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author | Andreas Müller <andreas.mueller@ost.ch> | 2022-01-16 16:51:47 +0100 |
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+\begin{definition} +\label{buch:polynome:def:potenzreihe} +\index{Potenzreihe}% +Eine {\em Potenzreihe} an der Stelle $z_0$ ist eine unendliche Reihe +der Form +\[ +f(z) += +\sum_{k=0}^\infty a_k (z-z_0)^k +\] +mit Koeffizienten $a_k\in \mathbb{R}$ oder $a_k\in\mathbb{C}$. +\end{definition} + +Die Berechnung einer Potenzreihe ist möglich, wenn die Terme höheren +Grades an Bedeutung verlieren. + +\begin{definition} +\index{Partialsumme}% +\index{konvergent, Potenzreihe}% +Eine Potenzreihe heisst {\em konvergent}, die Folge der {\em Partialsummen} +\[ +s_n = \sum_{k=0}^n a_k(z-z_0)^k +\] +konvergiert. +Sie heisst absolut konvergent, wenn die Reihe +\[ +\sum_{k=0}^\infty |a_k (z-z_0)^k| +\] +konvergiert. +\end{definition} +Die Koeffizienten $a_k$ dürfen also nicht schnell anwachsen +werden, denn normalerweise wird bei Polynomen das Verhalten von den +Termen höheren Grades dominiert. +Die Tschebyscheff-Polynome waren ja so konstruiert worden, dass +es nicht zu unzweckmässig starken Oszillationen im Intervall $(-1,1)$ +kommt. + +% +% Geometrische Reihe +% \subsection{Die geometrische Reihe \label{buch:potenzen:potenzreihen:section:geometrische}} +Die wohl einfachste Potenzreihe ist die Reihe mit Koeffizienten +$a_k=a$ für alle $k$, also +\[ +f(z) += +\sum_{k=0}^\infty az^k += +a+az+az^2+az^3+az^4+\dots +\] +Sie ist charakterisiert durch die Eigenschaft, dass aufeinanderfolgende +Reiheglieder den konstanten Quotienten $z$ haben. +Diese Idee wird +in Abschnitt~\ref{buch:rekursion:section:hypergeometrische-funktion} +auf Quotienten verallgemeinert, die rationale Funktionen sind. +Sie heissen hypergeometrische Funktionen. +\index{hypergeometrische Funktion}% + +Sie ist konvergent für $|z|<1$ und divergent für $|z|\ge 1$. +Sie heisst die {\em geometrische Reihe}. +Sie wird gerne als ``Vergleichsreihe'' eingesetzt um die +Konvergenz oder Divergenz anderer Reihen nachzuweisen. + +Die geometrische Reihe lässt sich direkt summieren. +Dazu betrachtet man die Differenz der Partialsumme $s_n$ und $zs_n$: +\[ +\renewcommand{\arraycolsep}{2pt} +\begin{array}{rcrcrcrcrcrcrl} + s_n &=& a&+&az&+&az^2&+&\dots&+&az^n& & &\multirow{2}{*}{\hspace{3pt}$\biggl\}\mathstrut-\mathstrut$}\\ +z\phantom{)}s_n &=& & &az&+&az^2&+&\dots&+&az^n&+&az^{n+1\phantom{.}}&\\ +\hline +(1-z)s_n&=& a& & & & & & & & &-&az^{n+1}.& +\end{array} +\] +Durch Auflösen nach $s_n$ erhält man die Summenformel +\[ +s_n = a\frac{1-z^{n+1}}{1-z}. +\] +Für $|z|<1$ geht $z^n\to 0$ für $n\to\infty$, die Partialsummen +konvergieren und wir erhalten das Resultat des folgenden Satzes. + +\begin{satz} +\label{buch:polynome:satz:geometrischereihe} +Die geometrische Reihe $a+az+az^2+\dots$ konvergiert für $|z|<1$ und hat +die Summe +\[ +\sum_{k=0}^\infty az^k = \frac{a}{1-z}. +\] +Für $|z|\ge 1$ divergiert die geometrische Reihe. +\end{satz} + +% +% Konvergenzkriterien +% +\subsection{Konvergenzkriterien +\label{buch:potenzen:potenzreihen:section:konvergenzkriterien}} +Die Konvergenz von Reihen ist oft durch Vergleich mit anderen, bereits +als konvergent erkannten Reihen nachweisbar. +Dies ist der Inhalt des folgenden, wohlbekannten Majorantenkriteriums. + +\begin{satz}[Majorantenkriterium] +\label{buch:polynome:satz:majorantenkriterium} +\index{Majorantenkriterium} +Seien $a_k$ und $b_k$ die Glieder zweier unendlicher Reihen. +Es sei zudem $b_k\ge 0$ für alle $k$ und die Reihe +$\sum_{k=0}^\infty b_k$ sei konvergent. +Wenn $|a_k|\ge b_k$ ist für fast alle $k$, dann ist die Reihe +\( +\sum_{k=}^\infty a_k +\) +absolut konvergent. +\end{satz} + +\subsubsection{Quotienten- und Wurzelkriterium} +Der Satz~\ref{buch:polynome:satz:geometrischereihe} ermöglicht, +Potenzreihen mit der geometrischen Reihe zu vergleichen und +liefert damit einfach anzuwende Kriterien für die Konvergenz. + +\begin{satz}[Quotientenkriterium] +\label{buch:polynome:satz:quotientenkriterium} +\index{Quotientenkriterium}% +Eine Reihe +\( +\sum_{k=0}^\infty a_k +\) +ist absolut konvergent, wenn es eine Zahl $q<1$ gibt derart, dass +\begin{equation} +\biggl|\frac{a_{k+1}}{a_k}\biggr|\le q. +\label{buch:polynome:eqn:quotienten-kriterium} +\end{equation} +Die Reihe ist divergent, wenn für fast alle $k$ +\[ +\biggl|\frac{a_{k+1}}{a_k}\biggr| \ge 1 +\] +gilt. +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Wenn \eqref{buch:polynome:eqn:quotienten-kriterium} erfüllt ist, dann +gilt +\[ +|a_k| \le |a_0| q^k +\] +und damit ist die Reihe majorisiert durch die geometrische Reihe +\[ +\sum_{k=0}^\infty +|a_0|q^k, +\] +die unter der gegebenen Voraussetzung konvergiert. +\end{proof} + +\begin{satz}[Wurzelkriterium] +\label{buch:polynome:satz:wurzelkriterium} +\index{Wurzelkriterium} +Falls +\begin{equation} +\limsup_{n\to\infty} \root{n}\of{|a_n|} = C < 1 +\label{buch:polynome:eqn:wurzel-kriterium} +\end{equation} +ist die Reihe +\( +\sum_{k=0}^\infty a_k +\) +absolut konvergent. +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Falls $\root{k}\of{|a_k|}\le q<1$, dann gilt +$|a_k|<q^k$ für alle $k$. +Somit wird die Reihe majorisiert durch die geometrische Reihe +mit Quotient $q$ und ist damit konvergent. + +Das Kriterium \eqref{buch:polynome:eqn:wurzel-kriterium} bedeutet, +dass es zu einem gegebenen $\varepsilon > 0$ ein $N$ gibt derart, +dass $\root{n}\of{|a_k|} < C+\varepsilon$ für $n>N$. +Wählt man $\varepsilon = (1-C)/2$ wird $q=C+\varepsilon=(1+C)/2<1$, +das Reststück der Reihe ab Index $N$ ist daher wieder majorisiert +durch eine konvergente geometrische Reihe. +\end{proof} + +\subsubsection{Konvergenzradius} +Das Quotienten- und das Wurzel-Kriterium ist auf beliebige Reihen +anwendbar, es berücksichtigt nicht, dass in einer Potenzreihe +die Faktoren $(z-z_0)^k$ für kleine $|z-z_0|$ das Kleiner werden +der Reihenglieder und damit die Konvergenz begünstigen. +Diese Eigenschaft wird vom Konvergenzradius eingefangen, der wie +folgt definiert ist. + +\begin{definition} +\label{buch:polynome:definition:konvergenzradius} +\index{Konvergenzradius}% +Der {\em Konvergenzradius} einer Potenzreihe $\sum_{k=0}^\infty a_k(z-z_0)^k$ +um den Punkt $z_0$ ist +\[ +\varrho = \sup \biggl\{ |z-z_0|\;\bigg|\; +\text{$\displaystyle\sum_{k=0}^\infty a_k(z-z_0)^k$ konvergiert} +\biggr\}. +\] +\end{definition} + +\begin{satz} +\label{buch:polynome:satz:konvergenzradius} +Der Konvergenzradius $\varrho$ einer Potenzreihe +$\sum_{k=0}^\infty a_k(z-z_0)^k$ ist +\begin{equation} +\frac{1}{\varrho} += +\limsup_{k\to\infty} \root{n}\of{|a_k|}. +\label{buch:polynome:eqn:konvergenzradius} +\end{equation} +\end{satz} + +\begin{proof}[Beweis] +Wir wenden das Wurzelkriterium auf ein $z$ mit $|z-z_0|<\varrho$ an. +Es gilt +\[ +\root{k}\of{|a_k(z-z_0)^k|} += +|z-z_0|\root{k}\of{|a_k|} +\qquad +\Rightarrow +\qquad +\limsup_{k\to\infty}\root{k}\of{|a_k(z-z_0)^k|} += +|z-z_0| \underbrace{\limsup_{k\to\infty}\root{k}\of{|a_k|}}_{\displaystyle=\frac{1}{\varrho}} +< +1. +\] +Nach dem Wurzelktrierium folgt daher, dass die Reihe +$\sum_{k=0}^\infty a_k(z-z_0)^k$ absolut konvergent ist. +\end{proof} + +\begin{beispiel} +Der Konvergenzradius der geometrischen Reihe $1+z+z^2+\dots$ ist +\[ +\frac{1}{\varrho} += +\limsup_{n\to\infty} \root{n}\of{|a_n|} += +\limsup_{n\to\infty} \root{n}\of{1} += +1. +\] +Dies deckt sich mit der bereits bekannten Tatsache, dass die +geometrische Reihe für $|z|<1$ konvergiert. +Man beachte auch, dass der Konvergenzradius genau die Entfernung +vom Entwicklungspunkt $z_0=0$ und dem Pol der Summe $1/(1-z)$ bei +$z=1$ ist. +Auf diese allgemeingültige Eigenschaft wird in Abschnitt +\ref{buch:funktionentheorie:subsection:konvergenzradius} +eingegangen. +\end{beispiel} + +% +% Tayler-Reihe +% +\subsection{Die Taylor-Reihe +\label{buch:polynome:subsection:taylor-reihe}} +Nicht nur der Funktionswert eines Polynoms, sondern auch alle +seine Ableitungen sind sehr einfach zu berechnen. +Dies macht Potenzreihen besonders nützlich im Zusammenhang +mit Lösungen von Differentialgleichungen, wie in Abschnitt +\ref{buch:differentialgleichungen:section:potenzreihenmethode} +untersucht werden wird. +In diesem Abschnitt wird die Taylor-Reihe motiviert, die sich +aus den Ableitungen einer differenzierbaren Funktion konstruieren +lässt. + +\subsubsection{Ableitung einer Potenzreihe} +Eine Potenzreihe +$f(z)=\sum_{k=0}^n a_kz^k$ +kann gliedweise abgeleitet werden. +Die $k$-te Ableitung ist +\[ +f^{(k)}(z) += +\sum_{n=0}^\infty n(n-1)\cdots(n-k+1) a_nz^{n-k}, +\] +aufeinanderfolgende Terme dieser Reihe haben den Quotienten +\[ +\frac{ +(n+1)n(n-1)\cdots(n-k+2)\phantom{(n-k+1)} +}{ +\phantom{(n+1)}n(n-1)\cdots(n-k+2)(n-k+1) +} +\cdot +\biggl| +\frac{a_{n+1}z^{n+1}}{a_nz^n} +\biggr| += +\frac{n+1}{n-k+1} +\cdot +\biggl| +\frac{a_{n+1}}{a_n} +\biggr| +\cdot|z|. +\] +Da der Quotient $(n+1)/(n-k+1)\to 1$ für $n\to\infty$, ist das +Quotientenkriterium für die Ableitung erfüllt, wenn $|z|$ klein genug ist +und das Kriterium für die Potenzreihe $f(z)$ erfüllt ist. + +\subsubsection{Konvergenzradius der abgeleiteten Reihe} +Der Konvergenzradius $\varrho^{(k)}$ der $k$-fach abgeleiteten Reihe ist +\begin{align*} +\root{n}\of{\mathstrut(n+k)(n+k-1)\cdots(n+1) |a_{n+k}|} +&= +\root{n}\of{\mathstrut(n+k)(n+k-1)\cdots(n+1)} +\cdot +\root{n}\of{|a_{n+k}|} +\end{align*} +mit Limes superior +\begin{align*} +\frac{1}{\varrho^{(k)}} +&= +\limsup_{n\to\infty} +\root{n}\of{\mathstrut(n+k)(n+k-1)\cdots(n+1) |a_{n+k}|} +\\ +&= +\underbrace{ +\lim_{n\to\infty} +\root{n}\of{\mathstrut(n+k)(n+k-1)\cdots(n+1)} +}_{\displaystyle\to 1} +\cdot +\underbrace{ +\limsup_{n\to\infty} +\root{n}\of{\mathstrut|a_{n+k}|} +}_{\displaystyle\to\frac{1}{\varrho}} += +\frac{1}{\varrho}, +\end{align*} +die abgeleitet Reihe hat also den gleichen Konvergenzradius wie die +Reihe für $f(z)$. + +\subsubsection{Berührung $k$-ten Grades} +Man sagt, die Graphen zweier Funktionen $f(z)$ und $g(z)$ berühren +sich im Punkt $z=z_0$ vom Grade $k$, wenn Funktionswerte und +Ableitungen bis zum Grad $k$ beider Funktionen in $z_0$ übereinstimmen. +Die Ableitungen der Potenzfunktion $(z-z_0)^n$ sind nacheinander +\begin{align*} +\frac{d}{dz}(z-z_0)^n&= n(z-z_0)^{n-1}, +\\ +\frac{d^2}{dz^2}(z-z_0)^n&=n(n-1)(z-z_0)^{n-2}, +\\ +\frac{d^3}{dz^3}(z-z_O)^n&=n(n-1)(n-2)(z-z_0)^{n-3}, +\\ +&\vdots +\\ +\frac{d^k}{dz^k}(z-z_0)^n&=n(n-1)(n-2)\dots(n-k+1)(z-z_0)^{n-k}, +\\ +&\vdots +\\ +\frac{d^n}{dz^n}(z-z_0)^n&=n!, +\\ +\frac{d^l}{dz^l}(z-z_0)^n&=0\qquad\forall l>n. +\end{align*} +An der Stelle $z=0$ ist nur genau die $n$-te Ableitung von $0$ verschieden +und hat den Wert $n!$. +Zwei Funktionen $f(z)$ und $g(z)$, die als Potenzreihen im Punkt $z_0$ +geschrieben werden, berühren sich also genau dann vom Grad $k$, wenn +die Funktionswerte und Ableitungen übereinstimmen, d.~h. +\begin{equation} +\left. +\begin{aligned} +f(z)&=\sum_{l=0}^\infty a_l(z-z_0)^l \\ +g(z)&=\sum_{l=0}^\infty b_l(z-z_0)^l +\end{aligned} +\right\} +\quad\Rightarrow\quad +f^{(l)}(z_0) = g^{(l)}(z_0) +\quad\Rightarrow\quad +l!a_l = l!b_l +\quad\Rightarrow\quad +a_l=b_l +\end{equation} +für $l\le k$. +Das Taylor-Polynom ist ein Polynom, welches die gegeben Funktion +von hohem Grad berührt. + +\begin{definition} +\label{buch:polynome:definition:taylor-reihe} +\index{Taylor-Polynom}% +Sie $f(z)$ eine beliebig oft stetig differenzierbare Funktion. +Das {\em Taylor-Polynome} vom Grad $n$ von $f(z)$ an der Stelle +$z_0$ ist die Summe +\begin{equation} +\mathscr{T}_{z_0}^nf (z) += +\sum_{k=0}^n +\frac{f^{(k)}(z_0)}{k!} (z-z_0)^k +\label{buch:polynome:eqn:taylor-polynom} +\end{equation} +\index{Taylor-Reihe} +Die {\em Taylor-Reihe} der Funktion $f(z)$ ist die Reihe +\begin{equation} +\mathscr{T}_{z_0}f (z) += +\sum_{k=0}^\infty +\frac{f^{(k)}(z_0)}{k!} (z-z_0)^k. +\label{buch:polynome:eqn:taylor-reihe} +\end{equation} +\end{definition} + + +\subsubsection{Analytische Funktionen} +Das Taylor-Polynom $\mathscr{T}_{z_0}^nf(z)$ hat an der Stelle $z_0$ +die gleichen Funktionswerte und Ableitungen wie die Funktion $f(z)$, +dies bedeutet aber nicht, dass die Taylorreihe gegen die Funktion +konvergiert. +Das Beispiel auf +Seite~\pageref{buch:funktionentheorie:beispiel:nichtanalytisch} +zeigt, dass dies nicht immer zutrifft. +Von besonderem Interesse sind die Funktionen, die sich durch eine +konvergente Taylor-Reihe ausdrücken lassen. + +\begin{definition} +\label{buch:polynome:def:analytisch} +\index{analytisch}% +Eine Funktion heisst analytisch, wenn sie sich durch eine +konvergente Potenzreihe darstellen lässt. +\end{definition} + +Die Klasse der analytischen Funktionen umfasst also nicht alle +differenzierbaren Funktionen. +Da aber Potenzreihen Gleidweise differenziert und integriert werden +dürfen, können die meisten Konstruktionen der Analysis bis hin zur +Lösung partieller Differentialgleichungen innerhalb der analytischen +Funktionen durchgeführt werden. +Es ist daher nicht überraschend, dass alle in diesem Buch studierten +speziellen Funktionen analytisch sind. + + |