1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
229
230
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
247
248
249
250
251
252
253
254
255
256
257
258
259
260
261
262
263
264
265
266
267
268
269
270
271
272
273
274
275
276
277
278
279
280
281
282
283
284
285
286
287
288
289
290
291
292
293
294
295
296
297
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312
313
314
315
316
317
318
319
320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
338
339
340
341
342
343
344
345
346
347
348
349
350
351
352
353
354
355
356
357
358
359
360
361
362
363
364
365
366
367
368
369
370
371
372
373
374
375
376
377
378
379
380
381
382
383
384
385
386
387
388
389
390
391
392
393
394
395
396
397
398
399
400
401
402
403
404
405
406
407
408
409
410
411
412
413
414
415
416
417
418
419
420
421
422
423
424
425
426
427
428
429
430
431
432
433
434
435
436
437
438
439
440
441
442
443
444
445
446
|
%
% teil3.tex -- Beispiel-File für Teil 3
%
% (c) 2020 Prof Dr Andreas Müller, Hochschule Rapperswil
%
\section{Beispiel einer Verfolgungskurve
\label{lambertw:section:teil4}}
\rhead{Beispiel einer Verfolgungskurve}
In diesem Abschnitt wird rechnerisch das Beispiel einer Verfolgungskurve mit der Verfolgungsstrategie ``Jagd'' beschrieben. Dafür werden zuerst Bewegungsraum, Anfangspositionen und Bewegungsverhalten definiert, in einem nächsten Schritt soll eine Differentialgleichung dafür aufgestellt und anschliessend gelöst werden.
\subsection{Anfangsbedingungen definieren und einsetzen
\label{lambertw:subsection:Anfangsbedingungen}}
Das zu verfolgende Ziel \(Z\) bewegt sich entlang der \(y\)-Achse mit konstanter Geschwindigkeit \(|\dot{z}| = 1\), beginnend beim Ursprung des kartesischen Koordinatensystems. Der Verfolger \(V\) startet auf einem beliebigen Punkt im ersten Quadranten und bewegt sich auch mit konstanter Geschwindigkeit \(|\dot{v}| = 1\) in Richtung Ziel. Aus diesen Bedingungen ergibt sich den ersten Quadranten als Bewegungsraum für \(V\). Diese Anfangspunkte oder Anfangsbedingungen können wie folgt formuliert werden:
\begin{equation}
Z
=
\left( \begin{array}{c} 0 \\ |\dot{z}| \cdot t \end{array} \right)
=
\left( \begin{array}{c} 0 \\ t \end{array} \right)
,\:
V
=
\left( \begin{array}{c} x \\ y \end{array} \right)
\:\text{und}\:\:
|\dot{v}|
=
1.
\label{lambertw:Anfangsbed}
\end{equation}
Wir haben nun die Anfangsbedingungen definiert, jetzt fehlt nur noch eine DGL, welche die fortlaufende Änderung der Position und Bewegungsrichtung des Verfolgers beschreibt.
Diese DGL haben wir bereits in Kapitel \ref{lambertw:subsection:Verfolger} definiert, und zwar Gleichung \eqref{lambertw:pursuerDGL}. Wenn man die Startpunkte einfügt, ergibt sich der Ausdruck
\begin{equation}
\frac{\left( \begin{array}{c} 0-x \\ t-y \end{array} \right)}{\sqrt{x^2 + (t-y)^2}}
\cdot
\left(\begin{array}{c} \dot{x} \\ \dot{y} \end{array}\right)
=
1.
\label{lambertw:eqMitAnfangsbed}
\end{equation}
\subsection{Differentialgleichung vereinfachen
\label{lambertw:subsection:DGLvereinfach}}
Nun haben wir eine Gleichung, es stellt sich aber die Frage, ob es überhaupt eine geschlossene Lösung dafür gibt. Eine Funktion welche die Beziehung \(y(x)\) beschreibt oder sogar \(x(t)\) und \(y(t)\) liefert. Zum jetzigen Zeitpunkt mag es nicht trivial scheinen, aber mit den gewählten Anfangsbedingungen \eqref{lambertw:Anfangsbed} ist es möglich, eine geschlossene Lösung für die Gleichung \eqref{lambertw:eqMitAnfangsbed} zu finden.
Auf dem Weg dahin muss die definierte DGL zuerst wesentlich vereinfacht werden, sei es mittels algebraischer Umformungen oder mit den Tools aus der Analysis. Da die nächsten Schritte sehr algebralastig sind und sie das Lesen dieses Papers träge machen würden, werden wir uns hier nur auf die wesentlichsten Schritte konzentrieren, welche notwendig sind, um den Lösungsweg nachvollziehen zu können.
\subsubsection{Skalarprodukt auflösen
\label{lambertw:subsubsection:SkalProdAufl}}
Zuerst müssen wir den Bruch und das Skalarprodukt in \eqref{lambertw:eqMitAnfangsbed} wegbringen, damit wir eine viel handlichere Differentialgleichung erhalten. Dies führt zu
\begin{equation}
-x \cdot \dot{x} + (t-y) \cdot \dot{y}
= \sqrt{x^2 + (t-y)^2}.
\label{lambertw:eqOhneSkalarprod}
\end{equation}
Im letzten Schritt, fällt die Nützlichkeit des Skalarproduktes in der Verfolgungsgleichung \eqref{lambertw:pursuerDGL} markant auf. Anstatt zwei gekoppelte Differentialgleichungen zu erhalten, eine für die \(x\)- und die andere für die \(y\)-Komponente, erhält man einen einzigen Ausdruck, was in der Regel mit weniger Lösungsaufwand verbunden ist.
\subsubsection{Quadrieren und Gruppieren
\label{lambertw:subsubsection:QuadUndGrup}}
Mit der Quadratwurzel in \eqref{lambertw:eqOhneSkalarprod} kann man nichts anfangen, sie steht nur im Weg, also muss man sie loswerden. Wenn man dies macht, kann \eqref{lambertw:eqOhneSkalarprod} auf die Form
\begin{equation}
\left(\dot{x}^2-1\right) \cdot x^2 -2x \left(t-y\right) \dot{x}\dot{y} + \left(\dot{y}^2-1\right) \cdot \left(t-y\right)^2
=0
\label{lambertw:eqOhneWurzel}
\end{equation}
gebracht werden.
Diese Form mag auf den ersten Blick nicht gerade nützlich sein, aber man kann sie mit einer Substitution weiter vereinfachen.
\subsubsection{Wichtige Substitution
\label{lambertw:subsubsection:WichtSubst}}
Wenn man beachtet, dass die Geschwindigkeit des Verfolgers konstant und gleich 1 ist, dann ergibt sich die Beziehung
\begin{equation}
\dot{x}^2 + \dot{y}^2
= 1.
\label{lambertw:eqGeschwSubst}
\end{equation}
Umformungen der Gleichung \eqref{lambertw:eqGeschwSubst} können in \eqref{lambertw:eqOhneWurzel} erkannt werden. Wenn man sie ersetzt, erhält man
\begin{equation}
\dot{y}^2 \cdot x^2 +2x \left(t-y\right) \dot{x}\dot{y} + \dot{x}^2 \cdot \left(t-y\right)^2
=0.
\label{lambertw:eqGeschwSubstituiert}
\end{equation}
Diese unscheinbare Substitution führt dazu, dass weitere Vereinfachungen durchgeführt werden können.
\subsubsection{Binom erkennen und vereinfachen
\label{lambertw:subsubsection:BinomVereinfach}}
Versteckt im Ausdruck \eqref{lambertw:eqGeschwSubstituiert} befindet sich die erste binomische Formel, wobei
\begin{equation}
(x \dot{y} + (t-y) \dot{x})^2
= 0
\label{lambertw:eqAlgVerinfacht}
\end{equation}
die faktorisierte Darstellung davon ist.
Da der linke Term gleich Null ist, muss auch die Basis des Quadrates in \eqref{lambertw:eqAlgVerinfacht} gleich Null sein. Es ergibt sich eine weitere Vereinfachung, welche zu der im Vergleich zu \eqref{lambertw:eqOhneSkalarprod} wesentlich einfacheren DGL
\begin{equation}
x \dot{y} + (t-y) \dot{x}
= 0
\label{lambertw:eqGanzVerinfacht}
\end{equation}
führt.
Kompakt, ohne Wurzelterme und Quadrate, nur elementare Operationen und Ableitungen.
Nun stellt sich die Frage wie es weiter gehen soll, bei der Gleichung \eqref{lambertw:eqGanzVerinfacht} scheinen keine weiteren Vereinfachungen möglich zu sein. Wir brauchen einen neuen Ansatz, um unser Ziel einer möglichen Lösung zu verfolgen.
\subsection{Zeitabhängigkeit loswerden
\label{lambertw:subsection:ZeitabhLoswerden}}
Der nächste logische Schritt scheint irgendwie die Zeitabhängigkeit in der Gleichung \eqref{lambertw:eqGanzVerinfacht} loszuwerden, aber wieso? Nun, wie am Anfang von Abschnitt \ref{lambertw:subsection:DGLvereinfach} beschrieben, suchen wir eine Lösung der Art \(y(x)\), dies ist natürlich erst möglich wenn wir die Abhängigkeit nach \(t\) eliminieren können.
\subsubsection{Zeitliche Ableitungen loswerden
\label{lambertw:subsubsection:ZeitAbleit}}
Der erste Schritt auf dem Weg zur Funktion \(y(x)\) ist, die zeitlichen Ableitungen los zu werden, dafür wird \eqref{lambertw:eqGanzVerinfacht} beidseitig durch \(\dot{x}\) dividiert, was erlaubt ist, weil diese Änderung ungleich Null ist:
\begin{equation}
x \frac{\dot{y}}{\dot{x}} + (t-y) \frac{\dot{x}}{\dot{x}}
= 0.
\label{lambertw:eqVorKeineZeitAbleit}
\end{equation}
Der Grund dafür ist, dass
\begin{equation}
\frac{\displaystyle\dot{y}}{\displaystyle\dot{x}}
= \frac{\displaystyle\frac{dy}{dt}}{\displaystyle\frac{dx}{dt}}
= \frac{dy}{dx}
= y^{\prime},
\label{lambertw:eqQuotZeitAbleit}
\end{equation}
und somit kann der Quotient dieser zeitlichen Ableitungen in eine Ableitung nach \(x\) umgewandelt werden.
Nachdem die Eigenschaft \eqref{lambertw:eqQuotZeitAbleit} in \eqref{lambertw:eqVorKeineZeitAbleit} eingesetzt wurde, entsteht beim Vereinfachen die neue Gleichung
\begin{equation}
x y^{\prime} + t - y
= 0.
\label{lambertw:DGLmitT}
\end{equation}
\subsubsection{Variable \(t\) eliminieren
\label{lambertw:subsubsection:VarTelimin}}
Hier wäre es natürlich passend, wenn man die Abhängigkeit nach \(t\) komplett wegbringen könnte, aber wie?
Wir wissen, dass sich der Verfolger mit Geschwindigkeit 1 bewegt, also legt er in der Zeit \(t\) die Strecke \(1\cdot t = t\) zurück. Längen und Strecken können auch mit der Bogenlänge repräsentiert werden, somit kann Zeit und zurückgelegte Strecke in der Gleichung
\begin{equation}
s
=
|\dot{v}| \cdot t
=
1 \cdot t
=
t
=
\int_{\displaystyle x_0}^{\displaystyle x_{\text{end}}}\sqrt{1+y^{\prime\, 2}} \: dx
\label{lambertw:eqZuBogenlaenge}
\end{equation}
verbunden werden.
Nicht gerade auffällig ist die Richtung, in welche hier integriert wird. Wenn der Verfolger sich wie vorgesehen am Anfang im ersten Quadranten befindet, dann muss sich dieser nach links bewegen, was nicht der üblichen Integrationsrichtung entspricht. Um eine Integration wie üblich von links nach rechts ausführen zu können, müssen die Integrationsgrenzen vertauscht werden, was in einem Vorzeichenwechsel resultiert.
Wenn man nun \eqref{lambertw:eqZuBogenlaenge} in die DGL \eqref{lambertw:DGLmitT} einfügt, dann ergibt sich der neue Ausdruck
\begin{equation}
x y^{\prime} - \int\sqrt{1+y^{\prime\, 2}} \: dx - y
= 0.
\label{lambertw:DGLohneT}
\end{equation}
Um das Integral los zu werden, leitet man \eqref{lambertw:DGLohneT} nach \(x\) ab und erhält die DGL zweiter Ordnung
\begin{align}
y^{\prime}+ xy^{\prime\prime} - \sqrt{1+y^{\prime\, 2}} - y^{\prime}
&= 0, \\
xy^{\prime\prime} - \sqrt{1+y^{\prime\, 2}}
&= 0.
\label{lambertw:DGLohneInt}
\end{align}
Nun sind wir unserem Ziel einen weiteren Schritt näher. Die Gleichung \eqref{lambertw:DGLohneInt} mag auf den ersten Blick nicht gerade einfach sein, aber im nächsten Abschnitt werden wir sehen, dass sie relativ einfach zu lösen ist.
\subsection{Differentialgleichung lösen
\label{lambertw:subsection:DGLloes}}
Die Gleichung \eqref{lambertw:DGLohneInt} ist eine DGL zweiter Ordnung, in der \(y\) nicht vorkommt. Sie kann mittels der Substitution \(y^{\prime} = u\) in die DGL
\begin{equation}
xu^{\prime} - \sqrt{1+u^2}
= 0
\label{lambertw:DGLmitU}
\end{equation}
erster Ordnung umgewandelt werden.
Diese Gleichung ist separierbar, was sie viel handlicher macht. In der separierten Form
\begin{equation}
\int{\frac{1}{\sqrt{1+u^2}}\:du}
=
\int{\frac{1}{x}\:dx},
\end{equation}
lässt sich die Gleichung mittels einer Integrationstabelle sehr rasch lösen.
Das Ergebnis ist
\begin{align}
\operatorname{arsinh}(u)
&=
\operatorname{ln}(x) + C, \\
u
&=
\operatorname{sinh}(\operatorname{ln}(x) + C).
\label{lambertw:loesDGLmitU}
\end{align}
Wenn man in \eqref{lambertw:loesDGLmitU} die Substitution rückgängig macht, erhält man die DGL
\begin{equation}
y^{\prime}
=
\operatorname{sinh}(\operatorname{ln}(x) + C)
\label{lambertw:loesDGLmitY}
\end{equation}
erster Ordnung, die bereits separiert ist.
Ersetzt man den \(\operatorname{sinh}\) durch seine exponentielle Definition \(\operatorname{sinh}(x)=\frac{1}{2}(e^x-e^{-x})\), so resultiert auf sehr einfache Art die Lösung
\begin{equation}
y
=
C_1 + C_2 x^2 - \frac{\operatorname{ln}(x)}{8 \cdot C_2}
\end{equation}
für \eqref{lambertw:loesDGLmitY}.
Nun haben wir eine Lösung, aber wie es immer mit Lösungen ist, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt plausibel ist.
\subsection{Lösung analysieren
\label{lambertw:subsection:LoesAnalys}}
\definecolor{applegreen}{rgb}{0.55, 0.71, 0.0}
\begin{figure}
\centering
\includegraphics{papers/lambertw/Bilder/VerfolgungskurveBsp.png}
\caption[Graph der Verfolgungskurve]{Graph der Verfolgungskurve wobei, ({\color{red}rot}) die Funktion \ensuremath{y(x)} ist, ({\color{applegreen}grün}) der quadratische Teil und ({\color{blue}blau}) dem \ensuremath{\operatorname{ln}(x)}-Teil entspricht.
\label{lambertw:BildFunkLoes}
}
\end{figure}
Das Resultat, wie ersichtlich, ist die Funktion
\begin{equation}
{\color{red}{y(x)}}
=
C_1 + C_2 {\color{applegreen}{x^2}} {\color{blue}{-}} \frac{\color{blue}{\operatorname{ln}(x)}}{8 \cdot C_2},
\label{lambertw:funkLoes}
\end{equation}
für welche die Koeffizienten \(C_1\) und \(C_2\) aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden können. Zuerst soll aber eine qualitative Intuition oder Idee für das Aussehen der Funktion \(y(x)\) geschaffen werden:
\begin{itemize}
\item
Für grosse \(x\)-Werte, welche in der Regel in der Nähe von \(x_0\) sein sollten, ist der quadratisch Term in der Funktion \eqref{lambertw:funkLoes} dominant.
\item
Für immer kleiner werdende \(x\) geht der Verfolger in Richtung \(y\)-Achse, wobei seine Steigung stetig sinkt, was Sinn macht wenn der Verfolgte entlang der \(y\)-Achse steigt. Irgendwann werden Verfolger und Ziel auf gleicher Höhe sein, also gleiche \(y\)- aber verschiedene \(x\)-Koordinate besitzen.
In diesem Punkt findet ein Monotoniewechsel in der Kurve \eqref{lambertw:funkLoes} statt, was zu einem Minimum führt.
\item
Für \(x\)-Werte in der Nähe von \(0\) ist das asymptotische Verhalten des Logarithmus dominant, dies macht auch Sinn, da sich der Verfolgte auf der \(y\)-Achse bewegt und der Verfolger ihm nachgeht.
\end{itemize}
Alle diese Eigenschaften stimmen mit dem überein, was man von einer Kurve dieser Art erwarten würde, welche durch die Grafik \ref{lambertw:BildFunkLoes} repräsentiert wurde.
\subsection{Anfangswertproblem
\label{lambertw:subsection:AllgLoes}}
In diesem Abschnitt soll eine Parameterfunktion hergeleitet werden, bei der jeder beliebige Anfangspunkt im ersten Quadranten eingesetzt werden kann, ausser der Ursprung im Koordinatensystem. Diese Aufgabe ist ein Anfangswertproblem für \(y(x)\).
Das Lösen des Anfangswertproblems ist ein Problem aus der Analysis, auf welches hier nicht explizit eingegangen wird. Zur Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit, wird aber das Gleichungssystem präsentiert, welches notwendig ist, um das Anfangswertproblem zu lösen.
\subsubsection{Anfangswerte bestimmen
\label{lambertw:subsubsection:Anfangswerte}}
Der erste Schritt auf dem Weg zur gesuchten Parameterfunktion ist, die Anfangswerte
\begin{equation}
y(x)\big \vert_{t=0}
=
y(x_0)
=
y_0
\label{lambertw:eq1Anfangswert}
\end{equation}
und
\begin{equation}
\frac{dy}{dx}\bigg \vert_{t=0}
=
y^{\prime}(x_0)
=
\frac{y_0}{x_0}
\label{lambertw:eq2Anfangswert}
\end{equation}
zu definieren.
Der zweite Anfangswert \eqref{lambertw:eq2Anfangswert} mag nicht grade offensichtlich sein. Die Erklärung dafür ist aber simpel: Der Verfolger wird sich zum Zeitpunkt \(t=0\) in Richtung Koordinatenursprung bewegen wollen, wo sich das Ziel befindet. Somit entsteht das Steigungsdreieck mit \(\Delta x = x_0\) und \(\Delta y = y_0\).
\subsubsection{Gleichungssystem aufstellen und lösen
\label{lambertw:subsubsection:GlSys}}
Wenn man die Anfangswerte \eqref{lambertw:eq1Anfangswert} und \eqref{lambertw:eq2Anfangswert} in die Gleichung \eqref{lambertw:funkLoes} und deren Ableitung \(y^{\prime}(x)\) einsetzt, dann ergibt sich das Gleichungssystem
\begin{subequations}
\label{lambertw:eqGleichungssystem}
\begin{align}
y_0
&=
C_1 + C_2 x^2_0 - \frac{\operatorname{ln}(x_0)}{8 \cdot C_2}, \\
\frac{y_0}{x_0}
&=
2 \cdot C_2 x_0 - \frac{1}{8 \cdot C_2 \cdot x_0}.
\end{align}
\end{subequations}
Damit die gesuchte Funktion im ersten Quadranten bleibt, werden nur die positiven Lösungen
\begin{subequations}
\begin{align}
\label{lambertw:eqKoeff1}
C_1
&=
\frac{2\cdot\operatorname{ln}(x_0)\left(\sqrt{x_0^2 + y_0^2} - y_0 \right) - \sqrt{x_0^2 + y_0^2} + 3 y_0}{4}, \\
\label{lambertw:eqKoeff2}
C_2
&=
\frac{\sqrt{x_0^2 + y_0^2} + y_0}{4x_0^2}
\end{align}
\end{subequations}
des Gleichungssystems gewählt.
\subsubsection{Gesuchte Parameterfunktion aufstellen
\label{lambertw:subsubsection:ParamFunk}}
Wenn man die Koeffizienten \eqref{lambertw:eqKoeff1} und \eqref{lambertw:eqKoeff2} in die Funktion \eqref{lambertw:funkLoes} einsetzt, dann ergibt sich beim Vereinfachen die gesuchte Parameterfunktion
\begin{equation}
y(x)
=
\frac{1}{4}\left(\left(y_0+r_0\right)\eta+\left(y_0-r_0\right)
\operatorname{ln}\left(\eta\right)-r_0+3y_0\right).
\label{lambertw:eqAllgLoes}
\end{equation}
Damit die Funktion \eqref{lambertw:eqAllgLoes} trotzdem übersichtlich bleibt, wurden Anfangssteigung \(\eta\) und Anfangsentfernung \(r_0\) wie folgt definiert:
\begin{equation}
\eta
=
\left(\frac{x}{x_0}\right)^2
\:\:\text{und}\:\:
r_0
=
\sqrt{x_0^2+y_0^2}.
\end{equation}
Diese neue allgemeine Funktion \eqref{lambertw:eqAllgLoes} weist immer noch die selbe Struktur wie die vorher hergeleitete Funktion \eqref{lambertw:funkLoes} auf. Sie enthält einerseits einen quadratischen Teil, der in \(\eta\) enthalten ist, anderseits den \(\operatorname{ln}\)-Teil. Aus dieser Ähnlichkeit kann geschlossen werden, dass sich \eqref{lambertw:eqAllgLoes} auf eine ähnliche Art verhalten wird.
Nun sind wir soweit, dass wir eine \(y(x)\)-Beziehung für beliebige Anfangswerte darstellen können, unser erstes Ziel wurde erreicht. Wir können aber einen Schritt weiter gehen und uns Fragen: Ist es analytisch möglich herauszufinden, wo sich Verfolger und Ziel zu jedem Zeitpunkt befinden? Dieser Frage werden wir im nächsten Abschnitt nachgehen.
\subsection{Funktion nach der Zeit
\label{lambertw:subsection:FunkNachT}}
In diesem Abschnitt werden algebraische Umformungen ein wenig detaillierter als zuvor beschrieben. Dies hat auch einen bestimmten Grund: Den Einsatz einer speziellen Funktion aufzeigen, sowie auch wann und wieso diese vorkommt. Welche spezielle Funktion? Fragt man sich wahrscheinlich in diesem Moment. Nun, um diese Frage kurz zu beantworten, es ist ``YouTube's favorite special function'' laut dem Mathematiker Michael Penn, die Lambert-\(W\)-Funktion \(W(x)\) welche im Kapitel \ref{buch:section:lambertw} bereits beschrieben wurde.
\subsubsection{Zeitabhängigkeit wiederherstellen
\label{lambertw:subsubsection:ZeitabhWiederherst}}
Der erste Schritt ist es herauszufinden, wie die Zeitabhängigkeit wieder hineingebracht werden kann. Dafür greifen wir auf die letzte Gleichung zu, in welcher \(t\) noch enthalten war, und zwar DGL
\begin{equation}
x y^{\prime} + t - y
= 0
\label{lambertw:eqDGLmitTnochmals}
\end{equation}
aus dem Abschnitt \eqref{lambertw:subsection:ZeitabhLoswerden}, welche zur Übersichtlichkeit hier nochmals aufgeführt wurde.
Wie in \eqref{lambertw:eqDGLmitTnochmals} zu sehen ist, werden \(y\) und deren Ableitung \(y^{\prime}\) benötigt, diese sind:
\begin{subequations}
\label{lambertw:eqFunkUndAbleit}
\begin{align}
\label{lambertw:eqFunkUndAbleit1}
y
&=
\frac{1}{4}\left(\left(y_0+r_0\right)\eta+\left(y_0-r_0\right)\operatorname{ln}\left(\eta\right)-r_0+3y_0\right), \\
y^\prime
&=
\frac{1}{2}\biggl(\left(y_0+r_0\right)\frac{x}{x_0^2}+\left(y_0-r_0\right)\frac{1}{x}\biggr).
\end{align}
\end{subequations}
Wenn man diese Gleichungen \eqref{lambertw:eqFunkUndAbleit} in die DGL \eqref{lambertw:eqDGLmitTnochmals} einfügt, vereinfacht und nach \(t\) auflöst, dann ergibt sich der Ausdruck
\begin{equation}
-4t
=
\left(y_0+r_0\right)\left(\eta-1\right)+\left(r_0-y_0\right)\operatorname{ln}\left(\eta\right).
\label{lambertw:eqFunkUndAbleitEingefuegt}
\end{equation}
\subsubsection{Umformungen die zur Funktion nach der Zeit führen
\label{lambertw:subsubsection:UmformBisZumZiel}}
Mit dem Ausdruck \eqref{lambertw:eqFunkUndAbleitEingefuegt}, welcher Terme mit \(x\) und \(t\) verbindet, kann nun nach der gesuchten Variable \(x\) aufgelöst werden.
In einem nächsten Schritt wird alles mit \(x\) auf die eine Seite gebracht, der Rest auf die andere Seite und anschliessend beidseitig exponenziert, sodass man
\begin{equation}
-4t+\left(y_0+r_0\right)
=
\left(y_0+r_0\right)\eta+\left(r_0-y_0\right)\operatorname{ln}\left(\eta\right)
\end{equation}
und anschliessend
\begin{equation}
e^{\displaystyle -4t+\left(y_0+r_0\right)}
=
e^{\displaystyle \left(y_0+r_0\right)\eta}\cdot\eta^{\displaystyle \left(r_0-y_0\right)}
\label{lambertw:eqMitExp}
\end{equation}
erhält.
Auf dem rechten Term von \eqref{lambertw:eqMitExp} beginnen wir langsam eine ähnliche Struktur wie \(\eta e^\eta\) zu erkennen, dies schreit nach der Struktur, die benötigt wird, um \(\eta\) mittels der Lambert-\(W\)-Funktion \(W(x)\) zu erhalten. Dies macht durchaus Sinn, wenn wir die Funktion \(x(t)\) finden wollen und \(W(x)\) die Umkehrfunktion von \(x e^x\) ist.
Die erste Sache, die uns in \eqref{lambertw:eqMitExp} stört ist, dass \(\eta\) als Potenz da steht. Dieses Problem können wir loswerden, indem wir beidseitig mit \(\:1 / (r_0-y_0)\:\) potenzieren:
\begin{equation}
\operatorname{exp}\left(\displaystyle \frac{-4t}{r_0-y_0}+\frac{y_0+r_0}{r_0-y_0}\right)
=
\eta\cdot \operatorname{exp}\left(\displaystyle \frac{y_0+r_0}{r_0-y_0}\eta\right).
\label{lambertw:eqOhnePotenz}
\end{equation}
\subsubsection{Eine essenzielle Substitution
\label{lambertw:subsubsection:SubstChi}}
Das nächste Problem, auf welches wir in \eqref{lambertw:eqOhnePotenz} treffen, ist, dass \(\eta\) nicht alleine im Exponent steht. Dies kann elegant mit der Substitution
\begin{equation}
\chi
=
\frac{y_0+r_0}{r_0-y_0}
\label{lambertw:eqChiSubst}
\end{equation}
gelöst werden.
Es gäbe natürlich andere Substitutionen wie z.B.
\[\displaystyle \chi=\frac{y_0+r_0}{r_0-y_0}\cdot\eta,\]
die auf dasselbe Ergebnis führen würden, aber \eqref{lambertw:eqChiSubst} liefert in einem Schritt die kompakteste Lösung. Also fahren wir mit der Substitution \eqref{lambertw:eqChiSubst} weiter, setzen diese in die Gleichung \eqref{lambertw:eqOhnePotenz} ein und multiplizieren beidseitig mit \(\chi\). Daraus erhalten wir die Gleichung
\begin{equation}
\chi\cdot \operatorname{exp}\left(\displaystyle \chi-\frac{4t}{r_0-y_0}\right)
=
\chi\eta\cdot e^{\displaystyle \chi\eta}.
\label{lambertw:eqNachSubst}
\end{equation}
\subsubsection{Funktion nach der Zeit dank Lambert-\(W\)
\label{lambertw:subsubsection:LambertWundFvonT}}
Nun sind wir endlich soweit, dass wir die angedeutete Lambert-\(W\)-Funktion \(W(x)\) einsetzen können. Wenn wir beidseitig \(W(x)\) anwenden, dann erhalten wir den Ausdruck
\begin{equation}
W\left(\chi\cdot \operatorname{exp}\left(\displaystyle \chi-\frac{4t}{r_0-y_0}\right)\right)
=
\chi\eta.
\end{equation}
Nach dem Auflösen nach \(x\) welches in \(\eta\) enthalten ist, erhalten wir die gesuchte \(x(t)\)-Funktion \eqref{lambertw:eqFunkXNachT}. Dieses \(x(t)\) in Kombination mit \eqref{lambertw:eqFunkUndAbleit1} liefert die Position des Verfolgers zu jedem Zeitpunkt. Das Gleichungspaar besteht also aus den Gleichungen
\begin{subequations}
\label{lambertw:eqFunktionenNachT}
\begin{align}
\label{lambertw:eqFunkXNachT}
x(t)
&=
x_0\cdot\sqrt{\frac{W\left(\chi\cdot \operatorname{exp}\left(\displaystyle \chi-\frac{4t}{r_0-y_0}\right)\right)}{\chi}}, \\
\label{lambertw:eqFunkYNachT}
y(x(t))
=
y(t)
&=
\frac{1}{4}\biggl(\left(y_0+r_0\right)\left(\frac{x(t)}{x_0}\right)^2+\left(y_0-r_0\right)\operatorname{ln}\biggl(\biggl(\frac{x(t)}{x_0}\biggr)^2\biggr)-r_0+3y_0\biggr).
\end{align}
\end{subequations}
Nun haben wir unser letztes Ziel erreicht und sind in der Lage eine Verfolgung rechnerisch sowie graphisch zu repräsentieren.
\subsubsection{Hinweise zur Lambert-\(W\)-Funktion
\label{lambertw:subsubsection:HinwLambertW}}
Wir sind aber noch nicht ganz fertig, eine Frage muss noch beantwortet werden. Und zwar wieso man schon bei der Gleichung \eqref{lambertw:eqFunkUndAbleitEingefuegt} weiss, dass die Lambert-\(W\)-Funktion zum Einsatz kommen wird.
Nun, der Grund dafür ist die Struktur
\begin{equation}
y
=
p(x) +\operatorname{ln}(x),
\label{lambertw:eqEinsatzLambW}
\end{equation}
bei welcher \(p(x)\) eine beliebige Potenz von \(x\) darstellt.
Jedes Mal wenn \(x\) gesucht ist und in einer Struktur der Art \eqref{lambertw:eqEinsatzLambW} vorkommt, dann kann mit ein paar Umformungen die Struktur \(f(x)e^{f(x)}\) erzielt werden. Wie bereits in diesem Abschnitt \ref{lambertw:subsection:FunkNachT} gezeigt wurde, kann \(x\) nun mittels der \(W(x)\)-Funktion aufgelöst werden. Erstaunlicherweise ist \eqref{lambertw:eqEinsatzLambW} eine Struktur die oft vorkommt, was die Lambert-\(W\)-Funktion so wichtig macht.
|