1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
229
230
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
247
248
249
250
251
252
253
254
255
256
257
258
259
260
261
262
263
264
265
266
267
268
269
270
271
272
273
274
275
276
277
278
279
280
281
282
283
284
285
286
287
288
289
290
291
292
293
294
295
296
297
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312
313
314
315
316
317
318
319
320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
338
339
340
341
342
343
344
345
346
347
348
349
350
351
352
353
354
355
356
357
358
359
360
361
362
363
364
365
366
367
368
369
370
371
372
373
374
375
376
377
378
379
380
381
382
383
384
385
386
387
388
389
390
391
392
393
394
395
396
397
398
399
400
401
402
403
404
405
406
407
408
409
410
411
412
413
414
415
416
417
418
419
420
421
422
423
424
425
426
427
428
429
430
431
432
433
434
435
436
437
438
439
440
441
442
443
444
445
446
447
448
449
450
451
452
453
454
455
456
457
458
459
460
461
462
463
464
465
466
467
468
469
470
471
472
473
474
475
476
477
478
479
480
481
482
483
484
485
486
487
488
489
490
491
492
493
494
495
496
497
498
499
500
501
502
503
504
505
506
507
508
509
510
511
512
513
514
515
516
517
518
519
520
521
522
523
524
525
526
527
528
529
530
531
532
533
534
535
536
537
538
539
540
541
542
543
544
545
546
547
548
549
550
551
552
553
554
555
556
557
558
559
560
561
562
563
564
565
566
567
568
569
570
571
572
573
574
575
576
577
578
579
580
581
582
583
584
585
586
587
588
589
590
591
592
593
594
595
596
597
598
599
600
601
602
603
604
605
606
607
608
609
610
611
612
613
614
615
616
617
618
619
620
621
622
623
624
625
626
627
628
629
630
631
632
633
634
635
636
637
638
639
640
641
642
643
644
645
646
647
648
649
650
651
652
653
654
655
656
657
658
659
660
661
662
663
664
665
666
667
668
669
670
671
672
673
674
675
676
677
678
679
680
681
682
683
684
685
686
687
688
689
690
691
692
693
694
695
696
697
698
699
700
701
702
703
704
705
706
707
708
709
710
711
712
713
714
715
716
717
718
719
720
721
722
723
724
725
726
727
728
729
730
731
732
733
734
735
736
737
738
739
740
741
742
743
744
745
746
747
748
749
750
751
752
753
754
755
756
757
758
759
760
761
762
763
764
765
766
767
768
769
770
771
772
773
|
%
% symmetrien.tex -- Geometrische Beschreibung von Symmetrien, O(n), SO(n),
% Spiegelungen
%
% (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil
%
% !TeX spellcheck = de_CH
\section{Symmetrien
\label{buch:section:symmetrien}}
\rhead{Symmetrien}
Der geometrische Begriff der Symmetrie meint die Eigenschaft eines
geometrischen Objektes, dass es bei einer Bewegung auf sich selbst
abgebildet wird.
Das Wort stammt aus dem altgriechischen, wo es {\em Gleichmass}
bedeutet.
Spiegelsymmetrische Objekte zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus,
dass Messungen von Strecken die gleichen Werte ergeben wie die Messungen
der entsprechenden gespiegelten Strecken (siehe auch
Abbildung~\ref{buch:lie:bild:castlehoward}), was die Herkunft des
Begriffs verständlich macht.
\begin{figure}
\centering
\includegraphics[width=\textwidth]{chapters/60-gruppen/images/castle.jpeg}
\caption{Das Castle Howard in Yorkshire war in dieser ausgeprägt symmetrischen
Form geplant, wurde dann aber in modifizierter Form gebaut.
Messungen zwischen Punkten in der rechten Hälfte des Bildes
ergeben die gleichen Werte wie Messungen entsprechenden Strecken
in der linken Hälfte, was den Begriff Symmetrie rechtfertigt.
\label{buch:lie:bild:castlehoward}}
\end{figure}
In der Physik wird dem Begriff der Symmetrie eine erweiterte
Bedeutung gegeben.
Jede Transformation eines Systems, welche bestimmte Grössen nicht
verändert, wird als Symmetrie bezeichnet.
Die Gesetze der Physik sind typischerweise unabhängig davon, wo man
den Nullpunkt der Zeit oder des räumlichen Koordinatensystems ansetzt,
eine Transformation des Zeitnullpunktes oder des Ursprungs des
Koordinatensystems ändert daher die Bewegungsgleichungen nicht, sie ist
eine Symmetrie des Systems.
Umgekehrt kann man fragen, welche Symmetrien ein System hat.
Da sich Symmetrien zusammensetzen und umkehren lassen, kann man davon
ausgehen, dass die Symmetrietransformationen eine Gruppe bilden.
Besonders interessant ist dies im Falle von Transformationen, die
durch Matrizen beschrieben weren.
Eine unter der Symmetrie erhaltene Eigenschaft definiert so eine
Untergruppe der Gruppe $\operatorname{GL}_n(\mathbb{R})$ der
invertierbaren Matrizen.
Die erhaltenen Eigenschaften definieren eine Menge von Gleichungen,
denen die Elemente der Untergruppe genügen müssen.
Als Lösungsmenge einer Gleichung erhält die Untergruppe damit eine
zusätzliche geometrische Struktur, man nennt sie eine differenzierbare
Mannigfaltigkeit.
Dieser Begriff wird im Abschnitt~\ref{buch:subsection:mannigfaltigkeit}
eingeführt.
Es wird sich zum Beispiel zeigen, dass sich die Menge der Drehungen der
Ebene mit den Punkten eines Kreises parametrisieren lässt,
die Lösungen der Gleichung $x^2+y^2=1$ sind.
Eine Lie-Gruppe ist eine Gruppe, die gleichzeitig eine differenzierbare
Mannigfaltigkeit ist.
Die Existenz von geometrischen Konzepten wie Tangentialvektoren
ermöglicht zusätzliche Werkzeuge, mit denen diese Gruppe untersucht
und verstanden werden können.
Ziel dieses Abschnitts ist, die Grundlagen für diese Untersuchung zu
schaffen, die dann im Abschnitt~\ref{buch:section:lie-algebren}
durchgeführt werden soll.
\subsection{Algebraische Symmetrien
\label{buch:subsection:algebraische-symmetrien}}
Mit Matrizen lassen sich Symmetrien in einem geometrischen Problem
oder in einem physikalischen System beschreiben.
Man denkt dabei gerne zuerst an geometrische Symmetrien wie die
Symmetrie unter Punktspiegelung oder die Spiegelung an der $x_1$-$x_2$-Ebene,
wie sie zum Beispiel durch die Abbildungen
\[
\mathbb{R}^3\to\mathbb{R}^3 : x\mapsto -x
\qquad\text{oder}\qquad
\mathbb{R}^3\to\mathbb{R}^3 :
\begin{pmatrix}x_1\\x_2\\x_3\end{pmatrix}
\mapsto
\begin{pmatrix}-x_1\\x_2\\x_3\end{pmatrix}
\]
dargestellt werden.
Beide haben zunächst die Eigenschaft, dass Längen und Winkel und damit
das Skalarprodukt erhalten sind.
Diese Eigenschaft allein erlaubt aber noch nicht, die beiden Transformationen
zu unterscheiden.
Die Punktspiegelung zeichnet sich dadurch aus, das alle Geraden und alle
Ebenen durch den Ursprung auf sich selbst abgebildet werden.
Dies funktioniert für die Ebenenspiegelung nicht, dort bleibt nur die
Spiegelungsebene (die $x_1$-$x_2$-Ebene im vorliegenden Fall) und
ihre Normale erhalten.
Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie solche Symmetriedefinitionen
auf algebraische Bedingungen an die Matrixelemente führen.
Zu jeder linearen Abbildung $f\colon\mathbb{R}^n\to\mathbb{R}^n$, unter der
ein geometrisches Objekt in $\mathbb{R}^n$ unverändert bleibt, können wir
sofort weitere Abbildungen angeben, die ebenfalls Symmetrien sind.
Zum Beispiel sind die iterierten Abbildungen $f\circ f$, $f\circ f\circ f$
usw., die wir auch $f^n$ mit $n\in\mathbb{N}$ schreiben werden,
ebenfalls Symmetrien.
Wenn die Symmetrie auch umkehrbar ist, dann gilt dies sogar für alle
$n\in\mathbb{Z}$.
Wir erhalten so eine Abbildung
$\varphi\colon \mathbb{Z}\to \operatorname{GL}_n(\mathbb{R}):n\mapsto f^n$
mit den Eigenschaften $\varphi(0)=f^0 = I$ und
$\varphi(n+m)=f^{n+m}=f^n\circ f^m = \varphi(n)\circ\varphi(m)$.
$\varphi$ ist ein Homomorphismus (siehe
Definition~\ref{buch:gruppen:def:homomorphismus})
der Gruppe $\mathbb{Z}$ in die Gruppe
$\operatorname{GL}_n(\mathbb{R})$.
Wir nennen dies eine {\em diskrete Symmetrie}.
\subsection{Kontinuierliche Symmetrien
\label{buch:subsection:kontinuierliche-symmetrien}}
Von besonderem Interesse sind kontinuierliche Symmetrien.
Dies sind Abbildungen eines Systems, die von einem Parameter
abhängen.
Zum Beispiel können Drehungen der Ebene $\mathbb{R}^2$ um den
Winkel $\alpha$ durch die Matrizen
\[
R_{\alpha}
=
\begin{pmatrix}
\cos\alpha&-\sin\alpha\\
\sin\alpha& \cos\alpha
\end{pmatrix}
\]
beschrieben werden.
Ein Kreis um den Nullpunkt bleibt unter jeder dieser Drehungen invariant.
Im Gegensatz dazu sind alle gleichseitigen Dreiecke mit Schwerpunkt $0$
nur unter der einen Drehung $R_{\frac{2\pi}3}$ invariant.
Ein vorgegebener Punkt bewegt sich unter der Wirkung der Drehung
$R_\alpha$ auf einem Kreis um den Nullpunkt.
\begin{definition}
\label{buch:lie:def:einparameteruntergruppe}
Ein Homomorphismus $\varphi\colon\mathbb{R}\to\operatorname{GL}_n(\mathbb{R})$
von der additiven Gruppe $\mathbb{R}$ in die allgemeine lineare Gruppe
heisst eine {\em Einparameteruntergruppe} von
$\operatorname{GL}_n(\mathbb{R})$.
\end{definition}
\index{Einparameteruntergruppe}
Die Abbildung
\[
\varphi
\colon
\mathbb{R}\to\operatorname{GL}_2(\mathbb{R})
:
\alpha \mapsto
R_{\alpha}
=
\begin{pmatrix}
\cos\alpha&-\sin\alpha\\
\sin\alpha& \cos\alpha
\end{pmatrix}
\]
ist also eine Einparameteruntergruppe von $\operatorname{GL}_2(\mathbb{R})$.
\subsubsection{Der harmonische Oszillator}
\label{buch:gruppen:harmonischer-oszillator}
\index{harmonischer Oszillator}%
\index{Oszillator}%
\begin{figure}
\centering
\includegraphics{chapters/60-gruppen/images/phasenraum.pdf}
\caption{Die Lösungen der
Differentialgleichung~\eqref{chapter:gruppen:eqn:phasenraumdgl}
im Phasenraum sind Ellipsen mit Halbachsenverhältnis $\omega^{-1}$.
\label{chapter:gruppen:fig:phasenraum}}
\end{figure}
Eine Masse $m$ ist aufgehängt an einer Feder mit der Federkonstanten $K$
\index{Federkonstante}%
und
schwingt um die Ruhelage $x=0$ entsprechend der Differentialgleichung
\[
m\frac{d^2}{dt^2} x(t) = -Kx(t).
\]
Die Kreisfrequenz der Schwingung ist
\index{Kreisfrequenz}%
\index{Schwingung}%
\[
\omega = \sqrt{\frac{K}{m}}.
\]
Das System kann als zweidimensionales System im Phasenraum mit den
Koordinaten $x_1=x$ und $x_2=p=m\dot{x}$ beschrieben werden.
Die zweidimensionale Differentialgleichung ist
\index{zweidimensionale Differentialgleichung}%
\begin{equation}
\left.
\begin{aligned}
\dot{x}(t) &= \frac{1}{m}p(t)\\
\dot{p}(t) &= -Kx(t)
\end{aligned}
\quad
\right\}
\qquad\Rightarrow\qquad
\frac{d}{dt}
\begin{pmatrix}x(t)\\p(t)\end{pmatrix}
=
\begin{pmatrix}
0&\frac{1}{m}\\
-K&0
\end{pmatrix}
\begin{pmatrix}x(t)\\p(t)\end{pmatrix}.
\label{chapter:gruppen:eqn:phasenraumdgl}
\end{equation}
Die Lösung der Differentialgleichung für die Anfangsbedingung $x(0)=1$ und
$p(0)=0$ ist
\[
x(t)
=
\cos \omega t
\qquad\Rightarrow\qquad
p(t)
=
-\omega \sin\omega t,
\]
die Lösung zur Anfangsbedingung $x(0)=0$ und $p(0)=1$ ist
\[
x(t) = \frac{1}{\omega} \sin\omega t,
\qquad
p(t) = \cos \omega t.
\]
In Matrixform kann man die allgemeine Lösung zur Anfangsbedingung $x(0)=x_0$
und $p(0)=p_0$
\begin{equation}
\begin{pmatrix}
x(t)\\
p(t)
\end{pmatrix}
=
\underbrace{
\begin{pmatrix}
\cos \omega t & \frac{1}{\omega} \sin\omega t \\
-\omega \sin\omega t & \cos\omega t
\end{pmatrix}
}_{\displaystyle =\Phi_t}
\begin{pmatrix}x_0\\p_0\end{pmatrix}
\label{buch:gruppen:eqn:phi}
\end{equation}
schreiben.
Die Matrizen $\Phi_t$ bilden eine Einparameteruntergruppe von
$\operatorname{GL}_2(\mathbb{R})$, da
\begin{align*}
\Phi_s\Phi_t
&=
\begin{pmatrix}
\cos\omega s & \frac{1}{\omega} \sin\omega s \\
-\omega \sin\omega s & \cos\omega s
\end{pmatrix}
\begin{pmatrix}
\cos\omega t & \frac{1}{\omega} \sin\omega t \\
-\omega \sin\omega t & \cos\omega t
\end{pmatrix}
\\
&=
\begin{pmatrix}
\cos\omega s \cos\omega t - \sin\omega s \sin\omega t
& \frac{1}{\omega} ( \cos\omega s \sin\omega t + \sin\omega s \cos \omega t)
\\
-\omega (\sin\omega s \cos\omega t + \cos\omega s \sin\omega t )
& \cos\omega s \cos\omega t -\sin\omega s \sin\omega t
\end{pmatrix}
\\
&=
\begin{pmatrix}
\cos\omega(s+t) & \frac{1}{\omega}\sin\omega(s+t) \\
-\omega \sin\omega(s+t) & \cos\omega(s+t)
\end{pmatrix}
=
\Phi_{s+t}
\end{align*}
gilt.
Die Lösungen der
Differentialgleichung~\eqref{chapter:gruppen:eqn:phasenraumdgl}
sind in Abbildung~\ref{chapter:gruppen:fig:phasenraum} dargestellt.
dargestellt.
Die Matrizen $\Phi_t$ beschreiben eine kontinuierliche Symmetrie
des Differentialgleichungssystems, welches den harmonischen Oszillator
beschreibt.
\subsubsection{Fluss einer Differentialgleichung}
\index{Fluss}%
Die Abbildungen $\Phi_t$ von \eqref{buch:gruppen:eqn:phi} sind jeweils
Matrizen in $\operatorname{GL}_2(\mathbb{R})$.
Der Grund dafür ist, dass die
Differentialgleichung~\eqref{chapter:gruppen:eqn:phasenraumdgl}
linear sind.
Dies hat zur Folge, dass für zwei Anfangsbedingungen $x_1,x_2\in\mathbb{R}^2$
die Lösung für Linearkombinationen $\lambda x_1+\mu x_2$ durch
Linearkombination der Lösungen erhalten werden kann, also
aus der Formel
\[
\Phi_t (\lambda x_1 + \mu x_2) = \lambda \Phi_t x_1 + \mu \Phi_t x_2.
\]
Dies zeigt, dass $\Phi_t$ für jedes $t$ eine lineare Abbildung sein muss.
Für eine beliebige Differentialgleichung kann man immer noch eine Abbildung
$\Phi$ konstruieren, die aber nicht mehr linear ist.
Sei dazu die Differentialgleichung erster Ordnung
\begin{equation}
\frac{dx}{dt}
=
f(t,x)
\qquad\text{mit}\qquad
f\colon \mathbb{R}\times\mathbb{R}^n \to \mathbb{R}^n
\label{buch:gruppen:eqn:dgl}
\end{equation}
gegeben.
Für jeden Anfangswert $x_0\in\mathbb{R}^n$ kann man mindestens für eine
gewisse Zeit $t <\varepsilon$ eine Lösung $x(t,x_0)$ finden mit $x(t,x_0)=x_0$.
Aus der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen ist auch
bekannt, dass $x(t,x_0)$ mindestens in der Nähe von $x_0$ differenzierbar von
$x_0$ abhängt.
Dies erlaubt eine Abbildung
\[
\Phi\colon \mathbb{R}\times \mathbb{R}^n \to \mathbb{R}^n
:
(t,x_0) \mapsto \Phi_t(x_0) = x(t,x_0)
\]
zu definieren, die sowohl von $t$ als auch von $x_0$ differenzierbar
abhängt.
Aus der Definition folgt unmittelbar, dass $\Phi_0(x_0)=x_0$ ist, dass
also $\Phi_0$ die identische Abbildung von $\mathbb{R}^n$ ist.
Aus der Definition lässt sich auch ableiten, dass
$\Phi_{s+t}=\Phi_s\circ\Phi_t$ gilt.
$\Phi_t(x_0)=x(t,x_0)$ ist der Endpunkt der Bahn, die bei $x_0$ beginnt
und sich während der Zeit $t$ entwickelt.
$\Phi_s(x(t,x_0))$ ist dann der Endpunkt der Bahn, die bei $x(t,x_0)$
beginnt und sich während der Zeit $s$ entwickelt.
Somit ist $\Phi_s\circ \Phi_t(x_0)$ der Endpunkt der Bahn, die bei
$x_0$ beginnt und sich über die Zeit $s+t$ entwickelt.
In Formeln bedeutet dies
\[
\Phi_{s+t} = \Phi_s\circ \Phi_t.
\]
Die Abbildung $t\mapsto \Phi_t$ ist also wieder ein Homomorphismus
von der additiven Gruppe $\mathbb{R}$ in eine Gruppe von differenzierbaren
Abbildungen $\mathbb{R}^n\to\mathbb{R}^n$.
\begin{definition}
Die Abbildung
\[
\Phi\colon \mathbb{R}\times\mathbb{R}^n\to\mathbb{R}^n
:
(t,x_0) \mapsto \Phi_t(x_0) := x(t,x_0)
\]
heisst der {\em Fluss} der Differentialgleichung
\index{Fluss}%
\eqref{buch:gruppen:eqn:dgl},
wenn für jedes $x_0\in\mathbb{R}^n$ die Kurve $t\mapsto \Phi_t(x_0)$
eine Lösung der Differentialgleichung ist mit Anfangsbedingung $x_0$.
\end{definition}
Die Abbildung $\Phi_t$ von \eqref{buch:gruppen:eqn:phi} ist also
der Fluss der Differentialgleichung des harmonischen Oszillators.
\subsection{Mannigfaltigkeiten
\label{buch:subsection:mannigfaltigkeit}}
Eine Differentialgleichung der Form~\eqref{buch:gruppen:eqn:dgl}
stellt einen Zusammenhang her zwischen einem Punkt $x$ und der
Tangentialrichtung einer Bahnkurve $f(t,x)$.
Die Ableitung liefert die lineare Näherung der Bahkurve
\[
x(t_0+h) = x(t_0) + h f(t_0,x_0) + o(h)
\]
für $h$ in einer kleinen Umgebung von $0$.
Das funktioniert auch, weil $f(t_0,x_0)$ selbst ein Vektor von
$\mathbb{R}^n$ ist, in dem die Bahnkurve verläuft.
Diese Idee funktioniert nicht mehr zum Beispiel für eine
Differentialgleichung auf einer Kugel\-oberfläche, weil alle Punkte
$x(t_0)+hf(t_0,x_0)$ für alle $h\ne 0$ nicht mehr auf der Kugeloberfläche
liegen.
Physikalisch äussert sich das in einer zusätzlichen Kraft, die nötig
ist, die Bahn auf der Kugeloberfläche zu halten.
Solche Zwangskräfte leisten keine Arbeit, sorgen aber zum Beispiel
dafür, dass die Vektoren $f(t,x)$ für
Punkte $x$ auf der Kugeloberfläche immer tangential an die Kugel sind.
Trotzdem ist der Tangentialvektor oder der Geschwindigkeitsvektor
nicht mehr ein Objekt, welches als Teil der Kugeloberfläche definiert
werden kann, er kann nur definiert werden, wenn man sich die Kugel als
in einen höherdimensionalen Raum eingebettet vorstellen kann.
Der Betrag der Zwangskräfte hängt von der Krümmung der Fläche ab.
Um die Idee einer Differentialgleichung auf einer beliebigen Fläche
konsistent zu machen, ist daher notwendig, die Idee einer Tagentialrichtung
auf eine Art zu definieren, die nicht von der Einbettung der Fläche
in den $n$-dimensionalen Raum abhängig ist.
Das in diesem Abschnitt entwickelte Konzept der {\em Mannigfaltigkeit}
löst dieses Problem.
\index{Mannigfaltigkeit}%
\subsubsection{Karten}
Die Navigation auf der Erdoberfläche verwendet das Koordinatensystem
der geographischen Länge und Breite.
Dieses Koordinatensystem funktioniert gut, solange man sich nicht an
den geographischen Polen befindet, denn deren Koordinaten sind
nicht mehr eindeutig.
Alle Punkte mit geographischer Breite $90^\circ$ und beliebiger
geographischer Länge beschreiben den Nordpol.
\index{geographische Länge}%
\index{geographische Breite}%
\index{Nordpol}%
\index{Länge, geographisch}%
\index{Breite, geographisch}%
Auch die Ableitung funktioniert dort nicht mehr.
Bewegt man sich mit konstanter Geschwindigkeit über den Nordpol,
springt die Ableitung der geographischen Breite von einem positiven
Wert auf einen negativen Wert, sie kann also nicht differenzierbar sein.
Diese Einschränkungen stellen in der Praxis nur ein geringes Problem dar,
da die meisten Reisen nicht über die Pole erfolgen.
Der Polarforscher, der in unmittelbarer Umgebung des Poles arbeitet,
kann das Problem lösen, indem er eine lokale Karte für das Gebiet
um den Pol erstellt.
Dafür kann er beliebige Koordinaten verwenden, zum Beispiel auch
ein kartesisches Koordinatensystem, er muss nur eine Methode haben,
nach der er seine Koordinaten wieder auf geographische Länge und Breite
umrechnen kann.
Und wenn er über Geschwindigkeiten kommunizieren will, dann muss
er auch Ableitungen von Kurven in seinem kartesischen Koordinatensystem
umrechnen können auf die Kugelkoordinaten.
Dazu muss seine Umrechnungsformel von kartesischen Koordinaten
auf Kugelkoordinaten differenzierbar sein.
Diese Idee wird durch das Konzept der Mannigfaltigkeit verallgemeinert.
Eine $n$-dimensionale {\em Mannigfaltigkeit} ist eine Menge $M$ von Punkten,
die lokal, also in der Umgebung eines Punktes, mit möglicherweise mehreren
verschiedenen Koordinatensystemen versehen werden kann.
Ein Koordinatensystem ist eine umkehrbare Abbildung einer offenen Teilmenge
$U\subset M$ in den Raum $\mathbb{R}^n$.
Die Komponenten dieser Abbildung heissen die {\em Koordinaten}.
\index{Koordinaten}%
\begin{figure}
\centering
\includegraphics{chapters/60-gruppen/images/karten.pdf}
\caption{Karten
$\varphi_\alpha\colon U_\alpha\to \mathbb{R}^2$
und
$\varphi_\beta\colon U_\beta\to \mathbb{R}^2$
auf einem Torus.
Auf dem Überschneidungsgebiet $\varphi_\alpha^{-1}(U_\alpha\cap U_\beta)$
ist der Kartenwechsel $\varphi_\beta\circ\varphi_\alpha^{-1}$ wohldefiniert
und muss differnzierbar sein, wenn eine differenzierbare Mannigfaltigkeit
entstehen soll.
\label{buch:gruppen:fig:karten}}
\end{figure}
\begin{definition}
\index{Karte}%
Eine {\em Karte} auf $M$ ist eine umkehrbare Abbildung
$\varphi\colon U\to \mathbb{R}^n$ einer offenen Menge $U_\alpha\subset M$
(siehe auch Abbildung~\ref{buch:gruppen:fig:karten}).
Ein {\em differenzierbarer Atlas} ist eine Familie von Karten $\varphi_\alpha$
derart, dass die Definitionsgebiete $U_\alpha$ die ganze Menge $M$
überdecken, und dass die Kartenwechselabbildungen
\[
\varphi_{\beta\alpha}=\varphi_\beta\circ\varphi_\alpha^{-1}
\colon
\varphi_\alpha(U_\alpha\cap U_\beta)
\to
\varphi_\beta(U_\alpha\cap U_\beta)
\]
als Abbildungen von offenen Teilmengen von $\mathbb{R}^n$ differenzierbar
sind.
Eine {\em $n$-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit} ist eine
Menge $M$ mit einem differenzierbaren Atlas.
\index{Atlas}%
\end{definition}
Karten und Atlanten regeln also nur, wie sich verschiedene lokale
Koordinatensysteme ineinander umrechnen lassen.
\begin{beispiel}
$M=\mathbb{R}^n$ ist eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, denn
die identische Abbildung $M\to \mathbb{R}^n$ ist eine Karte und ein
Atlas von $M$.
\end{beispiel}
\begin{beispiel}
\begin{figure}
\centering
\includegraphics{chapters/60-gruppen/images/kartenkreis.pdf}
\caption{Karten für die Kreislinie $S^1\subset\mathbb{R}^2$.
\label{buch:gruppen:fig:kartenkreis}}
\end{figure}
Die Kreislinie in in der Ebene ist eine $1$-dimensionale Mannigfaltigkeit.
Natürlich kann sie nicht mit einer einzigen Karte beschrieben werden,
da es keine umkehrbaren Abbildungen zwischen $\mathbb{R}$ und der Kreislinie
gibt.
Die Projektionen auf die einzelnen Koordinaten liefern die folgenden
vier Karten:
\begin{align*}
\color{red}
\varphi_1&{\color{red}\colon U_{x>0}=\{(x,y) \mid x^2+y^2=1\wedge x>0\}}\to\mathbb{R}
:
(x,y) \mapsto y
\\
\color{blue}
\varphi_2&{\color{blue}\colon U_{x<0}=\{(x,y) \mid x^2+y^2=1\wedge x<0\}}\to\mathbb{R}
:
(x,y) \mapsto y
\\
\color{darkgreen}
\varphi_3&{\color{darkgreen}\colon U_{y>0}=\{(x,y) \mid x^2+y^2=1\wedge y>0\}}\to\mathbb{R}
:
(x,y) \mapsto x
\\
\color{orange}
\varphi_4&{\color{orange}\colon U_{y<0}=\{(x,y) \mid x^2+y^2=1\wedge y<0\}}\to\mathbb{R}
:
(x,y) \mapsto x
\end{align*}
Die Werte der Kartenabbildungen sind genau die $x$- und $y$-Koordinaten
auf der in den Raum $\mathbb{R}^2$ eingebetteten Kreislinie.
Für $\varphi_1$ und $\varphi_2$ sind die Definitionsgebiete disjunkt,
hier gibt es also keine Notwendigkeit, Koordinatenumrechnungen vornehmen
zu können.
Dasselbe gilt für $\varphi_3$ und $\varphi_4$.
Die nichtleeren Schnittmengen der verschiedenen Kartengebiete beschreiben
jeweils die Punkte der Kreislinie in einem Quadranten.
Die Umrechnung zwischen den Koordinaten und ihre Ableitung
ist je nach Quadrant durch
\begin{align*}
&\text{1.~Quadrant}&
\varphi_{31}
&=
{\color{darkgreen}\varphi_3}\circ{\color{red}\varphi_1}^{-1}
\colon
y\mapsto\phantom{-}{\textstyle\sqrt{1-y^2\mathstrut}}
&
D\varphi_{31}
&=
-\frac{y}{\sqrt{1-y^2\mathstrut}}
\\
&\text{2.~Quadrant}&
\varphi_{23}
&=
{\color{blue}\varphi_2}\circ{\color{darkgreen}\varphi_3}^{-1}
\colon
x\mapsto\phantom{-}{\textstyle\sqrt{1-x^2\mathstrut}}
&
D\varphi_{23}
&=
-\frac{x}{\sqrt{1-x^2\mathstrut}}
\\
&\text{3.~Quadrant}&
\varphi_{42}
&=
{\color{orange}\varphi_4}\circ{\color{blue}\varphi_2}^{-1}
\colon
y\mapsto-{\textstyle\sqrt{1-y^2\mathstrut}}
&
D\varphi_{42}
&=
\phantom{-}\frac{y}{\sqrt{1-y^2\mathstrut}}
\\
&\text{4.~Quadrant}&
\varphi_{41}
&=
{\color{red}\varphi_1}\circ{\color{orange}\varphi_4}^{-1}
\colon
x\mapsto-{\textstyle\sqrt{1-x^2\mathstrut}}
&
D\varphi_{41}
&=
\phantom{-}\frac{x}{\sqrt{1-x^2\mathstrut}}
\end{align*}
gegeben.
Diese Abbildungen sind im offenen Intervall $(-1,1)$ differenzierbar,
Schwierigkeiten mit der Ableitungen ergeben sich nur an den Stellen
$x=\pm1$ und $y=\pm 1$, die in einem Überschneidungsgebiet von Karten
nicht vorkommen können.
Somit bilden die vier Karten einen differenzierbaren Atlas für
die Kreislinie (Abbildung~\ref{buch:gruppen:fig:kartenkreis}).
\end{beispiel}
\begin{beispiel}
Ganz analog zum vorangegangenen Beispiel über die Kreisline lässt sich
für eine $n$-di\-men\-sio\-nale Sphäre
\[
S^n = \{ (x_1,\dots,x_{n+1}) \mid x_0^2+\dots+x_n^2=1\}
\]
immer ein Atlas aus $2^{n+1}$ Karten mit den Koordinatenabbildungen
\[
\varphi_{i,\pm}
\colon
U_{i,\pm}
=
\{p\in S^n \mid \pm x_i >0\}
\to
\mathbb{R}^n
:
p\mapsto (x_1,\dots,\hat{x}_i,\dots,x_{n+1})
\]
konstruieren, der $S^n$ zu einer $n$-dimensionalen Mannigfaltigkeit macht.
\end{beispiel}
\subsubsection{Tangentialraum}
Mit Hilfe einer Karte $\varphi_\alpha\colon U_\alpha\to\mathbb{R}^n$
kann das Geschehen in einer Mannigfaltigkeit in den vertrauten
$n$-dimensionalen Raum $\mathbb{R}^n$ transportiert werden.
Eine Kurve $\gamma\colon \mathbb{R}\to M$, die so parametrisiert sein
soll, dass $\gamma(t)\in U_\alpha$ für $t$ in einer Umgebung $I$ von $0$ ist,
wird von der Karte in eine Kurve
$\gamma_\alpha=\varphi_\alpha\circ\gamma\colon I\to \mathbb{R}^n$
abgebildet,
deren Tangentialvektor wieder ein Vektor in $\mathbb{R}^n$ ist.
Eine zweite Karte $\varphi_\beta$ führt auf eine andere Kurve
mit der Parametrisierung
$\gamma_\beta=\varphi_\beta\circ\gamma\colon I \to \mathbb{R}^n$
und einem anderen Tangentialvektor.
Die beiden Tangentialvektoren können aber mit der Ableitung der
Koordinatenwechsel-Abbildung
$\varphi_{\beta\alpha}=\varphi_\beta\circ\varphi_\alpha^{-1}\colon
\varphi_\alpha(U_\alpha\cap U_\beta)\to \mathbb{R}^n$
ineinander umgerechnet werden.
Aus
\[
\gamma_\beta
=
\varphi_\beta\circ \gamma
=
(
\varphi_\beta
\circ
\varphi_\alpha^{-1}
)
\circ
\varphi_\alpha\circ\gamma
=
\varphi_{\beta\alpha}
\circ
\varphi_\alpha\circ\gamma
=
\varphi_{\beta\alpha}\circ\gamma_\alpha
\]
folgt durch Ableitung nach dem Kurvenparameter $t$ mit Hilfe der
Kettenregel, dass
\[
\frac{d}{dt}\gamma_\beta(t)
=
D\varphi_{\beta\alpha}
\cdot
\frac{d}{dt}\gamma_\alpha(t).
\]
Die Ableitung $D\varphi_{\beta\alpha}$ von $\varphi_{\beta\alpha}$
an der Stelle $\gamma_\alpha(t)$ berechnet also aus dem Tangentialvektor
einer Kurve in der Karte $\varphi_\alpha$ den Tangentialvektor der
Kurve in der Karte $\varphi_\beta$.
Die Forderung nach Differenzierbarkeit der Kartenwechselabbildungen
$\varphi_{\beta\alpha}$ stellt also nur sicher, dass die Beschreibung
eines Systemes mit Differentialgleichungen in verschiedenen
Koordinatensystemen auf die gleichen Lösungskurven in der
Mannigfaltigkeit führt.
Insbesondere ist die Verwendung von Karten also nur ein Werkzeug,
mit dem die Unmöglichkeit einer globalen Besschreibung einer
Mannigfaltigkeit $M$ mit einem einzigen globalen Koordinatensystem
ohne Singularitäten umgangen werden kann.
\begin{beispiel}
Das Beispiel des Kreises in Abbildung~\ref{buch:gruppen:fig:kartenkreis}
zeigt, dass die Tangentialvektoren je nach Karte sehr verschieden
aussehen können.
Der Tangentialvektor der Kurve $\gamma(t) = (x(t), y(t))$ im Punkt
$\gamma(t)$ ist $\dot{y}(t)$ in den Karten $\varphi_1$ und $\varphi_2$
und $\dot{x}(t)$ in den Karten $\varphi_3$ und $\varphi_4$.
Die spezielle Kurve $\gamma(t) = (\cos t,\sin t)$ hat in einem Punkt
$t\in (0,\frac{\pi}2)$
in der Karte $\varphi_1$ den Tangentialvektor $\dot{y}(t)=\cos t$,
in der Karte $\varphi_3$ aber den Tangentialvektor $\dot{x}=-\sin t$.
Die Ableitung des Kartenwechsels in diesem Punkt ist die $1\times 1$-Matrix
\[
D\varphi_{31}(\gamma(t))
=
-\frac{y(t)}{\sqrt{1-y(t)^2}}
=
-\frac{\sin t}{\sqrt{1-\sin^2 t}}
=
-\frac{\sin t}{\cos t}
=
-\tan t.
\]
Die Koordinatenumrechnung ist gegeben durch
\[
\dot{x}(t)
=
D\varphi_{31}(\gamma(t))
\cdot
\dot{y}(t).
\]
Für die spezielle Kurve $\gamma(t)=(\cos t,\sin t)$ wird dies zu
\[
D\varphi_{31}(\gamma(t))
\cdot
\dot{y}(t)
=
-\tan t\cdot \cos t
=
-\frac{\sin t}{\cos t}\cdot \cos t
=
-\sin t
=
\dot{x}(t).
\qedhere
\]
\end{beispiel}
Betrachtet man die Kreislinie als Kurve in $\mathbb{R}^2$,
dann ist der Tangentialvektor durch
$\dot{\gamma}(t)=(\dot{x}(t),\dot{y}(t))$ gegeben.
Da die Karten Projektionen auf die $x$- bzw.~$y$-Achsen sind,
entsteht der Tangentialvektor in der Karte durch Projektion
von $(\dot{x}(t),\dot{y}(t))$ auf die entsprechende Komponente.
Die Tangentialvektoren in zwei verschiedenen Punkten der Kurve können
im Allgemeinen nicht miteinander verglichen werden.
Darüber hinweg hilft auch die Tatsache nicht, dass die Kreislinie
in den Vektorraum $\mathbb{R}^2$ eingebettet sind, wo sich Vektoren
durch Translation miteinander vergleichen lassen.
Ein nichtverschwindender Tangentialvektor im Punkt $(1,0)$ hat,
betrachtet als Vektor in $\mathbb{R}^2$, verschwindende $x$-Komponente,
für Tangentialvektoren im Inneren eines Quadranten ist dies nicht
der Fall.
Eine Möglichkeit, einen Tangentialvektor in $(1,0)$ mit einem
Tangentialvektor im Punkt $(\cos t,\sin t)$ zu vergleichen, besteht
darin, den Vektor um den Winkel $t$ zu drehen.
Dies ist möglich, weil die Kreislinie eine kontinuierliche Symmetrie,
nämlich die Drehung um den Winkel $t$ hat, die es erlaubt, den Punkt $(1,0)$
in den Punkt $(\cos t,\sin t)$ abzubilden.
Erst diese Symmetrie ermöglicht den Vergleich.
Dieser Ansatz ist für alle Matrizengruppen generell erfolgreich,
wie wir später sehen werden.
Ein weiterer Ansatz, Tangentialvektoren zu vergleichen, ist die Idee,
einen sogenannten Zusammenhang zu definieren, eine Vorschrift, wie
\index{Zusammenhang}%
\index{Paralleltransport}%
Tangentialvektoren infinitesimal entlang von Kurven in der Mannigfaltigkeit
transportiert werden können.
Auf einer sogenannten {\em Riemannschen Mannigfaltigkeit} ist zusätzlich
zur Mannigfaltigkeitsstruktur die Längenmessung definiert.
\index{Riemannsche Mannigfaltigkeit}%
\index{Mannigfaltigkeit!Riemannsche}%
Sie kann dazu verwendet werden, den Transport von Vektoren entlang einer
Kurve so zu definieren, dass dabei Längen und Winkel erhalten bleiben.
\index{Längenmessung}%
Dieser Ansatz ist die Basis der Theorie der Krümmung sogenannter
Riemannscher Mannigfaltigkeiten.
\index{Krümmung}%
%\subsection{Der Satz von Noether
%\label{buch:subsection:noether}}
|