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% Spezielle Funktionen
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\subsection*{Spezielle Funktionen}
Der abstrakte Funktionsbegriff auferlegt einer Funktion nur ganz wenige
Einschränkungen.
Damit lässt sich zwar eine mathematische Theorie entwickeln, die 
klärt, unter welchen Umständen zusätzliche Eigenschaften wie Stetigkeit
und Differenzierbarkeit zu erwarten sind.
Allgemeine Berechnungen kann man mit diesem Begriff aber nicht durchführen,
seine Anwendbarkeit ist beschränkt.
Praktisch nützlich wird der Funktionsbegriff also erst, wenn man ihn
einschränkt auf anwendungsrelevante Eigenschaften.
Die Mathematik hat in ihrer Geschichte genau dies immer wieder
getan, wie im Folgenden kurz skizziert werden soll.

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% Polynome und Wurzeln
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\subsubsection{Polynome und Wurzeln}
Eine Polynomgleichung wie etwa
\begin{equation}
p(x) = ax^2+bx+c = 0
\label{buch:einleitung:quadratisch}
\end{equation}
kann manchmal dadurch gelöst werden, dass man die Nullstellen errät
und damit eine Faktorisierung $p(x)=a(x-x_1)(x-x_2)$ konstruiert.
Doch im Allgemeinen wird man die Lösungsformel für quadratische 
Gleichungen verwenden, die auf quadratischem Ergänzen basiert.
Es erlaubt die Gleichung~\eqref{buch:einleitung:quadratisch} umzwandeln in
\[
\biggl(x + \frac{b}{2a}\biggr)^2
=
-\frac{c}{a} + \frac{b^2}{4a^2}
=
\frac{b^2-4ac}{4a^2}.
\]
Um diese Gleichung nach $x$ aufzulösen, muss man die inverse Funktion
der Quadratfunktion zur Verfügung haben, die Wurzelfunktion.
Dies ist wohl das älteste Beispiel einer speziellen Funktion,
die man zu dem Zweck eingeführt hat, spezielle algebraische Gleichungen
lösen zu können.
Sie liefert die bekannte Lösungsformel
\[
x=\frac{-b\pm\sqrt{b^2-4ac}}{2a}
\]
für die quadratische Gleichung.

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% Exponential- und Logarithmusfunktion
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\subsubsection{Exponential- und Logarithmusfunktion}
Durch die Definition der Wurzelfunktion ist das Problem der numerischen
Berechnung der Nullstelle natürlich noch nicht gelöst, aber man hat
ein handliches mathematisches Symbol gewonnen, mit dem man die Lösungen
übersichtlich beschreiben und algebraisch manipulieren kann.
Diese Idee steht hinter allen weiteren in diesem Buch diskutierten
Funktionen: wann immer ein wichtiges mathematisches Konzept sich nicht
direkt durch die bereits entwickelten Funktionen ausdrücken lässt,
erfindet man dafür eine neue Funktion oder Familie von Funktionen.
Beispielsweise hat sich die Darstellung von Zahlen $x$ als Potenzen
einer gemeinsamen Basis, zum Beispiel $x=10^y$, als sehr nützlich
herausgestellt, um Multiplikationen auf die von Hand leichter
ausführbaren Additionen zurückzuführen.
Man braucht also die Fähigkeit, die Abhängigkeit des Exponenten $y$
von $x$ auszudrücken, mit anderen Worten, man braucht die
Logarithmusfunktion.

Auch die Logarithmusfunktion erlaubt nicht, die Gleichungen $xe^x=y$
nach $x$ aufzulösen.
Solche Exponentialgleichungen treten in verschiedenster Form auch in 
Anwendungen auf.
Die Lambert-$W$-Funktion, die in Abschnitt~\ref{buch:section:lambertw}
eingeführt wird, löst genau diese Aufgabe.


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%  Geometrisch definierte spezielle Funktionen
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\subsubsection{Geometrisch definierte spezielle Funktionen}
Die trigonometrischen Funktionen entstanden bereits im Altertum
um das Problem der Vermessung der Himmelskugel zu lösen.
Man kann sie aber auch zur Parametrisierung eines Kreises oder
zur Beschreibung von Drehungen mit Drehmatrizen verwenden.
Sie stellen auch eine Zusammenhang zwischen der Bogenlänge 
entlang eines Kreises und der zugehörigen Sehne her.
Diese Ideen lassen sich auf eine grössere Klasse von Kurven,
nämlich die Kegelschnitte verallgemeinern.
Diese werden in Kapitel~\ref{buch:chapter:geometrie} eingeführt.
Die Parametrisierungen der Hyperbeln zum Beispiel führt auf
hyperbolische Funktion und macht eine Verbindung zu Exponential-
und Logarithmusfunktion sichtbar.

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% Lösungen von Differentialgleichungen
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\subsubsection{Lösungen von Differentialgleichungen}
Alternativ kann man $\sin x$ und $\cos x$ als spezielle Lösungen der
Differentialgleichung $y''=-y$ verstehen.
Viele andere Funktionen wie die hyperbolischen Funktionen oder die
Bessel-Funktionen sind ebenfalls Lösungen spezieller Differentialgleichungen.

Auch die Theorie der partiellen Differentialgleichungen, auf die
im Kapitel~\ref{buch:chapter:pde} eingegangen wird, gibt Anlass
zu interessanten Lösungsfunktionen.
Die Separation des Poisson-Problems in Kugelkoordinaten führt zum Beispiel
auf die Kugelfunktionen, mit denen sich beliebige Funktionen auf einer
Kugeloberfläche analysieren und synthetisieren lassen.
Die Lösungen einer linearer gewöhnlicher Differentialgleichung können
oft mit Hilfe von Potenzreihen dargestellt werden.
So kann man zum Beispiel die Potenzreihenentwicklung der Exponentialfunktion
und der trigonometrischen Funktionen finden.
Die Konvergenz einer Potenzreihe wird aber durch Singularitäten
eingeschränkt.
Komplexe Potenzreihen ermöglichen aber, solche Stellen zu ``umgehen''.
Die Theorie der komplex differenzierbaren Funktionen bildet einen
allgemeinen Rahmen, mit solchen Funktionen umzugehen und ist zum 
Beispiel nötig, um die Bessel-Funktionen der zweiten Art zu konstruieren,
die ebenfalls Lösungen ger Bessel-Gleichung sind, aber bei $x=0$
eine Singularität aufweisen.

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% Stammfunktionen
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\subsubsection{Stammfunktionen}
Die Stammfunktion $F(x)$ einer gegebenen Funktion $f(x)$ ist natürlich
auch die Lösung der besonders einfachen Differentialgleichung $F'=f$.
Ein bekanntes Beispiel ist die Stammfunktion der Wahrscheinlichkeitsdichte
\[
\varphi(x)
=
\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma} e^{-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}},
\]
der Normalverteilung, für die aber keine geschlossene Darstellung
mit bekannten Funktionen bekannt ist.
Sie kann aber durch die Fehlerfunktion
\[
\operatorname{erf}(x)
=
\frac{2}{\sqrt{\pi}} \int_0^x e^{-t^2}\,dt
\]
dargestellt werden.
Mit dem Risch-Algorithmus kann man nachweisen, dass es tatsächlich
keine Möglichkeit gibt, die Stammfunktion in geschlossener Form durch
die bereits bekannten Funktionen darzustellen, die Definition einer
neuen speziellen Funktion ist also der einzige Ausweg.
Die Fehlerfunktion ist heute in der Standardbibliothek enthalten auf
gleicher Stufe wie Wurzeln, trigonometrische Funktionen,
Exponentialfunktionen oder Logarithmen.