+Die Kanten eines Dreiecks $[P_0,P_1,P_2]$ müssen so aneinandergefügt
+werden, dass sie einen Weg um das Dreieck ergeben.
+Beginnt man das Dreieck in Richtung der Kanten
+$[P_0,P_1]$ und $[P_1,P_2]$ zu umlaufen, trifft man in
+``verkehrter'' Richtung auf die Kante $[P_0,P_2]$.
+Für den Rand des Dreiecks muss man also diese Kante mit negativem
+Vorzeichen zählen:
+\begin{align*}
+\partial_3 \colon
+[P_0,P_1,P_2]
\mapsto
-(t_0,\dots,t_{k-1},0,t_{k},\dots,t_n),
-\]
-in die Kante gegenüber der Ecke $e_k$.
+[P_0,P_1]
++ [P_1,P_2]
+- [P_0,P_2]
+&=
+[\widehat{P_0},P_1,P_2]
+-[P_0,\widehat{P_1},P_2]
++[P_0,P_1,\widehat{P_2}]
+\\
+&=
+\sum_{i=0}^l (-1)^i [P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,P_3]
+\end{align*}
Dies ist auch die Art, wie Kanten des Dreiecks $\triangle$
in Abbildung~\ref{buch:homologie:figure:zusammenziehbar}
orientiert wurden.
-Für den Rand des $2$-Simplexes mussten die Kanten mit alternierenden
-Vorzeichen zugeordnet werden.
-Damit wird erreicht, dass jeder Punkt sowohl Endpunkt einer
-Kante und
-ausserdem Anfangspunkt der nächsten Kannte ist.
-Diese Eigenschaft soll auch in höheren Dimensionen erhalten bleiben.
-Die vier Dreiecke, die den Rand eines $3$-Simplex ausmachen,
-müssen so orientiert werden,
-dass jede Kante in beiden Richtungen durchlaufen wird.
-
\begin{definition}
\label{buch:def:randoperator}
-Der Randoperator ordnet die Kanten eines $n$-Simplex mit alternierenden
-Vorzeichen zu, die Matrix ist
+Der Randoperator ordnet einem $l$-Simplex dessen $l-1$-dimensonale
+Seitenflächen mit alternierenden Vorzeichen zu:
\[
+\partial_l : [P_0,\dots,P_l]
+\mapsto
+\sum_{i=0}^l (-1)^i [P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,P_l].
\]
\end{definition}
+\subsubsection{Inzidenzmatrix eines gerichteten Graphen und Randoperator}
+In Abschnitt~\ref{buch:graphen:subsection:inzidenzmatrix} wurde die
+Inzidenzmatrix eines gerichteten Graphen $G=(V,E)$ definiert.
+Seien $V=\{v_1,\dots,v_n\}$ die Vertizes des Graphen und
+$E=\{e_1,\dots,e_m\}$ die Kanten.
+Gibt es eine Kante $e_k = (v_i,v_j)\in E$ im Graphen, dann hat die Inzidenzmatrix
+in Spalte $k$ die Einträge $-1$ in Zeile $i$ und $+1$ in Zeile $j$.
+Die Kante $e_k$ können wir als eindimensionales Simplex $[v_i,v_j]$
+betrachten.
+Die Adjazenzmatrix ordnet ihm die Linearkombination
+\[
+A(G)\colon e_k=[v_i,v_j] \mapsto -[v_i] +[v_j]
+= (-1)^0 [\widehat{v_i},v_j] + (-1)^1 [v_i,\widehat{v_j}]
+=
+\partial_2 [v_i,v_j]
+\]
+zu.
+Die Adjazenzmatrix eines Graphen kann man also als den Randoperator
+$\partial_1$ betrachten, der auf den als $1$-dimensionale Simplizes
+betrachteten Kanten des Graphen wirkt.
+
+\subsubsection{Der Rand des Randes}
+Der Rand eines Tetraeders setzt sich aus vier Dreiecken
+zusammen.
+Jede Kante gehört zu genau zwei Seitenflächen.
+Wenn die Dreiecke alle so orientiert sind, dass sie ``von ausserhalb''
+des Tetraeders betrachtet positiv orientiert sind, dann wird jede
+Kante zweimal in jeder Richtung durchlaufen.
+Bildet man den Rand all dieser Seitenflächen, kommte jede Kante
+einmal mit positivem und einmal mit negativem Vorzeichen vor,
+die Summe ist $0$.
+
+Ganz allgemein gilt, dass der Rand des Randes verschwindet.
+
+\begin{satz}
+\label{buch:homologie:satz:randrand}
+Es gilt $\partial_{l-1}\circ\partial_l=0$.
+\end{satz}
+
+\begin{proof}[Beweis]
+Der Rand des Simplex $[P_0,\dots,P_l]$ ist
+\[
+\partial_l[P_0,\dots,P_l]
+=
+\sum_{i=0}^l (-1)^i [P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,P_l].
+\]
+Darauf muss jetzt der Randoperator $\partial_{l-1}$ angewendet
+werden.
+Dabei wird jeweils der Index $i$ übersprungen, bei der Bildung der
+Summe müssen die Teile daher separat betrachtet werden:
+\begin{align}
+\partial_{l-1}\partial_l[P_0,\dots,P_l]
+&=
+\sum_{i=0}^l (-1)^i \partial_{l-1}[P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,P_l]
+\notag
+\\
+&=
+\sum_{i=0}^l (-1)^i
+\biggl(
+\sum_{j<i} (-1)^j
+[P_0,\dots,\widehat{P_j},\dots,\widehat{P_i}\dots,P_l]
+\notag
+\\
+&\hspace*{2cm}
++
+\sum_{j>i} (-1)^{j-1}
+[P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,\widehat{P_j}\dots,P_l]
+\biggr)
+\label{buch:homologie:eqn:randrand}
+\\
+&=
+\sum_{j<i} (-1)^{i+j}
+[P_0,\dots,\widehat{P_j},\dots,\widehat{P_i}\dots,P_l]
+-
+\sum_{j>i} (-1)^{i+j}
+[P_0,\dots,\widehat{P_i},\dots,\widehat{P_j}\dots,P_l]
+\notag
+\end{align}
+Der Exponent $j-1$ im zweiten Term von
+\eqref{buch:homologie:eqn:randrand}
+trägt der Tatsache Rechnung,
+dass der Index $i$ übersprungen worden ist.
+In der zweiten Summe kann man die Summationsindizes umbenennen,
+also $i$ durch $j$ ersetzen und umgekehrt, dann entsteht
+\begin{align*}
+\partial_{l-1}\partial_l[P_0,\dots,P_l]
+&=
+\sum_{j<i} (-1)^{i+j}
+[P_0,\dots,\widehat{P_j},\dots,\widehat{P_i}\dots,P_l]
+\\
+&\qquad
+-
+\sum_{i>j} (-1)^{j+i}
+[P_0,\dots,\widehat{P_j},\dots,\widehat{P_i}\dots,P_l]
+\\
+&=0.
+\qedhere
+\end{align*}
+\end{proof}
+
\subsection{Polyeder}
\begin{figure}
\centering
@@ -253,8 +348,8 @@ Die Vereinigung ist aber nicht beliebig, vielmehr ist die Schnittmenge
zweier beliebiger 1-Simplizes immer entweder leer, eine Menge
mit nur einem Vertex oder ein ganzes 1-Simplex.
-Dies reicht aber nicht, wie Abbildung~\ref{buch:homologie:polyeder}
-zeigt.
+Für höhere Dimensionen muss diese Idee ausgedehnt werden auf
+höherdimensionale Simplizes.
In einem Graphen dürfen sich Kanten nicht in einem inneren Punkt treffen,
sondern nur in Endpunkten.
Verallgemeinert auf höherdimensionale Simplizes kann man dies als die
@@ -279,7 +374,7 @@ ist kein Polyeder, kann aber leicht zu einem Polyeder gemacht werden,
indem man einzelne Kanten mit zusätzlichen Punkten unterteilt.
Auch müssen die zweidimensionalen Simplizes aufgeteilt werden.
-Die Abbildung~\ref{buch:homologie:figure:polyeder} zeigt auch, dass
+Abbildung~\ref{buch:homologie:figure:polyeder} zeigt auch, dass
die Darstellung einer Punktmenge als Polyeder nicht eindeutig ist.
Man kann die Kanten und Flächen jederzeit weiter unterteilen, ohne
dass sich die Gestalt der gesamten Menge dadurch ändert.
@@ -287,7 +382,7 @@ dass sich die Gestalt der gesamten Menge dadurch ändert.
\subsection{Triangulation
\label{buch:subsection:triangulation}}
Unser Ziel ist, geometrische Objekte besser verstehen zu können.
-Dabei sind uns Deformationen ja sogar Knicke egal, es interessiert uns
+Dabei sind uns Deformationen und sogar Knicke egal, es interessiert uns
nur die ``Gestalt'' des Objekts.
Entfernungen zwischen Punkten sind ebenfalls von untergeordneter
Bedeutung, da sie bei Deformation nicht erhalten bleiben.