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author | Andreas Müller <andreas.mueller@ost.ch> | 2021-08-27 18:21:49 +0200 |
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Fehlerfunktion
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+\rhead{} +Der Analysis-Unterricht vermittelt manchmal den Eindruck, dass sich +für jede einigermassen anständige Funktion eine Stammfunktion +gefunden werden kann, wenn man nur genügend schlau ist und den +nötigen Fleiss in die Lösung des Problems investiert. +Die Realität ist leider eine ganz andere, Ableiten ist zwar einfach, +eine Stammfunktion finden ist oft viel schwieriger und manchmal schlicht +unmöglich. + +Der Ausweg aus dieser unangenehmen Situation ist, solche Integrale +als neue spezielle Funktionen zu definieren. +Eines der berühmtesten Beispiele für diesen Weg aus der Krise ist die +Fehlerfunktion, die im Abschnitt~\ref{buch:integral:section:fehlerfunktion} +besprochen wird. +Auch geometrische Anwendungen führen auf solche Integrale. +Die Länge eines Ellipsenbogens kann mit Hilfe eines Integrals +berechnet werden, doch scheint es nicht möglich zu sein, für den +Umfang der Ellipse eine einfache Formel anzugeben, wie dies beim +Kreis möglich ist. +Dieses Problem führt auf eine ganze Familie von Integranden, die nicht in +geschlossener Form integriert werden können, nämlich die elliptischen +Funktionen. +Sie werden in Kapitel~\ref{buch:chapter:elliptisch} besprochen. + +Doch wie entscheidet man, ob ein Integral tatsächlich nicht in geschlossener +Form dargestellt werden kann oder ob die Versuche einfach an mangelnden +eigenen Fähigkeiten gescheitert sind? +Denn warum soll man eine neue spezielle Funktion definieren, wenn es +dafür bereits eine gute Darstellung in geschlossener Form gibt? +Der Risch-Algorithmus von Abschnitt~\ref{buch:integral:section:risch} +gibt darauf eine Antwort. + +\input{chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex} +\input{chapters/060-integral/differentialkoerper.tex} +\input{chapters/060-integral/risch.tex} + +\section*{Übungsaufgaben} +\rhead{Übungsaufgaben} +\aufgabetoplevel{chapters/060-integral/uebungsaufgaben} +\begin{uebungsaufgaben} +%\uebungsaufgabe{0} +%\uebungsaufgabe{1} +\end{uebungsaufgaben} + diff --git a/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper.tex b/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper.tex new file mode 100644 index 0000000..2b850cc --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/differentialkoerper.tex @@ -0,0 +1,49 @@ +% +% differentialalgebren.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Differentialkörper und der Satz von Liouville +\label{buch:integrale:section:dkoerper}} +\rhead{Differentialkörper und der Satz von Liouville} +Das Problem der Darstellbarkeit eines Integrals in geschlossener +Form verlangt zunächst einmal nach einer Definition dessen, was man +als ``geschlossene Form'' akzeptieren will. +Die sogenannten {\em elementaren Funktionen} von +Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:elementar} +bilden dafür den theoretischen Rahmen. +Das Problem ist dann die Frage zu beantworten, ob ein Integral eine +Stammfunktion hat, die eine elementare Funktion ist. +Der Satz von Liouville von Abschnitt~\ref{buch:integrale:section:liouville} +löst das Problem. + +\subsection{Eine Analogie +\label{buch:integrale:section:analogie}} +% XXX Analogie: Formel für Polynom-Nullstellen +% XXX Stammfunktion als elementare Funktion + +\subsection{Elementare Funktionen +\label{buch:integrale:section:elementar}} + + +\subsubsection{Rationale Funktionen} + +\subsubsection{Wurzeln} + +\subsubsection{Die trigonometrischen Funktionen} + +\subsection{Differentielle Algebra +\label{buch:integrale:section:dalgebra}} + +\subsubsection{Ableitungsoperation} + +\subsubsection{Logarithmen und Exponentiale} + +\subsubsection{Elementare Körpererweiterungen} + +\subsection{Der Satz von Liouville +\label{buch:integrale:section:liouville}} + +\subsection{Die Fehlerfunktion ist keine elementare Funktion +\label{buch:integrale:section:fehlernichtelementar}} + diff --git a/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex b/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex new file mode 100644 index 0000000..37a007d --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/fehlerfunktion.tex @@ -0,0 +1,606 @@ +% +% fehlerfunktion.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Die Fehlerfunktion +\label{buch:integrale:section:fehlerfunktion}} +\rhead{Fehlerfunktion} +Die Wahrscheinlichkeitsdichte einer normalverteilten Zufallsvariable $X$ +mit Erwartungswert $\mu$ und Varianz $\sigma^2$ ist +\begin{equation} +\varphi(x) += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma} +e^{-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}}. +\label{buch:integrale:eqn:normaldichte} +\end{equation} +Die Verteilungsfunktion der Zufallsvariable ist dann durch das Integral +\begin{equation} +f(x) += +F_X(x) += +P(X\le x) += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma} +\int_{-\infty}^x +e^{-\frac{(t-\mu)^2}{2\sigma^2}} +\,dt +\label{buch:integrale:eqn:normalverteilung} +\end{equation} +gegeben. +Die Erfahrung zeigt, dass es nicht möglich ist, das +Integral~\eqref{buch:integral:eqn:normalverteilung} +in geschlossener Form auszuwerten. +Die Funktion $F_X(x)$ ist offenbar eine in Anwendungen nützliche und +häufig gebrauchte Funktion, die es verdient, in eine Standardbibliothek +von Funktion aufgenommen zu werden. +Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass die neu zu definierende +spezielle Funktion möglichst auch für andere Anwendungen verwendet +werden kann, wie zum Beispiel die Berechnung gewisser Laplace-Transformierter. +Im Folgenden soll gezeigt werden, in welcher Form genau dies geschehen +kann. + +% +% Vereinfachung des Integrals durch Standardisierung +% +\subsection{Standardisierung} +Die Formel~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} enthält die zwei +Parameter $\mu$ und $\sigma$, sie ist daher als Basis für eine neue +spezielle Funktion nicht geeignet. +In diesem Abschnitt sollen sie eliminiert werden mit dem Ziel, ein +neues, einfacheres Integral zu definieren, aus dem sich +\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} leicht berechnen lässt. + +\subsubsection{Elimination der Parameter $\mu$ und $\sigma$} +Aus der Wahrscheinlichkeitstheorie ist bekannt, dass zu einer +Zufallsvariablen $X$ mit Erwartungswert $E(X)=\mu$ und Varianz +$\operatorname{var}(X)=\sigma^2$ immer eine Zufallsvariable +gefunden werden kann mit Erwartungswert $0$ und Varianz $1$. +Tatsächlich bekommt man für die standardisierte Zufallsvariable +\begin{equation} +Z = \frac{X-\mu}{\sigma} +\label{buch:integrale:eqn:standardisierung} +\end{equation} +die Werte +\begin{align*} +E(Z) +&= +E\biggl(\frac{X-\mu}{\sigma}\biggr) += +\frac{E(X)-\mu}{\sigma} += +\frac{\mu-\mu}{\sigma} += +0 +\\ +\text{und}\qquad +\operatorname{var}(Z) +&= +\operatorname{var}\biggl(\frac{X-\mu}{\sigma}\biggr) += +\frac{\operatorname{var}(X)}{\sigma^2} += +1, +\end{align*} +wie versprochen. +Dies bedeutet, dass sich das Integral~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} +durch ein Integral ausdrücken lassen muss, in der die Parameter $\mu$ +und $\sigma$ nicht mehr vorkommen. + +Die Standardisierungsformel~\eqref{buch:integrale:eqn:standardisierung} +deutet auch bereits an, wie man das +Integral~\ref{buch:integrale:eqn:normalverteilung} vereinfachen kann. +Dazu führen wir die Substitution $z=(t-\mu)/\sigma$ aus und erhalten +\begin{align*} +f(x) +&= +\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma} +\int_{-\infty}^x e^{-\frac{(t-\mu)^2}{2\sigma^2}}\,dt += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}\sigma} +\int_{\infty}^{(x-\mu)/\sigma} +e^{-\frac{z^2}2}\,\sigma dz += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}} +\int_{-\infty}^{\frac{x-\mu}{\sigma}} e^{-\frac{z^2}2}\,dz. +\end{align*} +Das Integral auf der rechten Seite enthält die Parameter $\mu$ und +$\sigma$ nur noch in der Integrationsgrenze. +Es kann durch die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion der +Standardnormalverteilung +\begin{equation} +\Phi(x) = \frac{1}{\sqrt{2\pi}} \int_{-\infty}^x e^{-\frac{z^2}2}\,dz +\label{buch:integrale:eqn:standardnormalverteilung} +\end{equation} +ausgedrückt werden, es ist +\[ +F_X(x) = \Phi\biggl(\frac{x-\mu}{\sigma}\biggr). +\] +Die Funktion $\Phi(x)$ ist daher in guter Kandidate für eine neue spezielle +Funktion. + +\subsubsection{Die Funktion $\operatorname{erf}(x)$} +Die Funktion \eqref{buch:integrale:eqn:standardnormalverteilung} hat +einige Nachteile, die sich als Barriere für die numerische +Berechnung der Funktionswerte herausstellen könnte. + +Zunächst ist $\Phi(x)$ als ein uneigentliches Integral definiert. +Eine direkte numerische Integration muss daher über ein sehr grosses +Interval erstreckt werden, um die Genauigkeit garantieren zu können. +Jedoch ist bekannt, dass $\Phi(0)=\frac12$, denn +\[ +\Phi(0) += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}} +\int_{-\infty}^0 e^{-\frac{z^2}2}\,dz += +\frac12\cdot\underbrace{\frac{1}{\sqrt{2\pi}} +\int_{-\infty}^{\infty} e^{-\frac{z^2}2}\,dz}_{\displaystyle=1} += +\frac12. +\] +Man kann daher schreiben +\begin{equation} +\Phi(x) = \frac12 + \frac{1}{\sqrt{2\pi}}\int_0^x e^{-\frac{z^2}{z}}\,dz. +\label{buch:integrale:eqn:Phireduziert} +\end{equation} +Das Integral auf der rechten Seite ist ein gewöhnliches Integral und ist +damit viel einfacher zu berechnen. + +Am Integral in~\eqref{buch:integrale:eqn:Phireduziert} ist aber noch etwas +unerfreulich, dass der Exponent komplizierter ist als nötig. +Mit Hilfe der Variablentransformation $u = z/\sqrt{2}$ erhalten wir +aus dem Integral in~\eqref{buch:integrale:eqn:Phireduziert} +\begin{align*} +\frac{1}{\sqrt{2\pi}} +\int_0^x e^{-\frac{z^2}2}\,dz += +\frac{1}{\sqrt{2\pi}} +\int_0^{x/\sqrt{2}} +e^{-u^2} \, \sqrt{2}\,du += +\frac{1}{\sqrt{\pi}} +\int_0^{x/\sqrt{2}} +e^{-u^2} \,du. +\end{align*} +Damit sind wir bei einer Funktion angekommen, die sich gut als spezielle +Funktion eignet. + +\begin{definition} +Die Fehlerfunktion $\operatorname{erf}(x)$ ist die Funktion +\index{Fehlerfunktion}% +\index{erf(x)@$\operatorname{erf}(x)$}% +\[ +\operatorname{erf} +\colon +\mathbb{R}\to [0,1] +: +x +\mapsto +\operatorname{erf}(x) +:= +\frac{2}{\pi} +\int_0^x e^{-u^2}\,du. +\] +\end{definition} + +\begin{figure} +\centering +\includegraphics{chapters/060-integral/images/erf.pdf} +\caption{Graph der Fehlerunktion $\operatorname{erf}(x)$ +\label{buch:integrale:fig:erf}} +\end{figure} +Die Funktion $\operatorname{erf}$ nimmt Werte zwischen $-1$ und $1$ an, +wie man in Abbildung~\ref{buch:integrale:fig:erf} sehen kann. +Die horizontalen Geraden $y=\pm 1$ sind Asymptoten. +Die exakte Berechnung von $\operatorname{erf}(x)$ für sehr grosse Werte +des Argumentes gestaltet sich schwierig, da es zur starker Auslöschung +kommen kann. +Da die Funktionswerte $\operatorname{erf}(x)$ sehr nahe bei $1$ sind, +lohnt es sich, nicht $\operatorname{erf}(x)$, sondern $1-\operatorname{erf}(x)$ +zu berechnen. + +\begin{definition} +\index{komplementäre Fehlerfunktion} +\index{Fehlerfunktion, komplementäre} +\index{erfc(x)@$\operatorname{erfc}(x)$} +Die {\em komplementäre Fehlerfunktion} ist die Funktion +\[ +\operatorname{erfc} +\colon +\mathbb{R} \to [0,2] +: +x\mapsto +\operatorname{erfc}(x) +:= +1-\operatorname{erf}(x) += +\frac{2}{\sqrt{\pi}}\int_x^\infty e^{-u^2}\,du. +\] +Die {\em verallgemeinerte Fehlerfunktion} ist definiert als +\[ +\operatorname{erf}(a,b) += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_a^b e^{-u^2}\,du. +\] +\end{definition} + +Mit der Fehlerfunktion kann die Standardnormalverteilungsfunktion jetzt +als +\[ +\Phi(x) += +\frac12 ++ +\frac12\operatorname{erf}\biggl( \frac{x}{\sqrt{2}} \biggr) += +\frac12\biggl( +1+\operatorname{erf}\biggl(\frac{x}{\sqrt{2}}\biggr)\biggr) +\] +ausdrücken. +Die Verteilungsfunktion einer normalverteilten Zufallsvariable mit +Erwartungswert $\mu$ und Varianz $\sigma^2$ kann ebenfalls mit +\[ +F_X(x) += +\frac12\biggl( +1+\operatorname{erf}\biggl(\frac{x-\mu}{\sqrt{2}\sigma}\biggr) +\biggr) +\] +berechnet werden. +Die Fehlerfunktion ist also eine ``gute'' spezielle Funktion, die +die Berechnung von Wahrscheinlichkeitswerten von normalverteilten +Zufallsvariablen vereinfacht. + +\subsection{Laplace-Transformation} +Wir berechnen die Laplace-Transformierte der Funktion +\[ +f(t) = \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr). +\] +Nach Definition der Laplace-Transformation ist dies die Funktion +\begin{align*} +\mathscr{L}f(s) +&= +\int_0^\infty +e^{-st} \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr) +\,dt += +\int_0^\infty +e^{-st} +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^{\frac{a}{2\sqrt{t}}} +e^{-x^2} +\,dx +\,dt. +\end{align*} +Das Integrationsgebiet $G$ ist der Teil des ersten Quadranten der +$t$-$x$-Ebene, für den die Ungleichung $x \le a/2\sqrt{t}$ gilt. +Dies ist gleichbedeutend mit $t \le a^2/4x^2$. +Vertauscht man die Integrationsreihenfolge, erhält man +\begin{align} +\mathscr{L}f(s) +&= +\int_G +e^{-st} +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +e^{-x^2} +\,dx \,dt += +\int_0^\infty +\int_0^{\frac{a^2}{4x^2}} +e^{-st} +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +e^{-x^2} +\,dt +\,dx += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^\infty +e^{-x^2} +\int_0^{\frac{a^2}{4x^2}} +e^{-st} +\,dt +\,dx +\notag +\\ +&= +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^\infty +e^{-x^2} +\biggl[ +-\frac1{s}e^{-st} +\biggr]_0^{\frac{a^2}{4x^2}} +\,dx += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^\infty +e^{-x^2} +\frac1{s} +\biggl( +1-e^{-\frac{sa^2}{4x^2}} +\biggr) +\,dx +\notag +\\ +&= +\frac{1}{s} +\cdot +\frac{2}{\sqrt{\pi}}\int_0^\infty e^{-x^2}\,dx +- +\frac1{s} +\cdot +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^\infty +e^{-x^2-\frac{sa^2}{4x^2}} +\,dx +\notag +\\ +&= +\frac1s\lim_{x\to\infty} \operatorname{erf}(x) +- +\frac1s +\cdot +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^\infty e^{-\left(x^2+\frac{sa^2}{4x^2}\right)}\,dx. +\label{buch:integrale:eqn:laplaceerf} +\end{align} +Der Grenzwert im ersten Term ist nach Definition der Fehlerfunktion $1$. +Schreiben wir $b=a\sqrt{s}/2$, dann wird das Integral im zweiten Term +\begin{equation} +I(b) += +\int_0^\infty e^{-\left(x^2+\frac{sa^2}{4x^2}\right)}\,dx += +\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x^2+\frac{b^2}{x^2}\biggr)\biggr)\,dx. +\label{buch:integrale:eqn:Ibsumme} +\end{equation} +Den Exponenten im Integranden kann man wie folgt als quadratischen +Ausdruck in $x\pm a/x$ schreiben: +\begin{equation*} +\begin{aligned} +%\biggl( +x^2 + \frac{b^2}{x^2} +%\biggr) +&= +\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2 - 2b +\\ +&= +\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2 + 2b. +\end{aligned} +\end{equation*} +Man kann also das Integral $I(b)$ auf die eine oder andere Art als +\begin{equation} +\begin{aligned} +I(b) +&= +\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2+2b\biggr)\,dx +\\ +\text{oder}\quad\phantom{I(b)} +&= +\int_0^\infty \exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2-2b\biggr)\,dx +\end{aligned} +\label{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale} +\end{equation} +schreiben. +Die Faktoren $e^{\pm 2b}$ können aus dem Integral genommen werden. +Trotzdem kann man das Integral nicht einfach ausführen. + +Die Substitution $y=x\pm\frac{b}{x}$ vereinfacht den Integranden +\eqref{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale} +zwar zu $e^{-y^2}$, aber die Substitution für $dx$ liefert +\begin{equation} +y=x\pm\frac{b}{x} +\qquad\Rightarrow\qquad +dy = \biggl(1\mp \frac{b}{x^2}\biggr)\,dx. +\label{buch:integrale:eqn:dy} +\end{equation} +Dies kann für die Berechnung von $I(b)$ verwendet werden. +Zunächst folgt aus \eqref{buch:integrale:eqn:fehlerintegrale}, +dass jede konvexe Kombination der beiden Integrale mit Koeffizienten, +die sich zu $1$ summieren, wieder $I(b)$ erbibt. +Wählen wir die Koeffizienten +\[ +\frac12\biggl(1\mp\frac{b}{x^2}\biggr), +\] +dann heben sich die Terme mit $b/x^2$ weg, wir erhalten die +konvexe Kombination +\[ +I(b) += +\frac12 +\cdot +\underbrace{ +\int_0^\infty +\biggl(1-\frac{b}{x^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx +}_{\displaystyle=I_+(b)} +\mathstrut +\cdot e^{2b} ++ +\frac12 +\underbrace{ +\int_0^\infty +\biggl(1+\frac{b}{x^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx +}_{\displaystyle=I_-(b)} +\mathstrut +\cdot e^{-2b}, +\] +die aus zwei Integralen besteht, die einfacher berechnet werden können. + +Im Integral $I_-(b)$ können wir die Substition \eqref{buch:integrale:eqn:dy} +und erhalten +\begin{align*} +I_-(b) +&= +\int_{-\infty}^\infty +\biggl(1+\frac{b}{x^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(x-\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx += +\int_{-\infty}^\infty e^{-y^2}\,dy += +\frac{\sqrt{\pi}}2 +\end{align*} +nach Definition der Fehlerfunktion. + +Das erste Integral $I_+(b)$ ist etwas schwieriger zu berechnen. +Die Substition $z=b/x$ bildet das Integrationsinterval auf sich selbst ab, +aber die Integrationsrichtung kehrt um. +Mit +\[ +dz = -\frac{b}{x^2}\,dx +\qquad\Rightarrow\qquad +dx = -\frac{z^2}{b}\,dz +\] +erhalten wir jetzt +\begin{align*} +I_+(b) +&= +\int_0^\infty +\biggl(1-\frac{b}{x^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(x+\frac{b}{x}\biggr)^2\biggr)\,dx +\\ +&= +\int_{\infty}^0 +\biggl(1-\frac{b}{b^2/z^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\, +\biggl(-\frac{b}{z^2}\biggr)\,dz +\\ +&= +\int_{0}^{\infty} +\biggl(1-\frac{b}{b^2/z^2}\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\, +\frac{b}{z^2}\,dz +\\ +&= +\int_{0}^{\infty} +\biggl(\frac{b}{z^2}-1\biggr) +\exp\biggl(-\biggl(\frac{b}{z}+z\biggr)^2\biggr)\, +dz += +-I_+(b). +\end{align*} +Indem man auf beiden Seiten $I_+(b)$ addiert erhält man nun $2I_+(b)=0$, +also auch $I_+(b)=0$. +Das Integral $I_+(b)$ verschwindet also, $I_+(b)=0$. + +Nach all diesen Zwischenrechnungen können wir jetzt das Integral $I(b)$ +zusammensetzen. +Wir finden +\begin{align*} +I(b) +&= +\frac12e^{2b} I_+(b) +\frac12e^{-2b} I_-(b) +\\ +&= +\frac12e^{-a\sqrt{s}}\cdot \frac{\sqrt{\pi}}{2}. +\end{align*} +Einsetzen in \eqref{buch:integrale:eqn:laplaceerf} gibt jetzt das +Resultat für die Laplace-Transformierte von $f(t)$, sie ist +\[ +\mathscr{L}f(s) += +\frac1s - \frac1s\cdot\frac{2}{\sqrt{\pi}} I(b) += +\frac1s\biggl(1-\frac12e^{-a\sqrt{s}} \biggr). +\] + +\begin{satz} Die Laplace-Transformierte der Fehlerfunktion mit Argument +$a/2\sqrt{t}$ ist +\begin{equation} +f(t) = \operatorname{erf}\biggl(\frac{a}{2\sqrt{t}}\biggr) +\qquad\multimapdotbothA\qquad +\mathscr{L}f(s) += +\frac1s\biggl(1-\frac12e^{-a\sqrt{s}}\biggr). +\end{equation} +\end{satz} + + + + +\subsection{Berechnungsmethoden} +Die Fehlerfunktion kann natürlich mit numerischen Integrationsmethoden +berechnet werden. +Diese verlangen jedoch typischerweise die Auswertung des Integranden +an einer grossen Zahl von Stützstellen. +Im vorliegenden Falle müsste die transzendente Exponentialfunktion +sehr häufig berechnet werden, was zu sehr langer Laufzeit führt. +Gefragt sind daher Berechnungsverfahren, die möglichst nur arithmetische +Operationen verwenden, die sehr schnell in Hardware ausgeführt werden +können. + +\subsubsection{Taylorreihe} +Die Fehlerfunktion ist das Integral einer Exponentialfunktion, die mit +Hilfe einer Potenzreihe für beliebige Argumente berechnet werden kann. +Aus +\[ +e^x += +1+x+\frac{x^2}{2!}+\frac{x^3}{3!} + \dots += +\sum_{k=0}^\infty \frac{x^k}{k!} +\] +erhalten wir die Potenzreihe +\begin{equation} +e^{-t^2} += +\sum_{k=0}^{\infty} +(-1)^k +\frac{t^{2k}}{k!}, +\label{buch:integrale:eqn:erftaylor} +\end{equation} +die für alle Werte von $t$ konvergiert. + +Da die Reihe +\eqref{buch:integrale:eqn:erftaylor} +absolut konvergiert, darf man sie gliedweise integrieren und erhält +\begin{equation} +\operatorname{erf}(x) += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\int_0^x +e^{-t^2}\,dt += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\sum_{k=0}^\infty \frac{(-1)^k}{k!}\int_0^x t^{2k}\,dt += +\frac{2}{\sqrt{\pi}} +\sum_{k=0}^\infty \frac{(-1)^kx^{2k+1}}{k!(2k+1)}. +\label{buch:integrale:eqn:erfreihe} +\end{equation} +Diese Reihenentwicklung ist sehr effizient für kleine Werte von $x$. +Für grosse Werte von $x$ entstehen aber sehr grosse Zwischenterme in der +Reihe, was zu Auslöschung und damit zu Genauigkeitsverlust führt. + +\subsubsection{Kettenbruchentwicklung} +Besonders für grosse $x$ interessiert man sich mehr für +$\operatorname{erfc}(x)$ als für $\operatorname{erf}(x)$. +Die Potenzreihe \eqref{buch:integrale:eqn:erfreihe} ist +dafür wegen der bereits erwähnten Auslöschung besonders ungeeignet. +Man kann aber die Kettenbruchentwicklung +\begin{equation} +\operatorname{erfc}(z) += +\frac{2ze^{-z^2}}{\sqrt{\pi}} +\cfrac{1}{ +z+\cfrac{\frac12}{ +z+\cfrac{\frac22}{ +z+\cfrac{\frac32}{ +z+\cfrac{\frac42}{ +z+\cfrac{\frac52}{ +z+\cfrac{\frac62}{ +z+\dots}}}}}}} +\end{equation} +finden, die in \cite[p.~175]{buch:pade} dargestellt wird. +Für grosse $z$ liefert dieser Kettenbruch besonders schnell konvergierende +Näherungsbrüche für $\operatorname{erfc}(z)$. + +\subsubsection{Interpolation} +Die GNU Scientific Library \cite{buch:library:gsl} verwendet eine Reihe von +Tschebyscheff-Approximationspolynomen, die für die Intervalle, in denen +sie definiert sind, besonders effizient zu berechnende Approximation +mit Maschinengenauigkeit ergeben. diff --git a/buch/chapters/060-integral/images/Makefile b/buch/chapters/060-integral/images/Makefile new file mode 100644 index 0000000..161f9ae --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/images/Makefile @@ -0,0 +1,12 @@ +# +# Makefile -- Bilder zum Kapitel über durch Integrale definierte spezielle +# Funktionen +# +# (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +# +all: erf.pdf + +erf.pdf: erf.tex erfpunkte.tex + pdflatex erf.tex +erfpunkte.tex: erfpunkte.m + octave erfpunkte.m diff --git a/buch/chapters/060-integral/images/erf.pdf b/buch/chapters/060-integral/images/erf.pdf Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a749626 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/images/erf.pdf diff --git a/buch/chapters/060-integral/images/erf.tex b/buch/chapters/060-integral/images/erf.tex new file mode 100644 index 0000000..16775a4 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/images/erf.tex @@ -0,0 +1,35 @@ +% +% erf.tex -- Fehlerfunktion +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\documentclass[tikz]{standalone} +\usepackage{amsmath} +\usepackage{times} +\usepackage{txfonts} +\usepackage{pgfplots} +\usepackage{csvsimple} +\usetikzlibrary{arrows,intersections,math} +\begin{document} +\def\skala{2} +\input{erfpunkte.tex} +\begin{tikzpicture}[>=latex,thick,scale=\skala] + +\draw[->] (-3.2,0) -- (3.3,0) coordinate[label={$x$}]; +\draw[->] (0,-1.1) -- (0,1.2) coordinate[label={right:$\operatorname{erf}(x)$}]; +\foreach \x in {-3,-2,-1,1,2,3}{ + \draw[line width=1pt] (\x,-0.03) -- (\x,0.03); + \node at (\x,-0.02) [below] {$\x$}; +} +\draw[color=gray,line width=1pt] (-3.1,-1) -- (3.1,-1); +\node at (0,-1) [above left] {$-1$}; +\draw[color=gray,line width=1pt] (-3.1,1) -- (3.1,1); +\node at (0,1) [below left] {$1$}; + +\draw[color=red,line width=1.4pt] +\erfpfad +; + +\end{tikzpicture} +\end{document} + diff --git a/buch/chapters/060-integral/images/erfpunkte.m b/buch/chapters/060-integral/images/erfpunkte.m new file mode 100644 index 0000000..ae4ada1 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/images/erfpunkte.m @@ -0,0 +1,16 @@ +# +# erf.m provide plot data for error function +# +# (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +# +N = 93; +x = (-N:N) / 30; +y = erf(x); + +fn = fopen("erfpunkte.tex", "w"); +fprintf(fn, "\\def\\erfpfad{(%.3f,%.3f)", x(1), y(1)); +for i = (2:(2*N+1)) + fprintf(fn, "\n -- (%.3f,%.3f)", x(i), y(i)); +endfor +fprintf(fn, "}\n"); +fclose(fn) diff --git a/buch/chapters/060-integral/risch.tex b/buch/chapters/060-integral/risch.tex new file mode 100644 index 0000000..6c8ff96 --- /dev/null +++ b/buch/chapters/060-integral/risch.tex @@ -0,0 +1,12 @@ +% +% risch.tex +% +% (c) 2021 Prof Dr Andreas Müller, OST Ostschweizer Fachhochschule +% +\section{Der Risch-Algorithmus +\label{buch:integral:section:risch}} +\rhead{Risch-Algorithmus} + + + + diff --git a/buch/chapters/Makefile.inc b/buch/chapters/Makefile.inc index 9320dd8..6722309 100644 --- a/buch/chapters/Makefile.inc +++ b/buch/chapters/Makefile.inc @@ -10,4 +10,5 @@ CHAPTERFILES = \ include chapters/000-einleitung/Makefile.inc include chapters/020-exponential/Makefile.inc +include chapters/060-integral/Makefile.inc diff --git a/buch/chapters/part1.tex b/buch/chapters/part1.tex index b6c3e10..293cba7 100644 --- a/buch/chapters/part1.tex +++ b/buch/chapters/part1.tex @@ -16,20 +16,20 @@ % analytisch definierte spezielle Funktionen %\input{chapters/050-differential/chapter.tex} -%\input{chapters/060-reihenprodukte/chapter.tex} -%\input{chapters/070-funktionentheorie/chapter.tex} -%\input{chapters/080-funktional/chapter.tex} +\input{chapters/060-integral/chapter.tex} +%\input{chapters/070-reihenprodukte/chapter.tex} +%\input{chapters/080-funktionentheorie/chapter.tex} +%\input{chapters/090-funktional/chapter.tex} % Gamma und Pi % Eulersche Beta-Funktion % Spezielle Funktionenfamilien -%\input{chapters/090-kombinatorisch/chapter.tex} -%\input{chapters/100-elliptisch/chapter.tex} -%\input{chapters/110-besselstruve/chapter.tex} -%\input{chapters/120-airy/chapter.tex} -%\input{chapters/130-kugel/chapter.tex} -%\input{chapters/140-fehlerfunktion/chapter.tex} -%\input{chapters/150-risch/chapter.tex} +%\input{chapters/100-kombinatorisch/chapter.tex} +%\input{chapters/110-elliptisch/chapter.tex} +%\input{chapters/120-besselstruve/chapter.tex} +%\input{chapters/130-airy/chapter.tex} +%\input{chapters/140-kugel/chapter.tex} +%\input{chapters/150-fehlerfunktion/chapter.tex} %\begin{appendices} %\end{appendices} diff --git a/buch/chapters/references.bib b/buch/chapters/references.bib index 38e56c8..230f1e1 100644 --- a/buch/chapters/references.bib +++ b/buch/chapters/references.bib @@ -147,6 +147,15 @@ abstract = "In this paper, we present Google, a prototype of a large-scale searc day = 1 } +@book{buch:pade, + author = { George A. Baker Jr and Peter Graves-Morris }, + title = { Padé-Approximants }, + series = { Encyclopedia of Mathematics and its applications }, + volume = { 59 }, + publisher = { Cambridge University Press }, + ISBN = { 978-0-521-12509-2 }, + year = 1982 +} |