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--- /dev/null
+++ b/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex
@@ -0,0 +1,606 @@
+%
+% fehlerfunktion.tex
+%
+% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule
+%
+\section{Die Fehlerfunktion
+\label{buch:integrale:section:fehlerfunktion}}
+\rhead{Fehlerfunktion}
+Die Wahrscheinlichkeitsdichte einer normalverteilten Zufallsvariable $X$
+mit Erwartungswert $\mu$ und Varianz $\sigma^2$ ist
+\begin{equation}
+\varphi(x)
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma}
+e^{-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}}.
+\label{buch:integrale:eqn:normaldichte}
+\end{equation}
+Die Verteilungsfunktion der Zufallsvariable ist dann durch das Integral
+\begin{equation}
+f(x)
+=
+F_X(x)
+=
+P(X\le x)
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma}
+\int_{-\infty}^x
+e^{-\frac{(t-\mu)^2}{2\sigma^2}}
+\,dt
+\label{buch:integrale:eqn:normalverteilung}
+\end{equation}
+gegeben.
+Die Erfahrung zeigt, dass es nicht möglich ist, das
+Integral~\eqref{buch:integral:eqn:normalverteilung}
+in geschlossener Form auszuwerten.
+Die Funktion $F_X(x)$ ist offenbar eine in Anwendungen nützliche und
+häufig gebrauchte Funktion, die es verdient, in eine Standardbibliothek
+von Funktion aufgenommen zu werden.
+Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass die neu zu definierende
+spezielle Funktion möglichst auch für andere Anwendungen verwendet
+werden kann, wie zum Beispiel die Berechnung gewisser Laplace-Transformierter.
+Im Folgenden soll gezeigt werden, in welcher Form genau dies geschehen
+kann.
+
+%
+% Vereinfachung des Integrals durch Standardisierung
+%
+\subsection{Standardisierung}
+Die Formel~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} enthält die zwei
+Parameter $\mu$ und $\sigma$, sie ist daher als Basis für eine neue
+spezielle Funktion nicht geeignet.
+In diesem Abschnitt sollen sie eliminiert werden mit dem Ziel, ein
+neues, einfacheres Integral zu definieren, aus dem sich
+\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} leicht berechnen lässt.
+
+\subsubsection{Elimination der Parameter $\mu$ und $\sigma$}
+Aus der Wahrscheinlichkeitstheorie ist bekannt, dass zu einer
+Zufallsvariablen $X$ mit Erwartungswert $E(X)=\mu$ und Varianz
+$\operatorname{var}(X)=\sigma^2$ immer eine Zufallsvariable
+gefunden werden kann mit Erwartungswert $0$ und Varianz $1$.
+Tatsächlich bekommt man für die standardisierte Zufallsvariable
+\begin{equation}
+Z = \frac{X-\mu}{\sigma}
+\label{buch:integrale:eqn:standardisierung}
+\end{equation}
+die Werte
+\begin{align*}
+E(Z)
+&=
+E\biggl(\frac{X-\mu}{\sigma}\biggr)
+=
+\frac{E(X)-\mu}{\sigma}
+=
+\frac{\mu-\mu}{\sigma}
+=
+0
+\\
+\text{und}\qquad
+\operatorname{var}(Z)
+&=
+\operatorname{var}\biggl(\frac{X-\mu}{\sigma}\biggr)
+=
+\frac{\operatorname{var}(X)}{\sigma^2}
+=
+1,
+\end{align*}
+wie versprochen.
+Dies bedeutet, dass sich das Integral~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung}
+durch ein Integral ausdrücken lassen muss, in der die Parameter $\mu$
+und $\sigma$ nicht mehr vorkommen.
+
+Die Standardisierungsformel~\eqref{buch:integrale:eqn:standardisierung}
+deutet auch bereits an, wie man das
+Integral~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} vereinfachen kann.
+Dazu führen wir die Substitution $z=(t-\mu)/\sigma$ aus und erhalten
+\begin{align*}
+f(x)
+&=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma}
+\int_{-\infty}^x e^{-\frac{(t-\mu)^2}{2\sigma^2}}\,dt
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma}
+\int_{\infty}^{(x-\mu)/\sigma}
+e^{-\frac{z^2}2}\,\sigma dz
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}}
+\int_{-\infty}^{\frac{x-\mu}{\sigma}} e^{-\frac{z^2}2}\,dz.
+\end{align*}
+Das Integral auf der rechten Seite enthält die Parameter $\mu$ und
+$\sigma$ nur noch in der Integrationsgrenze.
+Es kann durch die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion der
+Standardnormalverteilung
+\begin{equation}
+\Phi(x) = \frac{1}{\sqrt{2\pi}} \int_{-\infty}^x e^{-\frac{z^2}2}\,dz
+\label{buch:integrale:eqn:standardnormalverteilung}
+\end{equation}
+ausgedrückt werden, es ist
+\[
+F_X(x) = \Phi\biggl(\frac{x-\mu}{\sigma}\biggr).
+\]
+Die Funktion $\Phi(x)$ ist daher in guter Kandidate für eine neue spezielle
+Funktion.
+
+\subsubsection{Die Funktion $\operatorname{erf}(x)$}
+Die Funktion \eqref{buch:integrale:eqn:standardnormalverteilung} hat
+einige Nachteile, die sich als Barriere für die numerische
+Berechnung der Funktionswerte herausstellen könnte.
+
+Zunächst ist $\Phi(x)$ als ein uneigentliches Integral definiert.
+Eine direkte numerische Integration muss daher über ein sehr grosses
+Interval erstreckt werden, um die Genauigkeit garantieren zu können.
+Jedoch ist bekannt, dass $\Phi(0)=\frac12$, denn
+\[
+\Phi(0)
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}}
+\int_{-\infty}^0 e^{-\frac{z^2}2}\,dz
+=
+\frac12\cdot\underbrace{\frac{1}{\sqrt{2\pi}}
+\int_{-\infty}^{\infty} e^{-\frac{z^2}2}\,dz}_{\displaystyle=1}
+=
+\frac12.
+\]
+Man kann daher schreiben
+\begin{equation}
+\Phi(x) = \frac12 + \frac{1}{\sqrt{2\pi}}\int_0^x e^{-\frac{z^2}{z}}\,dz.
+\label{buch:integrale:eqn:Phireduziert}
+\end{equation}
+Das Integral auf der rechten Seite ist ein gewöhnliches Integral und ist
+damit viel einfacher zu berechnen.
+
+Am Integral in~\eqref{buch:integrale:eqn:Phireduziert} ist aber noch etwas
+unerfreulich, dass der Exponent komplizierter ist als nötig.
+Mit Hilfe der Variablentransformation $u = z/\sqrt{2}$ erhalten wir
+aus dem Integral in~\eqref{buch:integrale:eqn:Phireduziert}
+\begin{align*}
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}}
+\int_0^x e^{-\frac{z^2}2}\,dz
+=
+\frac{1}{\sqrt{2\pi}}
+\int_0^{x/\sqrt{2}}
+e^{-u^2} \, \sqrt{2}\,du
+=
+\frac{1}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^{x/\sqrt{2}}
+e^{-u^2} \,du.
+\end{align*}
+Damit sind wir bei einer Funktion angekommen, die sich gut als spezielle
+Funktion eignet.
+
+\begin{definition}
+Die Fehlerfunktion $\operatorname{erf}(x)$ ist die Funktion
+\index{Fehlerfunktion}%
+\index{erf(x)@$\operatorname{erf}(x)$}%
+\[
+\operatorname{erf}
+\colon
+\mathbb{R}\to [0,1]
+:
+x
+\mapsto
+\operatorname{erf}(x)
+:=
+\frac{2}{\pi}
+\int_0^x e^{-u^2}\,du.
+\]
+\end{definition}
+
+\begin{figure}
+\centering
+\includegraphics{chapters/060-integral/images/erf.pdf}
+\caption{Graph der Fehlerunktion $\operatorname{erf}(x)$
+\label{buch:integrale:fig:erf}}
+\end{figure}
+Die Funktion $\operatorname{erf}$ nimmt Werte zwischen $-1$ und $1$ an,
+wie man in Abbildung~\ref{buch:integrale:fig:erf} sehen kann.
+Die horizontalen Geraden $y=\pm 1$ sind Asymptoten.
+Die exakte Berechnung von $\operatorname{erf}(x)$ für sehr grosse Werte
+des Argumentes gestaltet sich schwierig, da es zur starker Auslöschung
+kommen kann.
+Da die Funktionswerte $\operatorname{erf}(x)$ sehr nahe bei $1$ sind,
+lohnt es sich, nicht $\operatorname{erf}(x)$, sondern $1-\operatorname{erf}(x)$
+zu berechnen.
+
+\begin{definition}
+\index{komplementäre Fehlerfunktion}
+\index{Fehlerfunktion, komplementäre}
+\index{erfc(x)@$\operatorname{erfc}(x)$}
+Die {\em komplementäre Fehlerfunktion} ist die Funktion
+\[
+\operatorname{erfc}
+\colon
+\mathbb{R} \to [0,2]
+:
+x\mapsto
+\operatorname{erfc}(x)
+:=
+1-\operatorname{erf}(x)
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}\int_x^\infty e^{-u^2}\,du.
+\]
+Die {\em verallgemeinerte Fehlerfunktion} ist definiert als
+\[
+\operatorname{erf}(a,b)
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_a^b e^{-u^2}\,du.
+\]
+\end{definition}
+
+Mit der Fehlerfunktion kann die Standardnormalverteilungsfunktion jetzt
+als
+\[
+\Phi(x)
+=
+\frac12
++
+\frac12\operatorname{erf}\biggl( \frac{x}{\sqrt{2}} \biggr)
+=
+\frac12\biggl(
+1+\operatorname{erf}\biggl(\frac{x}{\sqrt{2}}\biggr)\biggr)
+\]
+ausdrücken.
+Die Verteilungsfunktion einer normalverteilten Zufallsvariable mit
+Erwartungswert $\mu$ und Varianz $\sigma^2$ kann ebenfalls mit
+\[
+F_X(x)
+=
+\frac12\biggl(
+1+\operatorname{erf}\biggl(\frac{x-\mu}{\sqrt{2}\sigma}\biggr)
+\biggr)
+\]
+berechnet werden.
+Die Fehlerfunktion ist also eine ``gute'' spezielle Funktion, die
+die Berechnung von Wahrscheinlichkeitswerten von normalverteilten
+Zufallsvariablen vereinfacht.
+
+\subsection{Laplace-Transformation}
+Wir berechnen die Laplace-Transformierte der Funktion
+\[
+f(t) = \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr).
+\]
+Nach Definition der Laplace-Transformation ist dies die Funktion
+\begin{align*}
+\mathscr{L}f(s)
+&=
+\int_0^\infty
+e^{-st} \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr)
+\,dt
+=
+\int_0^\infty
+e^{-st}
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^{\frac{a}{2\sqrt{t}}}
+e^{-x^2}
+\,dx
+\,dt.
+\end{align*}
+Das Integrationsgebiet $G$ ist der Teil des ersten Quadranten der
+$t$-$x$-Ebene, für den die Ungleichung $x \le a/2\sqrt{t}$ gilt.
+Dies ist gleichbedeutend mit $t \le a^2/4x^2$.
+Vertauscht man die Integrationsreihenfolge, erhält man
+\begin{align}
+\mathscr{L}f(s)
+&=
+\int_G
+e^{-st}
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+e^{-x^2}
+\,dx \,dt
+=
+\int_0^\infty
+\int_0^{\frac{a^2}{4x^2}}
+e^{-st}
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+e^{-x^2}
+\,dt
+\,dx
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^\infty
+e^{-x^2}
+\int_0^{\frac{a^2}{4x^2}}
+e^{-st}
+\,dt
+\,dx
+\notag
+\\
+&=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^\infty
+e^{-x^2}
+\biggl[
+-\frac1{s}e^{-st}
+\biggr]_0^{\frac{a^2}{4x^2}}
+\,dx
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^\infty
+e^{-x^2}
+\frac1{s}
+\biggl(
+1-e^{-\frac{sa^2}{4x^2}}
+\biggr)
+\,dx
+\notag
+\\
+&=
+\frac{1}{s}
+\cdot
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}\int_0^\infty e^{-x^2}\,dx
+-
+\frac1{s}
+\cdot
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^\infty
+e^{-x^2-\frac{sa^2}{4x^2}}
+\,dx
+\notag
+\\
+&=
+\frac1s\lim_{x\to\infty} \operatorname{erf}(x)
+-
+\frac1s
+\cdot
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^\infty e^{-\left(x^2+\frac{sa^2}{4x^2}\right)}\,dx.
+\label{buch:integrale:eqn:laplaceerf}
+\end{align}
+Der Grenzwert im ersten Term ist nach Definition der Fehlerfunktion $1$.
+Schreiben wir $b=a\sqrt{s}/2$, dann wird das Integral im zweiten Term
+\begin{equation}
+I(b)
+=
+\int_0^\infty e^{-\left(x^2+\frac{sa^2}{4x^2}\right)}\,dx
+=
+\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x^2+\frac{b^2}{x^2}\biggr)\biggr)\,dx.
+\label{buch:integrale:eqn:Ibsumme}
+\end{equation}
+Den Exponenten im Integranden kann man wie folgt als quadratischen
+Ausdruck in $x\pm a/x$ schreiben:
+\begin{equation*}
+\begin{aligned}
+%\biggl(
+x^2 + \frac{b^2}{x^2}
+%\biggr)
+&=
+\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2 - 2b
+\\
+&=
+\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2 + 2b.
+\end{aligned}
+\end{equation*}
+Man kann also das Integral $I(b)$ auf die eine oder andere Art als
+\begin{equation}
+\begin{aligned}
+I(b)
+&=
+\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2+2b\biggr)\,dx
+\\
+\text{oder}\quad\phantom{I(b)}
+&=
+\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2-2b\biggr)\,dx
+\end{aligned}
+\label{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale}
+\end{equation}
+schreiben.
+Die Faktoren $e^{\pm 2b}$ können aus dem Integral genommen werden.
+Trotzdem kann man das Integral nicht einfach ausführen.
+
+Die Substitution $y=x\pm\frac{b}{x}$ vereinfacht den Integranden
+\eqref{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale}
+zwar zu $e^{-y^2}$, aber die Substitution für $dx$ liefert
+\begin{equation}
+y=x\pm\frac{b}{x}
+\qquad\Rightarrow\qquad
+dy = \biggl(1\mp \frac{b}{x^2}\biggr)\,dx.
+\label{buch:integrale:eqn:dy}
+\end{equation}
+Dies kann für die Berechnung von $I(b)$ verwendet werden.
+Zunächst folgt aus \eqref{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale},
+dass jede konvexe Kombination der beiden Integrale mit Koeffizienten,
+die sich zu $1$ summieren, wieder $I(b)$ erbibt.
+Wählen wir die Koeffizienten
+\[
+\frac12\biggl(1\mp\frac{b}{x^2}\biggr),
+\]
+dann heben sich die Terme mit $b/x^2$ weg, wir erhalten die
+konvexe Kombination
+\[
+I(b)
+=
+\frac12
+\cdot
+\underbrace{
+\int_0^\infty
+\biggl(1-\frac{b}{x^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx
+}_{\displaystyle=I_+(b)}
+\mathstrut
+\cdot e^{2b}
++
+\frac12
+\underbrace{
+\int_0^\infty
+\biggl(1+\frac{b}{x^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx
+}_{\displaystyle=I_-(b)}
+\mathstrut
+\cdot e^{-2b},
+\]
+die aus zwei Integralen besteht, die einfacher berechnet werden können.
+
+Im Integral $I_-(b)$ können wir die Substition \eqref{buch:integrale:eqn:dy}
+und erhalten
+\begin{align*}
+I_-(b)
+&=
+\int_{-\infty}^\infty
+\biggl(1+\frac{b}{x^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx
+=
+\int_{-\infty}^\infty e^{-y^2}\,dy
+=
+\frac{\sqrt{\pi}}2
+\end{align*}
+nach Definition der Fehlerfunktion.
+
+Das erste Integral $I_+(b)$ ist etwas schwieriger zu berechnen.
+Die Substition $z=b/x$ bildet das Integrationsinterval auf sich selbst ab,
+aber die Integrationsrichtung kehrt um.
+Mit
+\[
+dz = -\frac{b}{x^2}\,dx
+\qquad\Rightarrow\qquad
+dx = -\frac{z^2}{b}\,dz
+\]
+erhalten wir jetzt
+\begin{align*}
+I_+(b)
+&=
+\int_0^\infty
+\biggl(1-\frac{b}{x^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx
+\\
+&=
+\int_{\infty}^0
+\biggl(1-\frac{b}{b^2/z^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\,
+\biggl(-\frac{b}{z^2}\biggr)\,dz
+\\
+&=
+\int_{0}^{\infty}
+\biggl(1-\frac{b}{b^2/z^2}\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\,
+\frac{b}{z^2}\,dz
+\\
+&=
+\int_{0}^{\infty}
+\biggl(\frac{b}{z^2}-1\biggr)
+\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\,
+dz
+=
+-I_+(b).
+\end{align*}
+Indem man auf beiden Seiten $I_+(b)$ addiert erhält man nun $2I_+(b)=0$,
+also auch $I_+(b)=0$.
+Das Integral $I_+(b)$ verschwindet also, $I_+(b)=0$.
+
+Nach all diesen Zwischenrechnungen können wir jetzt das Integral $I(b)$
+zusammensetzen.
+Wir finden
+\begin{align*}
+I(b)
+&=
+\frac12e^{2b} I_+(b) +\frac12e^{-2b} I_-(b)
+\\
+&=
+\frac12e^{-a\sqrt{s}}\cdot \frac{\sqrt{\pi}}{2}.
+\end{align*}
+Einsetzen in \eqref{buch:integrale:eqn:laplaceerf} gibt jetzt das
+Resultat für die Laplace-Transformierte von $f(t)$, sie ist
+\[
+\mathscr{L}f(s)
+=
+\frac1s - \frac1s\cdot\frac{2}{\sqrt{\pi}} I(b)
+=
+\frac1s\biggl(1-\frac12e^{-a\sqrt{s}} \biggr).
+\]
+
+\begin{satz} Die Laplace-Transformierte der Fehlerfunktion mit Argument
+$a/2\sqrt{t}$ ist
+\begin{equation}
+f(t) = \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr)
+\qquad\multimapdotbothA\qquad
+\mathscr{L}f(s)
+=
+\frac1s\biggl(1-\frac12e^{-a\sqrt{s}}\biggr).
+\end{equation}
+\end{satz}
+
+
+
+
+\subsection{Berechnungsmethoden}
+Die Fehlerfunktion kann natürlich mit numerischen Integrationsmethoden
+berechnet werden.
+Diese verlangen jedoch typischerweise die Auswertung des Integranden
+an einer grossen Zahl von Stützstellen.
+Im vorliegenden Falle müsste die transzendente Exponentialfunktion
+sehr häufig berechnet werden, was zu sehr langer Laufzeit führt.
+Gefragt sind daher Berechnungsverfahren, die möglichst nur arithmetische
+Operationen verwenden, die sehr schnell in Hardware ausgeführt werden
+können.
+
+\subsubsection{Taylorreihe}
+Die Fehlerfunktion ist das Integral einer Exponentialfunktion, die mit
+Hilfe einer Potenzreihe für beliebige Argumente berechnet werden kann.
+Aus
+\[
+e^x
+=
+1+x+\frac{x^2}{2!}+\frac{x^3}{3!} + \dots
+=
+\sum_{k=0}^\infty \frac{x^k}{k!}
+\]
+erhalten wir die Potenzreihe
+\begin{equation}
+e^{-t^2}
+=
+\sum_{k=0}^{\infty}
+(-1)^k
+\frac{t^{2k}}{k!},
+\label{buch:integrale:eqn:erftaylor}
+\end{equation}
+die für alle Werte von $t$ konvergiert.
+
+Da die Reihe
+\eqref{buch:integrale:eqn:erftaylor}
+absolut konvergiert, darf man sie gliedweise integrieren und erhält
+\begin{equation}
+\operatorname{erf}(x)
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\int_0^x
+e^{-t^2}\,dt
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\sum_{k=0}^\infty \frac{(-1)^k}{k!}\int_0^x t^{2k}\,dt
+=
+\frac{2}{\sqrt{\pi}}
+\sum_{k=0}^\infty \frac{(-1)^kx^{2k+1}}{k!(2k+1)}.
+\label{buch:integrale:eqn:erfreihe}
+\end{equation}
+Diese Reihenentwicklung ist sehr effizient für kleine Werte von $x$.
+Für grosse Werte von $x$ entstehen aber sehr grosse Zwischenterme in der
+Reihe, was zu Auslöschung und damit zu Genauigkeitsverlust führt.
+
+\subsubsection{Kettenbruchentwicklung}
+Besonders für grosse $x$ interessiert man sich mehr für
+$\operatorname{erfc}(x)$ als für $\operatorname{erf}(x)$.
+Die Potenzreihe \eqref{buch:integrale:eqn:erfreihe} ist
+dafür wegen der bereits erwähnten Auslöschung besonders ungeeignet.
+Man kann aber die Kettenbruchentwicklung
+\begin{equation}
+\operatorname{erfc}(z)
+=
+\frac{2ze^{-z^2}}{\sqrt{\pi}}
+\cfrac{1}{
+z+\cfrac{\frac12}{
+z+\cfrac{\frac22}{
+z+\cfrac{\frac32}{
+z+\cfrac{\frac42}{
+z+\cfrac{\frac52}{
+z+\cfrac{\frac62}{
+z+\dots}}}}}}}
+\end{equation}
+finden, die in \cite[p.~175]{buch:pade} dargestellt wird.
+Für grosse $z$ liefert dieser Kettenbruch besonders schnell konvergierende
+Näherungsbrüche für $\operatorname{erfc}(z)$.
+
+\subsubsection{Interpolation}
+Die GNU Scientific Library \cite{buch:library:gsl} verwendet eine Reihe von
+Tschebyscheff-Approximationspolynomen, die für die Intervalle, in denen
+sie definiert sind, besonders effizient zu berechnende Approximation
+mit Maschinengenauigkeit ergeben.